Am 9. April 2019 beschrieb die palästinensische Seite IMEU einen Artikel, der bereits im Jahr 2017 in der Zeitung Haaretz erschienen war. Der Text erinnerte an ein Ereignis, das vor nun 72 Jahren stattgefunden hatte, als zionistische Milizen in der Stadt Deir Yassin ein Massaker an Palästinensern begingen. Zeugenaussagen darüber sammelte die Filmemacherin Neta Shoshani. Die Zeugen beschreiben die schrecklichen Verbrechen, die an palästinensischen Männern, Frauen und Kindern begangen wurden. Der Trailer zum Film ist auf Youtube verfügbar (1).
„Zeugenaussagen aus dem zensierten Deir-Jassin-Massaker: ‚Sie stapelten Körper und verbrannten sie.‘ Ein junger Mann, der an einen Baum gefesselt und angezündet wurde. Eine Frau und ein alter Mann, denen in den Rücken geschossen wurde. Mädchen stellten sich an eine Wand und wurden mit einem Schnellfeuergewehr erschossen. Die von der Filmemacherin Neta Shoshani gesammelten Zeugnisse über das Massaker von Deir Yassin sind auch 70 Jahre nach der Tat schwer zu verarbeiten.
Seit zwei Jahren liegt im Archiv der Vereinigung zur Erinnerung an das Erbe von Lehi — den Kämpfern für die Freiheit Israels — ein Dokument, das schwer zu lesen ist. Es wurde von einem Mitglied der damaligen Untergrundorganisation vor etwa 70 Jahren geschrieben. Die Lektüre könnte eine blutende Wunde aus den Tagen des Unabhängigkeitskrieges wieder öffnen, die bis heute große Emotionen in der israelischen Gesellschaft hervorruft.
‚Letzten Freitag, zusammen mit Etzel‘ — das Akronym für die Nationale Militärorganisation, auch bekannt als Irgun, eine weitere vor-staatliche Untergrundorganisation, angeführt von Menachem Begin — ‚führte unsere Bewegung eine gewaltige Operation durch, um das arabische Dorf an der Straße Jerusalem-Tel Aviv — Deir Yassin zu besetzen. Ich habe an dieser Operation auf die aktivste Weise teilgenommen‘, schrieb Yehuda Feder, dessen Name im Krieg (…) ‚Giora‘ war.
Im weiteren Verlauf des Schreibens beschreibt er ausführlich seine Rolle bei dem Massaker, das dort stattfand. ‚Dies war das erste Mal in meinem Leben, dass durch meine Hände und vor meinen Augen Araber fielen. Im Dorf tötete ich einen bewaffneten Araber und zwei 16- oder 17-jährige arabische Mädchen, die dem Araber halfen, der schoss. Ich stellte sie an eine Wand und erschoss sie mit zwei Schuss aus der Tommy-Kanone‘, schrieb er und beschrieb, wie er die Hinrichtung der Mädchen mit einer Maschinenpistole durchführte.
Außerdem erzählt er von der Plünderung des Dorfes mit seinen Freunden, nachdem es besetzt war. ‚Wir haben eine Menge Geld beschlagnahmt und Silber- und Goldschmuck fiel uns in die Hände‘, schrieb er. Er schließt den Brief mit den Worten ab: ‚Das war eine wirklich gewaltige Operation, und es hat seinen Grund, dass die Linke uns wieder beschimpft‘“ (2).
Der Haaretz-Artikel berichtet, dass dieser Brief eines der historischen Dokumente wäre, die in einer Dokumentation von der Regisseurin Neta Shoshani mit dem Titel „Born in Deir Yassin“ (Geboren in Deir Yassin) gezeigt werden. Shoshani hatte Jahre damit zugebracht, die Ereignisse zu erforschen, die als dunkle Flecken der Gründung Israels noch viel zu wenig bekannt sind.
Vor der Premiere des Films beim Filmfestival von Jerusalem im Jahr 2017 hatte Shoshani Haaretz die Aussagen gezeigt, die sie über den Vorfall gesammelt hatte. Die Arbeit hätte Jahre gedauert, Recherchen in Archiven und lange Interviews mit den letzten Überlebenden der Aktion erfordert. Einige der Zeugen hätten zum ersten Mal über den Vorfall mit ihr gesprochen und damit ein Schweigen gebrochen, welches über Jahrzehnte gehalten hätte.
Der Angriff, so der Film, über den Haaretz berichtet, begann am Morgen des 9. April 1948, als Teil der Operation Nachshon, um die Blockade der Straße nach Jerusalem zu durchbrechen. Es waren ungefähr 130 Kämpfer von Lehi und Irgun, die von der Haganah, der Armee Israels vor der Unabhängigkeitserklärung, unterstützt wurden. Die Kämpfer trafen auf Widerstand und arbeiteten sich langsam die Dorfstraßen vor, während sie Granaten in die Häuser warfen oder sie sprengten.
