Zum Inhalt:
Unterstützen Sie Manova mit einer Spende
Unterstützen Sie Manova
Das vergiftete Geschenk

Das vergiftete Geschenk

Die vorgeblichen Ziele des „Great Reset“ muten begrüßenswert an, doch der Teufel steckt im Detail. Teil 2/2.

Stellvertretend für viele publizierte Artikel und Interviews werden aus einem breiten Fachspektrum sechs ausgewählte, sehr unterschiedliche kritische Analysen, Zusammenfassungen und Einschätzungen präsentiert, welche die Hintergründe und Perspektiven des derzeitigen Umbruchs näher erläutern. Folgende WissenschaftlerInnen kommen zu Wort: die Wirtschafts- und Sozialhistorikerin Andrea Komlosy, der Historiker Yuval Noah Harari, der Anthropologe und Bildungsphilosoph Matthias Burchardt, die Soziologin und Politikwissenschaftlerin Claudia von Werlhof, der Ökonom Dani Rodrik und die Physikerin, Wissenschaftsphilosophin und Globalisierungskritikerin Vandana Shiva.

Coronakrise als Schützenhilfe: Andrea Komlosy

Zu Beginn des zweiten Teils möchte ich eine Positionsbestimmung der derzeitigen Politik und Wirtschaft präsentieren, die die Wirtschafts- und Sozialhistorikerin Andrea Komlosy das „Corona-Moment“ genannt hat (Komlosy, 2020).

Was hat sich seit März 2020 geändert? Wir erkennen, dass Medizin und mathematische Modelle den ersten Platz in der Politikberatung beansprucht haben. Nach kurzer Zeit sind Fragen und Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit und der politischen Orchestrierung aufgetreten, wirtschaftliche und soziale Fragen sind hintangestellt. Es zeigt sich, dass der Lockdown und das Herunterfahren von Wirtschaft und Gesellschaft zahlreiche Weichen neu stellen. Die These von Komlosy ist, dass die Coronamaßnahmen die Gelegenheit für einen neuen Typ in der Geschichte des kapitalistischen Weltsystems eröffnen, nämlich einen autoritären, organisierten Kapitalismus.

Die Positionsbestimmung in der Entwicklung der Weltwirtschaft ist vom Zeitpunkt innerhalb von Konjunkturwellen, Hegemonialzyklen und Evolutionsphasen im Sinne von Produktionsprinzipien determiniert. Wir befinden uns derzeit an der kybernetischen Wende, und die Krise wird zur Schützenhilfe hin zum „organisierten“ Kapitalismus, wobei China als Trendsetter dient.

Die Coronakrise als Wegbereiterin

Andrea Komlosy fasst die Coronakrise als Wegbereiterin folgendermaßen zusammen: Die Art des derzeitigen Krisenmanagements ebnet den Übergang zu einer neuen Lebens- und Wirtschaftsform. Es entsteht eine höhere Bereitschaft, neue Werte, neue Produkte und ein neues Verhalten zu akzeptieren — das ist die „neue Normalität“, die immer wieder medial eingestreut wird. Die neuen Werte sind Distanz, Kontrolle, Homeoffice, Distance Learning, Digitalisierung des Bildungssystems und Gesundheitsmonitoring. Dies alles steht im Zusammenhang mit der Erneuerung des Kapitalismus, und es wird damit der Weg aus der globalen Wirtschaftskrise gewiesen.

Die kybernetischen Utopien werden als Wünsche und Ziele formuliert, das Wachstums- und Verwertungsprinzip wird jedoch nicht aufgegeben. Die Rolle des Staates oder Supra-Staates, das heißt internationale Einrichtungen wie die Vereinten Nationen (UN) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO), wird gefestigt und ist treibende Kraft für gesellschaftliche und technologische Weiterentwicklungen. Diese supra-staatlichen Institutionen haben keine demokratischen Strukturen. Es werden Leitbranchen definiert und finanziert, die als systemrelevant eingestuft werden.

