Dennoch gibt es wenig Anlass für Optimismus bei diesem Thema. Das Urteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts dürfte angefochten werden. Und die letzten zwei Jahre seit Auffliegen des Diesel-Pkw-Skandals lehren uns, dass die unglaubliche Macht von Autokonzernen und Autolobby dazu fahren dürfte, dass auch hier ein Ausweg gefunden wird, um die Extraprofite von VW, Daimler, BMW und Porsche zu schützen, auch wenn damit nachweislich der Tod von Tausenden Menschen herbeigeführt wird.
So knallig schließlich das Autokartell-Thema vor wenigen Tagen aufschlug, so schnell droht es aktuell wieder hinter einer Nebelbank von Relativierungen, Fälschungen und Sondermeldungen, die eher Randbereiche des Branchen-Skandals betreffen, versteckt zu werden. Unter anderem heißt es, es sei unklar, ob das, was da im Geheimen abgesprochen worden sei, tatsächlich unerlaubt war. Schließlich gebe es erlaubte und „für den Kunden sinnvolle“ Absprachen.
Dazu konnte man in der Börsen-Zeitung vom 25. Juli lesen: „Die Grenzen zwischen normaler technischer Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und der Bildung eines verbotenen Kartells sind fließend.“ So nutze etwa „die Absprache über eine Steckernorm Verbrauchern“; diese sei legal. Auch wird behauptet, nicht alle Autokonzerne hätten sich gleichermaßen etwas zuschulden kommen lassen. Es gebe reuige Sünder und Sturköpfe. Der VDA-Chef Matthias Wissmann im Handelsblatt vom 25.7.: „Alles, was ich aus dem Hause Volkswagen höre, spricht dafür, dass die Verantwortlichen dort klare Konsequenzen aus den schweren Fehlern der Vergangenheit ziehen.“
Ausgerechnet VW als reuiger Sünder – wo der Chef dieses Konzerns direkt aus der Kaderschmiede des ehemaligen VW-Großaktionärs Ferdinand Piech stammt, der im Zentrum des Dieselskandals stehen dürfte. Und tatsächlich: Nur drei Tage nach dieser Aussage des VDA-Chefs verkündete Bundesverkehrsminister Dobrindt den Zwangsrückruf von 22.000 Cayenne-Modellen, weil diese Pkw der VW-Tochter Porsche mit einer besonders raffinierten, verbotenen Motorensteuerungssoftware ausgestattet seien.
Wissmanns Aussagen zu VW laufen auf die alte Behauptung, die am Beginn der Diesel-Affäre stand, hinaus, wonach es halt das eine und andere schwarzes Schaf geben würde, die Herde insgesamt jedoch untadelig wäre. Dies wird schließlich dadurch abgerundet, dass derselbe famose Autolobbyist Wissmann behauptet, von den Kartelltreffen nichts gewusst und eine blütenweiße Weste zu haben. Auf die Frage „Wann und wie haben Sie von dem Kartellvorwurf erfahren“ machte der VDA-Chef die ganz großen Da-bin-ich-völlig-überfragt-Augen und antworte im Handelsblatt am 25. Juli: „Die VDA-Kollegen und ich haben es am Freitag [dem 21.7.2017; W.W.] aus der Presse erfahren.“
Halten wir drei Dinge fest:
Unbestritten ist erstens, dass es mehr als zwei Jahrzehnte lang geheime, bis ins Detail durchorganisierte Treffen der deutschen Autokonzerne gab. Bei diesen wurden nicht nur allgemein ausländische Hersteller nicht mit einbezogen. Es war auch den beiden Autoherstellern Opel und Ford, die in Deutschland große Werke haben, verwehrt, an diesen Treffen teilzunehmen.
Allein der Tatbestand, dass es Geheimtreffen eines spezifischen Ausschnitts der Branche waren, spricht dafür, dass es sich um eine rechtswidrige Kartellbildung handelt. Was, wenn nicht über ein gemeinsames Vorgehen der deutschen Autohersteller gegenüber der ausländischen Konkurrenz, sollte dort besprochen worden sein? Eine Abstimmung über „Steckernormen“ benötigt keine Geheimhaltung; dies kann im Rahmen des VDA (in dem alle in Deutschland produzierenden Autohersteller und die Zulieferer zusammengeschlossen sind) erfolgen.
Zweitens fanden die skizzierten Geheimtreffen in einer Zeit statt, als die für den VW-Konzern gut dokumentierte Manipulation bei den Dieselmotoren begann. Da inzwischen für Daimler und Porsche ebenfalls Manipulationen bei den Dieselmotoren festgestellt wurden, spricht sehr viel dafür, dass die Abgasregelungen bei Dieselmotoren ein essentielles Element – wenn nicht der Kernbestandteil – bei den Kartellabsprachen waren. Zumal ziemlich genau seit zwei Jahrzehnten die Steigerung der Diesel-Pkw explosionsartig erfolgte. 1995 lag der Anteil von Diesel-Pkw bei Neuzulassungen bei 14,5 Prozent; ein Wert, den es seit Jahrzehnten gab. 2000 waren es bereits knapp 30 Prozent. 2016 lag der Wert gar bei 45,9 Prozent.
