Aufenthaltskontrolle für 49 Euro
Millionen Menschen fahren jetzt günstig. Einen Monat bundesweit im Nahverkehr unterwegs, das kostet keine 50 Euro.
Bar bezahlen und anonym Bahn fahren ist im Preis nicht inbegriffen. Die Politik will kein Papierticket. Dabei wäre es so leicht: Angebot am Automat auswählen, Banknote in den Schlitz schieben, Name und Geburtsdatum auf dem Ticket eintragen und losfahren. So funktioniert das bei diversen Ländertickets und auch beim deutschlandweit gültigen Quer-durchs-Land-Ticket.
Stattdessen muss man Glück haben, wenn man das 49-Euro-Ticket im Internet kaufen und dann wenigstens auf Papier ausdrucken kann.
Bei jeder Fahrscheinkontrolle scannt der Zugbegleiter den QR-Code auf dem Ticket. Und jedes Mal wird registriert, wo wir uns gerade befinden in Deutschland und wohin wir unterwegs sind. Denn unser Name und unser Geburtsdatum sind in einer Datenbank gespeichert und dem Ticket fest zugeordnet. Daran dürfen sich jetzt Millionen Fahrgäste gewöhnen.
Bei jeder Fahrscheinkontrolle findet also eine Datenbankabfrage statt. Solche Zugriffe werden in der Regel protokolliert, zum Beispiel um Hackerangriffe oder Fehlfunktionen aufklären zu können. Doch wann landet der Datenberg im Papierkorb? Das ist nicht bekannt.
Beim Kauf eines Fahrscheins für eine Einzelfahrt stellen sich die Dinge schon klarer dar. Der Journalist Norbert Häring fand heraus: Drei Jahre lang merkt sich die Deutsche Bahn, wann ein Ticket auf seinen Namen gebucht worden ist und für welche Fahrstrecke. Auf Anfrage wollte das Staatsunternehmen nicht ausschließen, dass Informationen über die Reise noch Jahre später aus Archivdaten rekonstruiert werden können.
Namentlich gebuchte Fahrten können Journalisten zum Verhängnis werden. Der damalige New York Times-Reporter James Risen hatte in den 2000ern zu einer Geheimdienstoperation der CIA im Iran recherchiert. Ihm drohte Gefängnis, weil er sich weigerte, über seinen vermeintlichen Informanten auszusagen. Um diesen zu ermitteln, filzte die US-Staatsanwaltschaft Risens Flugbuchungen, Kreditkartenzahlungen und Banküberweisungen. Wer weiß, ob die Ermittlungen Erfolg gehabt hätten, wenn nicht nur Flugdaten, sondern auch Daten über Zugfahrten vorhanden gewesen wären.
In einer bestens überwachten Gesellschaft findet kein Geheimnis mehr an die Öffentlichkeit. Staatsverbrechen bleiben im Dunkeln. Von den Namen Edward Snowden und Julian Assange hätten wir nie erfahren.
Sparpreise nicht am Automat
Seit dem 1. Januar 2024 gibt es keine Sparpreisangebote mehr am Automaten, nur Zugverbindungen zum regulären Preis. „Was hat die Deutsche Bahn zu diesem Schritt bewogen?“, erkundigte ich mich am 10. Januar bei der Pressestelle. Ein Sprecher antwortete prompt:
„Die Möglichkeit, Sparpreis-Angebote am DB-Automaten zu kaufen, hatten nur noch zwei Prozent unserer Kund:innen genutzt. Daher haben wir uns entschieden, den Kauf von Sparpreise(n) am Automaten zum Ende 2023 einzustellen. Hintergrund für die Umstellung war der anhaltende Trend zur Digitalisierung in der Gesellschaft (…).“
Weiter führte der Sprecher ins Feld, der Digitalzwang ermögliche der Bahn, Kunden per E-Mail über Gleiswechsel und alternative Verbindungen zu informieren.
Wer auf ein Papierticket nicht verzichten wolle, erhalte im Reisezentrum — in Ergänzung zum digitalen Ticket — einen Papierausdruck. Dafür muss man eine halbe Stunde anstehen. Und muss dann noch Namen und E-Mail-Adresse hinterlegen.
