Glauben Sie noch immer daran, dass bei den Grünen in den letzten Jahren alles mit rechten Dingen zugegangen ist? Ricarda Lang nicht. Die geschasste Vorsitzende der ersten drei Ampeljahre erzählte im Interview bei Caren Miosga, wie sie selbst während ihrer Amtszeit wissentlich Unsinn erzählte und „Mist für Gold“ zu verkaufen versuchte. Im Grunde hätte der Auftritt das Zeug dazu gehabt, Epoche zu machen und einen grundlegenden Wandel in der Einstellung von Medien und Bevölkerung zu „ihren“ Politikern herbeizuführen. Doch wie in vergleichbaren Fällen — der Enthüllung der ungeschwärzten Protokolle des Robert Koch-Instituts (RKI) etwa — verursachte der Skandal nur ein sanftes Kräuseln an der Oberfläche des Teichs. Die schnelllebige politische Landschaft wandte sich bald neuen Themen zu, und das schiere Ausmaß des Versagens unseres politischen Personals bewirkte, dass ein peinlicher Vorfall rasch durch den nächsten und übernächsten überschrieben wurde.
Ricarda Lang sagte bei Miosga unter anderem:
„Liberale Demokratien, die immer schwülstiger in der Beschwörung ihrer selbst werden, aber immer substanzloser im Umgang mit der Realität, die werden sich irgendwann selbst zerstören. (…) Man sitzt in diesen Talkshows hier und hat immer schon die Schere im Kopf, welcher 30-Sekunden-Schnipsel landet im Netz.“
Eigentlich solle es nicht so sein, so Lang, dass man erst dann ehrlicher spreche, wenn man politisch nicht mehr in der ersten Reihe stehe. Die Angst vor Skandalisierung habe dazu geführt, dass die Menschen durchaus spüren:
„Die verheimlichen mir irgendwas. (…) Wenn die mich eh verarschen, dann kann ich auch zu denen gehen, die noch mehr Chaos und Unordnung stiften, von denen ich mich zumindest nicht verachtet und verarscht fühle. Deshalb glaube ich, wir müssen anfangen, die Menschen wieder mehr wie Erwachsene zu behandeln und dazu auch den Mut zu haben.“
Gut, weil die anderen schlecht sind
Wie in den USA agiere das etablierte politische Personal in Deutschland nach dem Motto: „Wir sind die Guten, weil wir nicht die Schlechten sind“. Es könne niemanden begeistern, wenn es nur noch um „das kleinere Übel gegenüber den Rechtsextremen“ gehe. Ricarda Lang nahm sich selbst von dieser Kritik nicht aus. Sie sieht den Wettbewerbsgedanken als eine Wurzel der politischen Sprechblasen-Kultur. „Dann fängt man an, Mist für Gold zu verkaufen“ ist ihre griffigste Formulierung, um das eigene Wirken als Grünen-Vorsitzende zu charakterisieren. Gilt das nur für Lang persönlich? Ist es bei der jetzigen Parteiführung, ist es in anderen Parteien anders?
Lang also spielte ein bisschen Whistleblowerin, was auffällig ist angesichts eine verbreiteten Politiker-Omertà, die bewirkt, dass sich selbst Polit-Aussteiger in Rente normalerweise handzahm geben. Selbst das Auswechseln der Galionsfiguren Ricarda Lang und Omid Nouripour erwies sich innerhalb der politischen Landschaft als Einzelfall.
Anstatt schon aus taktischen Gründen unverbrauchtes Personal vorzuschicken, hatten die Anführer der gescheiterten Ampelparteien und der kaum weniger glücklos agierenden Unions-Opposition keine bessere Idee, als sich einfach selbst noch einmal zur Wahl zu stellen. Gerade im Fall Robert Habecks ist das geradezu grotesk. Ein gescheiterter Abteilungsleiter, der seinen Geschäftsbereich ruiniert hat, würde es kaum wagen, sich in derselben Firma als CEO ins Spiel zu bringen.
