Gunther Sosna: Frau Krasheninnikova, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen, meine Fragen zu beantworten. Ich würde mich mit Ihnen gerne ausschließlich über die russische Kultur, Land, Leute, Philosophie und Geschichte unterhalten, aber ein aktuelles Thema hat uns eingeholt. Der INF-Vertrag über das Verbot landgestützter atomarer Mittelstreckenwaffen wurde am 2. August 2019 außer Kraft gesetzt. Hat Sie das überrascht?
Veronika Krasheninnikova: Ich grüße Sie und Ihre Leser. Das INF-Abkommen hat natürlich nicht von selbst aufgehört zu existieren. Die Regierung von Donald Trump hat beschlossen, aus dem Abkommen auszutreten. In einem vor Kurzem mit der Zeitung „Kommersant“ (1) geführten Interview sagte Außenminister Lawrow (2), dass John Bolton ihm bereits im Oktober des vergangenen Jahres in absolut ruhiger und unverminderter Weise mitteilte, dass die USA beabsichtigten, aus dem INF-Vertrag auszutreten: „Keine Sorge, Trumps Erklärung ist keine Einladung zu Verhandlungen, sie ist eine endgültige Entscheidung“.
Besprechen konnte man da also nichts mehr. Mich überrascht die Politik Trumps vermutlich weniger als jemanden anderes in Russland, denn ich habe bereits seit seiner Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2017 klar gemacht, dass dies eine sehr negative Option für Russland und die Welt wäre. Ständig verspricht er, mit Russland „klar zu kommen“. Aber er wird solch unmögliche Forderungen für einen „Deal“ stellen, dass das Gespräch noch nicht einmal beginnt. Es wird wie bei Nordkorea sein.
Können Sie beschreiben, wie die Reaktion der russischen Bevölkerung darauf gewesen ist? In westlichen Medien gab es dazu kaum etwas zu lesen.
In Russland verstehen Fachleute natürlich, wie ernst diese Entscheidung ist. Die USA haben sich geweigert, russischen Experten die Startanlagen für die Raketenabwehrsysteme in Rumänien und Polen zu zeigen, wo sie jetzt aufgebaut werden. Zugleich lehnten es die USA selbst ab — und verbaten es ihren europäischen Verbündeten! — die Demonstration des russischen landgestützten Marschflugkörpers 9M729 zu besuchen, wegen dem ja Washington auch aus dem INF-Vertrag ausgestiegen war.
Diese Entscheidung passt in die Gesamtstrategie der Trump-Administration: das System der internationalen Verträge, das über Jahrzehnte geschaffen wurde, zu zerstören, um sich selbst für individuelle und eigensinnige Aktionen zu befreien. Trump war nie gegen das Establishment. Er stellt vielmehr seinen radikalsten Teil dar, der aufgrund ständig sinkender Gewinne nun alle Beschränkungen aufheben will, die ihn noch daran hindern, mehr Geld aus dem Rest der Welt herauszuquetschen.
Wie haben sich die diplomatischen Beziehungen zwischen Russland, den europäischen Nachbarn und den Vereinigten Staaten seit der Unterzeichnung des INF-Vertrags im Jahr 1987 eigentlich grundsätzlich entwickelt? Welche wesentlichen Knackpunkte gab es vor der sogenannten Krimkrise, als die hohe Kunst der Diplomatie gefordert war?
In den späten 1980er Jahren intensivierte sich der Prozess der Zerstörung der Sowjetunion — sowohl von außen als auch von innen. Nach der offiziellen Verkündung im Dezember 1991 verlief in den 1990er Jahren ein konsequenter Prozess der Zerstörung des Landes — es brauchte ja auch Zeit, alles in Stücke zu zerlegen, was durch die riesigen Anstrengungen des gesamten Volkes im Laufe von 70 Jahren aufgebaut wurde!
