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Der falsche Prophet

Der falsche Prophet

US-Präsident Trump nutzte in Davos Gehirnwäschemethoden, mit denen Sektenführer ihre Jünger in den Tod treiben.

Wer sich für das Phänomen von Sekten interessiert, deren Mitglieder nach Anleitung durch einen charismatischen Propheten ihre eigene Existenz mittels Selbsttötung beendeten, der findet dazu viele Beispiele. So etwa den größten Massenselbstmord der USA von Mitgliedern der bizarren Bewegung „Heaven’s Gate“ im Jahr 1997. Die 39 Männer und Frauen trafen sich samt ihrem Anführer Marshall Applewhite zu einer Abschlussfeier mit Truthahneintopf und Eistee. Danach schluckten sie Gift, legten sich ordentlich auf ihre Betten und starben.

Wer nun aber denkt, dass es sich hier um gewollte Selbstmorde von 39 trübsinnigen Menschen gehandelt habe, der unterliegt gewissermaßen einem Irrtum. Diese intelligenten Leute, darunter sehr erfolgreiche Pioniere der damals gerade erst aufkommenden Branche der Erstellung von professionellen Webseiten, waren ausweislich ihrer noch im Internet auffindbaren Äußerungen sogar erklärte Gegner des Suizids. Und aus ihrer Sicht haben sie sich auch gar nicht selbst getötet. Sondern sie sind in eine großartige Zukunft übergewechselt, die alles in den Schatten stellen würde, was sie bisher erlebt hatten. Sie „wussten“ nämlich von ihrem Anführer, dass hinter dem gerade die Erde passierenden Kometen Hale-Bopp ein Raumschiff angekommen war, welches sie nach der Trennung von dem aktuellen Körper aufnehmen und auf eine höhere Daseinsstufe bringen werde, einschließlich der Schenkung eines neuen physischen Körpers.

Zum Verstehen der psychologischen Mechanismen, die dazu führen können, dass intelligente Menschen sich von einem charismatischen Anführer ein solch potenziell unbegrenzt wirres, von eigentlich offensichtlichen Lügen, Verdrehungen und Phantastereien durchzogenes Weltbild aufdrücken lassen und auf dessen Grundlage sogar dem Ende ihrer eigenen Existenz zustreben, lässt sich ein anders Beispiel gut verwenden, das auch noch viel aktueller ist — nämlich die jüngste Rede des US-Präsidenten Donald Trump beim Weltwirtschaftsforum in Davos.

Nun ist die Geschichte, die Trump den internationalen Lenkern aus Politik und Wirtschaft sowie letztlich der gesamten Weltbevölkerung auftischte, auf den ersten Blick bei weitem nicht so bizarr wie jene von Applewhite, und es scheint auch grundsätzliche Unterschiede zu geben. Tatsächlich aber verwendeten beide die gleiche Schablone. Das Raumschiff entspricht bei Trump der Technologie und dem Glauben, dass sie der Weg in eine grenzenlose Zukunft ist, in der alles möglich sein wird. Und die daraus erwachsene „höhere Daseinsstufe“, welche auch Applewhite mangels realer Existenz nicht konkret benennen konnte, ist das, was Trump zum Beispiel in folgender Passage seiner Rede ankündigt, ebenfalls ohne es konkret benennen zu können:

„Und wir arbeiten weiter an Dingen, von denen Sie in naher Zukunft hören werden, dass Sie selbst heute, wo Sie hier und jetzt sitzen, nicht glauben würden, dass wir die Antworten gefunden haben. Sie werden davon hören, aber wir haben Antworten auf Dinge gefunden, von denen die Leute sagten, dass sie nicht möglich wären — jedenfalls nicht in sehr kurzer Zeit. Die Wunder des letzten Jahrhunderts werden im Vergleich zu dem, was die jungen Innovatoren von heute erreichen werden, verblassen, weil sie Dinge tun, von denen niemand dachte, dass sie überhaupt erst möglich wären.“

Soweit man nun annehmen möchte, dass dieses ins Spiel bringen von „Wundern“ wohl nur eine vernachlässigbare Redewendung sei, so zeigen alltägliche Äußerungen Trumps ein anderes Bild. Wunder und sogar Magie sind für ihn keine Tabus. Als etwa die Republikaner im November 2018 bei den Kongresswahlen entgegen vieler Voraussagen die Macht im Senat verteidigten, veröffentlichte er auf seinem Twitter-Account — @realDonaldTrump — unter Zitierung einer seiner ergebenen Anhänger folgende Sätze: „Mr. Trump hat Magie an sich“, „Diesem Kerl quillt die Magie aus den Ohren“, „Es ist alles die Magie Trumps“, „Trump ist der magische Mann“ (1).

