Erstaunlich viele Ideen aus der Welt der Science-Fiction sind längst Realität geworden oder bereits Schnee von gestern. Der Erdorbit ist mit Satelliten bevölkert, um die Welt reisen wir in wenigen Tagen, einst futuristisch anmutende Klapphandys sind bereits veraltet, und der allwissende Computer lässt sich mit Alexa oder Siri ansprechen.
Besonders Star Trek ist mit seinen Metaphern mehr als eine oberflächliche Melange aus menschlichen Dramen und Weltraumklamauk. Gene Roddenberry entwarf in seinem Universum von Anfang an Visionen über eine quasi postmoderne Gesellschaft, in der viele Probleme der 1950er- und 60er-Jahre gelöst zu sein schienen. Bereits in der Originalserie „Raumschiff Enterprise“ waren viele Frauen an Bord, wenn auch in knappen Kostümen. Lieutenant Uhura war die Schwarze und Quotenfrau in der Chefetage, und ihr Kuss mit Captain Kirk (1) erschütterte 1968 das prüde, rassistische Amerika mindestens ebenso wie der angeblich erste TV-Kuss zweier homosexueller Männer in der sonntäglichen Lindenstraße 1985 (2).
Mit dem Russen Pavel Chekov war sogar der Feind an Bord und durfte, immer etwas derangiert zwar, den Kahn steuern. Der Arzt, genannt Pille, war ein lustiger Kauz mit einem Koffer voller sonderbarer Geräte, die auf wundersame Weise heilten oder auch nicht. So gab es in fast jeder Folge Verluste an Leib und Leben zu beklagen, und nicht selten stand in Pilles Textbuch: „Er ist tot, Jim!“
Die fremden Welten und Spezies im Star-Trek-Universum kann man als Auseinandersetzung mit den Facetten des menschlichen Daseins an sich und seiner Optimierung sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf biologischer Ebene interpretieren.
Neben Wissenschaft und Technik spielen immer auch Figuren tragende Rollen, die ihrem Wesen nach nicht menschlich, genetisch oder technisch optimiert, wenig emotional und sozial, aber intellektuell und physisch den Menschen überlegen sind. Die uralte Fantasie, biologische Grenzen zu überschreiten, wird in der Science-Fiction und speziell in Star Trek in einem Kontext künftiger Machbarkeit erzählt.
Der Gegensatz zwischen Emotio und Ratio zieht sich als eine Art Hauptwiderspruch durch das gesamte Star-Trek-Universum und steht stellvertretend für den Konflikt zwischen Natur und Technik, weiblich und männlich. Unterschwellig scheint Star Trek Emotionen als lästiges, archaisches Übel und Entwicklungshindernis erzählen zu wollen, die optimierbar, aber schlussendlich doch zu akzeptieren sind. Diese Ambivalenz vereinigt in sich die Figur des Mr. Spock, dem ersten Offizier an Bord des Raumschiffs Enterprise der Originalserie, dessen irdische Mutter für das Menschliche steht, während der Vater vom Planeten Vulkan stammt, dessen Bewohner sich ihrer Emotionen entledigt haben und seither in Frieden leben.
Dem Klischee entsprechend repräsentiert der Vater die Vernunft, während die Emotionalität als Ursache für Konflikte steht. Spock agiert sozial inkompetent, aber mit überlegenem Intellekt als Gegenspieler des draufgängerischen Captain Kirk, der ohne Spocks kühles Eingreifen das Universum etliche Male an die Wand gefahren hätte. Spocks übermenschliche und als faszinierend inszenierte Fähigkeiten sind der Beginn einer langen Erzählung, die die Überwindung des Menschlichen hin zum Technischen, zumindest jedoch seiner Verschmelzung mit Technologie als Utopie wie auch als Dystopie zum Thema hat.
