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Der Kampf um die „Weltinsel“

Der Kampf um die „Weltinsel“

Das Feindbild Russland sichert die Weltherrschaft der USA. Exklusivabdruck aus „Warum wir Frieden und Freundschaft mit Russland brauchen“.

„Der geographische Drehpunkt der Geschichte“ lautete der Titel eines Vortrags, den der Diplomat, Politikberater und Direktor der „London School of Economics“, Halford Mackinder, im Jahr 1904 veröffentlichte. Im Frühjahr 2018 ist dieser Vortrag in der Kulturzeitschrift Lettre International (Ausgabe 102) zum ersten Mal auf Deutsch erschienen, wofür man sehr dankbar sein muss. Denn es handelt sich nicht nur um einen klassischen Schlüsseltext der Geopolitik, Mackinders „Heartland“-Theorie ist auch nach wie vor von erstaunlicher Aktualität. Wer das „Herzland“, die Mitte zwischen Europa und Asien und somit das Zentrum des eurasischen Kontinents beherrscht, beherrscht die Welt, lautete Mackinders These.

Da durch die damals neuen Technologien der Eisenbahn und des Automobils der Handel und Wandel zwischen Europa und Asien unausweichlich sei, wäre die auf der Seeherrschaft beruhende, britische Weltmacht chancenlos. Vor allem, wenn das rohstoffreiche Russland mit dem industriestarken Deutschland zusammenwachse. „Wer Osteuropa regiert, beherrscht das Heartland; wer das Heartland regiert, beherrscht die Weltinsel; wer die Weltinsel regiert, beherrscht die Welt“ (1) , brachte Mackinder seine Geostrategie später auf den Punkt.

Wer die Geschichte des 20. Jahrhunderts vor diesem Hintergrund liest, kann erstaunliche Einsichten über die Kontinuität gewinnen, mit der Briten und Amerikaner ihre globale Machtpolitik betrieben und betreiben. Etwa über die Frage, warum Hitler und die Nationalsozialisten massiv von der Wall Street finanziert wurden, warum die NATO nach 1991 mit ihren Raketen unbedingt bis an die russische Grenze vorrücken musste, warum 2014 mit einem Putsch in der Ukraine ein russlandfreundlicher Oligarch als Präsident durch einen russlandfeindlichen ausgetauscht werden musste oder warum eine zweite „Nord Stream“-Pipeline durch die Ostsee den Amerikanern ein Dorn im Auge ist. Noch immer geht es um Mackinders „Herzland“, in dem auf keinen Fall Handel, Wandel und Frieden herrschen darf, weil dies die transatlantische Dominanz bedrohen würde.

Es zieht sich von dieser Theorie aus dem Jahr 1904 eine Linie über Hitlers Geostrategen Karl Haushofer über den geopolitischen Berater von fünf US-Präsidenten, Zbiginew Brzezinski, bis in die aktuelle Politik des US-Imperiums. Über die Aktualität Mackinders schrieb in derselben Ausgabe von Lettre International auch der Historiker Alfred McCoy, dessen eminentes Grundlagenwerk Die CIA und das Heroin – Weltpolitik durch Drogenhandel für ein Verständnis der aktuellen internationalen Konflikte und Kriege nach wie vor unverzichtbar ist. Ebenso wie eine Kenntnis der Generalstrategie im „Great Game“, die auf Mackinder zurückgeht und die im geopolitischen Match auf dem „eurasischen Schachbrett“, wie es Brzezinski nannte, nach wie vor auf der Agenda steht.

Vor diesem Hintergrund kann man dann auch den scheinbaren Irrsinn der Tagesnachrichten ein wenig begreifen, etwa warum aus Afghanistan immer neue Produktionsrekorde für Opium und Heroin gemeldet werden, während in den USA Tausende an dieser Überproduktion sterben; oder warum eine Gas-Pipeline – „Nord Stream 2“ – zwischen Russland und Deutschland ein „Problem“ darstellen soll, während die ökonomisch und ökologisch hochgradig schwachsinnige Idee, Fracking-Gas mit Riesentankern von Amerika nach Europa zu schippern, von der EU gefördert wird. Oder warum Polen sich gerade von den USA für irrsinnige Summen „Patriot“-Luftabwehrsysteme andrehen lässt – „gegen die Russen“, gegen deren neue Hyperschall-Raketen die veralteten Patriots freilich keinerlei Chance haben.

Nadelstiche ins „Herzland“ zu setzen, Konflikte zu schüren, Waffen zu liefern und Kriege anzuzetteln, um ein Zusammenwachsen des Osten Europas mit dem Westen Asiens zu verhindern, ist nach wie vor die grundlegende außenpolitische Agenda des US-Imperiums. Dazu gehört auch, die strategischen Angelpunkte an den Rändern des eurasischen Doppelkontinents zu kontrollieren – vor allem die rohstoffreichen Regionen des Persischen Golfs. Wobei die desaströsen Kriege in Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien mittlerweile, so Alfred McCoy, weniger an ein kühnes geopolitisches Gambit erinnern als „an Deutschlands katastrophale Entscheidung, das russische Kernland anzugreifen“. Er sieht darin den „sicherlich letzten imperialen Versuch, sich eine Angelpunktposition am Rand des eurasischen Kernlands zu sichern, vergleichbar mit den Forts des britischen Kolonialismus entlang der Nordwestgrenze“.

Darum geht es auch bei den jüngsten Kriegsdrohungen gegen den Iran, der ja gar keine Atomwaffen besitzt und sich regelmäßig von den internationalen Behörden kontrollieren lässt – anders als Israel, das illegalerweise welche besitzt und jegliche Kontrollen verweigert.

