Als das Statistische Bundesamt (StatBA/destatis) im Mai seine wöchentlich aktualisierte Sonderauswertung zu Sterbefallzahlen des Jahres 2020 mit einer Serie von sechs Pressemitteilungen einführte, störten mich vor allem zwei Dinge: Einerseits die Titel, die in den allgegenwärtigen Chor der Coronapanik einstimmten, und andererseits die Tatsache, dass man nirgends die hohe Untersterblichkeit am Jahresanfang ansprach.
Dennoch transportierten die Pressemitteilungen die Information durch eine aussagekräftige Grafik zur Sonderauswertung, sonst wäre ich selbst vielleicht gar nicht darauf gestoßen. So war mein Interesse geweckt, genauer hinzusehen und die vermissten kumulierten Jahresbilanzen, die man für halb Europa (ohne Deutschland!) bei Euromomo findet, selbst zu berechnen und anhaltende Untersterblichkeit zu finden!
Längst erwies sich für viele Kritiker die Sonderauswertung als Goldgrube: Wolfgang Wodarg bezog sich ebenso auf sie wie Karina Reiss und Sucharit Bhakti, Stefan Homburg, Bodo Schiffmann oder Samuel Eckert, um nur einige der prominentesten zu nennen. Recht früh war auch eine in Hessen beheimatete Corona Initiative Deutscher Mittelstand darauf gestoßen. Und in Samuel Eckerts Umfeld stellt ein ungenannter Experte umfangreiche Dokumentationen zusammen, in denen die Zahlen des Statistischen Bundesamtes nicht fehlen (nur mit Telegram zugänglich).
Kaum noch Corona-Tote
Am 9. Oktober wandte sich das Amt erneut mit einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit, die eine kurze übersterbliche Phase im August als „im Zuge der Hitzewelle erhöht“ präsentierte, aber ausdrücklich als „nicht durch COVID-19-Todesfälle bedingt“! Man bebilderte das wieder mit der genannten Grafik, fortentwickelt durch eine leicht verständliche „Bandbreite min./max.“ anstelle der vorherigen Interaktivität für einzelne Jahre. Im Sommer hatte mich noch gestört, dass man auch die RKI-Zählung von „Toten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie“ in der Grafik aufnahm. Nun zeigt es sich als weise, denn Coronatote gibt es kaum noch, was zwei weitere Pressemitteilungen am 30. Oktober und am 13. November untermauerten:
Auch die Sonderauswertung selbst wurde fortentwickelt und schlüsselt nun das Alter nicht mehr nur in zwei Gruppen ab und bis zu 65 Jahren auf, sondern in 15 zu je fünf Altersjahren. Aus heutiger Sicht war es daher müßig, im ersten Artikel „über die Motive für die Vorgehensweise des Amts (zu) spekulieren“. Denn zum einen fehlt mir für eine solche Einschätzung der persönliche Zugang zur großen Organisation mit mehr als 2.000 Mitarbeitern. Zum anderen wurde die wertvolle Information zur Sterbefallentwicklung, die normalerweise erst nach über einem Jahr veröffentlicht wird, so zeitnah präsentiert, dass sie wirken konnte. Dafür muss man sogar dankbar sein: Die Leute im Statistischen Bundesamt leisten mit der Sonderauswertung einen tollen Job!
Weiterhin Untersterblichkeit!
Also verfolgte ich auch meine Sekundäranalyse weiter, um die trotz allem fehlende Kumulation und den Bezug zur jeweiligen Grundgesamtheit zu aktualisieren. Ergebnis: Die August-Hitze schob die Jahresbilanz aller Sterbefälle im Sommer in die Übersterblichkeit, selbst in Bezug zur gewachsenen Bevölkerung. Sie blieb allerdings weiterhin nah am Mittelwert, wie 2017 und 2019, und weit weg vom schweren Grippejahr 2018:
Betrachtet man jedoch die Gruppe ab 65 Jahren, die durch Altersverschiebung seit Ende 2015 um 4,5 Prozent zulegte, und die Gruppe unter 65 Jahren, die mit 0,1 Prozent plus fast konstant blieb, getrennt voneinander, dann herrscht weiterhin Untersterblichkeit in Deutschland:
Es stellt sich natürlich die Frage, wie die kumulierte Jahresbilanz für jede einzelne der nun 15 Altersklassen aussähe. Doch eine entsprechend detaillierte Sekundäranalyse wäre nur mit viel Aufwand ganz neu zu gestalten.
Wundersame Intensivbettenzahlen
Stattdessen erweiterte ebenfalls im Oktober auch das Intensivregister seine Präsentation um einen Grafikteil, die Zeitreihen! Das Register war wegen Corona erst im März geschaffen worden. Es ist zwar in Berlin bei DIVI angesiedelt, der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, wird aber vor allem vom RKI getragen, dem Robert Koch-Institut. Diese Zeitreihen zu Auslastung und Bestand der Intensivbetten in Deutschland zeigen ebenso aufschlussreich wie die des Statistischen Bundesamtes bei den Sterbefällen, wie sich die „Corona-Zahlen“, also Betroffene mit positivem PCR-Testergebnis, in die Zusammenhänge einfügen:
Schon auf den ersten Blick fällt auf, dass sich die „Corona-Fälle“ unter den Intensivpatienten auf wundersame Weise durch die übrigen Fälle ausgleichen. Denn die Zahl belegter Betten bewegt sich, seit es Anfang August letzte Änderungen bei der Erfassung gab, augenscheinlich sehr konstant bei etwa 21.000 bis 22.000. Daran änderte auch das Auftauchen der „zweiten Welle“ nichts! Ganz im Gegenteil: Die belegten Betten stiegen seit einem Höhepunkt von 22.299 am 17. September bisher nicht wieder über 22.000 an.