In einem Trailer zum Spielfilm „Star Trek — Die Zukunft hat begonnen“ von 2009 (3) wird man Spocks Vater sehen, sich abwendend beim Anblick seines neugeborenen Sohnes, mit den Worten: „Er ist so … menschlich!“. Obwohl Spocks Verhältnis zu Emotionen immer ambivalent bleibt, wird er sein ganzes Leben lang versuchen, die menschliche Gesellschaft und seine menschlichen Freunde zu verstehen. So kann man die Rolle des Mr. Spock einerseits interpretieren als die Überlegenheit des Verstandes, aber auch als den toleranten, inklusiven und menschlichen Umgang mit Außenseitern, die sich ihrerseits um Inklusion bemühen.
In der ersten Nachfolgeserie „The Next Generation“ übernimmt den Part des transhumanen Übermenschen und Sonderlings der Android Data, der ähnlich wie Spock nicht über Emotionen verfügt und sozial nicht adäquat agiert, dafür aber intellektuell und seine Hardware betreffend den Menschen hoch überlegen ist. Wie sein Vorgänger Spock versucht er mehr oder weniger erfolgreich, die irrationalen und unvollkommenen Menschen zu verstehen. Im Laufe der Serie wird ihm ein Emotions-Chip eingesetzt, der Datas Funktionalität anfangs stark beeinträchtigt, später jedoch von ihm beherrscht werden kann. Unter anderem mithilfe des Chips wird Data im Laufe der Zeit menschlicher und humorvoller.
Weitere übermenschliche Figuren und Spezies übernehmen in den Staffeln von „The Next Generation“ Episodenhauptrollen. Die Hinwendung zu transhumanistisch konnotierten Erzählsträngen zeichnet sich vermehrt ab, während die technischen Innovationen sich weitestgehend auf Updates des bereits in der Serie Etablierten beschränken: Warp-Antrieb, beamen, Traktorstrahl, Schutzschilde und dergleichen. Nur das Holodeck, eine täuschend echte holografische Realität an Bord der Enterprise, kommt als technische Neuerung in „The Next Generation“ hinzu.
In der zweiten Nachfolgeserie „Raumschiff Voyager“ übernimmt folgerichtig eine holografische Figur die Rolle desjenigen, der mit Emotionen, Menschlichkeit und adäquatem Sozialverhalten seine Schwierigkeiten hat, dafür aber intellektuell und physisch überlegen ist. Nach dem biologischen Mr. Spock und dem Androiden Data ist „der Doktor“ nun quasi die dritte Optimierungsstufe. Es handelt sich um die holografische Notfallsimulation des Bordarztes, der sich auf Befehl als Hologramm mit dem perfekten Erscheinungsbild eines Menschen initialisiert.
Da er nicht eigentlich über einen Körper verfügt, sondern nur in Form von Daten im Speicher des Computers existiert und mittels Photonen Form annimmt, stellt er das Ideal der Transhumanisten dar: unverletzlich, unsterblich, beliebig mit Fähigkeiten erweiterbar.
Allerdings ist er anfangs noch an die Hardware gebunden, die ihn projiziert. Später wird es einen wenige Zentimeter großen sogenannten mobilen Emitter geben, der es ihm ermöglicht, an jedem beliebigen Ort zu existieren.
