Der große Krieg gegen den Irak, den die USA im März 2003 mit der Bombardierung von Bagdad begonnen hatten und der — je nach Quellen — zwischen 500.000 und 1,1 Millionen Menschen das Leben gekostet hat, ging wesentlich um den Fortbestand des US-Dollars als Weltleitwährung. Iraks Präsident, Saddam Hussein, hatte drei Jahre zuvor entschieden, künftig alle Energieexportgeschäfte nicht mehr in US-Dollar abwickeln zu wollen. Auch der westliche Angriff auf Libyen im März 2011 diente der Beseitigung eines Dollar-Abtrünnigen. Revolutionsführer Muammar Gaddafi war drauf und dran, seine Pläne für einen afrikanischen Gold-Dinar zu verwirklichen, der sowohl dem postkolonialen, an den Euro gebundenen CFA-Franc als auch dem US-Dollar zugesetzt hätte.
Wo immer der Dollar in Gefahr stand, seine Monopolfunktion als internationales Zahlungsmittel zu verlieren, waren US-Marine und NATO-Einheiten zur Stelle, um den Glauben an ihn wiederherzustellen.
Mit dem wirtschaftlichen Aufstieg Chinas und der 2015 von der chinesischen Zentralbank beschlossenen schrittweisen Entkoppelung des Yuan vom Dollar sowie den immer erfolgreicheren Bemühungen Pekings, die eigene Währung zu internationalisieren, fordert der bevölkerungsreichste Staat der Erde Washington offen heraus. Die antichinesische Politik Donald Trumps, der den im wirtschaftlichen Abschwung befindlichen USA mit protektionistischen Maßnahmen begegnen wollte und China zum Feind erkor — wobei die China-Politik durch seinen Nachfolger Joe Biden beibehalten wird —, ist Ausdruck dieser geänderten Kräfteverhältnisse.
Diese sich aus der wirtschaftlichen Schwäche ergebende Machtverschiebung schlägt sich freilich auch im geopolitischen Tableau nieder. Darüber kann auch die rasante Osterweiterung der NATO nicht hinwegtäuschen, die seit 1999 um 14 auf 30 Staaten angewachsen ist. Doch gerade diese Erweiterung rief Russland auf den Plan, das sich verständlicherweise davon bedroht sieht. Das Jahr 2008 sah eine wesentliche Zäsur im Verhältnis zwischen dem transatlantischen Bündnis und Moskau. Beim NATO-Gipfel in Bukarest Anfang April 2008 wurde Georgien und Ukraine die Mitgliedschaft versprochen. Dabei handelte es sich nicht um ein vages Angebot, sondern um eine Zusicherung, die nur mehr eines konkreten Datums bedurfte. Dieses Versprechen in der Tasche, ließ der georgische Präsident Michail Saakaschwili nur wenige Monate später, im August 2008, seine Truppen aufmarschieren, um die seit Anfang der 1990er Jahre abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien gegen deren Willen in den georgischen Staatsverband zu reintegrieren.
Sein militärisches Abenteuer misslang, Russland stand Südossetien und Abchasien in deren Drang nach Unabhängigkeit zur Seite. Die NATO-Mitgliedschaft Georgiens und der Ukraine wurde in der Folge auf die lange Bank geschoben, Berlin unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel erwies sich als Bremsklotz für die militärische Erweiterung des westlichen Bündnisses in Richtung Ukraine und Georgien. Das Versprechen an Tiflis und Kiew war damit gebrochen.
Im Februar 2010 reagierten die Ukrainer und Ukrainerinnen daraufhin mit der Wahl des eher Russland-freundlichen Wiktor Janukowitsch zum Präsidenten. Als dieser aus Gründen der ökonomischen Vernunft — Stichwort: Preis für russisches Gas — im November 2014 das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union verschieben wollte, nutzten Washington und Brüssel jugendliche Proteste auf dem Kiewer Majdan für einen Regimewechsel. Vom Westen bis heute nicht zur Kenntnis genommen, war damit das Schicksal der Ukraine als „failed state“ besiegelt. Die Krim wurde russisch, und im industriellen Herzstück des Landes, dem Donbass, übernahmen lokale pro-russische Sezessionisten — nicht zuletzt mit Hilfe Moskaus — das Regierungsruder.
Im Jahr 2021 erfolgte dann jener verhängnisvolle Personalwechsel dies- und jenseits des Atlantiks, der in Washington und Berlin Kriegsrhetorik aufflammen ließ.