Im politischen Berlin jedoch geht so etwas. Der ökonomisch unbedarfte Polit-Philosoph und Freiheits-Phobiker ließ sein Konterfei gar auf das Münchner Siegestor projizieren und bezeichnet sich selbst als „Bündniskanzler“. Solche Aktionen wirken wie dicke Stinkefinger in Richtung der Wähler. Die Botschaft ist: „Ihr könnt machen, was ihr wollt, mich werdet ihr nicht los. I’ll be back.“
Unheilige Dreifaltigkeit
Als Gipfel der Peinlichkeit traten die Kandidaten Robert Habeck, Olaf Scholz und Friedrich Merz im Dezember sogar noch im Dreierpack auf und gelobten einander einen fairen Wahlkampf. Was sie wohl als Freibrief dafür deuteten, diejenigen, die nicht zum Klub gehörten, umso unfairer zu behandeln — ob sie nun Weidel, Wagenknecht oder Lindner heißen. Die Botschaft an die Wahlbürger lautete: „Egal, was ihr wählt — ihr bekommt in der einen oder anderen Kombination immer uns.“ Suggeriert wird auch: „Außerhalb der durch uns drei symbolisierten Umhegung ist der Abgrund, lauern Chaos, Delinquenz und Extremismus“, was visuell schon durch den Bühnenaufbau und akustisch durch bedrohlich anschwellende Musik symbolisiert wurde. Wer also verschwörerisch von „Blockparteien“ oder einem „Kartell“ gesprochen hatte, konnte sich durch die Aktion bestätigt fühlen. Das Triumvirat versuchte nicht einmal den Eindruck zu vermeiden, dass hier irgendwie gekungelt wurde, dass alles Aufeinander-Einhacken demnach nur Inszenierung ist.
Weitgehend wirkt der Bundestagswahlkampf — und die Medienberichterstattung über ihn — wie eine gelungene Parodie seiner selbst, ausgedacht von Systemgegnern, die „das Establishment“ bloßzustellen versuchen. Dies scheint jedoch gar nicht mehr nötig zu sein, denn die Protagonisten beeilen sich, sich selbst bloßzustellen. So sorgte sich Welt-Journalist Robin Alexander bei Caren Miosga — nein, nicht um den Frieden, sondern um den Krieg.
„Was machen wir, wenn Donald Trump übernimmt und er sagt: In 24 Stunden mach ich Frieden? Und wenn die Ukraine nicht pariert und die Europäer sagen: Wir unterstützen die Ukraine, und dann sagt Olaf Scholz in der Hochphase des Wahlkampfs: ‚Für Abenteuer stehe ich nicht zur Verfügung.‘ (…) Da ist eine Dynamik angelegt, die einem sehr großen Sorgen macht.“
Die anderen Anwesenden nahmen das hin, weil ihre eigenen Denkgrundlagen wohl ähnliche sind.
Neuer Staatsfeind Nr. 1
Thema Nr. 1 zum Jahreswechsel war nicht etwa der wirtschaftliche Niedergang, waren nicht Wohnungsnot, Altersarmut, Obdachlosigkeit und die vielen in der Summe kaum bezahlbaren Rechnungen, die von Behörden und Dienstleistern mit Vorliebe geballt im Januar verschickt werden, sodass sich bei Verbrauchern ein verschärfter Montagmorgen-Blues einstellt. Nein, das größte Problem Deutschlands heißt Elon Musk, der „War on Musk“ hat auf allen Kanälen höchste Priorität. Sowohl Frank Walter Steinmeier als auch Olaf Scholz und Robert Habeck schossen in ihren Weihnachts- und Neujahrsverlautbarungen scharf gegen den Trump-Freund.
Viele Bürger, so sagte es Olaf Scholz in seiner Neujahrsansprache, fragten sich: „Wie geht es in Deutschland weiter?“ Seine Antwort: „Unser Zusammenhalt macht uns stark.“ Darüber, wie es in Deutschland weitergehe, „entscheiden Sie, die Bürgerinnen und Bürger. Darüber entscheiden nicht die sozialen Medien“. Und: „Ich wünsche uns, dass wir uns nicht gegeneinander aufwiegeln lassen.“ Klingt schön.
Eigentlich beansprucht der Kanzler aber lediglich ein Monopol auf aufwiegelnde Rhetorik für seine eigene erweiterte Glaubensgemeinschaft, zu der auch Grüne und SPD gehören. Seine Wertschätzung für die „Bürgerinnen und Bürger“ erfolgt ebenso plötzlich und in ebenso unglaubwürdiger Art wie bei seiner Forderung nach „Respekt“ im Wahlkampf 2021. Wir Bürger sollen ihm als Fußsoldaten im Kampf gegen Meinungsgegner dienen.