Dieser Aspekt mag beim flüchtigen Blick leicht zu übersehen sein und für nebensächlich erachtet werden. Tatsächlich aber kommt ihm unter Berücksichtigung der Position dieses Menschen im zivilisatorischen Gefüge eine äußerst gefährliche Bedeutung zu. Wichtig ist hier noch zu beachten, dass Trump bei seinen Staatsbesuchen in anderen Ländern viele Reden vor den dortigen Eliten hält, deren Schema sich kaum von jenem auf dem Weltwirtschaftsforum unterscheiden dürfte.

Die Prophezeiung von Davos lautet also, dass der Menschheit großartige Dinge bevorstehen, die sich im Hier und Jetzt niemand vorstellen kann und die bisher für unmöglich gehalten wurden. Er, Donald Trump, weiß schon genau Bescheid über diese großartigen Dinge, verrät aber noch nicht, um was es konkret gehen wird. Er lässt nur durchscheinen, dass es eben um Unglaubliches geht, welches sogar die „Wunder“ der Vergangenheit weit in den Schatten stellen wird. Und im Alltag hat er schon längst klargestellt, dass er selbst zur Anwendung von Magie fähig ist.

Genau so funktioniert jene mechanische Schablone, mit der es auch früheren charismatischen Anführern möglich war, intelligente Menschen in den Abgrund zu schicken, obwohl sie diesen eigentlich als solchen hätten erkennen müssen. Dabei schleichen sich die psychologischen Schlüssel genauso leise und unauffällig in den Geist der Opfer, wie es dem Leser hier vielleicht zunächst als beiläufige Nebensächlichkeit erscheinen mag, wenn der US-Präsident eben mal etwas von Wundern, Magie und großen Dingen schwadroniert, die kurz bevorstünden.

Die Mechanik dieser geistigen Kaperung ist recht einfach. Mit dem Ankündigen von etwas „Großartigem“ oder „Unglaublichem“, aber dem gleichzeitigen Offenlassen, um was es denn überhaupt konkret geht, springt in den Köpfen eine Tür zum Raum der Fantasie auf.

In diesem praktisch nicht begrenzten Raum ist eine anstrengende Auseinandersetzung mit der Realität unnötig. Es handelt sich also quasi um einen Fluchtraum außerhalb der Realität. Man kann nun loslassen, sich wie in einer warmen Badewanne treiben lassen und auf das Unbeschreibliche freuen, das der Prophet für die Zukunft versprochen hat.

Mit diesem Loslassen wiederum setzen sich weitere kognitive Mechanismen in Gang, die auf der organischen Ebene im neuronalen Belohnungssystem stattfinden. Körpereigene Opiate erzeugen angenehme und beruhigende Empfindungen, die sich nun an die vom Propheten angestoßene Phantasie ankoppeln. Ab dann kann der Realitätsverlust so weit gehen, dass selbst engste Angehörige mit noch so großen Anstrengungen es nicht mehr schaffen, die Betroffenen über die Falschheit der bizarren Heilsversprechen aufzuklären.

Diese mechanischen Hintergründe der auch bei der Davoser Rede angewendeten prophetischen Versprechungen von Trump wurden von den internationalen Medien nicht oder kaum bewusst wahrgenommen, geschweige denn, dass man ihre toxische Tragweite erkannte. Was die unterbewussten Prozesse angeht, kann aber davon ausgegangen werden, dass sie bei den Journalisten, politischen und ökonomischen Führungskräften sowie dem übrigen Publikum massive Wirkungen entfaltet haben. Konkret sind das zum Beispiel jene Eliten aus Indien, Brasilien oder Indonesien, bei denen gegenwärtig Entscheidungen zu großen Fragen rund um Ökologie und Nutzung ihrer ohnehin schon innerhalb weniger Jahrzehnte weitgehend zerstörten Landflächen und Gewässer anstehen.

In Davos hatte Trump aber noch einen weiteren Psycho-Trick eingebaut, der an Dreistigkeit wohl kaum noch steigerbar ist: Er drehte nämlich einfach den Spieß um und erklärte praktisch alle realistischen Warner vor der bereits laufenden und gerade auch von ihm selbst maßgeblich angefeuerten ökologischen Katastrophe ihrerseits zu gefährlichen Propheten:

„Angst und Zweifel sind kein guter Gedankengang — denn dies ist eine Zeit der großen Hoffnung und Freude und des Optimismus und des Handelns. Aber um die Möglichkeiten von morgen anzunehmen, müssen wir die immerwährenden Untergangspropheten und ihre Vorhersagen über die Apokalypse ablehnen. Sie sind die Erben der törichten Wahrsager von gestern, und ich habe sie, und Sie haben sie, und wir alle haben sie — und sie wollen, dass es uns schlecht geht.“

