Es war einmal die UNESCO. Diese farbenfroh-inklusiv erscheinende Suborganisation der Vereinten Nationen (UN) für Erziehung, Wissenschaft und Kultur. Sie wollte „das Undenkbare wenigstens wieder denkbar machen“. So steht es auf Seite 21 des 1946 vom ersten Generaldirektor Julian Huxley verfassten Gründungsdokuments. Gemeint war die Eugenik. Rassenlehre. Die genoss kurz nach Hitler nämlich keinen besonders guten Ruf, sollte uns nach Ansicht von Huxley und Co. jedoch schon bald in überarbeiteter Form als Humangenetik, Bioethik oder biodigitale Konvergenz wieder mit ihren Zuchtprogrammen beglücken dürfen. Mit Transhumanismus.
Was Julian Huxley im Rahmen seines im wahrsten Sinne des Wortes wegweisenden Dossiers unterschlug — immerhin prägte er auch den Begriff Transhumanismus — ist die Tatsache, dass die Vereinten Nationen nicht nur „das Undenkbare wieder denkbar machen“, sondern auch „das Denkbare undenkbar machen“ wollten.
Die sozialarchitektonischen Vektoren in Richtung einer homogenisierten, pflegeleichten Hominidenbrut — dem Nutzmenschen — sind gepflastert mit Stolpersteinen evolutionärer, aufklärerischer Errungenschaften: Selbstbewusstsein und -erhaltungstrieb, Freiheitsdrang, Kreativität, Sozialkompetenz, Empathie, kritisches Denken. All das steht den postmodernen Variationen von Eugenik beharrlich im Weg. Niemand, der originäre Gedanken pflegt, eigene Wege geht und seine Freiheiten schätzt, möchte Teil eines mit der Cloud gekoppelten, genetisch optimierten Kollektivs seelenloser Konformisten werden. Und doch sind es die meisten schon längst. Ob sie Herrschaftsnarrative goutieren oder Widerstand dagegen leisten — alles, was sie wahrnehmen, diskutieren, verteidigen oder ablehnen, stammt aus dem Netz. Es sind limitierte, interpretierte und manipulierte Informationen aus dritter Hand.
Im besten Falle stammen sie noch aus verschiedenen Quellen und erlauben Triangulation zur Bestimmung der eigenen Position. Dazu muss man sich nämlich noch ein paar eigene Gedanken machen. Im schlimmsten Fall wurden sie von Alexa, Siri, dem Google Assistant, ChatGPT oder einem anderen Intelligenz simulierenden Digitalassistenten bereitgestellt, der nur noch eine Antwort serviert. Die richtige. Die akzeptable. Denn genau das war stets Anspruch der Technokraten. Der langjährige Google-Chef und Bilderberg-Grande Eric Schmidt erklärte schon vor über einem Jahrzehnt, dass „eine Vielzahl von Suchergebnissen ein Fehler und keine Funktion sind“. Das erklärte Ziel von Google sei es, so Schmidt, nur ein einziges Suchergebnis zu präsentieren: das richtige.
Damit solch ein kommunikativer Reduktionismus nicht als Bevormundung, sondern Serviceangebot wahrgenommen wird, muss man verstehen und steuern, wie Menschen denken. Vielleicht wollte Schmidt aus diesem Grund unbedingt mit Julian Assange über Googles Visionen für eine „neue digitale Welt“ sprechen. Mit jemandem, der die technischen Untiefen des Internets kennt — und sie für das Gegenteil dessen nutzt, was Google will. Am 23. Juni 2011 und auf Schmidts Betreiben kam es jedenfalls zu einem geheimen, fünfstündigen Treffen mit dem unter Hausarrest stehenden WikiLeaks-Gründer. Das Transkript dieser Konversation ist erhellend. Vor allem die zweite Hälfte lässt erahnen, wie Schmidt sich die „neue digitale Welt“ vorstellt und warum er Ende 2019 konstatierte, dass „Biologie die nächste Grenzverschiebung in puncto Computing ist“.
Google wollte uns nämlich nie informieren, sondern „programmieren“. Das steht so wortwörtlich in internen Dokumenten des Unternehmens, die dank eines Whistleblowers am 24. Juni 2019 den Weg in die Öffentlichkeit fanden. Und wer denkt, „programmieren“ beginne erst mit dem Neuralimplantat, dem Chip im Hirn, irrt. Google, Microsoft, Apple, YouTube, Twitter — das ich auch weiterhin so nennen werde —, Amazon, Facebook, Wikipedia, Rumble, Instagram, TikTok und Co. schaffen das auch ohne. Denn ihre Algorithmen und Omnipräsenz bestimmen schon jetzt nahezu vollständig, was Menschen wahrnehmen – was sie empört, begeistert, besprechen und bekämpfen. Was nicht bei den großen Portalen, Plattformen und Apps auftaucht, existiert nicht. Ist kein Bestandteil der Realität.