Es zeigt sich eine hohe Störungsanfälligkeit globaler Lieferketten. Daraus resultieren neue globale Verteilungsstrukturen über beispielsweise die UN beziehungsweise der Schutz und die Kontrolle von systemrelevanten Sektoren wie Nahrungsmittel und Arzneimittel auf nationaler Ebene. Beide Möglichkeiten haben weitreichende Auswirkungen auf die uniformierte globale Produktion und auf die regionale Diversität. Das Coronakrisenmanagement handelt nach einer supra-staatlichen Strategie, die von großen Konzernen, Stiftungen und Denkwerkstätten geprägt ist.

Konjunkturzyklen nach Kondratjew

Zum Verständnis von Konjunkturwellen und wo wir uns gerade befinden, zeigt die folgende Abbildung die ökonomische Entwicklung der letzten 200 Jahre anhand der sogenannten Kondratjew-Zyklen, welche der sowjetische Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Kondratjew beschrieben hat.

Bild

Quelle: Wikipedia, 2021; erweitert

Die Zyklen haben eine Zeitdauer von etwa 50 Jahren und bestehen aus Aufschwung- und Abschwungphasen. Ein Zyklus besteht aus einer Wohlstands- und Erfolgsphase — im Bild mit dem Buchstaben P gekennzeichnet —, die dann an ihre Grenzen stößt, gefolgt von einer Rezession, welche in eine Depression führt. In dieser Phase wird nach einem neuen Aufschwung gesucht. Als Ausgangspunkt dafür stehen ein Paradigmenwechsel und damit verbundene Investitionen. Es werden große Geldmengen in neue Technologien investiert und damit der nächste Aufschwung hervorgerufen.

Die bisherigen Konjunkturwellen beschreiben ab 1780 die Industrialisierung durch die Dampfmaschine, ab 1840 die 2. Industrielle Revolution durch die Entwicklung der Eisenbahn und der Dampfschifffahrt, ab 1890 die dritte Welle, die durch Elektrifizierung, Elektrotechnik und Chemie gekennzeichnet ist, und ab 1940 den Zyklus der Automatisierung und des Automobils. Wir stehen jetzt in der Depression des 5. Zyklus der Informations- und Kommunikationstechnik auf der Suche nach Erneuerung.

In den Übergangsphasen gibt es immer Auseinandersetzungen zwischen den Hegemonien, also den Weltmächten. Die aktuelle Phase des Abschwungs eröffnet die Konkurrenz zwischen Hegemonialmächten und globalen Playern, die sich jetzt in Position für den nächsten Aufschwung setzen, der in etwa fünf bis zehn Jahren erwartet wird. Die höchste Innovationskraft ist in der konjunkturellen Abschwungphase in Verbindung mit krisengeschwächten Unternehmen, die vom Markt verschwinden. Wir befinden uns in der Abschwungphase, die in den nächsten Zyklus des kybernetischen Zeitalters überleitet — mit den Kernbegriffen „Internet der Dinge“ und „Biotechnologie“.

Leitsektoren des kybernetischen Zeitalters

Die Kybernetik ist die Wissenschaft der Steuerung, Regelung und Nachrichtenübertragung — das betrifft auch Regelungsmechanismen im menschlichen Körper. Die Art des derzeitigen Krisenmanagements in der Coronakrise dient als Katalysator für den Übergang ins kybernetische Zeitalter, einer Gesellschaft der selbstregulierenden Systeme. Die Kennzeichen des kybernetischen Prinzips sind Optimierung, individuelle Anpassung und personalisierte Medizin.

Vorbereitungen für diese Entwicklung sind schon einige Zeit im Gange. Die Europäische Union (EU) hat beispielsweise 2018 die Initiative „1 Million Genome“ (EC, 2020) gestartet, in der bis 2022 mindestens eine Million menschliche Genome sequenziert und die Daten der Forschung zur Verfügung gestellt werden sollen. Ein weiteres Beispiel ist die Firma Microsoft, welche im März 2020 ein Weltpatent (Microsoft, 2020) erhalten hat, in dem das Mining, also das Sammeln von menschlichen Aktivitätsdaten, für ein Kryptowährungssystem verwendet werden kann.

