Die Welle der Corona-Infektionen verebbt, die Lockerungen der Schutzmaßnahmen werden von den einen sehnsüchtig erwartet, von den anderen als Schnellschuss warnend verurteilt. Kein Tag vergeht, an dem nicht das Schreckgespenst des Verschwörungstheoretikers als Ausgeburt der Dummheit in den deutschen Presseorganen erscheint. Das Credo derjenigen, die gegen die Fake-News der Verblendeten vorgehen, lautet: Lasst uns solidarisch in gegenseitiger Rücksichtnahme und im Einverständnis mit den politisch verordneten Einschränkungen den Kampf gegen das heimtückische, unser aller Leben bedrohende Virus, bis zum endgültigen Sieg, zu Ende führen.
Was hat das alles mit dem Thema der Neu-Autoritären zu tun? Bei der Pandemie geht es doch um wissenschaftliche Erkenntnisse und nicht um irgendwelche Halbwahrheiten. Es geht um Leben und Tod! In deren Angesicht kann es nur eine Wahrheit geben, der wir gemeinsam folgen: Im Gleichschritt der Erkenntnis mit der Atemmaske als Symbol der Rücksicht und Solidarität. Wer anderes denkt, verletzt durch sein unsolidarisches Verhalten. Er verletzt das Ansehen der Vernunft, denn für die Wahrheit kann es nur einen gemeinsamen Weg geben, dem wir zustimmend folgen.
Wir erkennen das Bündnis aus Wahrheit und Verletzung, das sich in den letzten beiden Jahrzehnten unter dem Titel der politischen Korrektheit im öffentlichen Diskurs durchgesetzt hat. Es entwickelte sich zur Bestimmungsgröße für die Standpunkte, die frei von Diskriminierung öffentlich vertretbar sind. Nicht vergessen ist das Gedicht an der Hausfassade einer Berliner Hochschule, das Jahre zuvor den Poetik-Preis eben dieser Hochschule erhielt und deshalb an der Wand verewigt wurde. Entfernt werden musste es, weil es durch den Gestus der Verherrlichung für die weibliche Identität Verletzendes enthielt. Ebenfalls im Namen der Korrektheit verlieren Hochschullehrer ihre Stelle, werden Redewendungen geächtet und Warnhinweise getätigt, wenn der Leser auf verletzende oder gar traumatisierende Textstellen stoßen sollte. Zudem werden Redner ausgeladen, die irgendwo und irgendwann Diskriminierendes gesagt haben.
Opferstatus der gesamten Menschheit
Mit dem Argument der politischen Korrektheit arbeitete sich über die Universitäten, also die heranwachsende geistige Elite, ein neuer Geist in die Gesellschaft hinein. Was damals versäumt wurde, rächt sich heute in der Coronakrise. Dieses Versäumnis kann niemandem angelastet werden, zu verdeckt, zu perfekt verpackt, äußerte sich der alte autoritäre Geist im neuen Gewand, sodass er dem kritischen Auge verborgen blieb. Dieser Geist kennt nur die eine Wahrheit, ächtet den abweichenden, anderen Standpunkt. Mit dem besonderen Unterschied, dass er das Monopol der Wahrheit nicht durch die Geste der Macht durchsetzt, sondern der Empfindlichkeit, der Verletztheit des Opfers von Diskriminierung, in Corona-Zeiten ergänzt durch Angst, Sorge und Fürsorge. Diese gewährt keinem das Recht der Widerrede, der anderen Sicht.
Auf diese Weise verpackt ist die Macht der ausgeübten Kontrolle für niemanden als Ausdruck einer autoritären Haltung erkennbar.
Das gilt auch in der jetzigen Coronakrise, in der erstmals in der Geschichte der Opferstatus der gesamten Menschheit zukommt. Sie ist Opfer eines lebensbedrohenden Angriffs durch einen heimtückischen, unsichtbaren Feind: das Coronavirus. Der Angriff kommt direkt aus der Natur, die wir glorreich zu beherrschen glaubten und für gewöhnlich ausrotten, was uns bedroht.
In vielen Kulturen sind Menschen Diskriminierungen ausgesetzt, weil sie irgendwelchen Randgruppen angehören. Es sind Minderheiten, die unterschiedlich begründeten Hass auf sich ziehen. Die Geschichte kennt viele davon. Das christlich autoritäre Patriarchat hat Formen der Diskriminierung praktiziert, welche darüber hinaus die halbe Menschheit zu Opfern niederdrückte: die Frauen und alle unkultivierten, zwischen Tier und Mensch angesiedelten Völker, die in den Kolonialreichen das Geschenk der europäischen Zivilisation empfangen durften.
Der Status des Opfers entsteht in dem einen Fall durch Diskriminierung, in dem anderen durch Lebensbedrohung. Dadurch ist auch die Verletzung unterschiedlicher Herkunft. Im ersten Fall ist es die Entwertung durch eine mächtige, normbestimmende Mehrheit, im anderen der unterschiedliche Standpunkt, der — obwohl gleichfalls wissenschaftlich fundiert — als Verschwörungstheorie denunziert, also entwertet wird. Aus beiden Verletzungen entspringt der autoritäre Impuls, den anderen Standpunkt zu ächten. Der Opferstatus verleiht den Neu-Autoritären die Macht zur Durchsetzung ihrer Deutung der Situation. Opfer kann sein, wer eine angeblich abnorme sexuelle Orientierung hat, dem weiblichen Geschlecht angehört oder gegenwärtig, wer Mensch ist.