Das gilt gleichermaßen für alles, was Googles Suchmaschine nicht ausspuckt. Entsprechend interessant sind die sogenannten Transparenzberichte des Unternehmens, die veranschaulichen, wie oft staatliche Stellen die Entfernung von Suchergebnissen fordern. Wobei die entsprechenden Listen wohl nur die Spitze der Spitze des Eisbergs darstellen dürften. Nicht umsonst beschäftigen sich weitere geleakte Google-Dokumente primär mit den Zusammenhängen von maschinellem Lernen und menschlicher Wahrnehmung. Mit Nudging und kognitiver Kriegsführung. Das von der CIA gegründete Unternehmen war von Beginn an darauf ausgelegt, die Bevölkerung auszuspionieren, um sie qua Filterblasen zu manipulieren.
Was wir wahrnehmen, ist unsere Realität. Was wir nicht wahrnehmen, wird unsere Realität. Ohne dass wir etwas dagegen unternehmen könnten. Googles Suchmaschinensegregativ schafft Wirklichkeit. Bei immer noch 91 Prozent Marktanteil ein Kinderspiel. Ganz wie US-Chefstratege Zbigniew Brzeziński es vor 54 Jahren in seinem Buch „Between Two Ages — America’s Role in the Technetronic Era“ prophezeite.
Was in Abhandlungen zu Verhaltensökonomie blasiert umrissen wird, verblüfft im Alltag durch die Effizienz seiner Profanität:
Der zwangsalimentierte Erziehungsfunk repliziert das folgenlose Geschwafel von Politdarstellern, Twitter den von Technokraten kuratierten „Bürgerjournalismus“, Instagram Propaganda von Influencern und Facebook den Tratsch von Oma und Opa.
Google präsentiert nur Ergebnisse, die dem Herrschaftsnarrativ dienen, Wikipedia gefährliches Halbwissen von Ideologen, YouTube handzahme Kommentare zum Politspektakel und Rumble die emotionalisierte Replik des vermeintlichen Widerstands. Spotify und Apple Music generieren die Playlist, Amazon schlägt vor, was zu Weihnachten gekauft, Microsoft Word, welche Worte man bei der Formulierung eines Textes meiden, und der Krypto-Guru, in welche aus null und eins bestehende „Währung“ investiert werden soll.
Damit steht das Programm. Die tragenden Wände des Debattenraums. Mehr als dieses Potpourri von Second-Hand-Inhalten haben die meisten Menschen gar nicht mehr im Kopf.
Das Weltwirtschaftsforum (WEF) veröffentlichte im Februar 2022 ein 46 Seiten umfassendes Papier namens „Advancing Digital Agency“, das sich mit der „Macht der Datenvermittler“ befasst. Sprich, mit der Rolle der zuvor erwähnten „Dritten“ und der Frage, wie Externa zur Verinnerlichung am effektivsten ausgerollt werden können. Der Executive Summary lässt sich der Seite vier entnehmen:
„Niemand weiß (oder verfolgt), was mit seinen Daten geschieht. (…) Wo Menschen früher Bildschirme zum Navigieren hatten, erzeugen neue Methoden zur Erfassung von Umgebungsdaten mit ihren vielen Vorteilen Nervosität und Resignation, wenn Menschen nicht den Gesamtüberblick haben. Manchmal entscheiden sich Einzelpersonen möglicherweise gegen die Interaktion mit Technologien, die für ihr Leben von großem Nutzen wären. Was aber wäre, wenn man diese Entscheidungspunkte an einen vertrauenswürdigen Agenten auslagern könnte, der im Namen einer Einzelperson oder sogar einer Gruppe handelt?