Jeder Wirtschaftszyklus hat seine spezifischen Leitsektoren: Im industriellen Zeitalter waren dies Fabriken, Motoren, Automatisierung und Digitaltechnik. Die Leitsektoren des kybernetischen Zeitalters sind der medizinisch-biotechnische Komplex, die Nanotechnologie, der 3D-Druck als additives Verfahren, die Robotik, die Digitalisierung der industriellen Produktion — das entspricht der Industrie 4.0 –, die Digitalisierung aller Lebensbereiche wie Smart Homes, Smart Cities oder autonome Mobilität sowie Künstliche Intelligenz.

Über die kybernetische Denkweise hat man sich schon vor Jahrzehnten Gedanken gemacht. In den 1970er-Jahren beschreibt der Biochemiker Frederic Vester, dass man auf der Kulturstufe der Kybernetik anders denken muss, man muss vernetzt und systemisch von der Zukunft her denken. Die Auswirkungen unseres Tuns von heute wirken auf die nachfolgenden Generationen und stehen im Gegensatz zur kurzfristigen Profitmaximierung.

Der französische Philosoph Pierre Lévy spricht in seinem Buch „Die kollektive Intelligenz“ (1995) in optimistischer Weise vom „Raum des Wissens“, in dem die Menschheit ihr Werden wieder in die Hand nehmen kann.

Eine kritische Stimme ist die US-amerikanische Harvard-Wirtschaftswissenschaftlerin Shoshana Zuboff. Sie schreibt in ihrem Buch „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ (Zuboff, 2018) von einer „Verfinsterung des digitalen Traumes“. Als Beispiel nennt sie Google, das sich vom Aufbruch in Richtung Vernetzung und Nachhaltigkeit zu einer Verhaltensüberwachung als ausgereifte Logik der Kapitalakkumulation entwickelt hat. Es kommt zu einer extremen Elitenbildung durch eine ungleiche Verteilung von Wissen. Sie schreibt:

„Wenn wir die Überwachungskapitalisten weitermachen lassen, dann leben wir bald in Google-Städten, in denen Rechner Politik ersetzen und Statistiken Gesetze, in denen Bürger des Geschäfts wegen wie Viehherden herumgetrieben werden.“

Totalüberwachung: Yuval Noah Harari

Als nächste Stimme hat sich der israelische Historiker Yuval Noah Harari kritisch über die derzeitige Krisensituation geäußert. In einem Interview von t-online im Oktober 2020 (von Lüpke und Harms, 2020) sieht Harari enorme politische und wirtschaftliche Auswirkungen der Coronapandemie, „im schlimmsten Fall kollabiert unsere Weltordnung“. Die derzeitige Pandemie sei bei Weitem nicht so gefährlich wie die desaströsen Seuchen der Vergangenheit.

Die Menschheit würde sich jetzt darauf verständigen, einen Großteil ihres Lebens online zu verbringen, und mithilfe der Digitalisierung würde die allgegenwärtige Überwachung durch den Staat beginnen. Demokratische und pluralistische Gesellschaften hätten sich bisher der Überwachung nach chinesischem Vorbild widersetzt. Harari befürchtet, dass die totale Kontrolle eine Folge der Coronakrise werden könnte. Vieles, was noch vor einem Jahr undenkbar war, könnte nun plötzlich akzeptabel werden. Als Beispiel nennt er die Speicherung von Gesundheitsdaten, die Hinterlassung persönlicher Daten bei Restaurantbesuchen oder die Festlegung der Anzahl von Personen, die man nach Hause einladen darf.

Eine ständige biometrische Überwachung der Bevölkerung könne zwar einerseits Epidemien und auch andere Krankheiten früh erkennen — wie es in China weit fortgeschritten ist —, aber auch die Menschen lückenlos kontrollieren. Die „totalitäre Versuchung“ sei in Coronazeiten besonders groß.

Er sagt weiter, wir seien heute in der Lage, die perfekte Diktatur zu errichten, „schlimmer als Nazideutschland oder die stalinistische Sowjetunion“. Die neuen Technologien des 21. Jahrhunderts würden dies ermöglichen.

Harari hält es für vorstellbar, dass der technologische Fortschritt die Menschheit aufspaltet in wenige Privilegierte und eine riesige „nutzlose Kaste“, die irgendwann aus dem Lauf der Geschichte verschwindet.

