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Des Kaisers neue Kleider

Des Kaisers neue Kleider

Der französische Präsident gibt nur vor, sich vom Kolonialismus zu distanzieren, um Teile Afrikas weiter zu dominieren.

Auch Radio France meinte am 22. Dezember, dies sei „nur ein symbolischer Wechsel“. Macron muss — und das ist ein Novum — sich der Zustimmung der Staaten versichern, in denen die französische Militärintervention Barkhane ihr Handwerk treibt. Er hat die Einladung für Dezember an die G5-Sahel-Staaten, die wie eine Einberufung wirkte, ins neue Jahr verschoben und sich selbst nach Afrika begeben.

Der Kolonialismus sei ein „tiefgreifender Irrtum, ein Fehler der Republik“ gewesen, gestand Emmanuel Macron, als ob er damit die verbrecherischen Massaker von Thiaroye im Senegal am 1. Dezember 1944, in Setif in Algerien am 8. Mai 1945 oder in Madagaskar in den Jahren 1947 bis 1948, in Kamerun 1955 bis 1971 und in Algerien 1954 bis zur Befreiung 1962 wegradieren könnte. Oder die Ermordung von Führern der Befreiungsbewegungen. Um nur Kamerun anzuführen: Ruben Um Nyobe wurde 1958 ermordet, sein Nachfolger Felix Moumie zwei Jahre später in Genf vergiftet und auch Ernest Ouandié, der einen föderativen Staat anstrebte, wurde 1971 zum Tode verurteilt.

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Quelle: Glez, in Jeune Afrique No. 3076, Dez. 2019

Die von Präsident Emmanuel Macron im November letzten Jahres an Benin zurückgegebenen 26 Kunstwerke sollten ebenso dazu beitragen, das Image Françafrique ad acta zu legen. Das perfekt inszenierte Medienspektakel ließ den von der Regierung in Auftrag gegebenen Bericht vergessen, in dem die Rückgabe von Zehntausenden Artefakten vorgeschlagen wurde — das Pariser Musee Branly verwahrt Hunderttausende. Ein symbolischer Akt ohne weitere Konsequenzen, denn die Frage liegt nun auf der langen Bank auszuhandelnder internationaler Abmachungen.

In der gewichtigen Frage finanzieller Entschädigung von Opfern kolonialer Massaker und deren Nachkommen entzieht sich Frankreich der Verantwortung ebenso wie Deutschland in Namibia oder Belgien im Kongo.

Françafrique — Mafiafrique

Auch wenn Frankreich „sich nach und nach vom brutalen Aufseher zum abwesenden Gutsherrn wandelte“, so der senegalesische Schriftsteller Boubacar Boris Diop, auch nach der formalen Unabhängigkeit verblieben die ehemaligen Kolonien in politisch-ökonomischer Abhängigkeit verstrickt. François-Xavier Verschave, einer der Gründer der französischen NGO Survie, hatte für diese neokoloniale Unterdrückung den Begriff „Françafrique“ geprägt und 2003 zu „Mafiafrique“ aktualisiert.

Boubacar Boris Diop machte in seinem Aufsatz „Françafrique: A brief history of a scandalous word“ als ein Hauptmerkmal fest, dass die ehemalige Kolonialmacht die jeweilige Führungselite nach ihrem Geschmack in einem „Casting“ bei „Monsieur Afrique“ Jacques Foccard bestimmte, die sich wiederum mit vollen Geldkoffern bei ihren Herren bedankten — zuletzt nachgewiesen für Nicolas Sarkozy. Jacques Foccard zog beginnend mit dem Amtsantritt von General de Gaulle 1958 bis 1974 und 1995 bis zu seinem Tod 1997 die Strippen. Dazwischen machte „Papa-m‘a-dit“ Jean-Christophe Mitterand für seinen Vater den „Ausputzer“.