Vier der angreifenden Kämpfer wurden getötet, dutzende verwundet. Die Zahl der arabischen Einwohner, die getötet wurden, und die Umstände ihres Todes, waren viele Jahre kontrovers diskutiert worden. Aber die meisten Historiker waren sich einig, dass die 110 Einwohner, darunter Frauen, Kinder und alte Menschen, dort vor Ort getötet wurden.
„‚Sie rannten wie die Katzen‘, erzählte der Kommandant der Operation, Yehoshua Zettler, der Jerusalemer Kommandant von Lehi, als er beschrieb, wie die Araber aus ihren Häusern flohen. Shoshani interviewte ihn 2009, wenige Wochen vor seinem Tod. Zettler leugnete, dass sein Volk ein Massaker im Dorf verübte, aber er scheute sich nicht zu beschreiben, wie die Bewohner getötet wurden. ‚Ich werde dir nicht sagen, dass wir mit Samthandschuhen da waren. Haus für Haus.... wir legten Sprengstoff an und sie liefen weg. Eine Explosion und weiter, eine Explosion und weitermachen und innerhalb weniger Stunden ist das halbe Dorf nicht mehr da‘, sagte er.
Zettler berichtete auch deutlich über die Verbrennung der Leichen von jenen, die nach der Besetzung des Dorfes getötet wurden. ‚Unsere Jungs haben dort eine Reihe von Fehlern gemacht, die mich wütend machten. Warum haben sie das getan?‘, sagte er. ‚Sie nahmen Tote, stapelten sie auf und verbrannten sie. Es begann zu stinken. Das ist nicht so einfach‘“ (3).
Ein anderes hartes Urteil hätte Prof. Mordechai Gichon gefällt, der ein Oberstleutnant der Reserve der IDF und Geheimdienstoffizier war und damals nach Deir Yassin geschickt wurde, als die Schlacht zu Ende war.
Er hätte erklärt, dass sich ihm ein Bild gezeigt hätte, welches wie die Folgen eines Progroms aussah.
Es wäre nicht vergleichbar gewesen mit den Bildern, die man von militärischen Schlachten kennt. Er verglich, was er sah, mit Bildern des Überfalls von Kosaken auf jüdische Siedlungen. Gichon machte dem Artikel zufolge deutlich, dass hier das Abschlachten von Zivilisten stattgefunden hätte. Er beschrieb es als deutlich sichtbares Massaker an Zivilisten.
Und so finden sich noch andere Aussagen von Augenzeugen, von Zeitzeugen, die alle bestätigen, was Historiker seit geraumer Zeit erklären. Wie die Von Yair Tsaban, der geschickt worden war, um die Leichen zu beerdigen.
„‚Die Begründung war, dass das Rote Kreuz jeden Moment auftauchen könnte, und es war notwendig, die Spuren der Morde zu verwischen, denn die Veröffentlichung von Bildern und Zeugnissen über das, was im Dorf geschehen war, würde dem Bild unseres Unabhängigkeitskrieges sehr schaden‘, sagte er.
‚Ich habe eine ganze Reihe von Leichen gesehen‘, fügte er hinzu. ‚Ich erinnere mich nicht an die Begegnung mit der Leiche eines Kämpfers. Überhaupt nicht. Ich erinnere mich vor allem an Frauen und alte Männer.‘ Tsaban bezeugte, dass er sah, dass Bewohnern in den Rücken geschossen wurde, und wies die Behauptungen einiger Teilnehmer der Aktion zurück, dass die Einheimischen bei einem Feuerwechsel getroffen worden wären. ‚Ein alter Mann und eine Frau, die in der Ecke eines Raumes sitzen, mit dem Gesicht zur Wand, und sie wurden in den Rücken geschossen‘, erinnert er sich. ‚Das kann nicht in der Hitze des Kampfes gewesen sein. Auf keinen Fall‘“ (4).
Das Massaker, so der Artikel, hatte einige Folgen. Die „Jewish Agency“ (5) und die Führung der Vorläuferorganisation der Armee hätten die Ereignisse verurteilt. Die Linke sie zur Denunziation der Rechten genutzt. Im Ausland wären die Verbrechen mit denen der Nazis verglichen worden. Und der Historiker Benny Morris hätte in seinem Buch „Rightheous Victims“ festgestellt, dass die Ereignisse von Deir Yassin dazu beigetragen hatten, die ethnische Säuberung zu beschleunigen und hätten eine Massenflucht arabischstämmiger Menschen ausgelöst.
Die Regisseurin des Films berichtet in dem Artikel über die Schwierigkeiten, die Ereignisse zu rekonstruieren. So wären im Internet Fotos von Opfern veröffentlicht worden, die gar nicht zu dem Ereignis gehörten. Und in den offiziellen Armee-Archiven gäbe es zwar Bilder von Kämpfern, aber kein einziges Bild von den zivilen Opfern.