Die Neu-Autoritären beziehen ihre Legitimation aus der Diskriminierung durch die normbestimmende Mehrheit — die gar keine Mehrheit sein muss, wie im Falle des Geschlechts, sie muss nur mächtiger sein — weshalb wir sie auch die Opfer-Autoritären nennen können. Diese Titulierung ist keineswegs als Provokation gemeint, sie hat einen klaren geschichtlichen Hintergrund, der später im Text vertieft betrachtet werden soll.
An dieser Stelle soll genügen, dass das Patriarchat eine klare Trennung von Macht und Ohnmacht, Täter und Opfer praktizierte. Das weibliche Geschlecht war in der jahrhundertelangen Diskriminierung das Opfer männlicher Herrlichkeit und Herrschaft. Und es war als Opfer zugleich die andere Hälfte dieses autoritären Gebäudes, das ihre Sozialisation, ihr Denken und Fühlen bestimmte. Als Opfer befand sich die Frau niemals außerhalb der autoritären Ideologie sondern innerhalb. In der ihr ureigenen Aufgabe der Erziehung lebte und vermittelte sie alle Inhalte des autoritären Weltbildes gegenüber ihren Kindern, sowohl über die Liebe und die Sorge als auch über die legitimierte körperliche Gewalt.
Wechsel der autoritären Macht
Dies gilt auch heute noch. Mit schwerwiegenden Folgen. In den zurückliegenden fünf Jahrzehnten, in denen der Patriarch Stück für Stück zerpflückt wurde und weiter hin wird, gab es zu keinem Zeitpunkt eine gesellschaftliche Diskussion über die autoritäre Frau. Ja, die Vorstellung, dass die Frau als Opfer der Entwertung durch das Patriarchat, selbst autoritär denken und fühlen könnte, war und ist heute für viele noch so abwegig und unvorstellbar, dass es außerhalb des Denkbaren zu sein scheint. Die Frage, ob die Frau und Mutter autoritär denkt und fühlt, muss dringend gestellt werden angesichts der Tatsache, dass sie das entstandene Machtvakuum in den Familien durch den Fall des Patriarchen eingenommen hat und so zur bestimmenden familiären Kraft aufgestiegen ist. Lebt die Mutter dort die Inhalte des versteckten Matriarchats, dann hat dies gravierende Folgen für die Gesellschaft.
Die öffentliche Diskussion hat sich bereits in den letzten Jahrzehnten schleichend dahingehend verändert, dass sie durch die Denk- und Verhaltensregeln der Neu- oder Opfer-Autoritären bestimmt wird. Diese Muster folgen tatsächlich den Vorgaben des versteckten Matriarchats, wie es sich in den Jahrhunderten, ja Jahrtausenden des autoritären Patriarchats im Verborgenen entwickelte. Mit Verwunderung stellen wir fest, dass die Bewegung der politischen Korrektheit von den jungen Studenten in den Universitäten gestartet wurde und von dort den Weg in die Gesellschaft nahm.
Ist es eine Ironie der Geschichte, dass es ebenfalls die Studenten waren, die in den 1968er Jahren den autoritären Mief aus den Universitäten bliesen und, wenige Jahrzehnte später, die Studenten wieder dafür sorgen — unwissentlich natürlich —, dass der autoritäre Geist in die Hallen der Gelehrsamkeit zurückkehrt?
Jetzt allerdings in der anderen Form, der versteckt matriarchalen, angeleitet durch das Gefühl der Verletztheit des Opfers. Es betrifft die Generation von Studenten, die im täglichen Handykontakt mit der Mutter stehen und unter der Kontrolle durch deren Angst und Sorge aufgewachsen sind. Unbemerkt ist das Walten des versteckten Matriarchats und unbemerkt wirkt es über deren Kinder, die durch Angst und Sorge unter mütterlicher Kontrolle stehen, direkt in die Gesellschaft hinein. Ist es da nicht an der Zeit, dieses Thema endlich gesellschaftlich zu diskutieren?
Nach wie vor steht der Fall des Patriarchen, der in unserer Gesellschaft mit der 1968er-Bewegung begann, bis heute im Fokus der gesellschaftlichen Anklage. Was anders nicht vorstellbar ist, da sich eine solch Kultur bestimmende Kraft nur in langen und zähen Prozessen und Auseinandersetzungen vollziehen kann. In wechselnden Kampagnen sitzt das Patriarchat auf dem Stuhl des Angeklagten, als Vergewaltiger in der MeToo-Debatte, in Corona-Zeiten als Peiniger der Frau und dann wieder als selbstherrlicher Unterdrücker in den Theatern.
Die Frau tritt dabei in Personalunion als Opfer, Anklägerin und Richterin auf. Das ist keine Aufarbeitung, das ist nur eine Umkehr der Macht. Mit den gleichen Zielen, wie sie das autoritäre Patriarchat vorgelebt hat: die Macht mittels Entwertung, Anklage und moralischer Verurteilung zu etablieren und zu erhalten. Und eben diese angesprochene Personalunion, wie sie in der MeToo-Bewegung in Reinheit zu beobachten war, erkennen wir sowohl in der machtvollen Durchsetzung politischer Korrektheit als auch in der gegenwärtig in den öffentlichen Medien stattfindenden Denunzierung abweichender Auffassungen hinsichtlich der per Dekret verordneten Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus. Jetzt allerdings ausgedehnt auf das Wirken beider Geschlechter — für alle klar und deutlich sichtbar.
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