Die Vereinshymne des FC Bayern München ist selbsterklärend. Der bescheidene, weltoffene Refrain lautet:
„FC Bayern forever number one
You can call us the champions of the world
FC Bayern forever number one
We´re much better than the rest.“
Das mit der internationalen Dominanz stimmt zwar noch nicht ganz, da den Bayern hierbei immer noch Real Madrid – sozusagen das Bayern München Europas – im Wege steht. Aber auf Deutschland bezogen ist der Liedtext schon lange völlig korrekt. Die Münchener sind de facto unschlagbar. FC Bayern Forever Number One! Lassen Sie die Hymne
gern beim Lesen des Artikels laut in Dauerschleife laufen. Wenn die hoffnungsfroh-optimistische These dieses Beitrags stimmt, macht das Lied gute Laune.
20 Punkte Vorsprung sind normal
Anfang April ist die FC Bayern München Aktiengesellschaft (AG) zum sechsten Mal in Folge deutscher Fußballmeister geworden. Erneut hat die zugehörige Lizenzspieler-Mannschaft dabei die 17 Konkurrenten in der Bundesliga mühelos abgehängt. Aktuell hat Bayern 24 Punkte Vorsprung auf den Tabellenzweiten Schalke 04 und ist in dieser Saison, die noch bis Mitte Mai läuft, nicht mehr einzuholen.
Im rechnerisch entscheidenden Spiel besiegten die Bayern auswärts den FC Augsburg mit 4:1. Eine Woche zuvor schickten sie ihren einst großen Konkurrenten Borussia Dortmund mit 6:0 nach Hause. Eine Woche nach der Meisterschaft schlugen sie ihren „Angstgegner“ die andere Borussia aus Mönchengladbach mit 5:1, obwohl es für Bayern tabellarisch um nichts mehr ging und sich die Mannschaft eigentlich für das anstehende Pokalhalbfinale gegen die formstarken Leverkusener schonen konnte. Dieses Pokalhalbfinale gewann Bayern dann aber auch ohne Schonung auswärts mit 6:2. Es folgte ein 3:0 in Hannover und so weiter und so fort. Ungefähr so läuft es jedes Jahr.
Torverhältnis wie in einer Kinderliga
Anfang und Mitte der 2010er Jahre konnte Borussia Dortmund die Bayern zwar phasenweise richtig ärgern. Doch dies war nur eine Episode, so wie es in jeder fußballerischen Epoche ein, zwei Teams gibt, die dem Rekordmeister und Rekordpokalsieger FC Bayern zeitweise Paroli bieten können. Wer aber die langen Entwicklungslinien betrachtet, erkennt, dass es sich immer weiter zugespitzt hat. So eklatant wie derzeit war die bayrische Dominanz noch nie.
Das gilt für die Bundesliga noch viel mehr als für den DFB-Pokal. Gewannen die Bayern seit 2012 „nur“ drei von fünf Auflagen des DFB-Pokals, das diesjährige Pokalfinale zwischen Bayern und Eintracht Frankfurt findet im Mai statt, so wurde seit 2012 kein anderer Club mehr deutscher Meister. Knapp und spannend war es dabei nicht ein einziges Mal: Die Bayern holten sich den Ligatitel jeweils mit 10 bis 25 Punkten Vorsprung vor dem Zweiten. Ihr abschließendes Torverhältnis wirkte oft wie aus einer Kinderliga, wo die Spiele gern mal mit zweistelligen Ergebnissen enden. Dabei gehört die deutsche Liga laut UEFA-Fünfjahres-Wertung zu den europäischen Top-Fünf-Ligen erwachsener Männer.
Siegten die Bayern früher auch gern mal durch den berühmten Dusel in Schlussminuten und mithilfe freundlicher Schiedsrichterentscheidungen, ohne spielerisch zu überzeugen, so gewinnen sie die Spiele heute meist deutlich und ungefährdet. Der Hamburger SV kann ein Lied davon singen. Dieser verlor seine letzten Spiele in München mit 6:0, 8:0, 5:0, 8:0, 3:1, 9:2, 5:0, ...
„FC Bayern forever number one. We´re much better than the rest.“
In Gefahr geraten die Bayern auf nationaler Ebene tatsächlich nur, wenn die Spieler mal keine große Lust haben. Die Dusel-Siege gibt es zwar auch heute noch ab und zu, doch sind sie nicht mehr so entscheidend wie früher, als Bayern zum Teil erst in letzter Sekunde Meister wurde.
Geld schießt Tore
Wie kommt das?