Propagandastrategien für Systemtransformationen: Matthias Burchardt

Mit einer ganz anderen Thematik zum derzeitigen Pandemie-Management befasst sich der deutsche Anthropologe und Bildungsphilosoph Matthias Burchardt (Burchardt, 2020): Er beschäftigt sich mit Propagandatheorie und sozialtechnologischer Steuerung von Öffentlichkeit, der Transformation von Gesellschaften und der Einflussnahme auf das Denken von Menschen. Er bezieht sich auf die Propagandatheorie von Edward Bernays aus den 1920er-Jahren, der feststellte, dass Demokratie etwas sehr Aufwendiges sei, die Menschen überfordern und ihre Meinung der Politik immer in die Quere kommen würde. Bernays beschreibt, dass es Eliten im Hintergrund gibt, die diese Entscheidungen für uns treffen und uns bestimmten Perspektiven zuführen; dabei werden demokratische Entscheidungen vorweggenommen.

Planspiele als Leitfäden

Wie Yuval Harari erkennt auch Burchardt, dass Katastrophen eine wunderbare Gelegenheit sind, im Moment der Desorientierung Menschen dazu zu bewegen, Dinge zu akzeptieren. Man ist in den letzten Jahren auf globalpolitischer Ebene im Vorfeld von möglichen zu erwarteten Katastrophen dazu übergegangen, privat finanzierte Planspiele mit wichtigen politischen und ökonomischen Akteuren durchzuführen. Dort werden Katastrophenszenarien präsentiert und ein bestimmter Ausweg zur Lösung der Katastrophe erarbeitet, der ihn als den plausiblen erscheinen lässt.

Es gab für Pandemien in den letzten Jahren mehrere Planspiele — das letzte fand im Oktober 2019 in New York zu einem Coronavirus statt. Es nennt sich Event 201 und ist auf der Website der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health ausführlich dokumentiert (JHU, 2019). Dieses Planspiel wurde von der Bill & Melinda Gates Foundation und der Rockefeller Foundation finanziert. Die präsentierte und alternativlose Lösung ist, supra-nationale Steuerungsstrukturen zur Gesundheitsüberwachung und für Massenimpfungen zu schaffen, welche diese globalen Probleme in den Griff bekommen sollen. Es wurden des Weiteren Vorgangsweisen durchgespielt, wie eine pluralistische Meinungsäußerung in den sozialen Medien unterbunden und Proteste gegen Maßnahmen unterdrückt werden können.

Für die Umsetzung von umstrittenen Maßnahmen bezieht sich Burchardt auf die Propagandatheorie von Walter Lippmann: „Wir wissen, dass Menschen in ihrem Verhalten sich einerseits auf die Realität beziehen können und andererseits auf innere Bilder. Die Idee der Propaganda ist, dass die inneren Bilder ausgetauscht werden und sie nicht mehr auf die Realität Rücksicht nehmen und im Hinblick auf diese Bilder handeln. Ihre Handlung findet jedoch nicht in diesem Bild, sondern in der Wirklichkeit statt. Es wird damit eine Realität des Bildes erzeugt.“ (Burchardt, 2020).

Burchardt sieht gewaltige Quereingriffe in die Demokratien. Er fordert eine Re-Demokratisierung der gesellschaftlichen Instanzen.

Standard Setting zur Verhaltensänderung

Burchardt hat sich außerdem intensiv mit den globalen Strukturänderungen der letzten 20 Jahre im Bildungsbereich befasst und sieht massive Eingriffe von privaten Akteuren. Es wurde mittels verschiedener propagandistischer Verfahren eine Transformation in der Struktur und im Geiste der Bildung durchgeführt — entgegen kultureller Grundorientierung der Nationen und entgegen politischen Mandatsträgern. Die Strategien dabei waren einmal „Discursive Disseminations“ (auf Deutsch: Diskursausstreuung); dabei werden Ideen über einen längeren Zeitraum in die Köpfe des Menschen eingepflanzt. Als zweite Strategie dient das „Standard Setting“, das heißt, es wird Verhalten vorgeschrieben.

Burchardt stellt interessante Parallelen zwischen der Einführung des PISA-Tests im Bildungswesen und den Vorgangsweisen in der Coronakrise im Gesundheitsbereich her.

