Der echte Krieg um Syrien findet über den Wolken statt.
von Jonathan Cook
Die verborgene Schlacht in Syrien – die so gut wie nie auf den Bildschirmen unserer Fernseher zu sehen ist – wütet schon seit Jahren zwischen Israel und einer Koalition der syrischen Regierung, des Iran und der libanesischen Miliz Hisbollah. Russland beobachtet das Ganze, ohne direkt einzugreifen – das könnte sich aber bald ändern. Der Preis ist die Kontrolle über syrisches Gebiet, das Schlachtfeld liegt jedoch im Himmel über Syrien.
Laut offiziellen Zahlen der UN hat das israelische Militär von Juni bis September 2017 den syrischen Luftraum mehr als 750 Mal verletzt – rund 3.200 Stunden haben sich Kampfflugzeuge und Drohnen über dem Land aufgehalten. Im Durchschnitt drangen in diesem Zeitraum täglich sechs israelische Flugzeuge in den syrischen Luftraum ein.
Heftige Raketenangriffe, die am Sonntag (am 29. April 2018, Anmerkung der Übersetzerin) an zwei Orten in Syrien gemeldet wurden, werden vor allem Israel zugeschrieben. Man nimmt an, dass israelische Kampfjets seit Kriegsbeginn in Syrien vor sieben Jahren hunderte solcher offensiver Einsätze geflogen haben.
Israel hat viel zu verlieren. Es möchte, dass Syrien ein geschwächtes Land bleibt, damit die Regierung Baschar al-Assads nicht erneut zu einem regionaler Gegner werden kann.
Israel muss aber auch andere mächtige, feindliche Akteure daran hindern, das entstehende Vakuum zu füllen.
Ganz zu Beginn erreichte Israel bereits ein wichtiges Ziel: Westliche Mächte bestanden darauf, dass die syrische Regierung ihr großes Lager chemischer Waffen aufgab – die einzige Abschreckung gegen Israels nukleare Drohung, die Damaskus zur Verfügung stand.
Seitdem hat sich der Fokus Israels auf den Iran verlagert, dessen Ziele es an verschiedenen Fronten zu blockieren suchte: Assad zu stützen, eine militärische Präsenz nahe der nördlichen Grenze Israels einzurichten und Syrien als Korridor zur Verbringung von Waffen für die Hisbollah zu nutzen.
Irans Ziel ist es, wieder ein Gleichgewicht des Schreckens zwischen den beiden Seiten herzustellen und sich selbst aus der diplomatischen Isolation zu befreien; Israels Ziel ist es, seine militärische Überlegenheit und Vorherrschaft im Himmel des Mittleren Ostens aufrechtzuerhalten.
Außerdem strebt Israel danach, Syriens Zusammenbruch zu instrumentalisieren, das heißt, einen permanenten Besitzanspruch über die Golanhöhen anzumelden, derer es sich 1967 gegen syrische Ansprüche bemächtigte und die es später, in einem klaren Bruch des Völkerrechtes, annektierte.
Dass die schweren Angriffe auf Syrien am Sonntag erfolgten, kurz nach dem Besuch des Hardliners und neuen US-Außenministers Mike Pompeo in Jerusalem und nach dem Telefonat des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu mit dem US-Präsidenten Donald Trump, war aller Wahrscheinlichkeit nach kein Zufall. Bei mindestens einem der anvisierten Ziele handelte es sich laut Berichten um einen Stützpunkt, an dem Iraner stationiert waren.
Netanjahus Gespräche konzentrierten sich offensichtlich auf den Iran – einschließlich einer Debatte über die Zukunft des Nuklearabkommens mit dem Iran aus dem Jahr 2015, dessen Verlängerung nächsten Monat ansteht. Israel hofft, dass die USA das Abkommen kündigen. Dann könnten die Sanktionen verschärft werden, und der Iran müsste sich mit seinen diplomatischen Sorgen und wachsenden Protesten zu Hause herumschlagen, anstatt seinen Einfluss in Syrien geltend zu machen.
Währenddessen nehmen die Spannungen in Syrien zu. Es war sehr ungewöhnlich für Israel, Anfang April zuzugeben, für einen Angriff auf einen iranischen Stützpunkt in Syrien verantwortlich gewesen zu sein, bei dem sieben iranische Soldaten getötet wurden. Laut Wall Street Journal visierte Israel eine im Bau befindliche Flugabwehrbatterie an, von der Teheran gehofft hatte, sie könne Israels Patrouillen im syrischen Luftraum einschränken.