Viele der Anwesenden im Publikum werden in den kommenden Monaten und Jahren zahlreiche Entscheidungen etwa über die Abholzung von Wäldern, der Zerstörung von Flüssen, dem Ausbau von Intensivlandwirtschaft und Agrargentechnik, der Errichtung von Kohlekraftwerken und ganz generell der Zerstörung der Natur zu treffen haben. So wie Trump es sagt, haben sie alle in ihren Ländern Menschen, die vor der Zerstörung der Natur warnen. Aber nun hat der große Prophet ja erklärt, dass diese Leute nicht beachtet werden müssen. Denn sie und somit auch all jene, die auf der Basis der empirischen Fleißarbeit von Millionen Wissenschaftlern darauf hinweisen, dass der Mensch praktisch mit Vollgas und auch zunehmend beschleunigt in eine aus vielen Komponenten bestehende Vernichtung seiner selbst und der gesamten Natur hineinrast, sind ja sogar schädliche Untergangspropheten.

Sie könnten nun noch so oft wiederholen, dass nach anerkannten empirischen Studien die globale Gesamtbiomasse der Insekten um jährlich 2,5 Prozent abnimmt (2), was alleine bereits einem laufenden Kollaps der mit Abstand größten Fraktion des Tierreiches gleichkäme. Sie könnten auch darlegen, dass die fruchtbaren Ebenen des gesamten Planeten innerhalb einiger Jahrzehnte und mittlerweile zum größten Teil stark beschädigt wurden und sich dieser Prozess immer weiter beschleunigt (3). Oder eben, dass die Instabilitäten des globalen Klimas viel schneller eskalieren, als es noch vor zehn Jahren von den Experten vorausgesagt wurde. Bei all dem und noch vielem mehr handelt es sich nun um Ergüsse unseriöser Untergangspropheten — weil es der vermeintlich wirkliche Prophet so gesagt hat.

Die prophetische Arbeit von Trump ist noch aus einem weiteren Grund um ein Vielfaches schädlicher als die jeglicher anderer Propheten es je sein konnten. Er nutzt nämlich als Basis eine reale Droge, deren Wirkung sich ebenfalls sehr stark im neuronalen Belohnungssystem entfaltet und die bei geschickter Anwendung selbst zuvor kritische Menschen zu willenlosen Marionetten werden lässt: Das Geld.

Und das Versprechen, möglichst viel davon zu erlangen.

Als jemand, der schon in eine Millionärsfamilie hineingeboren wurde, weiß der US-Präsident aus eigener Erfahrung, wie leicht sich selbst idealistische Menschen fast jeglicher Denkrichtung manipulieren lassen, sobald man ihnen diese äußerst starke Droge direkt vor die Nase hält. Deswegen handeln die ersten zwei Drittel der Rede eben direkt oder indirekt von Geld. Trump hat schon im ersten Jahr seiner Präsidentschaft erkannt, dass es nachrangig ist, ob seine diesbezüglichen Äußerungen mit der Realität übereinstimmen und ob sie im Nachhinein von den Massenmedien als Übertreibungen und Lügen entlarvt werden.

Entscheidend ist die akute psychologische Wirkung durch das verbale Injizieren der Droge in die Köpfe der Menschen. Wenn er also, wie in Davos, behauptet, dass der durchschnittliche Personenhaushalt in den USA alleine durch neue Entbürokratisierungen jährlich 3.100 Dollar pro Jahr einspart und ihm durch seine „Energierevolution“ jedes Jahr weitere 2.500 Dollar weniger an Energiekosten entstehen, dann muss er dafür keine Beweise vorlegen. Sondern die nunmal am Geldtropf hängenden Menschen sehen jetzt 5.600 Dollar vor ihrem geistigen Auge, fast so, als stünde ihnen dieses Geld plötzlich zur Verfügung.

Tatsächlich legten etwa CNN, BBC, AP und einige andere große Medienhäuser vergangene Woche dar, dass abgesehen von den Aktienwerten fast keine einzige der vielen Behauptungen von Trump in der Davoser Rede — etwa über die Verteilung von Arm zu Reich, Hilfe für alleinerziehende Mütter, Förderung von Benachteiligten oder Besserstellungen der Arbeiterklasse — einem Faktencheck standhalten. Bei AP heißt es dazu einleitend:

„Auf einer seltenen Weltbühne in den Schweizer Alpen sprach Präsident Donald Trump von Leistungen im Bereich der Luftreinhaltung, die nicht real sind, von einem nicht erreichten wirtschaftlichen Fortschritt und von einem noch zu beobachtenden Arbeiterboom. Sein Auftritt bei der Wirtschaftskonferenz in Davos war voller Verzerrungen.“

In der Aufreihung der nachgewiesenen Schwindeleien geht es dann etwa um solche Passagen der Rede wie:

„Zum ersten Mal seit Jahrzehnten konzentrieren wir den Wohlstand nicht mehr nur noch in den Händen einiger weniger“.

