„Katastrophale Belastungen“
Kurz nach dem Mauerfall beschloss die DDR-Regierung unter Hans Modrow, eine deutsch-deutsche Umweltkommission zu gründen. Erstmals tagte diese im Februar 1990. Luft, Gewässer und Böden seien „zum Teil katastrophal belastet“, fasste das BRD-Kabinett unter Helmut Kohl (CDU) drei Monate später mit Blick auf die von der Kommission erhobenen Daten zusammen.
Danach konzentrierten sich mancherorts bedenkliche Mengen Schadstoffe in der Luft. Die Werte für die Emissionen von Schwefeldioxid und Staub lagen im Schnitt um ein Vielfaches höher als auf dem Gebiet der damaligen Bundesrepublik. In den Industriegebieten häuften sich Atemwegs- und Hauterkrankungen, hieß es. Viele Wälder wiesen starke Schäden auf.
Auch wurde ein großer Teil der Abwässer ungeklärt in Flüsse oder Seen geleitet. Laut Kommission war gerade einmal jeder dritte Haushalt an eine Kläranlage angebunden. Im alten Bundesgebiet seien dies damals gut 90 Prozent gewesen. Die Elbe galt als einer der am stärksten belasteten Flüsse Europas.
Die meisten der rund 13.000 Müllkippen waren demnach „wild“, wurden also ohne Rücksicht auf Umweltschäden betrieben. Vor allem militärische und industrielle Altlasten hatten vielerorts die Böden vergiftet. Durch den Abbau der Braunkohle und die intensive Landwirtschaft erodierte der Boden. Die Förderung von Uranerz durch die SDAG Wismut sorgte für eine hohe Strahlenbelastung.
Repariert und wiederverwertet
Dem entgegen steht scheinbar die Selbstverpflichtung der DDR. So hatte sie in ihrer Verfassung schon 1968 als eines der ersten Länder weltweit festgeschrieben: „Im Interesse des Wohlergehens der Bürger sorgen Staat und Gesellschaft für den Schutz der Natur.“ Im Jahr 1972 gründete die DDR als internationale Vorreiterin ein Umweltministerium. Wie passt das zusammen?
Zunächst: Es gab durchaus eine fortschrittliche Seite der DDR-Umweltpolitik. Wer dort aufgewachsen ist, dem ist das Sero-System — „Sero“ war die Abkürzung für Sekundärrohstoffe — wohl bekannt. Die Lehrer hielten schon Erstklässler dazu an, Glas, Altpapier und Metalle zu sammeln. An dafür eingerichteten Stellen konnten sie es gegen kleines Geld abgeben. Kindercliquen, die mit Handwagen unterwegs waren, um Zeitungsbündel und Gläser einzusammeln, waren überall zu sehen. Hinzu kam ein umfassendes Pfandsystem. Selbst die Milch wurde in den 1980er Jahren in Pfandflaschen verkauft. Die DDR-Wirtschaft fußte auf Wiederverwertung.
Auch die Haltbarkeit von Konsumgütern — von Möbeln bis hin zu elektronischen Geräten — übertraf die der westdeutschen Waren nicht selten um ein Vielfaches. Die Menschen nutzten die Produkte länger, ließen sie immer wieder reparieren. Dem entgegen stand die westdeutsche Wegwerfgesellschaft zum Zweck der ungebremsten Profitmaximierung in die Taschen der Aktionäre und Konzernbesitzer.
Ebenso schaffte es die DDR, ein ökologisch vorteilhaftes Fernwärmesystem aufzubauen. Viele Haushalte waren daran angeschlossen. Der Staat versorgte sie über Rohrsysteme mit Wärme aus Kraftwerken. So nutzte man die Energie wesentlich effizienter, als dies im Westen der Fall war. Außerdem legte der Staat großen Wert darauf, möglichst viele Flächen unbebaut zu lassen und zu Naturschutzgebieten zu erklären.
Fehlende Rohstoffe, kaum Industrie
Sowohl die (extrem) negativen als auch positiven Aspekte der DDR-Umweltpolitik können nicht unabhängig von den ökonomischen Bedingungen als Lebensgrundlage der Menschen betrachtet werden. Wir müssen den Zustand nach dem Zweiten Weltkrieg, die imperialistische Embargopolitik und die Vorkommen eigener Rohstoffe in die Ursachenforschung einbeziehen.
Das Territorium der sowjetischen Besatzungszone war zum einen durch den Krieg weit drastischer zerstört, als dies im Westen der Fall war. Die Sowjetunion hatte kriegsbedingt mit eigenen Verlusten und tiefgreifenden Verwerfungen zu kämpfen, sodass an Hilfen — wie sie der Westen durch die USA erhielt — nicht zu denken war.
