Gleichschaltung. Ruhe vor dem Sturm. Sonnige und zugleich frostige Frühjahrstage. Sternklare Nächte. Stille. Kein Flugzeug am Himmel. Eine Berliner Luft, so klar wie in den Bergen. Aber auch eine Taubheit, eine allgemeine Absenz. Eine Abwesenheit.
Die Tiere sind unruhig. Es sind wohl Drosseln. Die zwei Vögel im Hof bekämpfen einander, wie ich es noch nie gesehen habe. Es scheint, als würde der Switch zur De-facto-Diktatur auch die Natur verändern.
Frau Çalhanoğlu trägt den Müll raus. Das ist beruhigend. „Guten Tag! Bitte nicht das Grundgesetz wegwerfen. Irgendjemand muss es für uns aufbewahren!“ — „Das machen ’wa“, grummelt sie zurück. Ich habe ihr gestern eines gegeben. Sie sagte, sie habe schon eines, aber man könne gerade nicht genug davon haben. Ob sie Brechts Taoteking gelesen hat? Könnte ja sein.
Meine Regierung hat alle Grundrechte außer Kraft gesetzt
Der Horizont starrt mich in seiner östlichsten Kälte an. Vielleicht sollte ich wieder mit dem Rauchen anfangen? Allein schon wegen West? — Vielleicht mal was Warmes, zumindest von innen her? Einen Rauch aufsteigen lassen, die Indianerpfeife für den Frieden rauchen. Vorsorglich. Vielleicht nur eine light?
Meine Regierung hat alle Grundrechte außer Kraft gesetzt, für die wir seit 1789 gekämpft hatten. Und dies, um nun eine „Corona“ an die absolutistische Macht zu bringen. Eine Königin, die kleiner als eine Erbse ist. Und einfach ihr idiotisches Programm abspielt, gnadenlos öde. Es sei ja umstritten, ob so ein Virus überhaupt zum Lebendigen gezählt werden könne. Es fuddelt so vor sich hin. Und all das nur, um sich selbst zu erhalten als seelenloses Programm.
Das Gegenteil des menschlichen Lebens auf der Erde, dessen höchster Ausdruck doch die gekonnte Langeweile und die Kunst sind. Aber so zwanghaft alles auf null zu stellen, geht es ja nun auch nicht. Ohne Wahlen, ohne gefragt zu werden, ohne Zukunft. Die Zeitkonstante ist verschwunden. Jeder Tag fühlt sich wie ein Monat an.
Die Parlamente meines Landes haben sich unterworfen
...wenn das Leben im Westen auf einmal ein kräftiges Air von Lukaschenko atmet. Kann mich mal jemand kneifen? Den fanden die doch früher ganz furchtbar, die uns jetzt alle in ein blitzsauberes, aber langweiliges Minsk verklappen wollen. Gesund, aber isoliert.
Die Parlamente meines Landes haben sich unterworfen. Eine Opposition findet in der Repräsentation nicht statt. Damit findet keine Repräsentation statt. Eigentlich findet gar nichts statt, was eine Demokratie ausmacht. Auch nicht im Oberstübchen.
Der oberste Liberale sagte, nun sei wirklich „keine Zeit, Schulnoten für die Regierung zu vergeben“. Bei der Abschaffung der Bürgerrechte und sämtlicher liberaler Freiheiten wollte sich Christian Lindner, FDP, nicht festlegen, ob das schon eine Eins minus oder doch nur Zwei plus wert sei. Wie heißt Lukaschenko eigentlich mit Vornamen? Christian war es nicht, glaube ich. Vielleicht ist das ja die Lindner‘sche Art zu altern. A long way east...
Ja: Die Seuchenbekämpfung wird erfolgreich gewesen sein
Im Grunde ist es müßig, sich noch länger mit dem Virus aufzuhalten. — Ja: Der Virus mit dem königlichen Namen existiert. Er ist nicht völlig ungefährlich, aber jedenfalls ungefährlicher als die Grippeinfektwellen der beiden vergangenen Jahre (1). Das Leben auf der Erde geht weiter. Zum Leben gehört, wie jeder Mensch weiß, auch der Tod. Möge er spät eintreten und erst nach langer Zeit bei voller Gesundheit. Das sei jedem Menschen gewünscht.
Ja: Es gab in China und im norditalienischen Bergamo Ausnahmeereignisse, die medizinisch aufgeklärt werden müssen. Ja: Die Seuchenbekämpfung wird erfolgreich sein. Man wird zurecht Supermarktkassiererinnen, Sanitäter und Ärztinnen mit den größten Preisen behängen. Allein, an der singulären Ungewöhnlichkeit der Seuche selbst wird es nicht gelegen haben.
Wird man sich fragen? Was war denn mit denen los: Der freien Presse, der Opposition in den Parlamenten, der kritischen Intelligenz? Wo waren eigentlich die Linken? Genauso umgefallen wie alle anderen.
Wenn man nicht mehr kann, weil es keiner mehr will
Wird man sagen: Das waren die Märzgefallenen! Oder wird man ihnen eher ein Märzerlebnis attestieren? Einen Rausch, einen Ritt, eine Welle. Ein seelisches Großgefühl, das sie schon seit Längerem in der Brust mit sich trugen. Das sich nährte durch den Unmut der Leute, die einfach keine Lust mehr auf sie hatten. Bei G20 in Hamburg 2017. Bei einem Jahr Gelbwesten von 2017 bis 2018. Bei den Fridays For Future 2019. Einfach keinen Bock mehr auf den Scheiß. Kannten Sie jemanden, der noch Achtung vor Politikern hatte?
Wie fühlt es sich an, wenn man als Politiker eigentlich nur noch damit beschäftigt ist, den Beschimpfungen aus dem Weg zu gehen. Nicht einmal daran denken kann, durch ein Stadtviertel zu laufen, ohne dass einem faule Eier um die Ohren fliegen — oder ärgeres.
Wenn man einen hochbezahlten Top-Job beim Fernsehen hat, aber die Musik längst woanders spielt. Wenn man seine Liturgie singt im leerem Kirchenschiff. Und dass schon seit langen, langen Jahren. Wenn man einfach nicht mehr kann, weil es keiner mehr will. Nein, die seit Ende 2019 deutlich einsetzende Weltrezession hätte keine Regierung überlebt. Keine.
Etwas ist zu Ende gegangen. Aber nicht im März 2020 mit dem Notstands-Regime (2). Sondern viele Jahre zuvor. Dieser Umbruch ist nur der Ausdruck des zähen Absterbens einer Epoche, die im Grunde schon im Jahr 2007 mehr als überfällig gewesen war. „Jump, you Fuckers!“, etwa, „springt schon, ihr Wichser!“, stand auf den Schildern an den Bankentürmen nach dem Finanzmarktkollaps, der im Grunde nur ein spektakulär aufgeführtes Kürzungsprogramm war. Ein Geldtheater.
Die einsetzende Weltrezession hätte keine Regierung überlebt
Damals: Menschen versammelten sich, die weit mehr als die kritische Masse bildeten, aber noch weit weniger als die behaupteten 99 Prozent waren. Doch weit mehr als die 2.000 Citoyens, die 1789 die Bastille gestürmt hatten. Der Protest war eindeutig, aber nicht genug und eben unbewaffnet. Aus Sicht einer Republik, der res publica, war es ab 2007 im Grunde vorbei mit diesem Kapitalismus. Und alle wussten das auch.
Die Neo-Fürsten begannen, sich Bunker zu bauen (3). Und gegen die von Lohn und Monatsumsätzen Abhängigen zu aufzurüsten (4). 13 Jahre lang, seit 2007, dehnten sie ihr schrottreifes System, zehrten an unseren Nerven und machten uns fertig, wo sie nur konnten. Unrühmlich die Rolle mancher gealterter Vollkasko-Kids, die sich gern in der Rolle der moralisch Vollst-Integeren sahen (5). Und als sich das Ende der Sause abzeichnete, die nur für die Neo-Fürsten eine Sause war, ja, da verschwanden die in ihre Bunker (6).
Und sie ließen zurück: Ihre treuesten Vasallen im Virus-Fieber. Die Schreibknechte und TV-Mägde, die Politberater und Hilfslobbyisten. Die ganze Untermaschinerie der Speichellecker und Sesselfurzerinnen, die ihnen jetzt, nach ihrem Abgang, noch ein paar Wochen den Rücken zur Flucht freihalten. Indem sie, wie sie es gelernt haben, mit dem Flow schwimmen. Der allerdings diesmal nicht ins warme Brausebecken der Macht mündet, sondern in unaussprechliche Zustände.