Der Angriff erfolgte, nachdem Israel im nördlichen israelischen Luftraum eine Drohne abgefangen hatte, die wahrscheinlich Informationen über israelische Militärbasen sammeln sollte, wie sie Israel über iranische Stützpunkte in Syrien hat.
Einem führenden Vertreter des israelischen Militärs zufolge hat der Übergang von Stellvertreterkämpfen zu direkten Auseinandersetzungen „eine neue Phase von Feindseligkeiten“ eröffnet. Verteidigungsminister Avigdor Lieberman hat gewarnt, Israel sei bereit, „um jeden Preis“ die Verschanzung des Iran in Syrien zu verhindern.
Wie Liebermans Echo warnte US-Verteidigungsminister James Mattis am Donnerstag (am 26. April 2018, Anmerkung der Übersetzerin), es sei „sehr wahrscheinlich“, dass Israel und Iran sich auf Kollisionskurs befänden. Keine der Parteien scheint zu glauben, sich einen Rückzieher erlauben zu können.
Doch mit seiner Strategie nimmt Israel nicht nur eine gefährliche Eskalation im Konflikt mit dem Iran in Kauf. Auch Russland könnte sich dadurch noch tiefer in Syrien verstricken.
Letzte Woche deuteten russische Regierungsvertreter an, es gäbe Pläne zur Belieferung der syrischen Armee mit Russlands hochentwickeltem S-300 Raketenabwehrsystem. Zum ersten Mal würden dann israelische Flugzeuge Gefahr laufen, wirklich abgeschossen zu werden, sollten sie den syrischen Luftraum verletzen.
Bis jetzt hatte Israel nur einen Verlust zu verkraften: Eine F-16 wurde im Februar von der syrischen Armee abgeschossen, während einer Aktion, die Israel als „Fehler“ der Besatzung bezeichnete.
Israel könnte sich jedoch bald in einem irritierenden Dilemma befinden: Entweder setzt es seine Kampfflugzeuge der syrischen Abwehr aus oder es greift die russischen Abwehrsysteme an.
Die zweite Option zu wählen, würde zu „katastrophalen Konsequenzen“ führen, wie russische Regierungsbeamte Berichten zufolge warnten. Das schien Lieberman relativ kalt zu lassen: „Wer unsere Flugzeuge beschießt, wird zerstört.“
Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus: Sollten die Russen ihre Ankündigung wahrmachen, wird das der Straffreiheit der israelischen Luftwaffe möglicherweise ein Ende setzen, die den Himmel über Teilen des Mittleren Ostens seit dem Blitzsieg über seinen ägyptischen Gegner 1967 nach Belieben durchquert.
Bisher haben israelische und russische Regierungsbeamte ihren jeweiligen Aktionsradius in Syrien eng abgestimmt, um Pannen zu vermeiden. Die Ereignisse jedoch schrauben sich derzeit in eine Richtung hoch, die es erschwert, den Status quo beizubehalten.
Russland hat angedeutet, die Belieferung Syriens mit der S-300 sei eine Vergeltungsmaßnahme gegen die USA – eine Strafmaßnahme für den Luftangriff auf Syrien (gemeint ist der Angriff vom 14. April 2018, Anmerkung der Übersetzerin). Das Abwehrsystem soll den Druck auf US-Präsident Donald Trump erhöhen, sein kürzlich gegebenes Versprechen über den Abzug der US-Soldaten aus Syrien einzulösen.
Der Druck wird aber vor allem dadurch erhöht, dass man Israel, Washingtons Hauptverbündetem in der Region, schadet. Russland wird in ganz Syrien Stolperdrähte spannen, über die Israel dann dauernd Gefahr läuft zu straucheln.
Israels größtenteils erfolgreiche Masche war es bisher, sich auf beiden Seiten des syrischen Krieges zu engagieren: einerseits seinen Schutzpatron USA dabei zu unterstützen, den Iran in der Defensive zu halten, und andererseits mit dem russischen Militär zu kooperieren, das sich der Stabilisierung der syrischen Regierung verschrieben hat.
Diese Herangehensweise beginnt nun, ins Wanken zu geraten, da Israel und die USA danach streben, Moskau und den Iran daran zu hindern, Assads Macht zu konsolidieren. Je länger die Kämpfe andauern, desto wahrscheinlicher wird sich Israel nicht nur den Iran, sondern auch Russland zum Feind machen.
Jonathan Cook ist Autor und Journalist. Man findet ihn unter: http://www.jonathan-cook.net/.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „The Real War for Syria is Taking Place in Its Skies“. Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam korrigiert.
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