Der kollektive Westen nahm aktiv an diesem Prozess teil. Russland hatte damals noch keine souveräne Außenpolitik — über vollwertige diplomatische Beziehungen brauchen wir erst gar nicht zu sprechen. Der Prozess des Wiederaufbaus des Landes begann etwa 2003, als Präsident Putin erkannte, dass der Westen versuchte, Russland zu täuschen — die Inhaftierung von Oligarch Michail Chodorkowski war ein klares Signal. Im Jahr 2007 hielt Putin seine berühmte Münchner Rede über die Inakzeptanz einer unipolaren Weltordnung und dass Russland eine unabhängige Außenpolitik führen werde. Und genau das begann er zu tun.
Diese gesamte Zeit über bewegte sich auf Russland wie ein Bulldozer der NATO-Block zu: 1991 hatte das Bündnis 16 Mitglieder, heute sind es 29. Im Jahr 2014 sollte die Ukraine zusammen mit der Krim durch das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union (3) in den politischen und militärischen Einflussbereich der NATO eintreten. Der zweite Artikel des Abkommens spricht von der „Konvergenz im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik“. Russland hatte keine andere Wahl, als diese unaufhaltsame Walze zu stoppen — und das wurde auch getan. NATO-Schiffe auf der Krim sind für das Bewusstsein der Russen etwas Unvorstellbares.
Ist da auf dem diplomatischen Weg noch etwas zu machen oder muss sich darauf eingestellt werden, dass neben der konventionellen auch eine atomare Aufrüstung beginnt?
„Sich damit abzufinden“ ist nicht unsere Art. Die derzeitige US-Regierung ist aber überhaupt nicht bereit, multilaterale Verhandlungen aufzunehmen. Es findet eine wahre „Barbarisierung“ der Politik statt. Macht ist leider das Einzige, was sie aufhalten kann.
Man möchte glauben, dass Europa in der Lage ist, seinen größeren Bruder zu beeinflussen und seine Aggression in der Welt — in militärischen Angelegenheiten, ebenso wie in Wirtschaft und Politik — zu mildern. Die Chancen dafür werden steigen, wenn Europa dies gemeinsam mit Russland tut. Wir müssen gemeinsam das Fundament verteidigen, auf dem sowohl Europa als auch Russland aufgebaut sind — die Werte der Renaissance, der Aufklärung und des Sozialstaates. Und in dieser Hinsicht bietet die jüngste Rede von Präsident Macron, die er vor Botschaftern gehalten hat, einen ausgezeichneten Aktionsplan (4).
Er schlägt vor, eine neue Architektur von Vertrauen und Sicherheit in Europa aufzubauen — zusammen mit Russland.
Europa soll keine Arena für strategische Kämpfe zwischen den USA und Russland sein, stattdessen sollten Europa und Russland enge Verbündete werden. In Deutschland sollten konstruktive Kräfte diesen französischen Vorschlag unterstützen.
Lassen Sie uns auch über die Weltwirtschaft reden. Ich meine zu erkennen, dass es in einer begrenzten Welt für alle Staaten zunehmend schwieriger wird, ein Wirtschaftssystem aufrechtzuerhalten, dass auf unendliches Wachstum setzt. Auf der anderen Seite ist derartig viel Kapital im Umlauf, dass alles Privatisiert wird, was nicht niet- und nagelfest ist. Offenbar besteht ein erhebliches Verwertungsproblem. Lässt sich darin ein Zusammenhang ausmachen, warum subjektiv immer häufiger militärische Optionen in die Diskussion gebracht werden und immer weniger diplomatische Aspekte?
Diesen Gedanken haben Sie sehr höflich formuliert. Wie die Klassiker sagten, gibt es kein Verbrechen, das das Kapital nicht für 300 Prozent Gewinn riskieren würde. So war es vor 150 Jahren, und heute ist es genauso. Der Kapitalismus wird in der Krise immer wütender und gewalttätiger. Diplomatie ist für ihn irrelevant.