Zum anderen fehlten wichtige Rohstoffe wie Eisenerze und Steinkohle fast vollständig. Eine nennenswerte Schwerindustrie war nicht vorhanden. Von der Vorkriegsproduktion im Deutschen Reich von Roheisen entfiel nur etwas mehr als ein Prozent auf dieses Gebiet, bei Stahl waren es knapp sieben Prozent. Der Anteil an der Steinkohleförderung betrug etwa zwei Prozent. Bei ihrer Gründung 1949 besaß die DDR nur ein einziges Hüttenwerk mit vier technisch komplett veralteten Hochöfen, während die BRD über mehr als hundert moderne Hochöfen verfügte. Vor 1945 erhielt der Osten rund 7,5 Millionen Tonnen Steinkohle sowie zwei Millionen Tonnen Eisen und Stahl pro Jahr aus dem Ruhrgebiet. All dies fiel fast vollständig weg.
Außerdem musste die DDR erhebliche Leistungen zur Wiedergutmachung, vor allem an die Sowjetunion und die Volksrepublik Polen, erbringen. Diese Kriegsfolgen verschärften die wirtschaftliche Lage der DDR massiv. Trotzdem musste das Land zunächst vor allem eins: Eine 16- bis 17-Millionen-Bevölkerung versorgen.
Kalter Wirtschaftskrieg
Schon aus diesem Grund war die DDR an einem reibungslosen Handel mit der BRD interessiert. Sie strebte sogar perspektivisch eine Wiedervereinigung an. Doch die imperialistischen Westmächte schwenkten auf den Kurs des Kalten Krieges. Mit einer harten Embargopolitik erhöhten sie den wirtschaftlichen Druck, hinzu kamen gezielte Störmaßnahmen. Man wollte das kleine Land, das den sozialistischen Weg zu gehen versuchte, in die Knie zwingen und für den Markt zurückerobern.
Der Kalte Krieg begann bereits vor der Gründung der DDR. Westdeutsche Konzerneigner verlegten möglichst große Teile ihres Betriebseigentums. In der sowjetischen Besatzungszone dennoch produzierte Güter verließen zuhauf auf Schmuggelwegen das Territorium. Konzerne lockten ostdeutsche Fachleute mit hohen Gehältern, teilweise setzten die diese auch unter Druck, viele verließen den sowjetischen Sektor. Die Ruhrnachrichten prognostizierten kurz nach der Gründung der DDR zynisch, das Land werde das Jahr 1950 nicht erleben.
Schließlich schwenkten die Westmächte mit der Gründung der NATO endgültig hin zum Wirtschaftskrieg, zum einen über Preispolitik und Boykotts, zum anderen über die sogenannte „Treuhandstelle für Interzonenhandel“ als Handelspuffer.
Ein von der DDR gesetzlich verankertes und von der BRD gefordertes innerdeutsches Handelsschutzrecht verweigerte der Westen und operierte stattdessen mit diversen Durchführungsverordnungen und Erlassen. Besonders aggressiv eiferte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gegen den Handel mit der DDR. Dieser und weitere Industrielle gaben den Ton an.
Bereits 1950 führten die USA sogenannte Embargolisten in der BRD ein. In „Dienststellen der Wirtschaftsabwehr“ wurden Sabotagepläne ausgearbeitet. Die ohnehin schon stark reglementierte Interzonenhandel brach gewollt immer stärker ein. Das Stahlembargo zum Beispiel sollte die Entwicklung der Schwerindustrie in der DDR massiv behindern. Nach eigener Aussage wollten die Westmächte den Lebensstandard im Osten zum Sinken bringen und so konterrevolutionäre Umsturzbewegungen fördern.
Mangel und Vorrang der Versorgung
In der Folge mangelte es an Rohstoffen aller Art für so gut wie jede Industrie beziehungsweise bereits für den Aufbau einer solchen. Das heißt: Die DDR war gezwungen, als oberstes Ziel die Versorgung der Bevölkerung zu deklarieren. Genügend Energie musste erzeugt, Nahrungsmittel mussten angebaut und hergestellt sowie Güter des täglichen Bedarfs irgendwie produziert werden. Die Lausitzer Braunkohle und Ackerflächen wurden zu den wichtigsten Rohstoffen in der DDR.
Wenngleich menschliche Fehler mit Gewissheit auch eine Rolle spielten, so muss der Kalte Krieg des Westens dennoch als Hauptgrund für die desaströse ökologische Bilanz angesehen werden.