Der alte Russland-Hasser Joe Biden und die bellizistische sozialdemokratisch-grüne Berliner Truppe redeten sich selbst und auch den Kreml in einen Krieg hinein, der allen dreien keinen Vorteil bringt.
Im Gegenteil: Mit dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine, der aus einem Bürgerkrieg einen internationalen Konflikt machte, erhielten die NATO und die USA die Antwort auf das gebrochene Versprechen an Kiew aus dem Jahr 2008. Und beide bestätigten auch sogleich, sich in keine direkte militärische Konfrontation mit Moskau begeben zu wollen.
Die derzeitige, sich beschleunigende Verschiebung des wirtschaftlichen und geopolitisch-militärischen Machtzentrums in der Welt wird in unseren Breiten entweder als solche gar nicht oder nur widerwillig wahrgenommen. Die Ukraine ist zum Schauplatz des Kampfes um Hegemonie zwischen dem absteigenden und dem aufsteigenden Zentrum, zwischen den USA und China, geworden. Wir sind Zeugen eines Stellvertreterkrieges zwischen dem alten und dem neuen Hegemon. In der kriegerischen Konstellation werden die Schwächen des alten und die Stärken des kommenden Zentrums deutlich. USA und NATO, geschweige denn die Europäische Union, sind nicht in der Lage, ihrem Schützling — Kiew — entsprechenden Schutz zu gewähren. Auf der anderen Seite fließt russisches Blut für chinesische Vorherrschaft beziehungsweise — von Moskau aus betrachtet — für eine russisch-chinesische Partnerschaft, in der Moskau die Rolle des militärischen Flankenschutzes und des Energielieferanten zufällt.
Wie stark der transatlantische Blick auf den Krieg um die (Rest-)Ukraine und die eigenen, gegen Russland ausgerufenen Sanktionen getrübt ist, zeigt die Wirklichkeit außerhalb der westlichen Blase. Dort haben jeweils stark miteinander verfeindete Länder wie Indien und Pakistan oder der Iran und Israel einträchtig die Sanktionspolitik gegen Russland zurückgewiesen und sich nicht auf den Kurs Washingtons vergattern lassen.
Dazu kommt, dass sich ausgerechnet die der westlichen Allianz bislang wohlgesonnenen und von ihr gehätschelten arabischen Autokraten wie die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien im Schatten des Ukraine-Krieges vom Westen emanzipieren. Und Syriens Präsident Baschar al-Assad traf sich in Dubai mit dem starken Mann der Scheichs, Abu Dhabis Kronprinz Muhammad bin Zayed Al Nahyan, um eine Wiederannäherung Syriens an die Arabische Liga und neue wirtschaftliche Bande zu besprechen. Es war das erste Mal seit elf Jahren, dass Assad eine solche diplomatische Initiative gelang. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman wiederum gab zur selben Zeit zu Protokoll, dass künftig Öl aus seinem Königreich nach China nicht mehr in US-Dollar, sondern in chinesischen Yuan verrechnet wird. Ein Doppelschlag aus dem arabischen Raum, der dem Westen seine schrumpfende Bedeutung drastisch vor Augen führt.
Auch Israel, von manchen als 51. Bundesstaat der USA tituliert, will im Stellvertreterkrieg zwischen der atlantischen Allianz und der Ukraine auf der einen und China und Russland auf der anderen Seite nicht Position beziehen und bleibt neutral. Angesichts seiner bisherigen finanziellen Abhängigkeit von Washington ein starkes Zeichen für die Schwäche der USA.
Jenseits der Geopolitik bricht sich die chinesisch-russische Allianz auch im Alltag vieler Menschen Bahn. Befeuert durch die westlichen Wirtschaftssanktionen gegen Russland, deren Dimension präzedenzlos ist — mit der transatlantischen Blockade der russischen Zentralbank verliert Moskau den Zugriff auf geschätzte 460 Milliarden US-Dollar —, hat sich der russische Zahlungsmittelmarkt in wenigen Wochen umorientiert. Anstelle von „Visa“ und „Mastercard“ steckt nun die Kreditkarte „UnionPay“ in der Börse jeder Einkäuferin und jedes Einkäufers. CUP, so die Abkürzung der Marke „UnionPay“, ist eine Kreditkartenorganisation unter der Aufsicht der chinesischen Zentralbank.
Hannes Hofbauer „ Feindbild Russland: Geschichte einer Dämonisierung“
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