Ich wiederhole: Trump repräsentiert die radikalsten Kreise des amerikanischen Systems, und sie sind bereit, die rücksichtslosesten Mittel einzusetzen. Schauen Sie, jetzt droht er mit einer „Spaltung wie zu Zeiten des Bürgerkriegs“. Und unter seinen Anhängern gibt es genügend bewaffnete Radikale, die bereit sind, dem Ruf des Anführers Folge zu leisten.
Der Krieg ernährt den Krieg, hat Friedrich Schiller in seiner Wallenstein-Trilogie geschrieben (5). Oder salopp formuliert: Wenn nichts mehr geht, Krieg geht immer. Ist die Weltwirtschaft derartig angeschlagen, dass die Kriegsindustrie zum wichtigsten Geschäftsfeld wird?
Natürlich. Schon Präsident Eisenhower warnte vor dem ungerechtfertigten Einfluss des militärisch-industriellen Komplexes auf die Regierung (6), warnte vor seiner Umwandlung in eine Bedrohung für Freiheit und Demokratie. Leider ist es genau so gekommen. Eine neue Wachstumsrunde wurde von den sogenannten „Neokonservativen“ in den Jahren der Regierung von George W. Bush eingeleitet. Unter Präsident Obama setzte sich dieser Trend fort, und unter Trump verzeichnen wir ein explosives Wachstum. Der Verkauf von Waffen im Wert von 300 Milliarden Dollar an Saudi-Arabien ist ein beispielloses Ausmaß (7). Frage: Gegen wen wollen die Saudis mit all diesen Waffen kämpfen? Nicht mehr nur im Jemen und in Syrien.
Krieg ist ja nicht nur Politik mit Waffen, sondern auch Geschäftsmodell. Der Soziologe Georg Elwert [8] hat den Begriff Gewaltmarkt genutzt, um soziale Räume zu beschreiben, in denen Gewalt völlig unreguliert und scheinbar ohne Sinn auftritt. Dennoch folgt diese Gewalt, die von Kriegsunternehmern und Warlords angefacht wird, einer Logik. Es geht dabei nicht um politische oder religiöse Ziele, die sind vorgeschoben, sondern um Gewinnmaximierung. Ist das ein Gedanke, dem die Atommächte folgen?
Ihre Frage ist mir etwas unklar ...
Die Regierungen von Russland, China, Frankreich, den USA, dem Iran, aber auch Deutschland und so weiter reden über Frieden, sind allerdings direkt oder indirekt in Kriege involviert oder liefern zumindest Kriegsgerät, damit sich Menschen gegenseitig umzubringen. Das passt doch alles nicht zusammen. Wie empfinden Sie diesen Zustand als Mensch, der das Wort nutzt, aber nicht das Schwert?
Genau deshalb ist die Arbeit von Menschen, die das Wort nutzen, um zu überzeugen — Experten, Journalisten, Diplomaten — heute so wichtig. Bismarck ist zwar nicht mein Held, aber er hatte Recht, als er sagte: „Wenn die Diplomaten verstummen, fangen die Waffen an zu reden.“
Präsident Obama schlug vor, dass Staaten, die Atomwaffen besitzen, diese vollständig abgeben. Es ist aber nicht klar, ob dieser Vorschlag die Vereinigten Staaten selbst ebenfalls betraf. Das Problem dabei ist, dass die USA außer Atomwaffen eine so gewaltige Überlegenheit bei den konventionellen Waffen haben, dass dies ausreichen wird, um damit den Rest der Welt zu terrorisieren.
Lassen Sie uns bitte einen Sprung ins politische Tagesgeschäft wagen. In der Europäischen Union vollzieht sich ein Rechtsruck. Die bürgerliche Mitte schwenkt nach rechts ein und marschiert Richtung Autoritarismus und EU-kritische Rechtspopulisten, Nationalisten und Faschisten bekommen Aufwind. Die dominierenden Medien in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, machen die Regierung von Russland dafür zumindest mitverantwortlich. Das politisch rechte Lager äußert zudem offen seine Sympathien für Russland. Wie bewerten Sie den Schmeichelkurs und den Applaus von den Rechten und Ultrarechten? Ist der für Russland positiv?
