Sie war und ist nicht totzukriegen, die Initiative „Break the silence“, die weder der Polizei, noch der ermittelnden Staatsanwaltschaft glaubte, dass sich 2005 ein gefesselter Mann in einer Dessauer Zelle selbst angezündet hat, um dort qualvoll zu sterben.
Es ist eine Laudatio auf eine Initiative, die nicht gerade auf Händen getragen wurde, auch nicht innerhalb linker, antirassistischer Gruppen und Strömungen. Der „Fall Jalloh“ ist dabei nicht besonders.
Es passiert etwas Schreckliches: In Polizeigewahrsam stirbt ein Mann. Ein Mann, an dem das Auffälligste ist, dass er schwarz ist.
Er war, auf einer feuerfest umhüllten Matratze liegend, an Händen und Füßen angekettet.
Er wird tot in der Zelle gefunden. Die Polizei geht von Selbstverbrennung aus, die Angehörigen und Freunde von Mord.
Wenn es mit rechten Dingen zuging, würde nun die Polizei in alle Richtungen ermitteln: Was spricht für Selbstmord, welche Indizien und Umstände sprechen für Mord?
Die Staatanwaltschaft legte diese Selbstentzündungshypothese von vornherein den Ermittlungsaufträgen zugrunde, das heißt: Diese Staatsanwaltschaft hat den "Selbstmord" nicht ermittelt, sondern aktiv verteidigt und entgegen der Fakten- und Indizienlage zementiert. ([https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/in-der-polizeizelle-verbrannt-100.html]
MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann fällt dazu einen alten, makabren „Witz“ ein:
„Zwei Polizisten ziehen einen toten Juden aus dem Fluss: Ein Messer steckt im Rücken, insgesamt 48 Messerstiche zählen die beiden, er ist noch immer mit schweren Eisenketten gefesselt und umwickelt. Und der Eine wendet sich an den Anderen: ‚Mein Gott, einen so brutalen Selbstmord habe ich ja noch nie gesehen!‘“ (Institutioneller Rassismus, MiGAZIN vom 21. November 2017)
Die Indizien, die noch vorhandenen Beweise müssten eigentlich genügen, um einen Selbstmord von einem Mordgeschehen zu unterscheiden. Aber es kommt in bestimmten Fällen mitnichten auf Indizien und Beweise an. Das geht meist mit dem Verschwindenlassen von Beweisen einher: Verschwunden bzw. gelöscht wurden die Aufzeichnungen des Videographen des LKA-lSLA von den Tatortermittlungen. Diese Aufnahme endet abrupt und bisher unerklärt nach vier Minuten. (vergleiche hierzu das Video zum Brandgutachten smirnou 2013 ab Laufzeit 1:05 Minuten):
[https://initiativeouryjalloh.wordpress.com/brandgutachten/video-brandgutachen-fire-investigation/]
Doch selbst für das was übrigbleibt gilt: Es können fünfmal so viele Beweise und Indizien für ein Mordgeschehen sprechen, wenn man diese „würdigt“. Wenn man sie hingegen ignoriert, wenn man sie für nicht „belastbar“ erklärt, dann reichen Mikro- bis Phantomspuren aus, um etwas als Selbstmord auszuweisen.
Am Anfang dieses „Skandals“ sind noch viele empört. Man engagiert sich, man beteiligt sich an einer Demonstration. Man sprüht an die Hauswände, was von Rechtswegen ausgeschlossen wurde: Das war Mord.
Dann vergehen die Monate und Jahre und das Engagement schrumpft, die Zahl der Aktiven nimmt deutlich ab. Die meisten resignieren, denn was nützt es, wenn man sagt, selbst zu ganz vielen, dass die Polizei lügt, die Staatsanwalt diese deckt und das Gericht der Staatsanwaltschaft folgt. Ein Gericht, das sich zumindest die Mühe gemacht hat, die Behinderung der Aufklärung durch die Polizei festzuhalten: „Man habe nicht die Chance gehabt, "das, was man ein rechtsstaatliches Verfahren nennt, durchzuführen". Polizeibeamte hätten "bedenkenlos und grottendämlich" falsch ausgesagt.“ (Heribert Prantl, SZ vom 17.11.2017)
Die Oury-Jalloh-Initiative „Break the silence“ gibt nicht auf. Sie fordert die Wiederaufnahme der Ermittlungen, sammelt Zeugenaussagen und Indizien.
Am Ergebnis ändert dies nichts. Es gäbe keine ausreichenden Beweise, dass es sich um einen Mord gehandelt habe. Noch mehr Menschen werden müde, gegen diese Mauer aus „krimineller Kaltschnäuzigkeit der Polizei“ (Heribert Prantl), einer Staatsanwaltschaft, die brutalst möglich einem möglichen Mordgeschehen nicht nachgeht und einem Gericht, das sich hilflos gibt und am Ende Beihilfe leistet, anzurennen.
Der Kreis der Aktiven schrumpft weiter, doch die Verbliebenen geben nicht auf. Genau das, was Teil eines Ermittlungsverfahrens sein müsste, veranlassten sie auf eigene Kosten: Es wurden der Tatort und die möglichen Geschehensabläufe nachgestellt.