Das hörte sich gut an, wurde aber in den Fakten-Checks schon mit einer simplen Darlegung öffentlicher Statistiken widerlegt, nach denen — genau wie bei Trumps Amtsantritt — auch gegenwärtig das reichste Prozent der Amerikaner 32 Prozent des nationalen Gesamtvermögens besitzt. Bei BBC wurde aufgezeigt, dass sogar viele Millionen der wirtschaftlich schwächsten Amerikaner durch von Trump initiierte Einschnitte in sozialfürsorgliche Strukturen massive Nachteile erfahren haben. Der US-Präsident wirft also tatsächlich einfach nur Worte so in den Raum, wie sie ihm passen, ohne dabei die Realität zu berücksichtigen.

In den Tagen nach der Rede Trumps wurde dann ein weiteres erstaunliches Phänomen erkennbar: Obwohl der US-Präsident nur selten mitten in Europa die internationale Weltgemeinschaft anspricht, so fanden sich in den hiesigen Massenmedien nur wenige Ansätze dahingehend, wenigstens ein paar seiner Lügen aufzuschlüsseln, um so dem eigenen Publikum seine Vorgehensweise zu erklären. Die meisten einschlägigen Berichte und Kommentare der vermeintlich führenden Medien in Deutschland bewegten sich weit unterhalb des Niveaus, auf dem etwa engagierte Lokaljournalisten oder Redakteure guter Schülerzeitungen ihre jeweiligen Themen behandeln.

Tiefere Analysen, etwa über den fatalen Einfluss des US-Präsidenten auf solche Staaten in Asien, Afrika und Südamerika, die sich bereits mitten im Prozess des ökologischen Selbstmordes befinden, gab es in Deutschland fast gar nicht. Aber das ist noch lange nicht alles. Sondern ein Großteil der einschlägigen Veröffentlichungen etwa in der Spiegel, Welt und Süddeutsche Zeitung lässt etwas noch viel Schlimmeres erahnen: dass sie nämlich dem amerikanischen Propheten grundsätzlich glauben. Sie scheinen zu akzeptieren, dass er wohl den richtigen Weg gefunden habe und seine Heilsversprechen wahr werden könnten, so abstrus das auf den ersten Blick auch erscheinen mag. Trotz des oberflächlichen „Trump-Bashings“ deutet das mediale Gesamtbild klar erkennbar auf eine latente geistige Unterordnung ihm gegenüber hin.

Die bizarre Rede von Trump in Davos und die Unterwerfungssignale der Massenmedien könnten Zeichen sein für einen nun in der Vollendung befindlichen Abriss von der Realität und für die Phase der letzten Vorbereitungen vor dem Übertritt auf das Raumschiff. Dabei gehören zu den Letzten, die diesen Schritt vielleicht doch noch verhindern könnten, besonders auch die Massenmedien. Auf ihnen lastet in dieser Situation eine extrem hohe Verantwortung, was auch die beteiligten Journalisten ganz persönlich betrifft. Aber sie werden dieser Verantwortung offenbar nicht gerecht und laden damit große Schuld auf sich.

Wenn der mächtigste Mensch der Erde notorisch lügt, wenn er sich als Magier bezeichnet und von großartigen, unvorstellbaren Wundern spricht, die der Menschheit kurz bevorstünden, von denen aber nur er selbst weiß, dann müssen alle Alarmsignale schrillen.

Es geht hier nicht um einen schrulligen Marshall Applewhite, der ein paar Dutzend erwachsene Technik-Freaks auf sein erfundenes Raumschiff schickt. Es ist die Pflicht der Massenmedien, zu erkennen und klar und offen auszusprechen, was in Davos einmal mehr offensichtlich wurde: dass hier nämlich ein hochgefährlicher Psychopath am Werk ist, der sehr wahrscheinlich innerhalb der kommenden fünf Jahre die gesamte Menschheit und die noch verbliebene irdische Natur vollends in den Abgrund stoßen wird.


Quellen und Anmerkungen:

(1) https://www.newsweek.com/donald-trump-ben-stein-twitter-1205464
(2) https://www.theguardian.com/environment/2019/feb/10/plummeting-insect-numbers-threaten-collapse-of-nature
(3) http://europa.eu/rapid/press-release_IP-18-4202_de.htm


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