„Im Haganah-Archiv, wo Shoshani ihre Suche fortsetzte — ‚wie ein naives Kind‘, wie sie sagte — erwartete sie eine weitere Überraschung. ‚Ein älterer Mann kam sehr heimlich zu mir, brachte mich in ein Nebenzimmer und sagte mir, dass er unmittelbar nach dem Massaker Fotos gemacht habe‘, sagte sie. Der Mann war Shraga Peled, 91, der zum Zeitpunkt des Massakers im Informationsdienst der Haganah war. Er erzählte Shoshani, dass er nach der Schlacht mit einer Kamera ins Dorf geschickt wurde, um zu dokumentieren, was er dort sah. ‚Als ich bei Deir Yassin ankam, sah ich als erstes einen großen Baum, an den ein junger Araber gefesselt war. Und dieser Baum war bei einem Feuer verbrannt. Sie hatten ihn daran gefesselt und verbrannt. Ich habe das fotografiert‘, erzählte er. Er behauptet auch, dass er aus der Ferne fotografiert hätte, was aussah wie ein paar Dutzend anderer Leichen, die in einem Steinbruch neben dem Dorf gesammelt worden waren. Er habe den Film seinen Vorgesetzten übergeben, sagt er, und seitdem habe er die Fotos nicht mehr gesehen.
Möglicherweise liegt das daran, dass die Fotos Teil des Bildmaterials sind, das bis heute im Archiv des IDF und des Verteidigungsministeriums verborgen ist, dessen Veröffentlichung der Staat auch 70 Jahre nach der Tat verbietet. Shoshani hat vor einem Jahrzehnt im Rahmen ihres Abschlussprojekts in Bezalel beim High Court of Justice diesbezüglich eine Petition eingereicht. Haaretz schloss sich ihr in der Petition an.
Der Staat erklärte, dass die Veröffentlichung der Bilder geeignet sei, die Außenbeziehungen des Staates und den ‚Respekt vor den Toten‘ zu beeinträchtigen. Im Jahr 2010, nach dem Betrachten der Bilder, lehnten die Richter des Obersten Gerichtshofs die Petition ab und ließen das Material weit vor der Öffentlichkeit verbergen. In der Zwischenzeit gelang es Shoshani, einige andere Fotos im Zusammenhang mit dem Massaker zu finden, darunter eine Reihe von Bildern, die verwaiste Kinder dokumentieren, deren Eltern bei Deir Yassin getötet worden waren“ (6).
Der Autor des Artikels, Ofer Aderet, weist darauf hin, dass das Deir Yassin Massaker immer noch, auch nach 70 Jahren, die Gemüter der Menschen, die sich damit beschäftigen, erhitzt. Nicht alle wären mit der Klassifizierung als „Massaker“ einverstanden. Er beschreibt die Arbeit des Historikers Dr. Uri Milstein, der die These vertritt, dass es kein Massaker war. Er denkt, dass keiner der Angreifer dorthin gekommen wäre mit dem Gedanken, Frauen und Kinder zu töten. Seiner These nach wäre es die Besetzung eines Dorfes gewesen, in dem sich die Bewohner dagegen mit unzureichenden Mitteln gewehrt hätten, und dabei umgekommen wären.
Außerdem, so gibt er dem Artikel zufolge zu, hätte es nach der Schlacht aus Angst und zur Abschreckung „Exekutionen“ gegeben.
Tatsächlich, so der Autor des Artikels in Haaretz, wäre das Deir Yassin Massaker das erste in einer Reihe von Vorfällen, in die jüdische Kämpfer während des Unabhängigkeitskrieges verwickelt waren. Ein weiteres berüchtigtes Massaker wäre das in Kafr Qasem im Jahr 1956 (7). Das war der Tag, als die Sinai-Kampagne begann. Wie im Fall von Deir Yassin würde der israelische Staat nach wie vor Archivmaterial über die Vorgänge in Kafr Qasem zensieren.
Am 17. Mai 2019 wurden viele Reden im Deutschen Bundestag gehalten, in denen keine einzige ausgewogen über die Gründungswehen Israels berichtete. Israel wurde historisch falsch als ausschließliches Opfer von Aggression dargestellt. So lange der deutsche Bundestag solche Geschichtsfälschung begeht, darf er sich nicht wundern, dass die Bevölkerung immer mehr das Vertrauen in die Aussagen der Abgeordneten verliert. Egal ob es um Angriffskriege geht, an denen sich Deutschland beteiligt oder um eine Pandemie. Es wird Zeit, dass mehr als ein paar einsame Bundestagsabgeordnete die Fahne der Wahrheit hissen.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://youtu.be/AgvYMGF-7gE
(2) https://www.haaretz.com/israel-news/MAGAZINE-testimonies-from-the-censored-massacre-at-deir-yassin-1.5494094
(3) Ebd.
(4) Ebd.
(5) https://de.wikipedia.org/wiki/Jewish_Agency_for_Israel
(6) https://www.haaretz.com/israel-news/MAGAZINE-testimonies-from-the-censored-massacre-at-deir-yassin-1.5494094
(7) https://www.haaretz.com/israel-news/.premium.MAGAZINE-kafr-qasem-doesnt-want-an-apology-1.5454121
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