Transhumanistische Ideen werden in Star Trek durchaus ambivalent inszeniert. Bei „Raumschiff Voyager“ tritt eine dystopisch transhumanistische Zivilisation ins Rampenlicht, die in früheren Folgen bereits episodisch zu sehen war: die Borg. Ihr Name ist eine Anlehnung an Cyborg (3). Die Borg leben als totalitäres und egalitäres Kollektiv mit einem gemeinsamen Bewusstsein, welches in einer Art telepathischen Cloud überall unmittelbar präsent ist. Ihre Körper sind mit Implantaten und Nanosonden bis zur Unkenntlichkeit modifiziert und optimiert. Alle Lebensformen, auf die sie im Universum stoßen, werden sowohl körperlich als auch mit ihrem gesamten Wissen gewaltsam dem Kollektiv einverleibt:
„Wir sind die Borg. Ihre biologischen und technologischen Besonderheiten werden den unsrigen hinzugefügt. Widerstand ist zwecklos.“
Die Borg kennen keine Individualität. Borg sind Drohnen. Moral und Emotionen sind irrelevant. Sie sind brutal, selbstlos und gehorsam, haben keine Kultur und keine persönlichen Beziehungen. Sie agieren ausschließlich im Interesse des Kollektivs. Borg sind gefürchtete Kampfmaschinen mit biologischen Komponenten. Einmal den Borg in die Hände gefallen, gibt es kaum Entrinnen. Mit wenigen Ausnahmen: Seven of Nine (5), so ihre Borg-Bezeichnung, ist eine Frau, die als Kind von den Borg assimiliert worden war. Sie wird von der Crew der Voyager gerettet und von den meisten ihrer Borg-Implantate befreit.
Von da an übernimmt sie die Rolle des spröden Sonderlings, da der holografische Doktor sich im Laufe der Zeit mehr und mehr von dieser Rolle entfernt und menschlichere Züge angenommen hat. Die in ihrem Körper verbliebene lebensnotwendige Borg-Technologie verleiht Seven of Nine weiterhin übermenschliche Fähigkeiten. Sie wird als extrem überzeichnetes Stereotyp der kühlen Blonden inszeniert. Sowohl ihre Fähigkeiten als auch ihre erotische Ausstrahlung lassen die transhumanistischen Eigenschaften der Figur attraktiv erscheinen. Auch Seven, wie sie später genannt wird, entwickelt im Laufe der Zeit menschlichere Züge. Aber auch sie bleibt letztlich ein Mischwesen mit Superkräften.
In weiteren Spin-offs und Star-Trek-Spielfilmen tauchen immer wieder transhumanistische Ideen, Figuren und Anspielungen auf, aber nie wieder werden sie so holzschnittartig inszeniert wie in „Raumschiff Voyager“. Auch ist die Medizin der Zukunft nie wieder so explizit Thema, was der Hauptfigur des Doktors geschuldet ist. Der Patient im Star-Trek-Universum hat keine Privatsphäre, seine körperlichen Belange und Diagnosen werden öffentlich diskutiert und durch technische Interventionen geheilt. Alle persönlichen Informationen sind jederzeit im System verfügbar. Die Figuren identifizieren sich mittels biometrischer Merkmale. In dieser Zukunft gibt es in der menschlichen Gesellschaft kein Geld. Die Erzählungen von Macht- und Besitzstreben werden anhand anderer Spezies abgehandelt.
Mit vielen dieser Narrative hat Star Trek die Grundzüge einer Gesellschaft skizziert, die uns heute durch die Protagonisten des Weltwirtschaftsforums schmackhaft gemacht und bis 2030 etabliert werden soll.
Digitale Identität, Grundeinkommen, kein persönliches Eigentum und gesundheitliche Optimierung bis hin zu Modifikation durch Nanotechnologie und künstliche Intelligenz. Der Preis dafür ist hoch. Das Schlaraffenland könnte uns unsere Menschlichkeit kosten (6).
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://en.wikipedia.org/wiki/Kirk_and_Uhura%27s_kiss
(2) https://www.stern.de/kultur/tv/-lindenstrasse--erhaelt-nach-schwulem-kuss-bombendrohungen-9405068.html
(3) https://de.wikipedia.org/wiki/Star_Trek_(2009)
(4) https://de.wikipedia.org/wiki/Cyborg
(5) https://de.wikipedia.org/wiki/Figuren_im_Star-Trek-Universum#Seven_of_Nine
(6) https://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/509657/Keine-Privatsphaere-und-kein-Eigentum-Die-Welt-im-Jahr-2030-nach-Wunsch-des-Weltwirtschaftsforums
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