Schwächling, Lügner, Verräter. Die US-amerikanische Presse zitierte reihenweise Persönlichkeiten des Washingtoner Establishments, die überschießend hasserfüllt auf das Treffen der Präsidenten Donald Trump und Wladimir Putin in Helsinki reagierten.
Den Vogel schoss wieder einmal der Vietnam-Veteran John McCain ab. Für ihn war die gemeinsame Pressekonferenz der beiden „eine der schändlichsten Aufführungen eines amerikanischen Präsidenten seit Menschengedenken“, noch nie habe sich, so McCain weiter, „ein US-Präsident auf solche Weise vor einem Tyrannen selbst erniedrigt.“
Hüben Verräter, drüben Tyrann – so charakterisiert einer der wortgewaltigsten Kriegstreiber jene beiden Männer, die mit ihren Zeigefingern den Atomwaffenknöpfen am nächsten sind.
Schon im Vorfeld war bis in die meinungsbildenden Medien jenseits des Atlantiks, also in unsere Breiten, ausführlich über die Gefahr berichtet worden, Trump könnte Putin nicht standhalten. Womöglich würde er seine Ankündigung wahrmachen und das völkerrechtswidrige US-Abenteuer in Syrien beenden; oder noch schlimmer: er könnte gar der Wirklichkeit ins Auge sehen und der Einverleibung der Krim in die Russische Föderation seinen Segen geben.
Was die beiden in über zwei Stunden besprochen haben, wissen wir nicht. Es ist zu hoffen, dass es über derlei große, den Weltfrieden betreffende Fragen gegangen ist.
Politik und Medien in der westlichen Welt trieb anderes um. Sie konzentrierten sich ausschließlich auf einen Nebenschauplatz, die US-amerikanische Innenpolitik. Dort geht es seit mittlerweile 20 Monaten darum, ob und wie russische Stellen den Präsidentschaftswahlkampf von 2016 in den USA beeinflusst haben.
Das Treffen Trump-Putin bot eine willkommene Gelegenheit, das bereits erschlaffende Interesse an dieser Show neu anzukurbeln. Also stürzten sich von CNN und New York Times abwärts alle auf das von Sonderermittler Robert Mueller betriebene Thema.
Dieser hatte drei Tage vor dem Helsinki-Gipfel gegen zwölf russische Staatsbürger Anklage wegen Einmischung in den Präsidentschaftswahlkampf erhoben und damit Trump unter Zugzwang setzen wollen.
Die Tatsache, dass die als Spione Angeklagten in den USA nicht dingfest gemacht werden können, macht den Vorgang für Mueller risikolos. Ohne Festnahmen keine Aussagen, ohne Aussagen kein Hinterfragen der doch recht substanzlosen Vorwürfe.
Nachdem Trump in Helsinki vor versammelter Weltpresse gemeint hatte, Putins Dementi die russische Einmischung betreffend sei „stark und kraftvoll“ gewesen und er in für ihn typischer Manier hinzufügte, beiden Seiten – den US-Geheimdiensten und Putin – zu vertrauen, lief das Establishment Amok: Schwächling, Lügner, Verräter.
Die Perfidie der medialen Reaktionen auf Trumps Verhalten in Helsinki ist nicht zu überbieten. Da traf sich der nach entsprechenden Regeln gewählte US-Präsident, dem die eigenen Eliten im Land vorwerfen, vor fast zwei Jahren nur mithilfe Russlands die Gegenkandidatin Hillary Clinton besiegt zu haben, mit dem nach dortigen Regeln gewählten russischen Präsidenten. Der Vorwurf aus den „eigenen“ Reihen: Trump hält an der Legitimität des Wahlganges fest.