Intensivbetten abgebaut
Stattdessen sieht man, dass die ebenfalls lange konstante Summe aller Betten, also die Summe aus belegten und freien, seit einigen Wochen die Dauermarke von gut 30.000 spürbar unterschritten hat. Den Bettenabbau kann man positiv sehen und vermuten, dass die Klinkleiter keine Patientenwelle befürchten. Man könnte auch stutzig werden und fragen, wie das zur bevorstehenden Grippesaison passt. Was Bodo Schiffmann tat und das Schweizer Portal Corona Transition prompt aufgriff. Eine Kombinationsgrafik verdeutlicht den Vorgang; sie zeigt die freien Betten nicht nur auf den belegten zur Gesamtanzahl „gestapelt“, sondern auch als separate rote Linie und, rot gestrichelt, als Anteil an der Gesamtbettenzahl:
In der ersten Phase nach Aufbau des Registers sticht die stets zwischen 31.000 und 32.000 liegende Gesamtbettenzahl heraus. Auch zeigt sich deutlich, dass mit dem Abebben der Covid-19-Patienten-Welle im Mai und Juni die Auslastung langsam gesteigert und wieder mehr freie Betten belegt wurden. Noch im April waren, man erinnere sich, durch Verlegung geplanter Eingriffe bewusst Betten frei gehalten worden. Der Staat entlohnte es.
Der Corona-Knick
Nachdem das Register Ende Juli methodisch den letzten Schliff erhalten hatte und fast 1.000 Betten in die neu erfasste Notfallreserve wanderten, plätscherten acht Sommerwochen lang die Zahlen stabil mit über 30.000 vor sich hin. Anfang Oktober rückte eine leichte Verringerung um einige hundert zunächst die Grenze in Sichtweite, dann verschwanden in nur vier Wochen bundesweit rund 2000 Intensivbetten!
Am 4. August gab es noch fast 31.000 Plätze, davon fiel in 15 Wochen mehr als jeder zwölfte weg. Bezogen auf freie Betten wird das Ausmaß noch deutlicher: 11 Wochen lang, bis zum 20. Oktober, waren immer rund 9000 verfügbar. Dienstags sank die Zahl einige hundert darunter, sonntags und montags stieg sie einige hundert darüber. Am 17. November nun, einem Dienstag, sind von 9.544 freien Betten am 4. August, auch ein Dienstag, nur 68 Prozent übrig. Fast ein Drittel ist also weg. Und am 20. Oktober hat der Graph einen regelrechten „Corona-Knick“!
Keine Panik!
Wie Herr Schiffmann fragte ich mich nach den Hintergründen. Wieder half das Statistische Bundesamt. Denn erst kürzlich publizierte es die Grunddaten der Krankenhäuser 2018, am 7. Oktober begleitet durch eine weitere Pressemitteilung. Danach gab es 2018 mit 27.464 Intensivbetten weit mehr als noch 1991 und ihr Nutzungsgrad lag bei 77 Prozent. 2010 dagegen gab es nach einer Fachpublikation des RKI erst 23.890 Intensivbetten, die aber mit 80,5 Prozent viel höher ausgelastet waren.
Das Dashboard zum Intensivregister zeigte gerade 76,99 Prozent von 28.337 Betten belegt, also exakt den gleichen Anteil wie 2018, nur bei fast 1000 Betten mehr. Das Mittel der letzten sieben Tage lag bei 76,5 Prozent von 28.331 – alles im grünen Bereich also und weit mehr Reserve als 2010. Es sieht so aus, als seien die Intensivstationen nach langer Ausnahmezeit nur zum Normalbetrieb zurückgekehrt, und das vermutlich aus pekuniären Gründen.
Schiffmanns spontane Reaktion kann ich trotzdem gut verstehen. Denn warum geschieht das erst jetzt? Monatelang betrieb man für viel Geld, aber umsonst, teure leere Betten. Und warum ausgerechnet jetzt? Weihnachten steht wieder die Grippe vor der Tür! Das wirkt höchst auffällig und lässt nicht nur Schelme Böses denken.
Ob meine schlichte Vermutung richtig liegt oder doch Schlimmeres dahinter steckt, wird man dank des Intensivregisters beobachten können. Denn mit ihm, dem Grippeweb und allen anderen Dingen machen abseits der Chefs auch die Mitarbeiter im RKI einen tollen Job!
Quellen und Anmerkungen:
- Vollständige Studie: „2020 Untersterblichkeit in Deutschland — Sekundärauswertung der Sonderauswertung des Statistischen Bundesamtes“, Winfried Schneider, Juni 2020, PDF-Datei
- Grafische und tabellarische Auswertung: „Divi-Intensivregister Zeitreihen“, Winfried Schneider, 17. November 2020, PDF-Datei
- Download-Website des Statistischen Bundesamtes: „Sterbefälle — Fallzahlen nach Tagen, Wochen, Monaten, Altersgruppen und Bundesländern für Deutschland 2016 bis 2020“, wöchentlich aktualisiert / XLSX-Datei/ PDF-Datei
- Online-Datenbank des Statistischen Bundesamtes: Tabelle 12411–005 Bevölkerung: Deutschland, Stichtag, Altersjahre / Tabelle 12421 Vorausberechneter Bevölkerungsstand: Deutschland, Stichtag, Variante 1, Altersjahre
- DIVI-Intensivregister: Startseite, verzweigt in die eigentliche Präsentation „IntensivRegister“, erst seit 16. November außerdem zu den aktuellen „Reports“ samt Archiv
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