Für diesen Zusammenhang spricht auch, dass die deutschen Pkw-Hersteller spätestens seit 2000 sich darauf einigten, in ihren Diesel-Pkw nur kleine AdBlue-Tanks einzubauen. AdBlue ist ein Harnstoff-Wassergemisch, mit dem die Stickoxide in den Motoren zu einem größeren Teil neutralisiert werden können, also der Ausstoß dieser stark gesundheitsschädlichen Emissionen reduziert wird. Das Handelsblatt zitierte jüngst aus einem sieben Jahre alten Papier der deutschen Autohersteller, datiert auf den 1. April 2010, mit der Überschrift „Clean Diesel Strategie“, in dem explizit von einem „Commitment der deutschen Automobilhersteller auf Vorstandsebene“ die Rede ist, „künftig kleine AdBlue-Tanks“ zu verwenden.
Diese sind seither mit zwischen 8 bis 12 Litern so gering dimensioniert, dass das AdBlue bei normalem Dauereinsatz spätestens nach 5000 bis 6000 Kilometern oder nach rund zehn Tankfüllungen verbraucht wäre. Doch die Hersteller aller deutscher Diesel-Pkw-Hersteller beruhigen ihre Kunden damit, dass ein Nachfüllen der AdBlue-Behälter mit der klebrigen Flüssigkeit nur alle rund 30.000 km erforderlich wäre und dass dies im Rahmen der Kundendienstintervalle stattfände. Explizit steht in der zitierten Präsentation: „Kunde darf mit AdBlue nicht in Berührung kommen“. Was nur heißen kann: Der Einbau illegaler Abschaltvorrichtungen war fest eingeplanter Teil des Systems. Nur mit einer geheimen Software, die die AdBlue-Einspritzung dann erheblich reduzierte oder gar ganz abschaltete, wenn der Pkw nicht auf einem Prüfstand stand, war es vorstellbar, den Harnstoff-Vorrat über die 30.000-Kilometer-Distanz zu strecken. Damals wurde ein neuer Verfassungsartikel formuliert: Motorenschutz geht vor Schutz der menschlichen Gesundheit.
Drittens ist die Überraschung über den „Kartellverdacht“, den der VDA, die Bundesregierung und die EU-Kommission zur Schau stellen, völlig lächerlich. Die entscheidenden Behörden in Deutschland und auf EU-Ebene, der VDA und die Bundesregierung, haben seit langem entsprechende Kenntnisse. Schließlich gibt es die Selbstanzeige von VW beim Bundeskartellamt, die dort im Juni 2016 eingereicht wurde. Daimler soll sich nochmals deutlich früher bei der EU-Kartellbehörde selbst bezichtigt haben, an illegalen Kartellabsprachen beteiligt zu sein. Beide – als zynisch zu bezeichnende – Selbstbezichtigungen erfolgten, um gegebenenfalls in den Genuss der Kronzeugenregelung zu kommen, also keine oder deutlich reduzierte Strafen dann zahlen zu müssen, wenn das kriminelle Vorgehen auffliegen würde.
Wobei das Wörtchen „gegebenenfalls“ ganz groß geschrieben werden muss. Denn die Behörden auf Bundes- und EU-Ebene, bei denen die Selbstbezichtigungen eingingen, reagierten darauf mehr als ein Jahr lang einfach nicht. Man war sich in der Autobranche und bei den Kartellbehörden – und damit auch in der Bundesregierung und bei der EU-Kommission – darüber einig, dass man solange die Menschen weiter vergiften und die Extraprofite bei den Autoherstellern steigern darf, wie die Sache nicht auf andere Weise publik wird.
Und jetzt, nachdem all das in die Öffentlichkeit gelangte, wird solange um den Brei herum geredet und wird solange nach Hintertürchen Ausschau gehalten, bis sich die öffentliche Aufregung – erleichtert durch die Sommerpause – gelegt hat.
Wie solche Hintertürchen aussehen, wird im Fall der Diesel-Pkw deutscher Hersteller in den USA demonstriert. Viele Zehntausend solcher Diesel-Pkw mit extrem hohen Stickoxid-Emissionen wurden von den deutschen Herstellern zurückgenommen; die Kunden in den USA erhielten im Austausch dafür neue Pkw mit niedrigeren Emissionen. Die zurückgenommenen Pkw werden in der Regel nicht etwa auf Motoren mit weniger giftigen Schadstoffemissionen umgerüstet; die kriminelle Software wird in der Regel nicht entfernt. Vielmehr landen viele dieser Pkw in anderen Ländern, etwa in Russland und in osteuropäischen Ländern.
Ein Hersteller von Luxus-Pkw versorgt sogar Belegschaftsangehörige in Deutschland mit derart zurückgenommenen Diesel-Pkw. Was in den USA wegen massiver Beeinträchtigung der menschlichen Gesundheit verboten ist, ist schließlich bei uns erlaubt.
Jedenfalls solange, wie es keinen neuen Aufschrei in der öffentlichen Meinung gibt.
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