Denn wenn nach Wahlen in den ehemaligen Kolonien Präsidenten tatsächlich unabhängige Wege gehen wollten, wurden Staatsstreiche inszeniert.

Beispielsweise wurde so 1962 im Senegal Mamadou Dia, 1968 in Mali Modibo Keita und 2010 in Cote d’Ivoire Laurent Gbagbo jeweils aus dem Präsidentenamt geputscht — oder gleich ermordet wie etwa Sylvanus Olympio, Staatspräsident von Togo nach der Unabhängigkeit 1960 bis zu seiner Ermordung 1963, und Thomas Sankara, 1983 bis 1987 Staatspräsident von Burkina Faso. Willige, Françafrique-geeignete Nachfolger fanden sich.

Zudem stellte man den Präsidenten und den Armee-Oberbefehlshabern geeichte französische Experten als „Berater“ zur Seite, um steuernd als graue Eminenz einzugreifen, wie etwa 2013 in Mali, als dem Präsidenten die Budgetmittel zum Kauf eines Flugzeugs gestrichen wurden. Oder ein aktuelles Beispiel: Der Afghanistan-erfahrene Diplomat und französische Chef der UN-Mission MINUSMA in Kidal, Christophe Sivillon, musste das Land verlassen, als er sich auf dem MNLA-Kongress (2) im November in Kidal als Befürworter der Teilung Malis outete.

Frankreich hatte seinen bestimmenden Einfluss durch „Françafrique“ strukturell institutionalisiert, ein politisch-militärisches System von multilateralen und bilateralen Abkommen:

Die beiden CFA-Zonen UEMOA (Benin, Burkina Faso, Cote d‘Ivoire, Guinea-Bissau, Mali, Niger, Senegal und Togo) und CEMAC (Äquatorialguinea, Gabun, Kamerun, Republik Kongo, Tschad und Zentralafrikanische Republik): Deren Währungsstabilität — durch Anbindung an den Euro — wurde mit der Aushändigung der vollständigen Gold- und Devisenreserven an Paris erkauft, erst aktuell wurde dieser Wert auf 50 Prozent ermäßigt. Paris hat durch die vorgeschriebene Einstimmigkeit indirekt ein Vetorecht, zum Beispiel bei einer Auf- oder Abwertung. Was aber noch problematischer ist: Alle Finanzströme laufen über Paris, auch nicht direkt zwischen den beiden Zentralbanken, was der Kontrolle und dem Export nach Frankreich diente, nicht aber dem innerafrikanischen Handel, der die letzten Jahre bei 14 Prozent stagnierte — 86 Prozent der exportierten Güter, in der Regel unbearbeitete Rohstoffe, wurden vom Kontinent weggeschafft.

Das CFA-Währungssystem trug neben der Kreditpolitik dazu bei, die Länder am Aufbau einer eigenen Industrie zu hindern, sowohl was die Verarbeitung von Feldfrüchten als auch was geförderte Rohstoffe betrifft.

Die aufgezwungenen „Strukturanpassungs-Reformen“, die eine fast vollständige Privatisierung öffentlicher Industriebetriebe und Dienstleistungen — Gesundheitsvorsorge, Schulbildung et cetera — bewirkten, öffneten vor allem französischen Monopolen Tür und Tor.

Die OECD hat die Hemmnisse des grenzüberschreitenden Handels in der Studie „Perspectives économiques en Afrique 2015:Développement territorial et inclusion spatiale“ unter anderem für die beiden CFA-Franc-Zonen analysiert: Mangelnde Infrastruktur führt zu einer Lieferzeit für den Export von 27,6 Tagen beziehungsweise 36,2 Tagen (OECD-Durchschnitt 10,9 Tage), die auf Paris ausgerichtete Bürokratie benötigt dazu 7,6 beziehungsweise 9 Dokumente (OECD-Durchschnitt 4,4 Papiere) und kostet per Container 1.528 Dollar beziehungsweise 2.809 Dollar (OECD-Durchschnitt 1.058 Dollar). Der grenzüberschreitende Import kommt die Ökonomien noch um rund ein Drittel teurer zu stehen, was sich auf die Preise deutlich auswirkte.