Jetzt, da bildschirmlose Technologie Teil des Alltags ist, bietet sich die Gelegenheit, das Paradigma der Mensch-Technik-Interaktion zu überdenken und die Debatte neu auszurichten, um den Fokus auf Rollen und Verantwortlichkeiten jenseits der Person zu legen. Wie kann der Einsatz von Datenvermittlern Menschen dabei helfen, sich in Technologien und Datenökosystemmodellen zurechtzufinden, ohne aus den Augen zu verlieren, was es bedeutet, Mensch zu sein? (…)
Datenvermittler — insbesondere digitale Agenten — stellen einen neuen politischen Hebel dar, mit dem Einzelpersonen die Herausforderungen des wachsenden Datenökosystems möglicherweise meistern können. Dieser Bericht soll Licht auf eine alternative Methode der vermittelten Mensch-Technik-Interaktion werfen, bei der Daten scheinbar nahtlos von Menschen zur Technologie gelangen, und zwar auf eine menschenzentrierte und vor allem vertrauenswürdige Weise. Durch die Kommunikation gemeinsamer Anreize, den Aufbau eines guten Rufs oder die Einholung einer Bestätigung durch Dritte. (…)
Dieser Bericht untersucht die Chancen und Risiken von Datenvermittlern und insbesondere digitalen Drittagenten. Von Datentreuhändern bis hin zu vertrauenswürdigen digitalen Agenturen zeichnet der Bericht das Bild einer Welt, die Menschen und Unternehmen gegenüber einfühlsamer ist und durch die Einführung eines vertrauenswürdigen Dritten mehr Sicherheit für den Datenaustausch als Grundlage für Innovationen bietet. Entscheidend ist, dass der Bericht Handlungshebel für den öffentlichen und privaten Sektor vorschlägt, um ein zukunftssicheres digital-politisches Umfeld zu gewährleisten, das einen nahtlosen und vertrauenswürdigen Datenverkehr zwischen Menschen und der Technologie ermöglicht, die ihnen dient.“
Technologie, die uns „dient“? Wer den Buzzword-Neusprech des Davoser Global-Governance-Tentakels zu decodieren weiß, kann sich vorstellen, was mit „dienen“ gemeint ist. Denn das Produkt sind wir — die Steuersklaven, DNA-Pools und Datenfarmen. Die Technologie sorgt lediglich für unsere zeitgemäße Versklavung. Sie ist ein maschinell-zentralistisches Monstrum, das sich an unserer Lebenszeit labt.
Und die nächsten Jahre dürften darüber entscheiden, ob die Spezies Mensch vor ihrem Fortschritt kapituliert oder die Oberhand gewinnt. Ob sie auf Generationen hinaus dazu verdammt ist, Vasall ihrer Werkzeuge zu sein, oder diese zu ihrem Vorteil einzusetzen weiß.
Denn schlecht sind technische Revolutionen nicht per se. Siehe Blockchain. Lässt man sich von ihnen überrumpeln, allerdings schon.
Und genau das geschieht gerade. Während die leitmediale Deutungselite sich als Megafon moralisierender Selbstgerechtigkeit präsentiert und einer Phase kriegerischer Auseinandersetzungen mit suizidaler Sorglosigkeit entgegensieht, betätigt sich ein guter Teil der kritischen Prominenz als ebenso wirkungsvolles Sedativum für die von Ersteren enttäuschten Massen. Denn am Ende reagiert die jeweilige Klientel auf ein und dieselbe Weise: Sie sitzt auf dem Sofa.
Die tragende Säule der transluzenten Haftanstalt, die ein Habitus lethargischer Bequemlichkeit um uns herum errichtet, ist die Einführung der digitalen Identität. Und die ist in vollem Gange. Australien hat Ende November 2024 als erstes Land der Welt ein Gesetz erlassen, das Jugendlichen unter 16 Jahren den Zugang zu Social-Media-Portalen untersagt. Und während es sicherlich zu begrüßen ist, dass Kinder ihre Zeit nicht mit digitalem Nonsens verplempern, zeitigt solche Legislatur in letzter Konsequenz nichts anderes als einen Ausweiszwang fürs Internet. Wie sonst soll man feststellen können, wer unter 16 ist? Was eine Frage der Erziehung wäre, gerät in Händen des Staates zu einem Instrument ausufernder Kontrolle.
Auch die Schweiz plant die Einführung einer E-ID — obwohl diese bei einer Volksabstimmung im März 2021 klar abgelehnt wurde. Verfügbar sein soll der digitale Pass ab 2026. Die Nutzung beruhe auf Freiwilligkeit, so die Behörden. Doch schon jetzt werden Stimmen laut, die den Einsatz der digitalen Identität beim Sammeln von Stimmen für politische Begehren fordern. Stichwort „E-Collecting“. Damit soll Unregelmäßigkeiten bei der Vorbereitung von Volksabstimmungen vorgebeugt werden. Die hiesige Piratenpartei hat bereits angekündigt, ein zweites Referendum gegen den elektronischen Ausweis zu lancieren — denn er sei „ein Wolf im Schafspelz“. Die Eidgenossenschaft dürfte in Anbetracht einer Erfolg versprechenden Abstimmungskampagne also noch eine ganze Weile von den negativen Folgen eines solchen Überwachungsinstrumentariums verschont bleiben.