In den letzten Jahren haben sich viele Experten, darunter auch ich, gegen die Beziehungen Russlands zu den rechtsextremen Parteien ausgesprochen. Der Schaden ist offensichtlich: ein Schlag gegen den Ruf, das Untergraben des historischen Sieges über den Faschismus im Zweiten Weltkrieg und vor allem die Stärkung der rechtsextremen Ansichten in Russland selbst. Für einen multiethnischen und multikonfessionellen Staat sind Nationalismus, Islamophobie und die Volksverhetzung der kürzeste Weg zum Zusammenbruch des Landes. Nur die Gegner Russlands sind an solchen Beziehungen interessiert. Wenn es nicht gelungen ist, Russland zu isolieren, dann will man es marginalisieren, indem man das Land zu den Radikalen, Ausgestoßenen, Freaks und anderen Randgruppen der westlichen Gesellschaften stößt.
Die heutige Welle der rechtsextremen Ideologien wurde in Europa geboren. Genau wie der Faschismus der 1920er Jahre. Russland dafür die Schuld zu geben, ist heuchlerischer Zynismus.
Und außerdem ist es eine Möglichkeit, sich nicht mit der Lösung des Problems beschäftigen zu müssen. Dieser Hass wuchs aber aus den Fehlern der regierenden Parteien in Europa.
Langfristig könnte der Aufstieg der extremen Rechten Europa zu einem Haufen nationalistischer Staaten machen, die sich zuerst selber bekämpfen und dann zwangsläufig im Osten nach neuem „Lebensraum“ suchen werden. Beide Weltkriege im 20. Jahrhundert begannen in Europa, Russland aber hat darin größeres Leiden erfahren als jeder andere europäische Staat. Deshalb — nein, der Aufstieg der extremen Rechten in Europa widerspricht kategorisch den Interessen Russlands. Gleichzeitig, ja, gibt es in Russland Anhänger des europäischen Faschismus. Und sie sind die gleichen Feinde unseres Landes wie einst die Kollaborateure des Dritten Reiches während des Großen Vaterländischen Krieges.
Leute wie Heinz-Christian Strache, Matteo Salvini oder Marine le Pen (9, 10, 11) wünschen die EU quasi zum Teufel und fachen mit ihrer Hetze gegen Flüchtlinge und andere Minderheiten eine Art Kulturkampf an. Färbt das nach Russland ab?
Wir in Russland wundern uns immer wieder, wie breit das legale Rechtsfeld für die extremen Rechten in Europa ist. So ist beispielsweise die NPD in Deutschland, die den Faschismus offen propagiert, bisher nicht verboten. Der Co-Vorsitzende der Alternative für Deutschland gibt regelmäßig Erklärungen ab, die das Dritte Reich rechtfertigen, und er kommt damit durch.
Diejenigen, von denen Sie sprechen, schwadronieren gegen Muslime und Flüchtlinge mit solchen Ausdrücken, für die sie in Russland gemäß dem Artikel 282 des Strafgesetzbuches „Anstiftung zu Hass oder Feindschaft sowie Erniedrigung der Menschenwürde“ oder Artikel 280 „Öffentliche Anstiftung zu extremistischen Aktivitäten“ mit einer Haft rechnen müssten.
Daher ist hier der „Einfluss“ oder die „Nachahmung“ Russlands ausgeschlossen. Aber der gegenteilige Effekt, wenn Nationalisten in Russland damit anfangen „wie in Europa“ zu agieren, ist für uns sehr gefährlich.
Keine Gesellschaft ist frei von Vorurteilen. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit finden sich überall, und sicher auch in Russland. Sind islamfeindliche, fremdenfeindliche und antisemitische Positionen gesellschaftlich salonfähig?