Letztendlich liegt es am Geld. Der FC Bayern ist mit riesigem Abstand der reichste Bundesligaclub. Er hat die höchsten Einnahmen aller Fußballvereine hierzulande und der Vorsprung wächst immer weiter.
In dieser Saison kassiert die AG allein mit Fernsehgeldern rund 100 Millionen Euro und damit 10 Millionen Euro mehr als der zweitgrößte TV-Profiteur Borussia Dortmund. Auch beim Trikotsponsor liegt Bayern auf Rang 1: Die Deutsche Telekom zahlt 35 Millionen Euro pro Jahr – damit liegt der Club immerhin 13 Millionen Euro vor dem Zweitplatzierten FC Schalke 04, der 22 Millionen Euro von seinem Trikotsponsor Gazprom erhält.
Auch die weiteren Sponsoren der Bayern geizen nicht. Adidas zahlt 60 Millionen Euro pro Jahr, die Allianz 6 Millionen Euro. Mehr als zwei Dutzend weitere Hauptsponsoren haben sich ebenfalls in langfristigen Verträgen an die Bayern gebunden und berappen jährlich Millionensummen. Wegen des erfolgreichen Auftretens in der Champions League kann den Bayern auch bei den finanziellen Ausschüttungen durch den europäischen Fußballverband UEFA kein anderer deutscher Verein etwas vormachen. Allein in dieser Champions-League-Saison strichen die Münchener rund 100 Millionen Euro ein. Der hierbei zweitbeste deutsche Verein RB Leipzig kam nur auf 44,5 Millionen Euro.
Hinzu kommt eine dreistellige Millionensumme, die das Unternehmen durch Verkäufe von Trikots, Fanartikeln, Eintrittskarten etc. jährlich einnimmt. Trotz wichtiger, fehlender Einnahmen habe die FC Bayern München AG im vergangenen Jahr ein neues Rekordergebnis erreicht, freute sich Finanzvorstand Jan-Christian Dreesen. Von den Neuregelungen der TV-Gelder-Vergabe profitieren die großen Vereine nun noch überproportionaler als bereits zuvor. Mit jeder Saison wächst der Geldabstand der Bayern immer weiter.
Topstars wollen Millionengehälter
Dementsprechende Gehälter können die Münchener bieten, um nationale wie internationale Topspieler nach München zu lotsen oder dort zu halten. So spielen mit James Rodriguez und Thomas Müller beispielsweise die beiden Torschützenkönige der zwei vergangenen Weltmeisterschaften bei den Bayern; dazu mit Franck Ribery, Europas Fußballer des Jahres 2013, oder mit Mats Hummels, Jerome Boateng und Manuel Neuer allein drei Spieler aus der Defensive des Weltmeisters Deutschland.
„FC Bayern forever number one. You can call us the champions of the world“
Die höchsten Gehälter erhalten laut Vermögenmagazin die Offensivspieler Robert Lewandowski und Thomas Müller sowie Torwart Manuel Neuer, die jeweils 15 Millionen Euro pro Saison kassieren. Mindestens 15 weitere Lizenzspieler bekommen demnach Jahresgehälter in ein- oder zweistelliger Millionenhöhe. Kein anderer deutscher Verein kann sich eine solch hohe Zahl von Topstars leisten, auch nicht die ebenfalls reichen Dortmunder oder Leipziger .
Die Stars kommen vor allem wegen der exorbitanten Gehälter, aber auch wegen der Möglichkeit, bei Bayern regelmäßig in der Champions League gegen hochklassige internationale Gegner um europäische Titel spielen zu können, und weil sie in München unter internationalen Toptrainern wie Pep Guardiola, Carlo Ancelotti oder Jupp Heynckes trainieren können. Für den FC Bayern aufzulaufen, erhöht zudem die Chancen eines Spielers für sein jeweiliges Nationalteam nominiert zu werden und etwa bei Weltmeisterschaften groß aufzutrumpfen.
Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen
Mit all diesen Pfunden können die Bayern wuchern und sind darum auch das attraktivste Ziel für junge, perspektivreiche Spieler deutscher Vereine. Mit der entsprechenden Transferpolitik lassen sich übrigens sehr effektiv deutsche Vereine strukturell schwächen, die potenziell zu nationalen Titelkonkurrenten werden könnten.
Auch für Trainer ist die Münchener AG der attraktivste Arbeitgeber. Kürzlich verpflichtete der FC Bayern den jungen Frankfurter Coach Niko Kovac für die kommende Saison, da der jetzige Bayern-Trainer, der inzwischen 72-jährige höchst erfolgreiche Jupp Heynckes, in den Ruhestand gehen will. Kovac begründete seine Entscheidung mit den Worten: „Die Bayern sind ein Weltclub. Dort irgendwann mal in Betracht gezogen zu werden, überhaupt einmal die Chance zu bekommen, diese Chance ist sehr, sehr gering. Die Möglichkeit, die sich mir an dem Tag geboten hat, die musste ich wahrnehmen.“ So denken viele in der Branche.