Derweil arbeiten natürlich auch Deutschland, die EU, die USA und das „System Chief Executives Board for Coordination“ der UN an einer digitalen Identität. Denn ohne eine solche werden weder das volldigitalisierte Finanzsystem von morgen noch das Mikromanagement der Individualmobilität via CO2-Emissionstracking funktionieren.
Keine E-ID, kein digitaler Gulag.
Noch lassen sich solche Sachverhalte recherchieren und darstellen. Noch kann Widerstand artikuliert, organisiert und geleistet werden. Doch wenn der Heimcomputer in absehbarer Zeit keine Tastatur mehr hat, weil es nur noch Touchscreens gibt, wenn Gestik, Mimik, Sprachsteuerung und künstliche Intelligenz (KI) das Tippen und Suchen ersetzen, wenn Google nur noch das eine Ergebnis auswirft und der digitale Assistent jede noch so komplexe Frage mit unterkomplexen Monokausalitäten trivialisiert, wenn Plattformen ausgeblendet haben, was die Obrigkeit als „Hassrede“ klassifiziert, werden die meisten Menschen gar nicht mehr wissen — und wissen können —, was sie nicht wissen. Woher denn auch.
Zensur bedeutet in Zeiten der Plattformökonomie nicht, dass Webseiten gelöscht und Bücher verbrannt werden — Zensur bedeutet, dass Informationen, Artikel und Webseiten einfach nicht mehr angezeigt werden. Dass sie nicht mehr gesucht, gefunden, verlinkt oder zitiert werden können, weil sie nicht mehr Teil des digitalen Ökosystems sind. Zensur beginnt mit Orwells „Memory Hole“ (Erinnerungsloch), das immer häufiger essenzielle Ressourcen wie das Internetarchiv erfasst. Erst vor wenigen Wochen war die Webseite tagelang offline, weil sie sich einem massiven Hackerangriff ausgesetzt sah. Und auch die Wayback Machine, mit der sich die Historie von Webseiten nachvollziehen lässt, weist immer mehr Löcher auf. So fehlen zum Beispiel alle Einträge des Twitter-Blogs für den Zeitraum vom 3. März 2019 bis zum 28. November 2023. Warum, weiß niemand.
Zensur beginnt dort, wo der von Bequemlichkeit, Unwissenheit und Lethargie vereinnahmte Konsument das Internet nur noch via Plattform, Social-Media-Portal und Smartphone-App nutzt, anstatt sich mittels Browser selbst zu orientieren.
Dass genau das schon jetzt gang und gäbe ist, kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Denn obwohl viele tausend Personen meinen Konten bei Twitter, Telegram und YouTube folgen, hat sich bislang nur etwa ein Zehntel dieser Menge auf meiner Webseite für E-Mail-Updates registriert. Obwohl diese kostenlosen Mail-Updates einen direkten Link zwischen Autor und Leser etablieren und damit „datenvermittelnde“ Dritte umgehen. Einen Link, der auch dann noch funktioniert, wenn Social-Media-Konten gesperrt oder gelöscht werden. Wäre das morgen bei mir der Fall, würde vermutlich nur ein Bruchteil meiner „Follower“ wissen, wie er meine Webseite findet.
Die diesbezügliche Unselbstständigkeit nimmt teils groteske Formen an. Da fragen Menschen, wo man meine Texte lesen kann, während die URL meines Blogs im nur einen Klick entfernten Profil zu finden ist. Andere posten Fragen, Links oder Screenshots unter Beiträge, die nahelegen, dass sie nicht einmal gelesen haben, was sie kommentieren. Auch eine Suchmaschine scheinen viele nicht mehr aufrufen zu können, wenn sie etwas wissen wollen. Anstatt die gewünschte Information in 30 Sekunden selbst zu recherchieren, stellen sie ihre Frage in Form eines Social-Media-Kommentars und hoffen, dass jemand sie beantwortet. Geschieht das nicht, vergessen sie nach fünf Minuten, dass sie eine Frage hatten.
Es wirkt bisweilen tragisch. Denn auch wer die seit Corona im Aufwind befindlichen neuen Medien, die „kritischen“ Accounts und Podcaster verfolgt, macht häufig nichts anderes als der Tagesthemen-Zuschauer: Er konsumiert die Polykrise, als wäre es ein Spielfilm, den man in passiver Schockstarre über sich ergehen lässt.