Ja, es gibt auch diejenigen, die ihre Zugehörigkeit zur „Elite“ durch die Hautfarbe oder ihren Geburtsort bestimmen. Es scheint, dass auf individueller Ebene der Minderwertigkeitskomplex anspringt… Es ist jedoch erfreulich zu sehen, dass die Traditionen von Internationalismus, Multinationalität und Offenheit auch heute noch in Russland bestehen. Jüngstes Beispiel: Bei den Moskauer Kommunalwahlen am 7. September 2019 gewann in einem der Wahllokale im Zentrum der Hauptstadt ein Kandidat namens Magomed Jandiev. Das ist ein kaukasischer Nachname, er ist ein Muslim. Und er gewann in einem erbitterten Wahlkampf. Er lehrt an einer Moskauer Universität, war Minister für wirtschaftliche Entwicklung in der Republik Inguschetien. Das ist eine Bestätigung des multinationalen Geistes der Russen.
Wie stark ist die politische Rechte in Russland überhaupt?
Der rechte politische Sektor in Russland manifestiert sich durch Konservatismus, Klerikalismus und Propaganda der Monarchie. Ich gebe zu, dass die Politik einen Platz für solide konservative Ideen hat. Präsident Putin definierte gesunden Konservatismus als die Verwendung aller besten, neuen und viel versprechenden Dinge, die die Entwicklung des Landes, den sorgsamen Umgang mit Mutterschaft und Kindheit, mit seiner Geschichte, mit Traditionen und einheimischen Religionen sichern. Doch unter dem Vorwand des „Konservatismus“ sind auch die obszönsten und reaktionärsten Vorschläge aufgetaucht — wie aus dem Mittelalter.
Die Weißwäsche des zaristischen Regimes wird durchgeführt. Der religiöse Fanatismus einzelner Abgeordneter erlaubt es Radikalen, fast terroristische Akte zu organisieren, so geschehen um den Film „Mathilda“ von Alexey Utschitel. Es geht bis hin zu Versuchen, die Ideen von Julius Evola (12), einem der Hauptideologen des Faschismus des 20. Jahrhunderts, der sich als „Traditionalist“ sah, in den öffentlichen Diskurs zu tragen. Evola, ein Fan des SS-Reichsführers Himmler, leugnete während der Gerichtsverfahren 1951, ein Faschist zu sein: weil — er sei ein „Super-Faschist“. All dies betrifft nur enge Kreise. Die überwiegende Mehrheit der Menschen ist entsetzt über solche Erscheinungen.
Sehen Sie eine realistische Möglichkeit, wie ein weiterer Rechtsdrall in der EU verhindert werden kann?
Daran besteht kein Zweifel. In der Innenpolitik müssen die herrschenden Kreise ihren Bürgern zuhören und die Politik so ändern, dass sie den Erwartungen der Menschen entspricht. Man muss die Zerstörung des Sozialstaates stoppen und für soziale Gerechtigkeit sorgen.
Auf EU-Ebene sind systematische Reformen erforderlich, damit die Union effektiv wird und den Wünschen der Menschen sowie den Interessen der Demokratie gerecht wird. Auf der Ebene des Transatlantizismus ist es notwendig, die Priorität der nationalen — nicht zu verwechseln mit nationalistischen — Interessen zu gewährleisten.
Was das Problem des Zustroms von Migranten und Flüchtlingen betrifft, so ist es notwendig, die Kriege im Nahen Osten und in Nordafrika mittels der NATO zu beenden.
Lassen Sie mich eine abschließende Frage stellen. Es gibt ja diverse Schwierigkeiten und handfeste Bedrohungen, die alle Staaten betreffen. Dazu gehören nicht nur die zahlreichen bewaffneten Konflikte, regionale Kriege oder Extremismus, sondern die Umweltverschmutzung, das Artensterben, die Veränderung des Klimas, aber auch die Auswirkungen neuer Technologien auf die Arbeitswelt. Millionen Jobs werden in recht kurzer Zeit wegfallen. Diese Entwicklung ist nicht räumlich begrenzt, sondern findet praktisch überall statt. Die Boston Consulting Group ging zum Beispiel 2017 schon davon aus, dass bis 2035 weltweit etwa 400 Millionen Jobs verschwinden. Darin lauert ein gewaltiges soziales Konfliktpotenzial. Wäre es nicht an der Zeit, dass die Regierungen komplett umdenken und viel enger miteinander zusammenarbeiten, um diese Herausforderungen zu meistern?