Aber wehe, sie erheben sich gegen ihn selbst — dann werden schnell schwere Geschütze aufgefahren.
„Ungebändigte Kommunikationsmacht“
Robert Habecks Neujahrsansprache war ein leidenschaftliches Plädoyer gegen die Meinungsfreiheit. „Wenn Elon Musk — ausgestattet nicht nur mit Milliarden und Abermilliarden, sondern auch mit ungebändigter Kommunikationsmacht – zur Wahl der AfD in Deutschland aufruft, ist das nicht aus Unkenntnis der AfD. Es hat Logik und System“, unterstreicht der Vizekanzler in seiner Videoansprache.
„Musk stärkt die, die Europa schwächen. Ein schwaches Europa ist im Interesse von jenen, für die Regulierung eine unangemessene Begrenzung ihrer Macht ist. Aber es braucht die Begrenzung der Macht. Kein Geschäftsmodell darf unsere Demokratie zerstören.“
Dafür müsse Europa seine Macht jetzt konsequent nutzen.
„Wer uns schwächen will, dem müssen wir mit Stärke begegnen.“
Habeck will also Kommunikationsmacht bändigen — jedoch nur die von Andersdenkenden. Die politische Mitte zaubert für ihre Bürger seit Jahren immer neue Hassobjekte aus dem Hut. Zuerst waren es die Ungeimpften, dann die Russen, dann natürlich „Rechte“ ganz allgemein und schließlich auch Einzelpersonen wir Donald Trump oder Elon Musk. Die Idee dahinter ist: „Wenn sie uns nicht aus Liebe wählen, wählen sie uns vielleicht, weil sie unsere Gegner hassen und weil wir ihnen Schutz vor deren dämonischem Zugriff versprechen.“ Niemand hat dieses Manöver rhetorisch schöner zum Ausdruck gebracht als Ricarda Lang mit ihrem Satz:
„Wir sind die Guten, weil wir nicht die Schlechten sind.“
Wundern über Alice
Unzweifelhaft ist Elon Musk eine schillernde Figur, auch für mich also nicht unbedingt der Unternehmer der Herzen. Auch sein so gehypter Audiodialog mit Alice Weidel offenbart einige Abgründe. Darunter Musks einseitige Parteinahme für Israel, letztlich also für die israelische Rechtsregierung, die Menschen zu Zehntausenden ermorden lässt — eine Haltung, für die er von Alice Weidel auch prompt ihr „Okay“ einholte. Der Beitrag war weder ein die Demokratie erschütternder Skandal noch eine Sternstunde, die Weidel unweigerlich ins Kanzleramt tragen wird. Unter anderem ist ihre Aussage, Hitler sei in Wahrheit Kommunist gewesen, um es freundlich auszudrücken, schräg. Hier sollte man einmal die Querverbindungen zwischen Nationalsozialismus und Kapitalismus recherchieren.
Wer sich historisch so vergaloppiert — eher wohl nicht aus Unwissen, sondern in manipulativer Absicht —, an dessen Eignung für höhere Ämter kann man getrost zweifeln. Aber auch in diesem Fall sage ich: Lass sie reden! Alice Weidel darf ihre Meinung öffentlich äußern, und wenn ihre Gegner Glück haben, entlarvt sie sich beim Reden selbst. Wenn ihr dagegen öffentliche Auftrittsmöglichkeiten verwehrt bleiben, können Menschen allerlei auf sie projizieren und in ihr wahlweise Dämon oder Genie sehen.
Was immer man über das Musk-Weidel-Gespräch sagen mag — der eigentliche Skandal ist seine Skandalisierung durch die Leitmedien und das EU-Establishment.
Der EU-Beamte Thierry Breton, ehemaliger EU-Kommissar für den Binnenmarkt, ging auf besonders aufdringliche Art mit seinem gestörten Verhältnis zur Meinungsfreiheit hausieren: „Als europäischer Bürger, dem die ordnungsgemäße Nutzung systemischer Plattformen am Herzen liegt,“ versuchte er Alice Weidel vor Regelverletzungen zu warnen, zu denen es während des Gesprächs mit Elon Musk kommen könnte, und pochte auf strikte Einhaltung europäischen Rechts. Wann wurde eine Politikerin jemals schon vor einem öffentlichen Gespräch derart eingeschüchtert? Sprechende werden so zu Gefährdern erklärt, bevor auch nur ein Wort gesprochen ist. Breton und seine Gesinnungsgenossen haben den „Streisand-Effekt“, der sich an Weidels und Musks streckenweise langweiliges und wirres Gespräch anschloss, redlich verdient: die Tatsache nämlich, dass gerade die vorab vorgenommene Dämonisierung des Dialogs dessen Reichweite enorm erhöht hat.