Was weder die Staatsanwaltschaft, noch das zuständige Justizministerium unternahmen, veranlasste die Initiative im Jahr 2015: Das Brandereignis nachstellen und gutachterlich bewerten (Peck-Scott-Walker).
Ein Jahr später sah sich die Staatsanwaltschaft gezwungen, nachzuziehen. Das Ergebnis:
„Mehrere Sachverständige aus den Bereichen Brandschutz, Medizin und Chemie kommen laut der Unterlagen mehrheitlich zum dem Schluss, dass ein Tod durch Fremdeinwirkung wahrscheinlicher sei als die lange von den Ermittlungsbehörden verfolgte These einer Selbstanzündung durch den Mann aus Sierra Leone. Das sind die Ergebnisse der jüngsten Gutachten und Brandversuche, die sich detailliert mit der Frage nach dem Ausbruch des Feuers in der Arrestzelle beschäftigen.“ (wdr.de vom 16.11.2017)
Und noch etwas ist der Hartnäckigkeit der Initiative zu verdanken. Ganz offensichtlich hat diese auch den ehemaligen ermittelnden Staatsanwalt berührt, der jahrelang die Selbstmord-Theorie vertrat. In einem Schreiben vom April dieses Jahres geht er nun „von einem begründeten Mordverdacht aus. (…) Oberstaatsanwalt Bittmann benennt in dem Brief sogar konkrete Verdächtige aus den Reihen der Dessauer Polizeibeamten.“ (siehe oben)
Es ist das große Verdienst, diesen über zwölf Jahre arbeitenden und Öffentlichkeit herstellenden Initiative.
Diese Ausdauer und diese Zähigkeit sind rar und verlangen mehr als spontane und kurzweilige Empörung.
Man könnte meinen, dass nun die Mauer zusammenfällt und der Fall neu aufgerollt wird. Das Gegenteil deutet sich an: Die Mauer wird einfach höher gezogen und mit zusätzlichen Wassergräben gesichert.
Selbst angesichts der vorliegenden Gutachten und besagter Stellungnahme eines leitenden Staatsanwaltes lehnt es die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe ab, den Fall zu übernehmen.
Und wer zieht die Wassergräben um dieses Schweige- und Vertuschungskartell?
„Eine (…) von den Linken geforderte Akteneinsicht kam nicht zustande: Die Regierungskoalition aus CDU, SPD und Grünen im Magdeburger Landtag lehnte das ab.“ (siehe oben)
Und die gerade einmal drei Monate tätige Staatsanwaltschaft in Halle kommt am 30. August 2017 zu dem Ergebnis:
„Nach sorgfältiger Prüfung der vorliegenden Erkenntnisse hat die Staatsanwaltschaft Halle die Ermittlungen zum Tod des Oury Jalloh eingestellt, weil das am 07.12.2012 von Amts wegen eingeleitete Verfahren keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Beteiligung Dritter an der Brandlegung ergeben hat und eine weitere Aufklärung nicht zu erwarten ist.“
Was ist illegal: de Selbstmord- oder die Mordthese?
Bis zum 20. November 2017 hing an dem autonomen Kulturzentrum „Rote Flora“ in Hamburg ein riesiges Transparent. In großen Buchstaben stand auf dem Tuch:
„Oury Jalloh (Kreuz) 7. Januar 2005 - ERMORDET IN DESSAU VON DEUTSCHEN POLIZISTEN“.
Im Morgengrauen, um 5.12 Uhr rückte die Polizei am Schulterblatt an. Sie umstellte das Gebäude, sicherte ihren eigenen Tatort, und schloss die ganze Aktion mit der Inbesitznahme des Transparentes ab.
Noch auf dem Dach des autonomen Kulturzentrums hielt die Polizei vor meinem geistigen Auge eine spontan einberufende Pressekonferenz ab:
„Selbstverständlich handelt es sich bei dieser Aktion um keine Form von Zensur. Diese gibt es in Deutschland nicht. Auch mischen wir uns bewusst nicht in politische Auseinandersetzungen ein, in die wir selbst verwickelt sind. Wir bleiben also auch jetzt absolut neutral.
Obgleich wir festhalten wollen und müssen, dass selbst wenn die Mordthese die wahrscheinliche ist, diese nicht die richtige sein muss. Gerade an dieser Stelle, an diesem Ort darf ich ausnahmsweise und sinngemäß Karl Marx zitieren: „Nicht alles was wahr ist, ist wirklich und nicht alles was wirklich ist, ist wahr.“
Wir müssen auch davon ausgehen, dass diese Transparentaktion in Hamburg Nachahmer finden wird, vor allem dann, wenn sie als Solidaritätsaktion verstanden wird. Wir sind aber darauf vorbereitet und werden an besonders gefährdeten Objekten Präsenz zeigen.
Dazu zählt auch das Haus des Oberstaatsanwaltes Bittmann, der nun von einem ‚begründeten Mordverdacht‘ ausgeht. Obwohl bisher polizeilich nicht in Erscheinung getreten, müssen wir von einer spontanen Deprofessionalisierung ausgehen und sind entsprechend auf alles vorbereitet. Wir danken der freien Presse für ihr pünktliches Erscheinen und wünschen Ihnen nun einen guten Nachhauseweg.“
Die Initiative "Break the silence" ist weit gekommen. Sie nicht alleine zu lassen, gerade jetzt, wäre die beste Form der Würdigung.
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