Das ist eine sehr tiefgehende Frage. Sie haben Recht, diese Zeit ist schon lange gekommen. Allerdings können wir angesichts der Politik Washingtons, die auf die Verhärtung des Systems und eine egoistische Vorgehensweise ausgerichtet ist, nicht auf die Vereinigten Staaten in absehbarer Zeit zählen. Ist denn Europa bereit, in Abwesenheit der USA die Führung zu übernehmen? Das möchte man hoffen. In so einem Fall können wir auf die Beteiligung Russlands zählen.
Es ist jedoch klar, dass im Rahmen des kapitalistischen Systems Änderungen nur in Form von kosmetischen Eingriffen stattfinden können. Das „menschliche Antlitz“ kann man dem Kapitalismus in keiner Weise aufziehen. Deshalb ist es notwendig, über ein solches soziales und politisches System nachzudenken, das im XXI. Jahrhundert in der Lage wäre, die grundlegenden Probleme des Kapitalismus zu lösen.
Ich danke Ihnen vielmals.
Vielen Dank.
Mit Beiträgen von: Daniele Ganser, Chris Hedges, Karin Leukefeld, Volker Bräutigam, Friedhelm Klinkhammer, Ulrich Teusch, Hannes Hofbauer, Ivan Rodionov, Jens Wernicke, Hermann Ploppa, Roland Rottenfußer, Nicolas Riedl, Stefan Korinth, Florian Kirner, Kilez More, Bernhard Trautvetter, Werner Ruf, Armin Wertz, Jens Lehrich, Peter Frey, Jens Bernert, Ullrich Mies, Andrea Drescher, Ulrich Heyden, Andreas von Westphalen, Nina Forberger, Madita Hampe und Christiane Borowy.
Veronika Krasheninnikova, Jahrgang 1971, ist Politikwissenschaftlerin und Historikerin. Sie ist Mitglied des Politisches Rates der Regierungspartei „Einiges Russland“, Mitglied der Gesellschaftskammer der Russischen Föderation, Beraterin der Nachrichtenagentur Rossiya Segodnya und stellvertretende Vorsitzende der Kommission für Entwicklung der gesellschaftlichen Diplomatie. Sie war von 2001 bis 2010 Präsidentin des „Rates für wirtschaftliche Zusammenarbeit“ zwischen den USA und der „Gemeinschaft unabhängiger Staaten“, GUS, einer Nachfolgeorganisation der Sowjetunion. Gleichzeitig war sie Vertreterin von Sankt Petersburg in den USA.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Kommersant ist eine russische Tageszeitung. Sie wurde erstmals 1909 gegründet, aber im Zuge der Machtergreifung der Bolschewiki im Jahre 1917 geschlossen. Im Dezember 1989 wurde sie in Moskau wiederbelebt. Zunächst erschien Kommersant (Homepage: www.kommersant.ru) wöchentlich und ab 1992 täglich. Im postsowjetischen Russland stieg sie zu einer der wichtigsten Tageszeitungen auf und erwarb sich den Ruf einer seriösen und kritischen Informationsquelle. Chefredakteur ist Andrei Wassiljew.
(2) Sergei Wiktorowitsch Lawrow (Jahrgang 1950) ist ein russischer Diplomat und seit März 2004 der Außenminister der Russischen Föderation.
(3) EUR-Lex | Access to European Union law: Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Ukraine andererseits (OJ L 161, 29.5.2014, p. 3–2137). Auf https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:22014A0529(01) (abgerufen am 05.10.2019).