Was hätte er anderes tun sollen? In den Chor jener einstimmen, die Clintons Wahlniederlage nicht als deren Schwäche, sondern als russische Manipulation interpretieren? Damit hätte Trump:
- seinen Wahlsieg desavouiert und sich als US-Präsident delegitimiert;
- dem Kreml so viel Einfluss in der Welt zugestanden, dass dieser nach Belieben politische Fäden jenseits der Grenzen Russlands, ja sogar in der stärksten Militärmacht der Welt, den USA, ziehen könne; und
- das US-amerikanische Wahlvolk als dumm hingestellt, weil es nach russischen Vorgaben und nicht nach eigenem Gutdünken gewählt hätte.
Die Wahrheit ist: In den Augen der Repräsentanten des US-amerikanischen Tiefen Staates, der immer sichtbarer seine Fratze zeigt, ist beim Wahlgang vom 8. November 2016 schlicht ein Fehler passiert. Der Falsche hat gewonnen.
Zwar gelang es gerade noch, den volksnahen Bernie Sanders gegenüber Hillary Clinton auszuschalten, bei der Verhinderung von Trump versagte das Establishment. Nun sitzt ein ihrer Meinung nach ahnungsloser Immobilienhai im Weißen Haus, der nicht in die Wolle des militärisch-industriellen Komplexes verstrickt ist und die Gepflogenheiten in Washington nicht kennt, schlimmer noch, diese auch nach zwei Jahren nur schwerlich – und meist erst im Nachgang– akzeptiert.
So wie auch diesmal wieder. Zurück in den USA, ruderte Trump auf seine Art zurück. Als Putin meinte, es sei nicht Russland gewesen (das sich in den US-Wahlkampf einmischte), hätte er sich bei der Antwort versprochen. „Ich sehe keinen Grund, warum es nicht Russland sein sollte“, twitterte Trump keine 24 Stunden, nachdem er auf der Pressekonferenz in Helsinki noch das Gegenteil gesagt hatte: „Ich sehe keinen Grund, warum es Russland sein sollte.“ Die Wahrheit ist auch – und gerade – in der großen Politik äußert biegsam.
Noch ein abschließendes Wort zur offensichtlichen Causa prima der US-amerikanischen Innenpolitik.
Als geübter Beobachter erlaubt man sich die Nachfrage, ob tatsächlich jemand in Washington glaubt, dass Trump nicht von den amerikanischen WählerInnen, sondern vom russischen Kreml (aus)gewählt wurde.
Die Tatsache, dass ausländische Geheimdienste von ihrer Basis aus betrachtet im Ausland tätig sind, entspricht ihrem Berufsbild. Das müsste sich gerade in den USA herumgesprochen haben, wo der langjährige Koordinator der nationalen Sicherheitsdienste James Clapper Anfang 2017 vor einem Senatshearing eingestanden hatte, dass seinen Aufzeichnungen zufolge die USA seit dem Zweiten Weltkrieg durchschnittlich einmal im Jahr in ausländische Wahlgänge intervenierten.
Die Aufregung, dass das auch andere machen, ist nur vor dem Hintergrund erklärbar, dass die (vermeintliche) Intervention Russlands die herrschenden Interessen tatsächlich am wunden Punkt traf.
So aufgeregt das Washingtoner Establishment, zu dem Trump nach wie vor nicht zugelassen scheint, auf mutmaßliche Wahlmanipulationen reagiert, so gelassen gab sich Putin. Auf die Frage des Moderators von Fox News, was er zur Anklage der zwölf russischen Spione meine, antwortete der Kremlchef:
„Das interessiert mich überhaupt nicht. Dabei handelt es sich um interne politische Spiele der USA. Nehmen Sie die Beziehung zwischen Russland und den USA nicht als Geisel für interne politische Streitereien. (…) Es ist nichts, worauf die amerikanische Demokratie stolz sein kann; juristische Strafverfolgung für politische Rivalitäten zu nutzen, ist inakzeptabel.“
Eine solche Reaktion hätte politischen und medialen Repräsentanten Washingtons gut zu Gesicht gestanden.
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