Bild

Der Ausgangspunkt der Strukturänderung ist immer ein Realitätskern: Einige Schülerinnen und Schüler bringen keine guten Leistungen. Auf der anderen Seite gibt es eine Krankheit, die auch schwer verlaufen kann. Es werden Akteure beauftragt, die das Monopol über Testsysteme gewinnen.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) etablierte den PISA-Test für den Bildungsbereich, dem gegenüber etablierte die WHO weltweit den PCR-Test. Nach seiner Ansicht ist der PISA-Test nicht in der Lage, zu bewerten, ob ein Bildungssystem gut oder schlecht ist; analog ist der PCR-Test nicht geeignet, den Gesundheitszustand der Bevölkerung zu bewerten.

Er führt weiter aus, dass der PISA-Test nicht Erkenntnisse bringen soll, sondern durch ihn neue Normen etabliert werden sollen. Das Credo war: „Wir müssen gut in PISA werden.“ Man scheiterte am PISA-Test nicht durch Mangel an Bildung, sondern einen Überschuss an Bildung. Schülerinnen und Schüler konnten ihr Wissen nicht unterbringen. Demgegenüber ist der PCR-Test insensitiv und unspezifisch auf das, was er diagnostizieren soll. Man wollte mit dem PISA-Test die Systeme schocken: Es gibt einen Test, der ungeeignet ist, ein negatives Testergebnis, das das Selbstverständnis erschütterte.

So war es in Deutschland der Fall, wo die Schulen anfangs sehr schlecht abgeschnitten haben. Parallel dazu wurde die Kontroverse über die Sinnhaftigkeit und Aussagekraft der PISA-Tests in der Wissenschaft zurückgedrängt. Es kommt nicht zur Lösung des Problems, sondern zur Ausbeutung, auch zur finanziellen Ausbeutung des Systems durch das Ausrollen einer neuen Agenda. Die PISA-Reformen hätten nicht das Bildungsproblem gelöst, sondern das System transformiert.

Transhumanismus: Claudia von Werlhof

Neue Normen und Standards sind Eintrittskarten in gewünschte Struktur- und Verhaltensänderungen. In Weiterführung der Analyse von Systemtransformationen von Matthias Burchardt und des kybernetischen Weltbildes, welches Andrea Komlosy zusammengefasst hat, beschäftigt sich die Soziologin und Politikwissenschaftlerin Claudia von Werlhof in einer kritischen Analyse mit dem Aufblühen transhumanistischer Ideen (von Werlhof, 2020). Der Transhumanismus erscheint in Anlehnung an bereits antike Ideen als besonders erstrebenswert. Es geht um den „schönen neuen Menschen“; wir würden viel intelligenter werden bis hin zur Unsterblichkeit. Die Medizin behandle seit Längerem den Menschen, als wäre er eine Maschine, und darüber hinaus, so ihre These, sollen im Transhumanismus die Menschen selbst zu Maschinen werden.

Die Maschine hat in ihrem klassischen mechanischen Sinne das Ziel, die vorhandene Welt durch eine bessere Welt zu ersetzen.

Die Methode dazu ist immer dieselbe: Das Vorgefundene wird in Einzelteile zerlegt, um dann neu zusammengesetzt zu werden, mit neuen Materialien zu einem neuen großen Werk. Das Vorgehen ist immer mechanistisch, weil man anders die Dinge nicht zerlegen kann. Das „Neue“ wäre, dass sowohl Materie als auch das Lebendige auf die allerkleinsten Einheiten heruntergebrochen werden, bis ins Atom hinunter — das betrifft die Nanotechnologie und das Genom des Menschen. Nanotechnologie, Biotechnologie und Künstliche Intelligenz arbeiten am selben Projekt, an der Neuerschaffung der Welt auf der Grundlage von totaler Zerstörung. Es entsteht ein riesiger Spielplatz mit Milliarden im Hintergrund.

Von Werlhof führt weiter aus, dass im Transhumanismus die Menschen mit dem Computer verschmelzen sollen. Offen bleibt die Energiefrage, um die Mensch-Maschine zum Laufen zu bringen. Der Körper mit seiner Lebensenergie dient als Bergwerk für Kryptowährungen, das Gehirn wird gebraucht, um Befehle auszuführen.

