Die Stiftung wird bereits seit über 20 Jahren von Anna Kaminsky geleitet. Frau Kaminsky wurde 1962 im thüringischen Gera geboren. Als Kind der DDR war sie zum Zeitpunkt des Mauerfalls Ende 20, sie hat in der DDR gratis studieren dürfen — unter anderem Romanistik an der Karl-Marx-Universität Leipzig —, bekam eine Promotionsstelle. Ihren kompletten akademischen Werdegang — aber eben auch ihren Job der letzten 20 Jahre — verdankt Frau Kaminsky einem von ihrer Stiftung so genannten „Unrechtsstaat“, in dem sie ihre Kindheit im O-Ton so beschreibt:
„Ich bin 1962 geboren und ganz selbstverständlich damit aufgewachsen, dass ich die gleichen Rechte habe wie meine Mitschüler und ihnen in nichts nachstehe.“
Heute wird Frau Kaminsky dafür bezahlt, den „Arbeiter- und Bauernstaat“, der ihr — wie Millionen anderen Arbeiterkindern auch — eine Akademikerlaufbahn ermöglichte, recht einseitig und verkürzt als „SED-Diktatur“ zu diffamieren. Das gelingt ihr und ihren Kollegen mehr schlecht als recht.
Und so steht ihr neuester Streich als staatlich berufene „Aufarbeiterin“ der DDR symptomatisch für eine wirre, wenn nicht gar irre, Art staatlich subventionierter Cancel Culture.
Laut eigenen Angaben nämlich „entdeckten Mitarbeiter der Stiftung“ gleich drei Konservenprodukte in einem Berliner Rewe-Markt, die sich in „Look & Feel“, also in Aufmachung und Vermarktung an Gerichten der DDR-Schulspeisung orientierten, ja diese sogar zum Inhalt haben — im wahrsten Sinn des Wortes.
Hintergrund: Eine in Thüringen ansässige Firma vertreibt seit vielen Jahren — hauptsächlich in ostdeutschen Supermärkten — Konservenprodukte von „Schulküchen-Soljanka“ über „Tomatensoße mit Jagdwurst“ bis hin zu „Tote Oma“.
Das hat über Jahre niemanden gestört, bis Frau Kaminsky der Produkte nun ansichtig wurde und umgehend im Namen der „Bundesstiftung zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur“ bei Rewe vorstellig wurde: Wie sich das „mit dem Firmen-Leitbild einer besonderen Verantwortung gegenüber der Gesellschaft vertrage“, wollte Direktorin der Stiftung von der Kölner Konzernleitung wissen.
Abbildung: Screenshots — Quelle: Spiegel, Sächsische Zeitung, Stern
Nun ist das ja nichts furchtbar Neues, dass in unserem Land die Haltung im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens steht. Weniger die Vernunft, Fakten oder gar die Debatte. Und so könnte man auch eigentlich diese Episode aus der Reihe absurder, postmortaler DDR-Aufarbeitung — ausgeführt von gnadenlosen Opportunisten — abhaken.
Möchte ich aber nicht. Ganz im Gegenteil. Ich nehme sie zum Anlass, um über eine ganz fabelhafte, wenn auch erstmal banal anmutende Errungenschaft dieses „Unrechtsstaates“ zu berichten, in deren Genuss auch Frau Anna Kaminsky kam. Und von der sich die von ihr als Verfehlung „einer besonderen Verantwortung der Gesellschaft gegenüber“ einzuordnenden Konserven ganz konkret ableiten.
Als ich als DDR-Knirps 1993 im Kraichgau landete, hat mich tatsächlich vieles geschockt: das Frauenbild in den Familien meiner Klassenkameraden — da lernte ich den Terminus „Emanzipation“, in der DDR brauchte man ihn nicht, aus guten Gründen —, der fehlende Breitensport — die erste und einzige Frage, die mir als Leichtathlet und Kreismeister anfangs gestellt wurde, war: „Kannscht bolze?“ #truestory —, der Wert von Markenkleidung, das massive Gefälle zwischen arm und reich. Und auch das Gymnasium, das ich besuchen musste, schien mir aus einer anderen Zeit gefallen. Neben vielen Dingen fehlte mir vor allem: die Schulspeisung.
Die „Versorgung“ der circa 700 Schüler dieser Schule bestand aus einem Vier-Quadratmeter-Kiosk, den der Hausmeister in den großen Pausen öffnete. Dort verkaufte er Coca-Cola, Nussecken und belegte Brötchen für stolze Preise, die sich kein Arbeiterkind leisten konnte. So etwas wie „Schulspeisung“ war den schätzungsweise über 1.500 Schülern, die täglich aus allen umliegenden Dörfern in meine Kraichgau-Kleinstadt und nachmittags hungrig wieder zurück gondelten, völlig fremd.
Im Jahr 1989 bekamen ganz offiziell über 85 Prozent aller Schüler in der DDR täglich ein warmes Mittagessen in der Schule. Das bestand aus Hauptspeise mit Nachschlag, Dessert/Obst und Milch.
Und: Es war übrigens (fast) gratis.
75 Prozent der finanziellen Aufwendungen für die notwendigen Rohstoffe und Lohn- und Nebenkosten subventionierten die DDR-Kommunen. Ich erinnere mich, dass in unserer Schule — ich glaube wöchentlich — Geld für die Schulspeisung eingesammelt wurde. Der tagesaktuell verlässlichste Schüler, das war erstaunlicherweise einige Male ich, hat das dann ins Sekretariat gebracht. Mit 55 Pfennig (!) pro Mahlzeit bekamen alle Kinder dieses „Unrechtsstaates“ eine durchweg ausgewogene, kräftige warme Mahlzeit — ihre komplette Schulzeit hindurch.
Abbildung: DDR Schulspeisung — Quelle: Wikipedia
Ich weiß, dass kinderreiche Familien die Schulspeisung sogar gratis bekamen. Ebenso ihre Schulmilch und vieles mehr. Und ich weiß auch, dass es im wiedervereinigten Deutschland 1990 eine Tafel gab. Heute, im „besten Deutschland aller Zeiten“, versorgen über 900 Tafeln Millionen Menschen — Kinder, Alte, Familien, die nicht mal mehr genug zu essen haben. Von warmen Gratismahlzeiten für Schulkinder ganz zu schweigen.
Abbildung: Original-Essensmarken à 55 Pfennig pro Mahlzeit (Quelle: privat)
Gekocht wurde für die DDR-Schulspeisungen übrigens ausschließlich frisch und regional: mit Erzeugnissen der lokalen landwirtschaftlichen Betriebe und LPGs. Gut ausgebildete Köche verzichteten hier auf Konserven, Chemie und Laborzutaten. Das Schulessen der DDR-Kids basierte auf echtem Handwerk und ernährungsphysiologisch wertvollen Produkten. Wahrscheinlich würde eine Menge davon heute als „bio“ durchgehen. In vielen Schulen kam darüber hinaus einiges aus dem eigenen „Schulgarten“ zum Kücheneinsatz. Der „Schulgarten“ stand fest als Fach im Stundenplan aller DDR-Kids. Neben nervigem Unkrautjäten wurde den Schülerinnen und Schülern hier theoretisch und praktisch beigebracht, wie die Natur funktioniert, wie man Bäume unterscheidet, wie man Dinge in der Erde zum Wachsen bringt. Noch so eine lausige Erfindung des Unrechtsstaates ...
Abbildung: Das Original-A3-Plakat der „Würztabelle“, das in jeder DDR-Schulküche hing. Dieses stammt aus der „Turbine“ in Lübbenau und wurde kurz nach der „Wende“ aus dem zu diesem Zeitpunkt in Trümmern liegenden Gebäude geborgen. Auffällig in der Tabelle — und zugleich Beleg für die Qualität des Schulessens — ist die völlige Abwesenheit von chemischen Fertigprodukten und Geschmacksverstärkern aus dem Labor. Gewürzt wurde mit Lorbeer, Piment, Muskat, Kümmel, Majoran, Bohnenkraut, Senfkörnern, frischen Kräutern ...
40 Jahre bevor hierzulande Tim Mälzer, die Bertelsmann Stiftung oder das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft versuchen, mit sich immer wieder überschlagenden „Aktionsplänen“ in sehr begrenztem Umfang so etwas wie „Schulspeisungen“ in diesem Land zu realisieren, hat das ein anderer deutscher Staat längst vorgemacht.
Wobei man an dieser Stelle klar sagen muss: Habt Verständnis! 100 Milliarden Euro Sondervermögen für neue Panzer stehen auf der Prioritätenliste dieser aktuellen Regierung eben weit vor der Versorgung von Schulkindern mit einer warmen Mahlzeit.
Es gab in der Tat eine ganze Menge Rezepte, die jedes DDR-Schulkind nur aus den Schulküchen der DDR kennt. Das waren Gerichte, die tatsächlich nur dort serviert wurden und wohl irgendwie den kreativen — oder unkreativen, je nach Geschmack, weniger inspirierten — Einfällen manchmal improvisierender Kreationen irgendwelcher — übrigens gut ausgebildeter — Schulköche entstammten. Durch die zentrale Organisation des — grandiosen — Schulküchensystems verbreiteten sich diese Rezepte über Jahrzehnte in der ganzen DDR. Ich denke da nur an das berühmte „Jagdwurstschnitzel mit Tomatensoße und Spirelli“.
Die Zubereitung unserer Nahrung, unserer Speisen, Mahlzeiten und deren Zutaten ist durchaus identitätsstiftend. So lernte ich beispielsweise durch meine türkische Schwiegermama, die verdammt beste Köchin der Welt, wie mühsam „Sarma“, also gerollte Weinblätter, und viele andere leckere Dinge aus der Küche des Nahen Ostens von Hand hergestellt werden. Und während ich mit wachsender Begeisterung aus erster Hand die liebevolle und aufwendige Zubereitung türkischer Manti oder Dolma lernte, überraschte mich meine türkischstämmige Frau bereits vor Jahren mit einer mordsmäßig leckeren Original-„DDR-Soljanka“. Das Rezept war so authentisch, dass mir der Geschmack fast (n)ostalgische Tränen in die Augen trieb.
Denn: Speisen, Rezepte und deren Zubereitung sind Teil unserer Kultur, unserer Traditionen. Aber auch ein Teil unserer eigenen Geschichte. Bei Millionen Menschen in Deutschland spielte sich ein — nicht unwesentlicher — Teil der eigenen, biografischen Geschichte in einem anderen deutschen Staat ab, dessen schwarz-rot-goldene Flagge mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz geschmückt war.
Der Hammer symbolisiert die Arbeiterklasse, der Ährenkranz die Klasse der Bauern und der Zirkel die soziale Schicht der Intelligenz, die Akademiker. Ein schönes Logo, das eine funktionsfähige, gleichberechtigte Gesellschaft symbolisiert. Vor allem aber ebenso die horizontalen Schichten, aus denen dieses Land eben gesellschaftlich zusammengesetzt war. Keine mehr wert als die andere, aber jede unverzichtbar.
Dass in der Realität der DDR nicht alles „total schnieke“ war, steht dabei außer Frage.
Dass jedoch „Hammer, Zirkel und Ährenkranz“ für Unrecht, gar für Verbrechen stehen, lasse ich mir ganz sicher nicht von einem deutschen Staat diktieren, der 1999 zum ersten Mal nach 1945 deutsche Soldaten auf der Basis von Lügen in einen völkerrechtswidrigen Krieg führte und seitdem an so ziemlich jeder völkerrechtswidrigen Schweinerei des „goldenen Westens“ beteiligt war.
Uns unsere Kultur, unsere Biografie, unsere eigene Geschichte — deren Teil Speisen, Rezepte und deren Zubereitung sind — nehmen zu lassen, lehne ich ab. Oder sie gar mit politischen Stempeln zu versehen und einer völlig irren politischen Cancel Culture zu opfern, die post mortem agenda-konform den einzigen deutschen Staat, der nie einen Krieg führte, der das beste Gesundheitssystem der Welt hervorbrachte, der die einzig wahrhaft soziale Gesellschaft auf deutschem Boden schuf, als „Unrechtsstaat“ labeln muss — dies, lehne ich ab und das solltet ihr auch.
So. Ich hoffe, meine Holde liest das hier auch und zieht eine DDR-Soljanka am Wochenende in Betracht. Aber natürlich nur, wenn die Zubereitung der — im Original russischen — Soljanka am Ende nicht als politisches Statement gewertet wird. Man(n) muss doch politisch korrekt sein …
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