Damit war die DDR-Wirtschaft aber zugleich gezwungen, auf Haltbarkeit zu produzieren. Wohingegen langlebige Güter dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell komplett entgegenstehen. Privateigentümer von Produktionsmitteln müssen möglichst viel und immer mehr Waren verkaufen, da sie ein einziges Ziel haben: Profitmaximierung.
In der DDR gab es kein nennenswertes Privateigentum an Produktionsmitteln. Der Aspekt der Profitmaximierung in private Taschen fiel weg, der Mehrwert verschwand nicht in den Taschen weniger Reicher, sondern landete beim Staat. Nur deshalb konnte die DDR-Regierung trotz aller Reparationen, Embargos und des Zwanges, Devisen für den Handel zu beschaffen, binnen weniger Jahre ein Sozialsystem errichten, das bis heute seines gleichen sucht.
Aus Fehlern lernen
Hätte die DDR aber trotz der Versorgungszwänge mehr Umweltschutz betreiben können? Die Antwort heißt wahrscheinlich Ja. Deshalb müssen die Fehler der DDR-Politik genauso kritisch beleuchtet werden, wie die so propagandistische wie demagogische Verknüpfung von Umweltdesaster und Sozialismusversuch. Nur aus dem Anerkennen von Fehlern kann ein Lernprozess entstehen.
Definitiv hätte die DDR mehr in die Renaturierung sowie das Auffangen und Aufbereiten von Abwässern investieren müssen. Großteils unbegründet war auch ihr diktatorischer Umgang mit Umweltbewegungen, die sich in den 1970er Jahren herausgebildet hatten. Die Staatssicherheit bewachte die Gruppen und Aktivisten nicht nur, sondern behinderte auch massiv ihre Arbeit.
Natürlich gab es unter diesen Umweltaktivisten nicht wenige, die zugleich politisch opponierten. Wohl rechtfertigte das nicht das insgesamt wenig differenzierte, repressive Vorgehen gegen alle Engagierten. Viele Kritiker der Umweltpolitik waren wahrscheinlich nicht einmal gegen den Sozialismus-Versuch. Ähnlich zeigte sich dies ja auch 1989, als die meisten „Oppositionellen“ sich lediglich für eine demokratischere DDR aussprachen. Eins muss man festhalten: Die Führung vermied zusehends den Diskurs mit der Bevölkerung.
Zu kritisieren ist ebenso der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), den der sogenannte Ostblock 1949 als sozialistisches Pendant zum Kalten Krieg unter Führung der Sowjetunion gegründet hatte. Der RGW erfüllte seine zu Anfang anvisierten Ziele in den 40 Jahren nicht:. Nie kam es zu demokratisch erarbeiteten Wirtschaftsplänen, um den Aufbau eines einheitlichen Wirtschaftsgebiets zu forcieren. Egoistische Ziele der einzelnen Staaten blieben vordergründig.
Ein Minizeitfenster
Auch 30 Jahre nach dem Mauerfall sehen wir noch immer gravierende Unterschiede zwischen Ost und West. Geringere Löhne, niedrigere Renten und weniger Perspektiven für Lohnabhängige statt Kohls versprochenen „blühenden Landschaften“ sind Teil der kapitalistischen Agenda. Und die kapitalistische Privatwirtschaft opfert gerade unserer Umwelt für ihre gigantische Profitmaximierungsmaschine.
Sinnbildlich gesprochen sind 30 Jahre nur ein Katzensprung. 40 Jahre DDR sind kaum mehr. Man darf nicht vergessen, dass die DDR aus einem zerbombten, ökonomisch fast komplett zerstörten Land entstanden war, das viele Jahre damit zu kämpfen hatte, seiner Bevölkerung überhaupt eine Grundversorgung zu sichern. Es mangelte an allem. Die Wissenschaft und das Umweltbewusstsein waren längst nicht so weit entwickelt wie heute — auch im Westen nicht. Die Bedingungen, verschärft durch den Kalten Krieg, waren mehr als dürftig.
Utopisch ist es, anzunehmen, man hätte unter diesen Bedingungen einen perfekten, ökologischen Sozialismus aufbauen können. Zumal sich die wenigen Länder, die den Sozialismusversuch gewagt hatten, entscheiden mussten zwischen einem ökonomischen Rückfall ins Mittelalter und einer Anbiederung an den sie umgebenden kapitalistischen Markt. Stalins These, wonach Sozialismus in einem einzelnen Land inmitten einer imperialistischen Profitwirtschaft möglich und zu halten sei, hat sich als Demagogie entpuppt. Schon aus diesem Grunde ist Internationalismus unabdingbar für eine fortschrittliche Bewegung gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur durch die Klasse der Kapitalisten.
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