„Zu dumm für die Demokratie“
Die Frage, die sich dabei stellt, ist nun: Halten Breton und Konsorten uns Bürger für so dumm, dass wir uns nicht selbst eine Meinung über die Worte des Tech-Moguls und der AfD-Spitzenkandidatin bilden und Fehler in deren Argumentation aufspüren können? Die Antwort auf diese Frage ist sehr einfach: Ja. Der Wirtschaftsjournalist Mark Schieritz wird am 3. Februar 2025 ein Buch mit dem Titel „Zu dumm für die Demokratie“ veröffentlichen. Gemeint damit sind wohl Menschen, die die Meinung des Autors nicht teilen und an deren Fähigkeit, sich qualifiziert an Wahlen zu beteiligen, Schieritz deshalb zweifelt. In der Buchwerbung heißt es:
„Wenn sich Politiker:innen der unterschiedlichsten Parteien auf etwas verständigen können, dann auf die unumstößliche Grundregel: Wähler:innen haben immer recht. Doch wenn es im Grundgesetz heißt, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, dann geht damit auch eine gewisse Verantwortung einher. Wer Extremisten wählt, weil die Bahn ausfällt oder im Dorf der Bäcker zumacht, der trägt zur Zerrüttung unserer Gesellschaft und politischen Kultur bei.“
Die Botschaft scheint klar: Wer zu dumm ist, muss von Klügeren kontrolliert werden. Der wuchernde Wählerwille muss in Bahnen gelenkt werden, die von Klugen festgelegt wurden. Dazu gehört auch das Einziehen von Leitplanken, die Einengung des Spektrums, welches von Dummen im schlimmsten Fall ausgereizt werden könnte.
Demokratie ja, aber deren Missbrauch muss verhindert werden. Toleranz ja, aber nicht mit Intoleranten. Damit wird die Freiheit aus der Demokratie gekonnt herausargumentiert. Der Sargdeckel über dem Leichnam der ermordeten Redefreiheit kann sich schließen.
Autoritarismus mit Blick auf die mangelnde Reife der Regierten ist ein Jahrhunderte altes Argumentationsschema, das sich schon in Monarchien und Diktaturen bestens bewährt hat.
Ein Großzensor rüstet ab
Das freiheitsferne Milieu diesseits und jenseits des großen Teichs betrachtet Redefreiheit in westlichen Demokratien nicht mehr als pure Selbstverständlichkeit, sondern als Prämie für das Wohlverhalten der Volksmassen. Verhalten sich diese nicht nur höflich, sondern im Sinne von Mark Schieritz auch „vernünftig“, kann relative Freiheit gewährt werden. Da es aber nicht schwer ist, im Internet Verstöße gegen die Netikette und sogar Aufforderungen zu Straftaten aufzuspüren, soll mit dem Hinweis auf diese gleich die ganze Freiheit gekippt werden. Da eine Minderheit die Freiheit missbrauche, müsse sie der Mehrheit entzogen werden.
Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hat diese Dynamik unlängst aus der Perspektive eines absoluten Zensur-Insiders schlüssig erklärt. Zuckerberg erklärte in einem Video, man habe „einen Punkt erreicht, wo wir zu viele Fehler hatten und zu viel Zensur“. Meta, der Konzern hinter Facebook, habe in der Absicht gehandelt, unethische Inhalte wie Terrorpropaganda, Bilder von Kindsmissbrauch und Drogenhandel zu entfernen. Dabei hätte es aber auch Einschränkungen der Meinungsfreiheit bei Themen wie Migration und Geschlechterfragen gegeben. Diese Beschränkungen stünden heute „nicht mehr im Einklang mit der öffentlichen Meinung“ — gemeint war wahrscheinlich: nicht mehr im Einklang mit der Meinung des künftigen US-Präsidenten, mit dem auch ein Großkonzern wie Meta schließlich wird leben müssen. Auch wenn die ungerechtfertigte Zensur nur einen Bruchteil der Fälle betroffen habe, sagte Zuckerberg, sei die Redefreiheit von Millionen Menschen eingeschränkt worden. Dies wolle der Konzern nun ändern. Mal sehen.