Dass es sich bei den jüngsten US-Kriegen, wie Alfred McCoy meint, um den „letzten imperialen Versuch“ des überdehnten amerikanischen Imperiums handelt, könnte sein, denn Russland und im Hintergrund auch China haben spätestens im Syrienkrieg klargemacht, dass sie weitere Expansionen des US-Imperiums nicht dulden werden, auch keinen „Regime change“ im Iran.

Dass Teheran im April 2018 den Ausstieg aus dem US-Dollar angekündigt hat und sein Öl künftig in Euro abrechnet, ist eine Provokation erster Klasse. Saddam Hussein und Muammar Gaddafi hat es das Leben gekostet, als sie aus dem Petrodollar aussteigen wollten – ihre nahezu wehrlosen Länder wurden umgehend überfallen und verwüstet. Doch anders als Libyen oder Irak hat Iran zwei mächtige eurasische Atommächte als Verbündete im Hintergrund. Und auch die EU scheint nicht bereit, aus den Atomverträgen mit Iran auszusteigen und mit den USA, Israel und Saudi- Arabien weiter an der Eskalationsschraube zu drehen.

Die Leichenberge und das Chaos, das dieses infernale Trio im Irak und in Syrien produziert hat, würde bei einem Angriff auf Teheran in neue Dimensionen wachsen – bis hin zum Schrecken eines nuklearen Krieges. Dass ein solcher Großkonflikt der Blöcke weniger auf amerikanischem oder russischem oder chinesischem Boden, sondern im kontinentalen mittleren Europa zu Katastrophen führen würde, hat man in Brüssel, Berlin und Paris offenbar verstanden. Es geht noch immer um Mackinders „Weltinsel“, die nicht zusammenwachsen darf.

Vor diesem Hintergrund lässt sich dann auch verstehen, warum weite Teile der westlichen Medien und der Politik seit Jahren einer geradezu infantilen Hysterie verfallen sind, wenn es um Russland und seinen Präsidenten geht, der zum Dämon und Weltfeind schlechthin stilisiert wird. Von allen multimedialen Kanzeln wird in der Kirche der Angst vom „aggressiven Russland“ und dem ultrabösen Putin in einer Weise gepredigt, gegen die das Gepolter gegen „gottlose Kommunisten“ zu Sowjetzeiten fast schon harmlos erscheint.

Die USA verfügen zusammen mit der NATO schon über mehr als das Zehnfache an Raketen und Panzern, aber fordern von ihren Steuerzahlern weiterhin Aufrüstung gegen das Reich des Bösen. Verständlich wird dieser Irrsinn mit einem Blick auf Mackinders „Weltinsel“-Strategie und die aktuell von China ausgebaute neue Seidenstraße.

Wer die schon bestehenden, noch im Bau befindlichen und geplanten eurasischen „Belt & Road“-Projekte in mehr als 65 Ländern und im Umfang von 900 Milliarden Dollar begreift, kann auf einen Blick erkennen, warum es im 21. Jahrhundert mit der unipolaren Herrschaft des anglo-amerikanischen Imperiums zu Ende geht und die Welt multipolar wird. „Geografie ist Schicksal“, soll Napoleon einmal gesagt haben, und derart schicksalhaft hängen auch die Kontinente von Europa und Asien zusammen, als größte Landmasse dieses Planeten und mit zwei Dritteln seiner Bevölkerung. Nur eine tektonische Plattenverschiebung, nicht aber ein noch so desaströser Krieg können an dieser terrestrischen Tatsache irgendetwas ändern.

Wer dann wie die NATO und die deutsche Regierung auf Befehl von Washington aufrüsten und Krieg führen will, hat diese Tatsache schlicht nicht verstanden – und eine EU, die jetzt für 6,5 Milliarden Euro panzerfeste Seitenstraßen bauen will, statt Handel und Wandel auf der zukunftsträchtigen Seidenstraße anzustreben, ist einfach nur verrückt. Und wer wie die Bundesregierung schnell noch eine große Zielscheibe – ein neues NATO-Hauptquartier – mitten nach Deutschland verlegen will, ist offensichtlich lebensmüde.

Denn der nächste Weltkrieg wird nuklear sein, und das Schlachtfeld wird NICHT in Amerika, sondern in Europa liegen, vor unserer Haustür.

Und dass unsere „Flinten-Uschi“ als militärische „Leyen-Darstellerin“ mit ihren NATO-Knallköpfen und Donald Trump als Oberkommandierendem erreicht, was weder Napoleon noch Kaiser Wilhelm II noch Hitler geschafft haben – nämlich Russland unter die Knute zu kriegen –, können nur völlig Wahnsinnige glauben. Falls ein paar ihrer Kinder und Enkel das Desaster überleben, werden diese dann, wie Putin unlängst Albert Einstein zitiert hat, wieder „mit Knüppeln und Steinen kämpfen“. Auf nichts anderes läuft die Aufrüstungspolitik der NATO und der derzeitigen Bundesregierung hinaus.


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Adelheid Bahr (Hg.): „Warum wir Frieden und Freundschaft mit Russland brauchen. Ein Aufruf an alle von Matthias Platzeck, Peter Gauweiler, Antje Vollmer, Oskar Lafontaine, Gabriele Krone-Schmalz, Peter Brandt, Daniela Dahn und vielen anderen“, 208 Seiten, Westend Verlag, Oktober 2018


Quellen und Anmerkungen:
(1) Mackinder, Halford J.: Democratic Ideals and Reality, Washington, DC: National Defense University Press 1962, Neuauflage 1996, mit einer Einführung von Stephen V. Mladineo, S. 106.


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