Das maschinelle Denken sei nicht nur in der Schulmedizin zu finden, sondern auch in der Digitalisierung und dem Internet der Dinge. Gemeinsam haben sie, dass alles unter Kontrolle gebracht werden soll zu einer Megamaschine. Sensoren im oder am Körper, Sensoren im Haus, Sensoren in der gesamten Infrastruktur. Alle, die teilnehmen, sind Information, egal ob Mensch oder Tier. Es fällt das gesamte Recht weg, das Menschenrecht, das Recht auf Leben, das Recht auf Kultur — die Utopie ist eine neue Maschine, in der wir alle enthalten sind. Das sind nicht nur Vorstellungen und Utopien, sondern das läuft bereits. Mit 5G soll diese neue Megamaschine funktionieren, die im Hintergrund der Pandemie weltweit auf der Erde und mit Satelliten im All ausgebaut wird. Der Great Reset hat die Funktion, alles zu fusionieren.

Von Werlhof sieht durch das derzeitige Herunterfahren aller menschlichen Aktivitäten eine „Dehumanisierung“, eine Art „Exorzismus des Lebendigen“.

Es geht um viel mehr als um die Eindämmung einer Pandemie, es geht um den Umbau der ganzen Gesellschaft. Es geht darum, eine neue Zivilisation zu errichten.

Wenn schon ein Umbruch stattfindet, dann solle man sich überlegen, in welche Richtung das geht, und nicht auf diese Maschinisierung hereinfallen. Diese würde alles blockieren, der Umbruch, der Reset, müsse neu diskutiert werden. Man müsse lernen, wie man unterscheiden kann, was propagiert wird und was dies in der Realität bedeutet. Klaus Schwab vom Weltwirtschaftsforum „belobhudelt“, wie sie sagt, die neue Welt nur. Es wird aber nicht gesagt, wie es gemacht wird und für wen es nützlich oder schädlich ist, es ist ein ideologisches Machwerk.

Das unmögliche Dreieck: Dani Rodrik

Als Einschub in die Debatte um die Einführung neuer Technologien als Leitsektoren eines zukünftigen Wirtschaftszyklus soll in allgemeiner Form auf das globale Spannungsfeld unterschiedlicher Wirtschaftsstrukturen eingegangen werden.

Der Harvard-Ökonom Dani Rodrik spricht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung das Problem zwischen globalen Märkten und regionalen Demokratien an (Braunberger, 2011). Freihandel und Globalisierung seien nicht automatisch von Vorteil. Nationale Selbstbestimmung, Demokratie und Hyperglobalisierung seien nicht miteinander vereinbar. Rodrik nennt es das „fundamentale politische Trilemma der Weltwirtschaft“. Globale Märkte bräuchten ein globales staatliches Regelwerk, um auf Dauer zu funktionieren. Es existiere jedoch keine Weltregierung, da die Menschen nicht bereit wären, die dafür notwendigen Kompetenzen zu übertragen.

Wenn die Globalisierung weitergeführt werden soll, muss entweder die nationale Selbstbestimmung oder die demokratische Politik aufgegeben werden.

Zur Erhaltung der Demokratie muss zwischen dem Nationalstaat oder der globalen wirtschaftlichen Integration gewählt werden. Werden der Nationalstaat und seine Selbstbestimmung vorgezogen, muss zwischen der Vertiefung der Demokratie oder der Vertiefung der Globalisierung gewählt werden.

Rodrik favorisiert eine „Globalisierung mit Augenmaß“, die er auch als „Kapitalismus 3.0“ bezeichnet. Es sollen maßvolle Handelsbeschränkungen geschaffen und darauf verzichtet werden, anderen Ländern die eigene Ordnung aufzuzwingen.

Zehn Jahre nach Erscheinen seines Artikels stehen wir an der Schwelle zu entscheiden, welchen Weg wir in Zukunft gehen werden.