„Der Deutsche gleicht dem Sklaven“
Schon im August 2024 hatte Mark Zuckerberg über massive Einflussnahme der Biden-Regierung auf Facebook geklagt, speziell was den Umgang mit dem Thema „COVID-19“ betraf. Das spricht Bände über den Zustand der Redefreiheit während der Coronajahre, in denen normale Medienkonsumenten eigentlich nur zwischen den beiden Optionen „sehr linientreu“ und „extrem linientreu“ abwägen konnten.
Wie schlimm das Zensur-Regime von Facebook während der Biden-Regierung gewesen ist, zeigt der Fall eines 2022 zensierten Heinrich-Heine-Zitats.. Es lautete:
„Der Deutsche gleicht dem Sklaven, der seinem Herrn gehorcht ohne Fessel, ohne Peitsche, durch das bloße Wort, ja durch einen Blick. Die Knechtschaft ist in ihm selbst, in seiner Seele; schlimmer als die materielle Sklaverei ist die spiritualisierte. Man muss die Deutschen von innen befreien, von außen hilft nichts.“
Ein User, der das auf Facebook gepostet hatte, stellte fest, dass das Zitat am nächsten Tag verschwunden war. Auch nach einem zweiten Versuch, es zu publizieren, wurde es gelöscht. Jahre andauernde Prozesse, bei denen der Facebook-Nutzer von Anwalt Joachim Steinhöfel vertreten wurde, schlossen sich an.
Ein Sturmwind der Freiheit aus dem Westen?
Quo vadis, Europa? Hast du nicht immer Orientierung suchend über den großen Teich geschielt und bist in teilweise peinlichem Ausmaß allem hinterhergedackelt, was der große Bruder im Westen uns vorgemacht hat? Willst du ihm die Gefolgschaft ausgerechnet in dem Moment aufkündigen, in dem von drüben mal etwas Vernünftiges zu kommen droht: mehr „freedom of speech“? Ist, kurz gesagt, dein Hass auf die Freiheit sogar größer als die bisher angeblich so große Liebe zu Amerika?
Sicher ist Mark Zuckerberg ein geschäftstüchtiger Opportunist, der weiß, dass sich auch sein Verhältnis zur Freiheit jetzt mit dem sich drehenden Wind verändern muss. Hier aber geht es weniger um die Persönlichkeit des Mega-Nerds. Die Erleichterung, die eine Lockerung bei Facebook — und weitere Plattformen könnten folgen — für die Nutzer und Content-Anbieter bedeuten würde, wäre enorm. Die gesamte politische Debatte könnte sich aus Fesseln befreien und quasi in ihre natürliche Form fließen. Das könnte einen Aufwind für konservative Ideen bedeuten, nachdem „Faktenchecker“ — eigentlich: Meinungskontrolleure — bislang linke, grüne und woke Inhalte bevorzugt haben. Alles könnte sich aber längerfristig auch in eine ganz andere Richtung entwickeln.
Transatlantisches Zerwürfnis — aus dem falschen Grund
Wer nun aber heftig gegen weniger Zensur in den sozialen Netzwerken zetert, sind EU-Beamte und natürlich Union, SPD und Grüne in Deutschland. Sie gleichen Kindern, die, wenn nicht alles nach ihrem Willen geht, mit dem Fuß aufstampfen und schreien: „Ich will aber weiter zensieren!“ Alles läuft auf einen Showdown zwischen dem „Land of the Free“ und dem sich zu einem Kontinent der Unfreiheit wandelnden Europa hinaus. Die Europäer drohen den Tech-Konzernen, und US-Vizepräsident J.D. Vance drohte Europa mit dem Entzug militärischen Schutzes für den Fall, dass sich EU-Länder von jenen Werten abwenden sollten, auf die man sich geeinigt hatte.