(4) Hellweger Anzeiger (19. August 2019): Macron will neues Vertrauen zwischen Europa und Russland. Auf https://www.hellwegeranzeiger.de/Nachrichten/Macron-will-neues-Vertrauen-zwischen-Europa-und-Russland-1439553.html (abgerufen am 05.10.2019).
(5) Albrecht von Waldstein (1583-1634), bekannt als Wallenstein, war ein böhmischer Feldherr, Kriegsunternehmer und Politiker im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648). Wallenstein war Oberbefehlshaber der kaiserlichen Armee und kämpfte gegen die protestantischen Mächte Deutschlands sowie gegen Dänemark und Schweden. 1634 wurde Wallenstein ermordet.
(6) Pressenza (2. September 2017): EU — Militärisch-industrieller Komplex statt Industriepolitik. Auf https://www.pressenza.com/de/2017/09/eu-militaerisch-industrieller-komplex-statt-industriepolitik/ (abgerufen am 05.10.2019).
(7) FOCUS (20. Mai 2017): USA und Saudis einigen sich auf gigantischen Waffendeal. Auf https://www.focus.de/politik/ausland/110-milliarden-dollar-umfang-usa-und-saudis-einigen-sich-auf-gigantischen-waffendeal_id_7159111.html (abgerufen am 05.10.2019).
(8) Georg Elwert (1947-2005) war ein deutscher Ethnologe und Soziologe. Er setzte sich mit der Korruption in postkolonialen Staaten auseinander und prägte im Rahmen seiner Analysen von gewalttätigen Konflikten den Begriff Gewaltmärkte.
(9) Heinz-Christian Strache (Jahrgang 1969) ist Politiker der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). Er war ab 2008 Oppositionsführer im Parlament, wurde Ende 2017 Vizekanzler und im Januar 2018 Bundesminister für öffentlichen Dienst und Sport in der Regierung von Bundespräsident Sebastian Kurz (Österreichische Volkspartei). Strache war außerdem Bundesparteiobmann der FPÖ, Landesparteiobmann der FPÖ Wien und Bezirksparteiobmann des 3. Wiener Gemeindebezirks. Nach der sogenannten Ibiza-Affäre und den damit einhergehenden Vorwürfen der Bereitschaft zur Korruption, erklärte Strache im Mai 2019 seinen Rücktritt vom Amt des Vizekanzlers und vom Posten als Parteiobmann.
(10) Matteo Salvini (Jahrgang 1973) ist ein italienischer Politiker der Lega Nord. Seit dem 1. Juni 2018 ist Salvini Innenminister im Kabinett von Giuseppe Conte (MoVimento 5 Stelle; Fünf-Sterne-Bewegung). Außerdem ist er stellvertretender Ministerpräsident Italiens. Salvini war vor seiner politischen Laufbahn Journalist.
(11) Marine Le Pen (Jahrgang 1968) ist Politikerin des rechtsextremen Rassemblement National. Dieser trug bis Juni 2018 den Namen Front National (FN). Le Pen, im Zivilleben Juristin, wurde im Januar 2011 Vorsitzende des FN. Das Amt übernahm sie von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen. 2012 und 2017 kandidierte sie bei den französischen Präsidentschaftswahlen. Seit Juni 2017 ist sie Abgeordnete der französischen Nationalversammlung. In der Vergangenheit war sie außerdem Abgeordnete im Europäischen Parlament.
(12) Julius Evola (1898-1974) war ein italienischer Kulturphilosoph, Esoteriker, Rassentheoretiker pro-faschistischer spiritueller Rassist und Antisemit. Etwa ab 1931 unterhielt er Beziehungen zu Exponenten der Konservativen Revolution und zur SS. Er gilt als Ideengeber für den rechtsextremen italienischen Untergrund und für die gesamteuropäische Neue Rechte.
Redaktioneller Hinweis: Unser besonderer Dank geht an Dr. Andrej Solowjow in Moskau, der das Interview mit Veronika Krasheninnikova ermöglichte und übersetzte.
Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.
Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.