Imperialismus der Philanthropen: Vandana Shiva

Als letzte der sechs Stimmen, die in meinem Beitrag präsentiert werden, hat sich die indische Physikerin, Wissenschaftsphilosophin und Globalisierungskritikerin Vandana Shiva öffentlich (Transcend, 2020) mit deutlichen Worten gegen den, wie sie sagt, „heimtückischen Great Reset“ ausgesprochen, der uns von Klaus Schwab, Bill Gates und dem Rest der globalen kapitalistischen Elite aufgezwungen wird. Vandana Shiva kämpft seit Jahrzehnten gegen die globale Ausbeutung und die weltweite Zerstörung kleinstrukturierter, nachhaltiger Landwirtschaft zugunsten von Großkonzernen wie Monsanto und Bayer.

Nach Shiva geht es beim Great Reset um die Ermächtigung und Aufrechterhaltung der konzerngeführten, maschinellen Ausbeutung der Welt und um den Privatbesitz von Leben: „The Great Reset is about maintaining and empowering a corporate extraction machine and the private ownership of life.“

Sie bezieht sich vor allem auf die, wie sie sagt, „hinterhältige“ Rolle von Bill Gates im Angriff der Technokraten auf Nahrungsmittelproduktion und Natur und nennt es den „Imperialismus der Philanthropen“. Gates tritt als der aufstrebende Kolumbus des digitalen Zeitalters hervor und versucht, als Nachfolger von Monsanto eine neue Gentechnologie global auszurollen.

Shiva sagt weiter:

„Wir haben erlebt, wie die Grüne Revolution und das Modell der industriellen Landwirtschaft gescheitert sind, Wälder ausgelöscht, das Land in eine Monokultur verwandelt, Verschmutzung und Krankheiten verursacht sowie natürliche Ressourcen und Lebensgrundlagen zerstört wurden. Trotzdem hat Gates, während wir nach besseren Möglichkeiten der Landwirtschaft suchen, die Grüne Revolution in Afrika vorangetrieben. Er scheint zu ungeduldig zu sein, um sich mit der Komplexität der natürlichen Welt und der Biodiversität auseinanderzusetzen. Er übernimmt die Kontrolle über die Saatgutbanken der Welt, übernimmt die Kontrolle über Genmerkmale durch Gen-Editing und versucht, das Klima durch Geo-Engineering zu kontrollieren.“

Sie wirft dem Weltwirtschaftsforum vor, uns eine „Fake-Wissenschaft“ vorzuführen — mit der Betonung auf gentechnisch veränderte Lebensmittel, im Labor hergestellte Proteine und Pharmazeutika und Industriechemikalien als „nachhaltige Lösungen“.

„Beim Great Reset geht es darum, dass die Interessenvertreter der multinationalen Unternehmen auf dem Weltwirtschaftsforum so viele Elemente des planetarischen Lebens kontrollieren, wie sie können; von den digitalen Daten, die Menschen produzieren, bis hin zu jedem Bissen Nahrung, den wir essen.“

Ein neues Narrativ!

In den vorangegangenen Ausführungen wurde eine Auswahl warnender, aufklärender und angstvoller Stimmen namhafter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu den Themen der Weltwirtschaftskrise, des kybernetischen Zeitalters, des Transhumanismus und der Rolle der globalen Milliardärseliten im Zusammenhang mit dem geplanten Great Reset des Weltwirtschaftsforums zusammengefasst.

Klaus Schwab, Bill Gates und weitere Vertreter des WEF träumen von einer neuen „grünen“, gerechten und nachhaltigen durchdigitalisierten Welt nach dem Great Reset, den sie selbst inszenieren oder herbeisehnen oder einfach vorhersehend abwarten. Vielleicht wird uns diese schöne neue Welt auch nur vorgegaukelt — von Menschen, die so viel Geld haben, dass sie sich alles kaufen können, was sie wollen, von Medien und Lobbyisten bis hin zu Unternehmen, Politikern oder ganzen Regierungen.

Der WEF-Gründer Klaus Schwab schreibt: „Viele von uns fragen sich, wann sich die Dinge wieder normalisieren werden. Die kurze Antwort lautet: niemals. Nichts wird jemals wieder so sein wie zuvor.“ Diese Phrase ist ein Narrativ, eine Geschichte, ein Dogma, welches uns anhaltend und alternativlos in unterschiedlicher Ausführung medial erzählt wird.

Wie kann es anders weitergehen?