Woher dieser Wille zur Selbstverleugung?
Sprechen wir es aus: Es war einmal die freie Presse. Es war einmal die parlamentarische Opposition. Es war einmal die Republik dem Wortsinne nach, die res publica, also jene Gesellschaftsform, in der die Öffentliche Sache publik gemacht und von allen Seiten her diskutiert werden kann. Sie haben sie einfach gedroppt, kann ja weg.
In allen großen Kanälen und den meisten großen Zeitungen wird nicht die Gefährlichkeit des vermeintlichen Killer-Virus diskutiert. Auch kaum die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen. Nein, es wird ein Meinungskorridor simuliert, der sich bei näherer Betrachtung als ziemlich schmal herausstellt. Es passen kaum zwei nebeneinander hindurch. Indes, er führt ganz sicher in den Abgrund. Und zwar für die. Nicht unbedingt für uns.
Woher dieser Wille zur Selbstverleugnung? — Sicher, nicht wenige Journalisten sind dumm und kommen über den stressig tickenden Ticker kaum hinaus. Klar, die meisten Berufspolitiker sind nicht durch ihre Auffassungsgabe in Position gekommen. Nun gut, die wenigsten Promis haben etwas auf dem Kasten.
Corona ist die Stunde der autoritären Charaktere
Doch was ist mit einem Teil der kritischen Intelligenz los? Mit jenem, der sich jetzt melden müsste, außer Giorgio Agamben und anderen vielen Tapferen, die die Maxime der Aufklärung, dem Urgrund aller liberalen Revolutionen hochhalten — „habe den Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Wobei ganz gleich ist, wer ihn gesagt hat. Er ist einfach gut, dieser Satz.
„Corona“ markiert die Stunde der autoritären Charaktere. Das Frühjahr 2020 produziert, bildlich, Märzgefallene wie 1933, nicht wie 1848. Denen geht der liberale Sachverstand baden. Und zwar final. Der kündete einst von Unschuldsvermutung, öffentlicher Verhandlung, Rechtsstaat, Wissenschaftlichkeit.
Halb zog sie ihn, halb sank er hin — und umgekehrt. Sie wollten schon länger gehen, alle miteinander. Und so gingen sie. Oder war es nur ein Fiebertraum? — Mir bleibt, in der Ruhe vor dem Sturm einstweilen nur ein konsterniertes Farewell the Trumpets zu diesem Imperial Retreat anzustimmen. Doch welches Lied singen, wenn sich alle verpisst haben, die jetzt laut denken müssten, weil sie es können?
Deren System ist soeben abgerauscht und hat sich ein letztes Mal die Corona aufgesetzt
Dass die Neoliberale Epoche eine Reise in die Nacht sein würde — das war wohl jedem klar, der ökonomisch denken kann. Der sich damit beschäftigt hat, wie Produktionsverhältnisse auf den menschlichen Geist, die Kulturproduktion, und wieder zurück wirken. Wie langfristig epochale Entwicklungen laufen. Und wie wenig aussagekräftig die immer neuen Trends sind, die uns in den letzten Jahren in Augen, Ohren und Verstand gebrezelt worden waren. Der ganze Digitalismus hat kein einziges gutes Abendessen, keine einzige rauschende Liebesnacht, kein einziges gutes Gespräch mehr bewirkt. Hättest du doch öfter mal deine Mutter angerufen, solange Du noch konntest.
Deren System ist soeben abgerauscht und hat sich ein letztes Mal die Corona aufgesetzt. Wie auch immer dieser Wahn zu Stande gekommen ist. Machen wir nun das Beste daraus. Und das heißt: Bitte keinen Ständestaat.
Ungarn hat gestern die Diktatur bis in alle Ewigkeit beschlossen (7). Und so wird das jetzt eine ganze Weile weitergehen. Da werden PolitikerInnenträume wahr, uns, dem Pack in all seinen Varianten, mal zu zeigen, was ‘ne Harke ist. Vorbei ist’s mit dem Schürhaken-Streit der — mal mehr, mal weniger — offenen Gesellschaft, perdu, die Wittgensteins und Poppers. Aber wem sag ich das?
Uns wird vorgeführt: Wir werden nicht gebraucht.
Ab jetzt wird uns nicht nur das Netzwerkdurchsetzungsgesetz angenagelt. Jetzt werden Nägel mit Köpfen gemacht werden. Als nächstes rollen dann Köpfe.
Ach ja, wes‘ Lied ich sing‘? Das war hier die Frage. Nun, ich denke, ich singe jetzt mit den Liberalen. Die Gedanken sind frei. So ziehe ich mit Euch, Schwestern und Brüder, die Reste der Aufklärung zu verteidigen. Die Errungenschaften der bürgerlichen Revolutionen. Die Freiheitsrechte. Die Wissenschaftlichkeit. Die Freizügigkeit. Und, um sie gegen Schlechteres zu verteidigen, auch für die liberale Nationalstaatlichkeit.
Wer glaubt, das goldene Zeitalter des Anarchismus breche an, hat sich leider in einem Gemüsegärtchen mit Gitarrenklängen verirrt. Der Industriekapitalismus brummt weiter, während Service-Jobber mit all den anderen Überflüssigen eigentlich nur eines vorgeführt bekommen: Wir werden nicht gebraucht.
Ja, Corona wird eine Pandemie gewesen sein
Bereiten wir uns vor auf zähe Auseinandersetzungen, vier Jahre an der Zahl werden es wohl sein, in denen wir unsere Ansprüche auf Beteiligung an den Früchten der Erde und den Segnungen der Arbeitsteilung in ungekannten Kämpfen werden behaupten müssen. Einen Vorschlag zur Güte habe ich mir erlaubt zu unterbreiten: Den Ausgleich durch das Recht. Eine Verfassung der Ökonomie (8).
Denn singen wir das Ah, ça ira! nun nicht zu laut, das Streitlied der Sansculotten und der Jakobinerinnen der liberalen französischen Revolution. Nicht, dass am Ende wirklich noch jemand zu Schaden kommt. Verfeinern wir das durchaus verständliche Bedürfnis, Rache zu nehmen, in Aufbruchsgeist.
Als kritische Intelligenz — Wissenschaftlerinnen, Journalisten, Denkerinnen, Juristen, Soziologinnen —, müssen wir nun auch für jene einen Ausweg bauen, die in ihrer jeweils ganz eigenen finalen Sackgasse vor die Wand gerannt sind.
Und schon sehr bald in schummerigem Taumel stürzen oder flüchten werden wollen. Versuchen wir, die wir — aus welchen Gründen auch immer — gerade einen ausgeruhteren Verstand haben, als jene, die jetzt ihre Karriere, ihr Vermögen, ihre alten Seilschaften, ihre politischen Buddies dahinsinken sehen, ihnen einen gnädigen Ausweg zu bauen. Eine Seitengasse ins Neue.
Einigen wir uns darauf: Ja, Corona wird eine Pandemie gewesen sein. Und du hast es ja nur gut gemeint. (Mit deiner erbärmlichen Unterwerfung unter die Psycho-Welle — aber das sagen wir dir nicht.)
Arbeiten wir nun daran, wie wir unsere Ökonomie gestalten werden, wie wir sie fassen. Und zwar in Regeln, die unter den Kriterien der res publica ergebnisoffen ausgehandelt werden müssen (9):
Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit!
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://multipolar-magazin.de/artikel/coronavirus-irrefuhrung-fallzahlen
(2) https://www.rubikon.news/artikel/das-notstands-regime
(3) https://www.rubikon.news/artikel/der-krieg-der-reichen
(4) https://www.heise.de/tp/features/Brasilien-Militaer-in-Regierung-soziale-Bewegung-terroristisch-4207966.html
(5) https://taz.de/Essay-zum-Linksliberalismus-in-Europa/!5216612/
(6) https://www.resignation.info
(7) https://www.welt.de/politik/ausland/article206903101/Ungarn-Orban-und-die-unbefristete-Stummschaltung-des-Parlaments.html
(8) http://www.passagen.at/cms/index.php?id=62&isbn=9783709202203
(9) http://nichtohneuns.de
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