Wir laufen auf ein transatlantisches Zerwürfnis von historischen Dimensionen zu. Und zwar nicht, wie man meinen könnte, weil Europa die ewige Bevormundung durch die USA leid wäre. Nicht, weil es sich — wie einst Gerhard Schröder — weigern würde, sich an einer endlosen Kette von durch globales Machtkalkül motivierten Kriegen zu beteiligen.
Im Gegenteil scheint ein Szenario denkbar, in dem deutsche Bellizisten geradezu enttäuscht feststellen könnten, dass sich der große Krieg, auf den sie sich gefreut haben, in den ersten Amtswochen von Donald Trump in Luft aufgelöst hat.
Es besteht jedoch die Gefahr, dass kriegsbegeisterte Europäer trotzig verkünden: „Na gut, dann kämpfen wir eben allein weiter.“ Die Motivation, Putin mit seinem militärischen Vorstoß in die Ukraine nicht durchkommen zu lassen, könnte sich als stärker erweisen als selbst das elementare Interesse am physischen Überleben der deutschen Bevölkerung. „Lieber gegen Putin sterben als mit ihm leben“ — darauf laufen einige unverantwortliche Äußerungen von Kriegstreibern hinaus. Immerhin bräuchten wir in einem solchen Fall keine Angst mehr davor zu haben, dass Robert Habeck die deutsche Wirtschaft in einer schwarz-grünen Koalition ruinieren könnte. Es gäbe dann gar keine Wirtschaft mehr und kein Deutschland.
Rechtsruck für immer?
Der im Kontext dieses Artikels noch wichtigere transatlantische Konflikt wäre allerdings jener, der sich schon jetzt rund um die Meinungsfreiheit andeutet. Konkret: die Alternative „freies Internet oder gelenkte, vollüberwachte Foren“. Es ist überaus beschämend, auf welcher Seite des Konflikts sich deutsche Etablierte hier wiederfinden. Deutschland gleicht jetzt in gewisser Weise dem Amerika der McCarthy-Ära, während die USA-Amerikaner als Rebellen und Befreier agieren, welche mit einem gewissen Abscheu zu uns über den Großen Teich herüberblicken. Mark Zuckerberg zählte in seinem berühmten Interview unseren Kontinent neben China zu den Weltregionen, in denen mit der Meinungsfreiheit vieles im Argen liegt. Natürlich ist ein Amerika als „moralische Instanz“ kaum glaubwürdig, gerade wegen seiner Kriegspolitik – es könnte mit neuem Personal jedoch zumindest in diesem Teilbereich Glaubwürdigkeit zuückgewinnen.
Ohne Zweifel haben Rechte und Konservative derzeit einen „Lauf“ — mit durchaus auch problematischen Folgeerscheinungen. Es muss aber nicht damit enden, dass wir von nun an für immer in einer Welt voller Kickls, Weidels und Trumps leben werden. Kritiker „rechter“ Konzepte wie Neoliberalismus, Autoritarismus und Nationalismus stehen heute lediglich vor verschärften Herausforderungen. Ihre Aufgabe wäre es — und wäre es schon lange gewesen —, glaubwürdige sozialökologische oder christdemokratische Politiker hervorzubringen, die nicht wie Karikaturen ihrer selbst wirken. Diese sollten die Probleme, die die Menschen tatsächlich bewegen, lösen, anstatt selbst immer neue zu schaffen. Dazu braucht es Visionäre, die über den Rahmen der bisher üblichen politischen Konzepte hinausdenken können.
Das „Heil“ findet sich nicht grundsätzlich „links“, „rechts“ oder irgendwo dazwischen — eher außerhalb oder darüber, also in einem größeren Kontext. Wenn Besinnung und Neuanfang gelingen — sicher mit zeitlicher Verzögerung nach einer mutmaßlich dunklen Ära Merz, die die Misere der Ampel eher verlängern als heilen dürfte —, dann könnte es sein, dass der „Rechtsruck“, den wir derzeit erleben, im Nachhinein als ein heilsamer Schock betrachtet werden wird — gleichsam als ein Spuk, der manche ängstigt, manche weniger, der aber wie alles im Leben vorbeigeht.