Wirtschaftsabkommen zugunsten der französischen kapitalistischen Monopole: Aktuelles Beispiel ist in Mali der Bau einer neuen 4.740 km langen Eisenbahnlinie von Kidal nach Conakry (Guinea), Dakar (Senegal) und San Pedro (Cote d’Ivoire) — ein Projekt im Umfang von 14 Milliarden Dollar —, nachdem das 2013 mit China vereinbarte Projekt von Bamako nach Dakar (Senegal) gegen den monatelangen (hunger-)streikenden Widerstand der malischen Eisenbahner beerdigt wurde.

Um nur eine französische Heuschrecke herauszugreifen: Vincent Bolloré konnte in Afrika vom Zigarettenpapier-Fabrikanten (OCB) zur afrikanischen Logistik-Krake avancieren, der 16 Container-Terminals in afrikanischen Häfen sowie in drei Ländern die Bahnlinien betreibt (Sitarail, Camrail and Benirail) und über die Luxemburger Tochter Landgrabbing betreibt. Der auch in Medien (Vivendi) und Energie (Batterien) tätige Mischkonzern beschäftigt aktuell 81.000 Mitarbeiter in 127 Ländern.

Militärabkommen, mit denen zwölf der vierzehn CFA-Länder an Frankreich gebunden sind und in denen die Präsenz von Militärbasen sowie die Stationierung der insgesamt 10.000 Mann starken Truppe geregelt sind. Die Militärmission „Barkhane“ in Mali wurde nachträglich sanktioniert. Seit 1960 setzten über fünfzig militärische Interventionen in die inneren Angelegenheiten afrikanischer Länder die geostrategischen und ökonomischen Interessen Frankreichs durch.

Der afrikanische Kontinent rüttelt an seinen politisch-ökonomischen Ketten. China ist schuld? Die seit dem Chinesisch-Afrikanischen Forum 2015 in Johannesburg zugesagten, vor allem in Infrastrukturprojekte und Industriezonen investierten 120 Milliarden Dollar wirken.

Afrikanische Länder forcieren ihre Entwicklung, öffnen ZLEC (3), einen gemeinsamen kontinentalen Markt. Es wird nicht mehr eine Utopie bleiben, dass Schokolade-Fabrikanten wie Lindt aus der Schweiz oder die englische Cadbury afrikanische Konkurrenz bekommen werden. Und in den CFA-Ländern rumort es. Jetzt haben die Präsidenten von Niger, Bénin, Togo, Burkina Faso, Côte d’Ivoire und Sénégal den neoliberalen „Washington Consensus“ offen für obsolet erklärt — eine „kleine Revolution“ wie der französische Ökonom Alain Faujas in Jeune Afrique am 3. Dezember einschätzte.

Eco statt Franc

Der CFA-Franc hat im Prinzip ausgespielt. Emmanuel Macron ist für neue Kleider: der neue Name — ECO. Macron sagte zu, sich aus der Administration der Zentralbanken zurückzuziehen und die in Paris eingelagerten Währungsreserven der Länder zurückzugeben. Offensichtlich ist ein weicher und langwieriger „Afrexit“ vorgesehen: Für die acht UEMOA-Länder wird bis zur Einführung des endgültigen, flexiblen und föderalen CEDEAO-Eco (4) ein an den Euro gebundener und von Frankreich garantierter Eco geschaffen.