Sonst bleibt nichts anderes übrig, als am PC oder über Smartphone zu buchen, zumindest wenn man günstig ICE fahren möchte.
Die Bahn steht mit ihren unprofitablen Automaten auf Kriegsfuß. Der digitale Vertrieb ist das rentable Geschäft. Für den Ausstieg braucht sie einen Vorwand. Und der ist der „anhaltende Trend zur Digitalisierung in der Gesellschaft“. Sparpreise nur über Internet, was für ein wunderbarer Köder. So soll der Ticketverkauf über Automaten marginalisiert werden. Und der Abschied demokratisch legitimiert erscheinen.
Ich hakte nach:
„Sie begründen die Einstellung des Angebots am Automat mit der geringen Nutzung. Können Sie den Mehraufwand beziffern, der von der Deutschen Bahn zu tragen gewesen wäre, wenn das Angebot am Automat wie bisher fortgeführt worden wäre?“
Die Antwort: Schweigen. Telefonisch erhielt ich die Auskunft, die Frage liege bei der Fachabteilung. Schließlich schrieb ich eine zweite E-Mail:
„Meine Presseanfrage liegt Ihnen seit knapp drei Wochen vor. Das ist ein Zeitraum, in dem ein Berichtsanlass seine Aktualität verliert. Die Deutsche Bahn AG erfüllt einen öffentlichen Auftrag und befindet sich in Bundeseigentum. Als solche ist (sie) in Fragen öffentlichen Interesses zur Auskunft verpflichtet (vergleiche BGH-Urteil 16.03.2017, I ZR 13/16). Ein verzögertes Recht stellt jedoch ein verweigertes Recht dar. Letzte Auskunft war, die Presseanfrage liege noch bei der Fachabteilung. Ich möchte Sie noch einmal freundlich erinnern und bitte darum, die Sache nicht weiter zu verzögern.“
Bis heute habe ich keine Antwort erhalten.
Smartphonezwang auf Raten
Mit der Bahncard kann man 25 oder 50 Prozent auf den Ticketpreis sparen. Die Plastikkarte soll verschwinden und als digitales Angebot auf dem Smartphone fortbestehen. Bahncard-Nutzer müssen also mit elektronischer Fußfessel reisen. Der Aufenthaltsort eines Handynutzers kann jederzeit ermittelt werden. Ist der Akku alle, zahlt man extra. Auf öffentlichen Druck hin hat die Bahn jetzt eingelenkt. So gibt es die Bahncard in Zukunft alternativ auch als Papierausdruck. „Wir wissen, dass ein Teil unserer Kundinnen und Kunden auf analoge Alternativen noch nicht verzichten möchte“, sagte eine Bahnsprecherin. Noch nicht. Aber morgen wohl oder übel.
Auch in der Schweiz läuft alles nach dem gleichen Gesetz. Die Nahverkehrsbranche will ab 2025 keine Mehrfahrtentickets auf Papier anbieten. Auch hier derselbe Vorwand: Fahrscheine zum Stempeln werden immer seltener genutzt. Für Kinder gibt es keine Alternative; sie landen „auf dem Abstellgleis“ (Watson). Das bedeutendste Schweizer Busunternehmen im Nahverkehr, das Postauto, will bis 2035 keine Tickets mehr gegen Bargeld im Bus verkaufen.
Gegen diese Bargeldabschaffung wendet sich die Volksinitiative „Ich zahle bar“. Bis September 2024 müssen 100.000 Unterschriften von Schweizer Bürgern zusammenkommen. Dann stimmt das Land darüber ab, ob Bargeld im Nah- und Fernverkehr zum Ticketerwerb am Ort des Fahrtantritts oder im Verkehrsmittel akzeptiert werden muss. Die Volksinitiative sieht auch eine Annahmepflicht für Bargeld im Einzelhandel vor und soll sicherstellen, dass genügend Möglichkeiten bestehen bleiben, Bargeld vom Konto abzuheben. Die Initiative braucht dringend Unterstützung.
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