Die rumänische Lösung
Wenn wir allerdings nicht aufpassen, ist es in einigen Jahren zu spät, weil Demokratie bis dahin von der betulich daherredenden Tyrannei der jetzt herrschenden politischen Klasse kaputtgerettet wurde. Bundespräsident Frank Walter Steinmeier überraschte zu Neujahr mit einem Statement, von dem man nur hoffen kann, dass es nicht „so“ gemeint war. „Einflussnahme von außen ist eine Gefahr für die Demokratie. Sei sie verdeckt, wie kürzlich offenbar bei den Wahlen in Rumänien. Oder offen und unverhohlen, wie es derzeit offenbar besonders intensiv auf der Plattform X betrieben wird.“ In Rumänien wurde das Ergebnis der Parlamentswahlen im Dezember annulliert — unter Verweis auf ausländische Einflussnahme. Droht dies auch für die Februar-Wahl in Deutschland, falls das Ergebnis „nicht passt“? Und wenn es so wäre, wer bestimmt eigentlich darüber, ob der laut Verfassung maßgebliche Souverän „richtig“ oder „falsch“ gewählt hat? Denn Einflüssen — so viel ist klar — ist jeder Wahlbürger ständig ausgesetzt, selbstverständlich nicht nur solchen, die deutschen Ursprungs sind.
Was man angesichts der Rede Steinmeiers nur ahnen und befürchten konnte, sprach der ehemalige EU-Kommissar Thierry Breton Mitte Januar ganz offen aus: „Warten wir ab, was jetzt passieren wird. Wir müssen unsere eigenen Gesetze in Europa anwenden“, sagte er. Breton befürchtet, dass Elon Musk mit X massiv Einfluss nehmen könne auf den Ausgang der Wahlen in Deutschland. Er schließt seine Rede: „Das, was wir in Rumänen gemacht haben, werden wir offensichtlich auch in Deutschland machen, wenn notwendig.“
Im Fall, dass der Wahlausgang bestimmten EU-Beamten nicht gefällt — und dies dürfte im Februar 2025 der Fall sein —, könnte es also sein, dass das Ergebnis der Wahl annulliert wird. Egal, wie wir wählen, Breton und die Seinen sehen sich als eine letzte Richterinstanz, die prüft, ob wir das auch ordentlich gemacht haben.
Notfalls würde unsere mehrheitliche Wahlentscheidung mit einem Federstrich vom Tisch gewischt werden.
Solange es Demokratie noch gibt
Ich habe in unserem Grundgesetz zwar nichts darüber gelesen, dass alle Macht von EU-Kommissaren ausgeht — das hilft jedoch nichts, wenn in deren Händen die größere faktische Macht liegt. Da es fast unvermeidlich ist, dass Nichtdeutsche versuchen werden, durch Meinungsäußerungen auf die deutsche Wahl Einfluss zu nehmen — umgekehrt haben deutsche Politiker ja auch an ihrer Präferenz für Kamala Harris in den USA keinen Hehl gemacht —, könnte jede künftige Wahlentscheidungen in Deutschland am seidenen Faden hängen. Wird Monsieur Breton die Gnade haben, das abzusegnen oder nicht — dann müssen wir nochmal wählen, so lange, bis das Ergebnis passt. Die Demokratie würde uns so durch einen kalten Staatsstreich entrissen werden — und unser oberster Repräsentant, der Bundespräsident, zeigt zumindest Sympathie für eine solche „Lösung“.
Ob es tatsächlich so schlimm kommen wird, wissen wir nicht. Noch steht eine tatsächliche Regierungsübernahme der AfD ja nicht auf der Tagesordnung — die Partei wird dem vermutlichen Wahlgewinner, der Union, lediglich „dicht auf den Fersen“ sein. Aber selbst wenn die Wahl in diesem Jahr noch einmal in gewohnter Weise stattfinden sollte, schwebt die Gefahr von Wahl-Annullierungen immer über uns, solange nicht maßgebliche Stimmen und eine starke Bewegung die Anmaßung von EU-Tyrannen und ihren deutschen Sympathisanten in aller Klarheit zurückweisen. Diesbezüglich herrscht jedoch im Pressewald keineswegs Alarmstimmung. Stattdessen wird durch die fortgesetzte Dämonisierung „der sozialen Netzwerke“ ein solcher Schritt psychologisch vorbereitet.
In den 1980er-Jahren kreierte die Band „Geier Sturzflug“ den Song „Besuchen Sie Europa, solange es noch steht.“. Ich möchte, daran anknüpfend, raten: Nutzen wir die Demokratie, solange es sie noch gibt.
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