Wir können jederzeit eine neue Geschichte erfinden, ein neues Narrativ kreieren und weitertragen. Es gibt auf der ganzen Welt viele Menschen mit Ideen und Alternativwegen, wie eine nachhaltige, gerechte und gesunde Gesellschaft funktionieren kann — auch unter Einbeziehung der neuen Technologien des digitalen Zeitalters.

Als Beispiel sei Vandana Shiva genannt, die als Pionierin in Indien viele nachhaltige ökosoziale Projekte entwickelt hat. Es gibt die Bewegung des „Degrowth“ (Degrowth, 2021), die eine Verringerung von Produktion und Konsum zugunsten von Entschleunigung, Zeitwohlstand und Konvivialität — ein gemeinschaftliches und geselliges Zusammensein — anstrebt.

Ein weiterer Pionier, der schon fast in Vergessenheit geraten ist, ist der deutsche Ingenieur Rudolf Diesel, der nicht nur einen effizienten Motor erfunden, sondern auch ein genossenschaftliches solidarisches Wirtschaftsmodell entwickelt hat (Diesel, 1903).

Wir sollten jetzt solche Ideen wieder aufgreifen und weiterentwickeln sowie einen breiten wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs starten.

Zum Abschluss soll noch einmal das zitierte Statement zu Anfang des Aufsatzes in Teil 1 aufgegriffen und in einen anderen Kontext gestellt werden — der Beginn eines neuen Narrativs:

Bild


Quellen und Anmerkungen:

Braunberger, Gerald (2011): Rodriks unmögliches Dreieck. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.3.2011 online. https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/wirtschaft/rodriks-unmoegliches-dreieck-1612995.html (abgerufen: 4. Januar 2021).
Burchardt, Matthias (2020). 24. Sitzung der Stiftung Corona Ausschuss, Oval Media.
https://corona-ausschuss.de/sitzungen/; https://live.oval.media/ (abgerufen: 4. Januar 2021).
Degrowth (2021): New Roots for the economy. https://www.degrowth.info/ (abgerufen: 4. Januar 2021).
Diesel, Rudolf (1903): Solidarismus: natürliche wirtschaftliche Erlösung des Menschen. München und Berlin. Druck und Verlag von R. Oldenburg. 1903. Original-Scan: Digitale Bibliothek Universität Innsbruck: https://diglib.uibk.ac.at/ulbtirol/content/structure/3785404 (abgerufen: 4. Januar 2021).
EC-European Commission (2020): European ‚1+ Million Genomes' Initiative. Last update: 18 December 2020. https://ec.europa.eu/digital-single-market/en/european-1-million-genomes-initiative (abgerufen: 4. Januar 2021).
JHU-Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health, Center for Health Security (2019): Event 201. https://www.centerforhealthsecurity.org/event201/ (abgerufen: 4. Januar 2021).
Komlosy, Andrea (2020): Coronakrise: Schützenhilfe für einen organisierten Kapitalismus. Bericht und Video-Mitschnitt der Juni-Sitzung 2020 des Plenums der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin (Videokonferenz) am 18. Juni 2020.
Microsoft Technology Licensing, LLC (Applicant) (2020): Cryptocurrency System Using Body Activity Data. World Patent WO/2020/060606.
Transcend Media Service (2020): Brave Vandana Shiva Speaks Out against the Great Reset. Transcend Media Service, Solutions-Oriented Peace Journalism. 30. November 2020 https://www.transcend.org/tms/2020/11/brave-vandana-shiva-speaks-out-against-the-great-reset/ (abgerufen: 4. Januar 2021).
Von Lüpke. M., Harms, F. (2020): „Im schlimmsten Fall kollabiert unsere Weltordnung.“ Interview von Marc von Lüpke und Florian Harms mit Yuval Noah Harari; t-online, 23. Oktober 2020.
Von Werlhof, Claudia (2020). 29. Sitzung der Stiftung Corona Ausschuss, Oval Media.
https://corona-ausschuss.de/sitzungen/; https://live.oval.media/ (abgerufen: 30. November 2020).
Wikipedia (2021): Kondratjew-Zyklus. https://de.wikipedia.org/wiki/Kondratjew-Zyklus (abgerufen: 4. Januar 2021).
Zuboff, Shoshana (2018): Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus. Campus-Verlag, 2018, 727 Seiten.


Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.

Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen.