Dieses Jahr ist das 35. Jahr nach der friedlichen Revolution in der DDR. Am 11. August 2024 las ich auf den NachDenkSeiten einen Artikel darüber, der sich mit diesem geschichtsträchtigen Ereignis, das eine wirkliche Zeitenwende war, beschäftigte. Nicht nur die ostdeutsche Gesellschaft wurde dadurch grundlegend gewandelt und die westdeutsche zu gravierenden Entscheidungen gezwungen, es beeinflusste auch das gesamte politische Klima in Europa und der Welt.
Leider ist längst vergessen, dass es die Ostdeutschen waren, die im Herbst 1989 auf die Straße gingen und in gewaltigen, gewaltfreien, landesweiten Demonstrationen ihre wachsende Unzufriedenheit mit der zunehmenden Hoffnungslosigkeit und den von den Medien verbreiteten, beschwichtigenden Halbwahrheiten und Lügen zum Ausdruck und damit das SED-Regime ins Wanken brachten.
Vergessen ist aber auch, dass die DDR-Führung ihr Gewaltpotenzial nicht einzusetzen wagte, um die Aktionen zu unterbinden. Nur deshalb blieb alles friedlich.
Ich gestehe, dass ich so etwas bis zum 7. Oktober 1989, dem 40. Jahrestag der DDR, nicht für möglich gehalten habe. Das autoritäre Gebaren der führenden SED-Funktionäre, vor allem die arrogante Ablehnung der Gorbatschow'schen Glasnost- und Perestroikapolitik und die weitgehende Reaktionslosigkeit in der Bevölkerung hatten mich lange schon desillusioniert. Es war klar: Veränderungen, für die auch ich mich immer wieder in den mir zugänglichen Gremien eingesetzt hatte, würde es nicht geben.
Als dann tatsächlich das scheinbar betonharte, politische Parteiengefüge Stein um Stein auseinanderbrach, sich die tödlichen, hermetisch geschlossenen Grenzen öffneten, schien tatsächlich ein Wunder wahr zu werden, schienen sich die Spannungen zwischen West und Ost aufzulösen und endlich eine friedliche Welt ohne Angst vor Kriegen zu entstehen.
Allerdings war die Zeit der Euphorie schnell vorüber. Zwar hatte die politische Führung im Westen Deutschlands immer wieder und bei jeder Gelegenheit die Spaltung beklagt und inbrünstig die deutsche Einheit gefordert. „Brüderlich, mit Herz und Hand“ sollten Deutschen in „Einigkeit und Recht und Freiheit“ leben können. Doch der Einigungsprozess wurde nicht davon, sondern von den kapitalistischen Grundsätzen der Globalisierung diktiert und von der Treuhand realisiert: freier Zugang zu den Märkten, ungehinderter Zugriff auf die Ressourcen, ungekürzter Rückfluss der Gewinne. Die dominierenden westlichen Großunternehmen bestimmten den Lauf, der von den westlichen Politikern toleriert und befördert wurde.
Das bedeutete auch, das alles, was mit der DDR zusammenhing, delegitimiert werden musste. So jedenfalls verkündete das Klaus Kinkel, damaliger Innenminister aus den Reihen der Freien Demokraten. Damit waren die früheren, immer wieder und bei jeder Gelegenheit vorgebrachten „Brüderlich, mit Herz und Hand“-Versprechungen hinfällig geworden.
Die Ostdeutschen waren nun nur noch so viel wert, wie sie für die Umsatzsteigerung westlicher Unternehmen brauchbar waren. Auf diese Weise wurde das, was sie in 40 Jahren zustande gebracht hatten, zunichte gemacht. Noch heute, nach immerhin einem Dritteljahrhundert, sind die Renten, Löhne und Einkommen im Osten geringer als im Westen Deutschlands. In den 40 Jahren zuvor hatten die „armen Brüder und Schwestern“ ihren im Krieg zerstörten Teil Deutschlands aufgebaut, genau wie die Brüder und Schwestern im Westen, allerdings ohne Marshallplan-Hilfe. Und sie mussten allein die Reparationen für die unendlichen Schäden zahlen, die die Deutschen mit ihrem Überfall auf die Sowjetunion dort angerichtet hatten.
Die, die den Herbst 89 vorbereitet und dabei maßgeblich aktiv waren, sind nun lange schon im Nichts verschwunden, jedenfalls die meisten von ihnen.
Schon lange wird das damalige Geschehen von Menschen repräsentiert und interpretiert, von denen ich weder in der Zeit der DDR noch im Herbst 89 irgendetwas gehört habe. Ihnen war es gelungen, ihre Widerständigkeit so lange zu verbergen, bis sie die Karriere fördernd eingesetzt werden konnte.
Auch von Angela Merkel, der ersten Bundeskanzlerin aus dem Osten und langjährigen Vorsitzenden der gesamtdeutschen CDU, habe ich weder im Herbst 89 noch davor ein kritisches Wörtchen vernommen.
In den vielen Jahren in politischen Ämtern hat sie es nicht vermocht, die notwendigen Maßnahmen zu veranlassen, die gravierenden Unterschiede aufzuarbeiten und zu werten, die ein 40-jähriges Leben in unterschiedlichen Staatsformen mit diametral anderen gesellschaftlichen Normen hervorbringen. Ein respektvoller Umgang und ein Miteinander auf Augenhöhe sind so nicht möglich. Wie soll da eine notwendige Integration gelingen? Nach ihren Worten schaffen wir das zwar mit Menschen aus ganz anderen Kulturkreisen, doch mit den Ostdeutschen ist das leider nicht möglich und deshalb weitgehend misslungen.
Der Herbst 89, und die Zeit davor und danach, ist ein wirklich hochinteressantes Kapitel deutscher Geschichte. Wenn man sich in der politischen Führungselite des Westens dafür interessiert hätte, wüsste man, dass es die Künstler waren, die spätestens seit den 1970er-Jahren, als sich die DDR infolge der neuen Ostpolitik von Willy Brandt öffnete und mehr Toleranz zuließ, immer wieder ihre kritischen Stimmen erhoben. Man könnte es in den Protokollen der Künstlerkongresse nachlesen, wenn man nur wollte. Die Kunst hatte eine besondere Bedeutung in der DDR, weil besonders in der Literatur und der bildenden Kunst Probleme zum Ausdruck gebracht werden konnten, die in den parteikontrollierten Medien tabu waren. So haben Christa Wolf, Stefan Heym, Volker Braun, Christoph Hein und andere nicht nur in ihren Büchern unerwünschte Wahrheiten ausgesprochen, auch bildende Künstler wie Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer und viele andere taten das. In ihren Werken führten sie die Kunsttradition des kritischen Realismus, des Expressionismus, der Neuen Sachlichkeit fort und bewahrten so ein Stück deutscher Nationalkultur, die im in den 1950er-Jahren verordneten, farblosen, sozialistisch-realistischen Einheitsbrei unterzugehen drohte.
Nach der Wiedervereinigung war das Interesse an Kunst aus dem Osten Deutschlands im Westen allerdings nur von sehr kurzer Dauer. So ist es für mich nicht verwunderlich, dass die DDR-Kunst bis heute „nicht richtig ernsthaft ins Haus Deutschland aufgenommen, gehegt und gepflegt wird“, wie in dem erwähnten Artikel auf den NachDenkSeiten zu lesen ist.
„Wie in anderen Lebensbereichen auch blieb und bleibt damit Ostdeutschland mit all seinen Facetten der Platz am Rande des gemeinsamen Tisches. Es erscheint längst an der Zeit und überfällig, hochaktuell und wichtig, diese latente Ignoranz, dieses Ausbremsen der Facetten aus dem kleineren, ja vergangenen Teil des Landes zu beenden, um schließlich nach und nach vielleicht doch eine gelungene, gelebte Einheit zu bewirken.“
Wie auch ich meint der Autor, dass das Aussortieren, Vergessen, Geringschätzen nicht gerechtfertigt ist und das Wirken und die Persönlichkeiten geförderter wie benachteiligter Künstler aus DDR-Zeiten bis heute zu unserer wichtigen Erinnerung gehören und Teil der Identität von DDR-Bürgern und ihrer Nachkommen sind. Er sieht kleine, positive Veränderungen und gelegentliche Einbindungen von ostdeutschen Künstlern. Doch auch wenn jetzt vielleicht mal ein Bild eines ostdeutschen Malers in einem Museum gezeigt wird, ändert das an der völlig verunglückten Situation nichts, auch im Kunstbereich nicht.
Dass genau das gewollt war, ist für mich offensichtlich.
Zum einen hätte die Einbindung der ostdeutschen Künstler den etablierten Kunstmarkt und die lange schon geltenden Maßstäbe völlig durcheinander gebracht, zum anderen wollte die westliche Politelite diese Stimmen aus dem Osten nicht.
Wer den Mut hatte, in einer streng kontrollierten Gesellschaft den Mund aufzumachen, würde das natürlich auch dort tun, wo offiziell das freie, kritische Reden erlaubt ist. So hat man nicht lange gefackelt und gehandelt. Ich erinnere mich noch sehr deutlich, wie man Stefan Heym mit einer aus dem Hut gezauberten Stasi-Story für immer auszugrenzen suchte, mit Christa Wolf tat man das in gleicher Weise. Beide waren kurz zuvor im Westen Deutschlands noch Hochgelobte. Das kritische Hinterfragen regierungsamtlicher Maßnahmen ist eben auch im freien, demokratischen Westen nicht gern gesehen. Genau das wird uns im Moment sehr deutlich vor Augen geführt.
Dass sich die NachDenkSeiten nun diesem sehr vernachlässigten Thema widmen, ist gut und richtig. Ich frage mich aber auch, warum es so lange gedauert hat, bis dieses Problem überhaupt zur Sprache kommt. Warum herrschte all die Jahre ein so ignorantes Schweigen über all diese offen auf der Hand liegenden Ungerechtigkeiten? Wo war der Protest der kritischen geistigen Elite des westlichen Deutschlands gegen diese Art des Umgangs mit den Ostdeutschen? Fürchteten sie die Konkurrenz so sehr? Wir wissen doch alle, dass solche begangenen, gravierenden Fehler immer schmerzhafte Reaktionen zur Folge haben.
Ich befürchte, dass der NachDenkSeiten-Artikel leider viel zu spät kommt, um da noch etwas geradezurücken, zumal ich nirgendwo erkennen kann, dass das überhaupt gewollt wäre. Kriegstüchtig sollen wir, unsere Kinder und Enkel werden, um endlich doch noch die strategischen Ziele der US-amerikanischen Weltmacht durchzusetzen, koste es, was es wolle. Kritisches Hinterfragen ist da völlig fehl am Platz. Wenn wir uns erinnern, dass es die Ostdeutschen waren, die vor 35 Jahren den Mut und die Kraft hatten, zuvor Undenkbares zu erzwingen, könnte das ein Hoffnungsschimmer sein. Zumindest das sollten wir nicht vergessen!
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