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Die Impf-Traumtänzer

Die Impf-Traumtänzer

Während Millionen Menschen unter den Corona-Maßnahmen leiden, erfüllten sich für wenige Profiteure die kühnsten Fantasien.

„Mit dem Traum fing es an“, titelte das Manager Magazin in seiner Februar-Ausgabe auf Seite 32 (1). Auch schwerreiche Großinvestoren träumen gelegentlich — besonders große Träume natürlich. Auf den folgenden acht Seiten ist dann viel über drei Männer zu erfahren, die die deutsche Biotech-Szene schon seit langem prägen, und ihr und sich selbst nun zu Weltruhm verholfen haben. Es ist die Geschichte von drei ganz großen Gewinnern der Corona-Pandemie.

Das Triumvirat verbindet nicht nur eine jahrzehntelange Zusammenarbeit und Freundschaft, sondern vor allem ihre Investition in das deutsche Biotechnologie-Unternehmen Biontech. Der mRNA-„Impfstoff“ des Unternehmens, zusammen mit Pfizer produziert und weltweit vertrieben, ist eine der führenden Präventiv-Waffen „Made in Germany“ gegen das tödliche Virus. Aber dazu später.

Der Senior unter den Dreien, Thomas Strüngmann, mit 70 längst im physischen Rentenalter, hatte jahrzehntelang mit seinem Zwillingsbruder Andreas das Pharma-Unternehmen Hexal geleitet und zu einem der größten deutschen Generika-Hersteller gemacht. Im Jahr 2005 verkaufte das kongeniale Duo — der eine Arzt, der andere Betriebswirt — Hexal für 7,5 Milliarden Euro an Novartis. Schon zu dieser Zeit zählten sie zu den Top 200 reichsten Menschen der Welt. Heute sind die Brüder vor allem Investoren und halten über ihre Beteiligungsgesellschaften Santo und Athos Anteile an diversen Firmen im Biotech- und Gesundheitsbereich. Eines dieser Investments ist Biontech.

Der zweite im Bunde ist Michael Motschmann, über den noch nicht mal einen Wikipedia-Eintrag zu finden ist. Dabei ist der Mann eine bekannte Größe in der Venture Capital Welt. Mit seinen MIG-Fonds ist er seit vielen Jahren in Dutzende Unternehmen investiert, die unsere Zukunft verändern sollen: Automatisierungstechnik, Robotik, Biotechnologie, Digital Health, Medizintechnik, Informations-/ Kommunikationstechnologie, Material-/ Umwelttechnik.

Motschmann und Strüngmann gingen auf dasselbe Internat. Der sieben Jahre jüngere Michael hatte als Elfjähriger den damals 18-jährigen Thomas „als sportliches Vorbild“ bewundert, musste aber reichlich zehn Jahre warten, bis er ihn wirklich kennenlernen sollte. Das war vor 40 Jahren. Sie wurden Freunde und investieren seit 15 Jahren in gemeinsame Projekte. Der erste „gemeinsame Deal“ — so Motschmann — war Ganymed, ein von Özlem Türeci und Uğur Şahin gegründetes Biotech-Unternehmen, das später vom japanischen Pharmakonzern Astellas gekauft wurde. Die türkischstämmigen Mediziner sollten bald heiraten und einige Jahre später Biontech gründen. Ganymed und Biontech waren Ausgründungen der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Fehlt noch Helmut Jeggle. Auch er schaffte es zwar nicht ins digitale Universallexikon, aber zumindest zum Multimillionär. Jeggle, seit Beginn Aufsichtsratsvorsitzender bei Biontech, ist Strüngmanns operative rechte Hand und hatte schon bei Hexal sein Talent bewiesen.

Der Corona-Börsenstar Biontech

Vielen mag nicht bewusst sein, aber Biontech — obwohl immer noch gern mal als Start-up verstanden — existiert bereits seit 2008. Auf den durchschlagenden wirtschaftlichen Erfolg mussten die Investoren also lange Jahre warten. In weiser Vorausschau auf Corona — oder womöglich auch nur Zufall — ging das Unternehmen im Oktober 2019 an die amerikanische Börse. Es sollte nur wenige Monate dauern, bis eine Pandemie Biontech zum Shooting-Star des Jahres 2020 machen und den Börsenwert auf mehr als 20 Milliarden Euro katapultieren sollte. Der Firmensitz des Mainzer Unternehmens (An der Goldgrube 12) hatte Wort gehalten: Biontech war zum Goldesel geworden. Das Warten für Strüngmann, Motschmann und Jeggle hatte sich gelohnt.

Schon Mitte Januar 2020 hatte Biontech das globale Entwicklungsprojekt Lightspeed gestartet, um in „Lichtgeschwindigkeit“ einen Impfstoff gegen das SARS-CoV-2-Virus zu entwickeln — zu einem Zeitpunkt also, als man schon hellseherische Fähigkeiten haben musste, um von einer weltweiten Pandemie auszugehen. Aber wahrscheinlich hatte das Unternehmen auch diese mit Lichtgeschwindigkeit vorausgesehen. Und eigentlich waren Impfstoffe bis dahin auch gar nicht sein Schwerpunkt, sondern die Entwicklung von Medikamenten für individualisierte Krebstherapien.

Doch nichts ist lukrativer als ein Massenimpfstoff. Eine solche Chance konnte man nicht auslassen. Da ändert man gern auch mal die Strategie.

Die Februar-Story des Manager Magazins beginnt mit dem großen Moment der Verkündung des Biontech-Erfolgs: Das Vakzin ist zu über 90 Prozent wirksam. Wow! Der schwer-investierende Strüngmann will es nicht etwa direkt, sondern aus den „Breaking News“ erfahren haben. Ihm sei „anfänglich die Bedeutung der hohen Wirksamkeit gar nicht so bewusst“ gewesen. Das mag man kaum glauben von einem alten Pharma-Hasen, der Hunderte Millionen in ein Unternehmen und ein Produkt investiert hat, bei dem es letztlich nur auf eins ankommt: Ob es wirkt.

Motschmann hat sogar geschlafen, als die Welt von der Nachricht erfuhr. Im Bett aufgeschreckt, habe er dann lange „aufgekratzt wach“ gelegen. Ganz anders Jeggle. Nüchtern gibt er zu: „Wir hatten ja für einen Erfolg geplant, entsprechend Rohstoff eingekauft und das Werk in Marburg ausgebaut.“ Das wäre ein großes Risiko gewesen und er sei einfach nur erleichtert. Ob es tatsächlich ein solch großes Risiko war, werden wir wohl nie erfahren. Denn die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns bei einer Impfstoffentwicklung ist extrem hoch. Daher darf verwundern, dass Jeggle derart in Vorleistung gegangen ist.

Ein hochwirksamer Stoff oder…?

Die Wirksamkeit des „Impfstoffs“ übertraf mit 95 Prozent die Erwartungen vieler „Experten“ (2). Der Laie mag nun schlussfolgern, dass 95 von 100 Geimpften durch die Impfung geschützt werden. Ist das so?

Der Impfstoff wurde an knapp 44.000 Personen getestet, die Hälfte von ihnen erhielt ein Placebo. Dann wartete man, wartete auf Symptome und ein positives Testergebnis. Tatsächlich hatten das am Ende wenigstens 170 Menschen, also ein fast verschwindend geringer Anteil von 0,4 Prozent der Probanden, während 99,6 Prozent kerngesund blieben, jedenfalls solange die Testphase lief. Unter diesen 170 waren nur 8 Geimpfte, 162 gehörten zur Placebo-Gruppe. Davon ausgehend, dass die Gruppen hinsichtlich der relevanten Merkmale komplett identisch sind, wären auch in der geimpften Gruppe 162 positiv getestete Fälle zu erwarten, wenn der Impfstoff keinerlei Wirkung gezeigt hätte.

Da es aber nur 8 waren, musste er bei den übrigen 154 gewirkt haben, also bei 95 Prozent. Dabei wird übersehen, dass mehr als 99 Prozent die Impfung offensichtlich gar nicht brauchten, aber dessen Nebenwirkungen in Kauf nehmen müssen. Dass man einfach nur lang genug auf Covid-19 warten müsse und sich nach der Wartezeit für den Test ausreichend viele Krankheitsfälle zeigen werden, ist eine weitere schwer nachvollziehbare Logik. Und wie sich unter den wenigen Fällen noch Spezifika wie Altersgruppen, Geschlecht und andere Merkmale mit statistischer Relevanz ausprägen sollten, ist erst recht kaum vorstellbar.

Aber wirklich wichtig ist das wohl auch nicht. Viel wichtiger für Deutschland, die Welt und das Manager Magazin (mm) sind ganz andere Fragen: Wie viel und wie schnell kann Biontech liefern? Gibt es Produktionsprobleme? Aber wir können beruhigt sein: Zwei Milliarden Dosen sind allein für dieses Jahr geplant. Das sind mehr als 50 Prozent der ursprünglich geplanten 1,3 Milliarden Dosen. Auf die sich aufdrängende Nachfrage der Redakteure, wie das möglich sei, ist dann zu erfahren dann, dass die Europäische Arzneimittelbehörde EMA mal so eben genehmigt habe, dass aus einer Phiole des Vakzins sechs anstatt zuvor nur fünf Dosen entnommen werden dürfen. Offensichtlich scheint die Dosierung nicht ganz so wichtig zu sein. Allein dieser Effekt macht aber 20 Prozent Plus an Absatzmenge und Umsatz aus. Den Rest tragen dann Produktionsausweitung und Optimierung von Lieferketten bei. Mit Merck, Baxter und Rentschler habe man starke Partner.

Die mm-Redakteure Eva Müller und Martin Noé scheinen dennoch nicht zufrieden. „Jeden Tag sterben weltweit Zehntausende von Menschen, weil sie noch nicht geimpft sind. Und Mutationen aus England verschärfen die Situation.“ Warum würden die Kapazitäten erst jetzt ausgeweitet?

Dass „Zehntausende jeden Tag“ an Covid-19 sterben, bleibt natürlich unwidersprochen. Und folglich stellt sich auch die Frage nicht, ob eine weltweite Massenimpfung überhaupt Sinn macht. Es geht um operative Fragen, logistische Optimierung, Produktionsausbau. Jeggle lobt ausdrücklich Ursula von der Leyen, die die Impfkampagne zur Chefsache gemacht habe. Bezeichnend für diese Zeit, dass ein Eingriff in die Gesundheit der Menschheit eine „Chefsache“ ist.

Und so geht es weiter mit den Herausforderungen. Die Lagerung bei minus 70 Grad ist so eine. Das ist ein klares Handicap. Wann gibt es da Verbesserungen? „Im Spätsommer könnte ein Impfstoff mit verbesserten Lagerbedingungen vorliegen“, macht Strüngmann Hoffnung. Der Leser mag an dieser Stelle kurz innehalten. Spätsommer? Ein Impfstoff mit verbesserten Lagerbedingungen? Also ein anderer, ein neuer? Weiß da schon einer wieder mehr? „Uğur Şahin denkt immer sehr weit voraus“, ergänzt Jeggle. Wahrscheinlich hat Şahin schon die nächste Mutation im Blick. Warum sollte die Erfolgsgeschichte auch 2021 schon zu Ende sein.

Ein ganz, ganz sicherer Stoff oder…?

Im Weiteren interessieren sich die mm-Redakteure für die Risiken der ganzen Sache, eigentlich ein Heimspiel für die Risikomanager. Was, so die Redakteure, „wenn etwa schwere Nebenwirkungen auftreten?“ Dazu darf nun Motschmann etwas sagen, der seit der Auskunft über seine unruhige Nacht geschwiegen hatte: „Für Venture-Capital-Geber wie uns ist der Versuch eines Risikoausschlusses ein Widerspruch in sich.“ Die Sicherheit übersteige die klassischer Impfstoffe, er fühle sich da auch als Mensch sehr wohl, nicht nur als Investor.

Da stellt sich eigentlich die Frage, warum dann praktisch alle Impfstoffhersteller einen Haftungsausschluss durchsetzen und diesen auf die Abnehmerstaaten übertragen wollen … und manchmal genau daran scheitern.

Die Verhandlungen der Europäischen Union (EU) mit Biontech/Pfizer hatten sich genau deshalb hinausgezögert, weil der US-Konzern die Haftung nicht übernehmen wollte. Anders als Großbritannien hatte sich die EU gegen eine Notfallzulassung entschieden, welche die Hersteller von der Haftung entbindet. Selbst nach zögerlich gewährter Akteneinsicht Mitte Januar durch ausgewählte EU-Parlamentarier bleiben Haftungsfragen unklar.

Nun sind Vereinbarungen über Haftungsausschluss der Pharmakonzerne in einer Pandemie und bei neuen Impfstoffen nicht ungewöhnlich. Bei Covid-19 agieren Pfizer und Co aber aus einer ganz besonderen Position der Stärke heraus. Pfizer verhandelte inzwischen mit mehr als hundert Ländern weltweit.

In Lateinamerika haben sich fast alle Länder dem Druck des Pharmariesen gebeugt, außer Argentinien und Brasilien. Die Argentinier verabschiedeten extra ein Gesetz zur Haftungsübernahme. Aber das reichte Pfizer nicht. Das Unternehmen wollte selbst bei eigener Fahrlässigkeit nicht haften, wenn beispielsweise die Lieferkühlkette unterbrochen würde. „Der US-Konzern vertraute offenbar seinem Produkt und sich selbst nicht.“, kommentiert n-tv. Argentinien war bereit, Millionen von Impfdosen im Voraus zu bezahlen, aber Pfizer wollte Dollarreserven, Botschaftsgebäude und Militärbasen als Sicherheiten für eventuelle Schadenersatzklagen. Eine einzigartig freche Forderung: „Sie legten eine unglaubliche Starrköpfigkeit an den Tag", so der damalige argentinische Gesundheitsminister Ginés González García.

Brasilien erging es genauso. Zudem sollte die brasilianische Regierung ein Sicherheitskonto im Ausland für Pfizer einrichten. Das Ministerium lehnte ab.

Kein Wort über all das im mm-Interview mit den drei Großinvestoren. Und tatsächlich brauchen die sich wenig Sorgen machen. Das Risiko ist begrenzt. Denn die Regierungen empfehlen die Schutzimpfungen nicht nur vehement, sondern üben in vielerlei Hinsicht Druck aus, bis hin zur faktischen Impfpflicht. Es dürften also vor allem die Staaten sein, die später in die Haftung genommen werden, sollte es zu Impfschäden kommen. Nachweisen muss dies aber immer der Geschädigte selbst oder — sofern er dazu nicht mehr in der Lage ist — dessen Angehörige. Vorsorglich wurde von behördlicher Seite schon früh darauf hingewiesen, dass Schäden oder gar Tod nach einer Impfung auch unabhängig von dieser erfolgen könnten, gerade bei den Älteren, die in diesem Alter nun einmal auch von alleine sterben.

Was also zuvor statistisch eher irrelevant war, dass es nämlich vor allem die multimorbiden Alten trifft und diese, was in der allgemeinen Wahrnehmung ziemlich egal scheint, „mit“ oder „an“ Covid-19 sterben, im Zweifelsfall Letzteres, das wird nun genau andersherum interpretiert.

Und so werden auch Fragen nach dem Risiko von den mm-Redakteuren nicht weiter vertieft.

Das Amazon der Biotechnologie

Viel interessanter ist dann doch, wie viel Gewinn denn zu erwarten ist: Immerhin liegt der Preis pro Dosis bei 15 bis 20 Euro (3), was bei 2 Milliarden Dosen allein für das Jahr 2021 einen Umsatz von 30 bis 40 Milliarden Euro für verspricht — eine sagenhafte Summe.

Fast schon entschuldigend nimmt sich Jeggle der Frage an: „Das wird Sie jetzt wundern, aber das ist wirklich schwierig zu sagen.“ Man habe „noch keine ausreichende Erfahrung mit einer derart umfangreichen Produktion, Lagerung und Auslieferung, (…) wie stabil die Maschinen laufen werden…“, eiert er weiter herum. Und im Übrigen: „Wie viel Gewinn Biontech mit dem Impfstoff erzielen wird, war ohnehin zu diesem Zeitpunkt kein vorrangiges Thema für uns.“

Ein interessantes Statement für einen Kaufmann, den am Ende des Tages doch genau das — und zwar nur das — interessieren sollte. Doch dann hilft Strüngmann auf die Sprünge: „Der Wert dieses Durchbruchs ist ein ganz anderer. Der Impfstoff beweist die Schlagkraft der neuen mRNA-Technologie.“ Auch wenn man die Aussage als etwas verfrüht kritisieren mag — immerhin sollten wir noch einige Monate warten, ob sich nicht doch noch einige Nebenwirkungen einstellen —, so hat Visionär Strüngmann recht.

Covid-19 war erst der Anfang, vielleicht sogar ein relativ risikoarmes Unterfangen. Denn die tatsächliche Todesgefahr des Virus für die Menschheit ist eher bescheiden, und so womöglich auch der Schaden, den die mRNA-„Impfung“ anrichten kann. Covid-19 ist ein riesiges mRNA-Experiment an einer unglaublich hohen Anzahl von Probanden. Davon träumt jedes Pharmaunternehmen. Selbst bei einigen Kollateralschäden wird der Wissensgewinn enorm sein.

Und so glaubt man Sprüngmann auch, dass Biontech mit seiner Plattform alles zuzutrauen ist. Er schwärmt vom hoch-innovativen Ansatz — neue Impfstoffe in Windeseile, wahrhaft „disruptiv“. Die Möglichkeiten sind ungeahnt, nicht nur bei Infektionskrankheiten, sondern auch und gerade in der Krebstherapie, wo Biontech ursprünglich herkommt und auch weiterhin den Hauptfokus sieht. Für Jeggle hat Biontech „das Zeug zur Volksaktie“. Und Sprüngmann denkt noch weiter: „Wir möchten zum Amazon der Biotechnologie werden.“ Dabei geht es vor allem um Daten. „Je mehr Patientendaten wir generieren, umso genauer können wir den Krebs therapieren.“ Ob und in welchem Umfang Corona dazu beiträgt, den Datenhunger zu befriedigen oder auch nur den Appetit darauf zu entfalten, ist schwer zu sagen. Ein Schritt in die beabsichtigte Richtung ist es allemal.

Unbeantwortet bleibt aber die Frage nach dem Gewinn.

Nun muss man die „drei Freunde“ insofern in Schutz nehmen, dass Gewinnprognosen nicht mal so eben in einem Interview gegeben werden, sondern bei börsennotierten Unternehmen strengen Regeln der Finanzkommunikation unterliegen. Gewinnprognosen werden üblicherweise im Rahmen der Quartalsberichterstattung abgegeben und bei besonderen ergebniswirksamen Ereignissen über Ad-hoc-Mitteilungen angepasst.

Leichter als der Gewinn — wenn auch nicht zuverlässig — lassen sich die enormen Umsätze der Pharma-Giganten abschätzen. Anfang März 2021 betrug das Marktvolumen der Covid-19-Impfstoffe fast 15 Milliarden Dosen, 8,2 Milliarden Dosen sind bestätigt, weitere 6,5 Milliarden Dosen reserviert oder noch in Verhandlung. Damit ist die von Bill Gates angekündigte Impfung von 7 Milliarden Menschen zumindest angebotsseitig und finanziell umgesetzt. Jeder kann seine zwei Shots erhalten. Er hat Wort gehalten (4).

15 Milliarden Impfdosen wären wahrscheinlich um die 150 Milliarden Euro Umsatz. Wie wir am Beispiel Deutschlands später sehen werden, kann trotz erheblicher Preisunterschiede für die einzelnen Impfstoffe sowie länderspezifischer Preisvereinbarungen vereinfacht, aber guten Gewissens dieser Faktor 10 angenommen werden. Um diese gewaltigen Zahlen besser einordnen zu können: Der weltweite größte Impfstoff-Hersteller GlaxoSmithKline machte im Jahr 2019 mit seinen Impfstoffen einen Umsatz von umgerechnet etwa 7,5 Milliarden Euro, Pfizer lag bei reichlich 5 Milliarden Euro (5).

Corona — die neue Grippe-Impfung, nur viel besser

Deutschland geht mit gutem Beispiel voran. Am 9. Februar verkündete die Tagesschau, dass Jens Spahn weitere 635 Millionen Impfdosen für mehr als 6 Milliarden Euro einkaufen wird. Das Gesamtvolumen läge dann bei knapp 9 Milliarden Euro. Die Nachricht wurde nicht weiter kommentiert.

Nun kann jeder Grundschüler ausrechnen, dass diese Menge ausreicht, die deutsche Bevölkerung für die nächsten Jahre zu versorgen, je nach Impfbereitschaft wahrscheinlich 5 bis 10 Jahre. Das nennt man Politik mit Weitblick. Wer also geglaubt hatte, mit einer (einmaligen) Impfung käme die alte "Normalität" zurück, sollte endlich aufwachen.

Um für diese horrenden Bestellmengen letztlich Abnehmer in der Bevölkerung zu finden, wird es allerdings notwendig sein, die Impfbereitschaft hochzuhalten, und zwar dauerhaft und nachhaltig. Das geht am wirkungsvollsten mit Angst vor der Krankheit, also vor … Überraschung! … den gefährlichen Mutationen des Virus. Deren Auftreten in den kommenden Jahren können wir also als fast sicher annehmen. Wiederholungsimpfungen sind dann unausweichlich und zugleich bewährtes und alternativloses Vorsorgemittel gegen weitere Wellen und weichere oder härtere Lockdowns, die wir dennoch begleitend erleben werden.

Die Protagonisten des Impfens erwarten, dass es bis 2023 oder 2024 dauern wird, um die Weltbevölkerung zu versorgen. COVAX (Covid-19 Vaccines Global Access) wird sich daher um eine weitere Beschleunigung bemühen. Das COVAX-Programm vereint die bekannten Player GAVI, CEPI und die WHO sowie UNICEF, und setzt sich für eine weltweite „gleichberechtigte“ Verteilung der verschiedenen Corona-Impfstoffe ein (6).

UNICEF zufolge wird die Kapazität bis 2023 auf mehr als 33 Milliarden Dosen anwachsen, eine unglaubliche Menge (7).

Bild

Quelle: UNICEF Covid-19 Vaccine Market Dashbord. Capacity.

Es ist kaum davon auszugehen, und es war wohl auch nie der Plan der Protagonisten in diesem Spiel, dass sich mit einer Impfkampagne 2021 alles erledigt hat. Das widerspricht der Logik eines mutierenden Coronavirus, das nach einer regelmäßige Auffrischungsimpfung verlangt.

So, wie wir das von der alljährlichen Grippeschutzimpfung kannten, der die Bevölkerung zunehmend überdrüssig geworden war. Vor allem widerspricht es auch dem Interesse der Pharmaindustrie, die an einem nachhaltigen Geschäftsmodell mit gut planbaren wiederkehrenden Erlösen interessiert ist. Da lässt sich notfalls auch verschmerzen, wenn die Gewinne im ersten Jahr vielleicht noch nicht so reichlich ausfallen, weil man sich als solidarischer „Sozialpartner“ in der Weltgemeinschaft präsentieren möchte. Wir schaffen das. Wir halten zusammen.

Schwer zu glauben, dass Corona-Impfungen in den kommenden Jahren kostenlos oder niedrigpreisig bleiben werden. Direkt oder indirekt werden die Bürger zu Kasse gebeten und sei es über höhere Krankenkassenbeiträge.

Als wir träumten …

Dass jede Pandemie Gewinner und Verlierer kennt, ist nicht neu. Das Ausmaß von Corona ist jedoch absurd einmalig. Während Millionen Menschen allein in Deutschland Arbeit und Existenz verlieren, ganz zu schweigen von anderen Teilen der Welt, während Grundrechte und persönliche Freiheiten seit vielen Monaten eingeschränkt und außer Kraft gesetzt sind, macht sich Thomas Sprüngmann Gedanken um ein Luxus-Hoteldorf, das er auf seinem 33.000-Quadratmeter-Areal in bester Lage am Tegernsee errichten möchte. Ein weiterer seiner Träume ... (8).

Träumen dürfen auch viele andere … Berater zum Beispiel. Mehr als 30 Millionen Euro für Honorare zahlte allein die Bundesregierung für die „Bewältigung der Corona-Pandemie“. Das größte Stück vom Kuchen erhielt Ernst & Young (EY), die sich gerade als Wirtschaftsprüfer von Wirecard mit zweifelhaftem Ruhm bekleckert hatten. Schon im April 2020 wurden EY vom Gesundheitsministerium beauftragt — ohne Ausschreibung, weil es schnell gehen musste beim Einkauf der Schutzmasken. Dem 10-Millionen-Auftrag schließt sich nun ein Folgeauftrag in Höhe von mehr als 18 Millionen Euro an (9).

Nicht zu träumen gewagt hätten auch die Masken- und Test-Hersteller von so viel Pandemie-Glück. Zu Beginn der Coronakrise wurde ein PCR-Test mit etwa 60 Euro veranschlagt. Je nach Dringlichkeit kostete es auch mal mehr. Vielleicht ist der Test heute günstiger. Aber was spielt das für eine Rolle, wenn Woche für Woche mehr als eine Million Menschen allein in Deutschland getestet werden. Vermutlich können die Test- und Maskenhersteller bis heute ihr Glück kaum fassen und finden vor lauter Freude nicht mehr in den Schlaf.

Und Şahin und Türeci hätten wohl ebenfalls nicht im Traum daran gedacht, dass sie irgendwann einmal binnen eines Jahres nicht nur zu Milliardären werden, sondern obendrein noch das Bundesverdienstkreuz erhalten, den höchsten Verdienstorden der Bundesrepublik — eine Auszeichnung, die für den Einsatz im Kampf gegen die Corona-Pandemie gern vergeben wird.

Es ist eine Zeit der Träume, schöner wundersamer Träume.

Und es ist eine Zeit der Albträume.

Als wir träumten“, war der Titel eines beklemmenden Films über das Leipzig der unmittelbaren Nachwendezeit. Die Jugendclique um Rico, Mark, Paul, Pitbull und Dani lebte ziellos vor sich hin, mit Schlägereien, der ersten Drogenerfahrung, aber auch dem Gefühl grenzenloser Freiheit. Was blieb, war vor allem Desillusion … eine Geschichte geplatzter Träume, wie wir sie in den Corona-Jahren 2020 und folgende neu erleben …
So unterschiedlich können Träume sein.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Manager Magazin. Ausgabe Februar 2021. Seite 32 bis 39. Der Online-Artikel ist unter dem Titel „Tesla wurde anfänglich auch nur belächelt“ bereits Ende Januar erschienen.
(2) Gute Frage: Stimmt es, dass der Corona-Impfstoff zu 95 Prozent wirkt? In: Capital. Ausgabe 01/2021. Seite 22. Die Testergebnisse wurden Ende Dezember 2020 im New England Journal of Medicine (NEJM) veröffentlicht.
(3) Die Preisspanne wird im mm-Interview auf Seite 35 genannt. Ursprünglich wollte Pfizer einen viel höheren Preis durchsetzen.
(4) Tagesthemen-Interview von Ingo Zamparoni mit Bill Gates vom 12. April 2020, Minute 4:25.
(5) Die Umsatzzahlen sind umgerechnete US-Dollar-Angaben und entstammen dem Artikel „Özlem Türeci — Heimat: Labor“. In: Manager Magazin Januar 2021, Seite 123.
(6) Die Global Alliance for Vaccines and Immunisation (GAVI) ist eine weltweit tätige öffentlich-private Partnerschaft von Regierungen, WHO, UNICEF, die Weltbank, Bill & Melinda Gates Foundation, NGOs, Impfstoffherstellern und Gesundheits- und Forschungseinrichtungen. Die Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) — Koalition für Innovationen in der Epidemievorbeugung — ist eine weltweite öffentlich-privater Partnerschaft zwischen Regierungen, WHO, EU-Kommission, Forschungseinrichtungen, Impfstoff-Industrie und privater Geldgeber wie der Bill & Melinda Gates Foundation. Ziel ist der Aufbau eines Forschungsnetzwerks zur Erforschung und Entwicklung neuer Impfstoffe zur besseren und direkteren Reaktion auf bevorstehende Ausbrüche neuer viraler Infekte.
(7) Siehe im Covid-19 Vaccine Market Dashboard unter Capacity.
(8) Manager Magazin. Ausgabe März 2021. Krieg der Sterne — Luxus. Nirgendwo sonst in Deutschland reihen sich derart viele Fünfsternehotels aneinander wie am Tegernsee. Doch das ist erst der Anfang. Seite 120.
(9) Mehr als 30 Millionen für Corona-Berater. Bund setzt in der Pandemie auf externe Unterstützung. Größtes Auftragsvolumen für EY. In: Capital. Ausgabe 01/2021. Seite 14.


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