Aber auch die Medienschaffenden der „fünften Gewalt“ unterscheiden sich mithin kaum von ihren Widersachern im leitmedialen Konsenskomplex. Wenn sie nicht gerade mit der eigenen Geschichte oder Opferrolle beschäftigt sind, berichten sie über die Schicksale und Leidenswege von Kollegen. Oder über das, was der Konsenskomplex verlautbaren lässt. Auch die ein oder andere Tirade gegenüber missliebigen Konkurrenten darf nicht fehlen. Hauptsache, es bringt Klicks. Denn wer den Medienzirkus einmal zu seinem Broterwerb gemacht hat, ist abhängig davon, dass er sich auszahlt. Auch wenn es zulasten des Inhalts geht.
Kaum jemand recherchiert Fakten, macht Textarbeit, deckt auf, dokumentiert Entwicklungsprozesse, empfiehlt stichhaltige Quellen, liefert neue Themen oder zusätzliche Hintergründe. Kaum ein Format zeichnet sich durch Informationsgehalt aus oder bietet irgendeine Form von Erkenntnisgewinn. Meistens wird einfach das besprochen, kommentiert, analysiert oder eingeordnet — also wiedergekäut —, was gerade durch Newsfeeds, Timelines und Trend-Charts geistert.
Eine herausragende Unart ist es, wenn die Moderatoren sich dabei nicht einmal zu schade sind, ihren Twitter-Feed einzublenden, um dann eine Stunde lang geistlos Kommentare von Kommentatoren zu kommentieren. Retorten-Radio. Informativ und intellektuell bereichernd wie die hundertfünfzigste Wiederholung eines Bud-Spencer-Streifens am Weihnachtsfeiertag. Weniger journalistische Relevanz geht kaum.
Wer also nach guten Vorsätzen für das neue Jahr sucht, könnte an exakt dieser Stelle ansetzen. Der Medienschaffende könnte sich auf die Kernaufgabe des Journalismus besinnen und die Mühe machen, zu recherchieren, um seinen Zuschauern und -hörern echten Erkenntnisgewinn zu bescheren. Das macht zwar mehr Arbeit — aber eben auch Sinn.
Und der Konsument könnte damit beginnen, die Kontrolle über seine Informationsgewinnung wiederzuerlangen, anstatt sich berieseln zu lassen wie in alten Zeiten. Zum Beispiel durch die Nutzung eines RSS-Readers, das Lesen von Primärquellen, den Boykott von Big-Tech-Plattformen oder die Anschaffung eines Smartphones mit GrapheneOS-Betriebssystem. Das macht sogar weniger Arbeit, wenn man sich erst einmal eingefuchst hat, und vor allem freier, gelassener und mental resilienter.
Grundsätzlich gilt: Wer nach Lösungen sucht, sollte bei sich selbst beginnen. Denn für die meisten Herausforderungen unserer Zeit existieren sie längst. Nur genutzt werden sie zu selten. Und das liegt nicht an den Lösungen, sondern den Konsumenten, die jeden Tag aufs Neue die Chance verstreichen lassen, es besser zu machen. Wann also wäre ein geeigneterer Zeitpunkt, um den ein oder anderen Neustart zu planen, als jetzt, wo sich ein weiteres Jahr in seine letzten, kurzen Tage streckt?
So schwer, verstörend und düster viele davon gewesen sein mögen, so schön, bemerkenswert, erheiternd und licht war manch ein Moment der vergangenen zwölf Monate. Leider ist der menschliche Geist zwecks Risikominimierung evolutionär darauf ausgelegt, sich vor allem an Negatives zu erinnern. Und viel zu oft verdrängen diese unschönen, aber lehrreichen Erfahrungen die Wertschätzung für eine der simpelsten Wahrheiten des Lebens:
Das Schöne zieht seinen Reiz aus der Vergänglichkeit.
Gerade die Flüchtigkeit des Positiven macht es so wichtig, sich diese Erkenntnis zum Ablauf eines Kalenderjahres bewusst zu machen. Denn das Wertvollste, was wir Menschen im Lauf eines Lebens sammeln können, sind erhebende Momente. Wie viele wir davon anhäufen, bevor unsere eigene Zeit abgelaufen ist, hängt nicht primär von äußeren Umständen, sondern unserer inneren Einstellung ab. Eine den Wirren der Zeit angemessene Sichtweise verbirgt sich hinter einem kurzen, fast schon philosophischen Wortwechsel aus dem für den vorliegenden Text namensgebenden Hitchcock-Streifen:
„Wollen Sie behaupten, Sie hätten Interesse für die Kunst?“
„Ja — für die Kunst, weiterzuleben.“
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