Ein allmählicher und asymmetrischer Übergang im vom ivorischen Präsidenten Alassane Ouattara gewünschten Fahrplan, so der Wirtschafts- und Finanzminister Benins, Romuald Wadagni. Die wichtigsten für den Eco erforderlichen Konvergenzkriterien sind ein Defizit von weniger als 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), eine Inflationsrate von unter 10 Prozent und ein Schuldenstand von weniger als 70 Prozent des BIP — Kriterien, die selbst Frankreich nicht einhalten könnte. Allein Togo könnte ihnen entsprechen. Ob Nigeria als bestimmende Wirtschaftsmacht innerhalb der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft CEDEAO den Naira gegen den Eco eintauscht, darf bezweifelt werden. Ebenso steht es mit den anderen anglophonen Ländern wie Liberia und Ghana …

Neue Kleider, um Altes zu sichern

Präsident Macron muss die Afrikapolitik des französischen Monopolkapitals formal ändern, um seine Dominanz in der Region zu erhalten. Er hatte nach Angaben der OECD das Budget der Entwicklungshilfe-Agentur Agence française de développement bereits im letzten Jahr auf 10,1 Milliarden Euro erhöht. Die französische Regierung, Generalstabs-Chef General François Lecointre im TV und die Mainstream-Medien werden nicht müde, ökonomische Interessen in Mali — und damit auch in den anderen Ländern — zu vernebeln, indem sie auf den geringen Anteil der Länder am französischen Außenhandel verweisen. Aber in den betroffenen Ländern brodelt es. Wie es scheint, hat Barkhane nicht nur in Mali das Gegenteil bewirkt.

Der Norden Malis ist von einer Integration in die staatlichen Strukturen wie im Abkommen von Algier 2015 festgelegt weit entfernt, ebenso wie die Demilitarisierung aufständischer Truppen und deren Integration in die malische Armee, von der wirtschaftlichen Entwicklung im Norden ganz zu schweigen. Das Abkommen sieht dafür einen Budgetanteil von 40 Prozent vor. Im Dreieck Mali, Niger und Burkina-Faso hat sich „Mafiafrique“ festgesetzt, ein Konglomerat aus Menschen-, Drogen- und Waffenhandel, zusätzlich angetrieben durch Trockenheit und Armut (Kartographie in Jeune Afrique vom 19. Dezember).

Die EU-Ausbildungsmission hat sich nach dem ersten Djihadisten-Überfall vor zwei Jahren in die schwer bewachte Hauptstadt „zurückgezogen“. Nach fünf Jahren möchte man positive Ergebnisse der Ausbildung sehen. Aber was der malischen Armee fehlt, fehlt ebenso der G5-Sahel-Truppe, so Nigers Präsident Mahkamadou Issoufou am 19. Dezember im TV-Sender France 24: internationale Unterstützung und autonome Finanzausstattung, um modernste Satellitenüberwachung verbunden mit Hubschrauber- und Drohneneinsatz zu ermöglichen. Das blieb bislang neben Africom (United States Africa Command) in Niger der französischen Armee vorbehalten, die nach Jeune Afrique vom 23. Dezember erstmals einen bewaffneten Drohnenangriff im Zentrum Malis durchgeführt hat, wo Soldaten der Barkhane-Truppe insgesamt 40 Dschihadisten „außer Gefecht“ gesetzt haben.

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Quelle: Glez, in Jeune Afrique No. 3076, Dez. 2019

Die malische Regierung hatte in den vergangenen Monaten einen öffentlichen Dialog mit den oppositionellen Kräften geführt, um einen Ausweg aus der Krise zu finden. Am 22. Dezember wurde dieser Versuch damit beendet. Präsident Ibrahim Boubacar Keita sucht nunmehr das Heil in Parlaments-Neuwahlen und einer Verfassungsrevision. Und die Bevölkerung darbt weiter …


Quellen und Anmerkungen:

(1) CFA-Franc: Franc de la Coopération Financière en Afrique
(2) MNLA: Mouvement national de libération de l'Azawad
(3) ZLEC: Zone de libre-échange continentale africaine
(4) CEDEAO : Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (französisch Communauté économique des États de l'Afrique de l'Ouest)


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