Über all diese Mechanismen häufen sich beim FC Bayern die leistungsfähigsten Akteure im deutschen Vereinsfußball, was gerade zuzwingend sportliche Erfolge bringt. Die Topstars wiederum erhöhen die Attraktivität der Bayern für Sponsoren- und TV-Zahlungen. Eine wahre Geld- und Weltstar-Spirale entsteht. Zusammengefasst: Wer schon hat, dem wird gegeben, denn der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen.
Um unter solchen finanziell traumhaften Bedingungen nicht erfolgreich zu sein, müssten die Verantwortlichen schon gezielte Arbeitsverweigerung betreiben. Selbst der italienische Trainer Carlo Ancelotti, der „ein gestörtes Verhältnis“ zu mehreren Topspielern hatte, gewann in seiner einzigen (Komplett-)Saison mit den Bayern problemlos die deutsche Meisterschaft.
FC Too Big To Fail
Seit den 1970er Jahren ist der FC Bayern deutscher Spitzenklub. In den darauf folgenden Jahrzehnten häufte der Verein zunehmend mehr Ressourcen an. Wie in einer Partie Monopoly wuchs im Verlauf des Spiels der Abstand zu den Konkurrenten weiter an.
Heute sind die Bayern der Titelmonopolist hierzulande: Vereinzelte Niederlagen gefährden keine Meisterschaften. Auch millionenschwere „Transfer-Flops“ und Fehlentscheidungen des Managements (Stichworte: Ancelotti, Klinsmann, Götze) ändern nichts an der Grundkonstellation – existenzbedrohend sind diese ohnehin schon lange nicht mehr. Die Bayern sind einfach zu mächtig, um nicht gewinnen zu können. Bei Großbanken würde man sagen: too big to fail.
„FC Bayern forever number one. We´re much better than the rest.“
„Müssen wir uns für unseren Erfolg entschuldigen?“
In Online-Foren, Kommentarspalten oder Fußballsendungen meinen Bayern Fans und Verantwortliche zu diesem Sachverhalt meist: Ist daran der FC Bayern schuld? Die Kritiker wollen die Leistungen des Vereins schmälern! Sollen wir uns für unseren Erfolg entschuldigen? Der „Markenbotschafter“ und frühere Bayern Spieler Paul Breitner sagte: „Wir können nichts für die Unfähigkeit anderer Clubs und Verantwortlicher.“
Doch solche Kategorien führen in eine analytische Irre:
Ist es die „Schuld“ des Monopoly-Siegers, dass er gewonnen hat? Nein, das ist das Ziel des Spiels. Jeder, der mitmacht, willigt in diese Regeln ein.
Es sind Wettbewerbsregeln, die eben nicht auf Ausgleich, sondern auf Verdrängung von Konkurrenten bedacht sind.
Sind die hinter den Bayern platzierten Gegner „unfähig“? Vielleicht sind das einige wirklich. Aber alle? Jedes Jahr? Nein, so ist der Wettbewerb einfach angelegt. Es kann und muss immer genau einen Meister geben – und „Meister der Herzen“ ist kein offizieller Titel. Selbst wenn alle Akteure mit haargenau derselben Fähigkeit, Taktik, Spielintelligenz und Motivation in den Wettbewerb gingen, so gäbe es am Ende trotzdem nur einen Meister und die Letztplatzierten müssten absteigen. Auch das sind die Regeln. Mit Kategorien wie „Unfähigkeit“ oder „Schuld“ erklärt man hierbei nichts.
Die Verdienste der Bayern sollen hier nicht aberkannt werden. Im Gegenteil: Die Leistungen sind so herausragend, dass kein Konkurrent dagegen ankommt. Nur werden diese Leistungen eben von Akteuren erbracht, die man sich erstmal leisten können muss.
Gegner auf lange Sicht chancenlos
Bleiben wir bei dem Monopoly-Vergleich: Wenn der Sieger (Meister) massiv mit Ressourcen belohnt wird und diese in den nächsten Partien (Saisons) verwenden darf, hat er einen klaren Vorteil, der ihn bei halbwegs vernünftiger Spielweise wieder zum Gesamtsieg führt. Die Gegner können mit etwas Glück mal für eine Überraschung sorgen, aber auf Dauer haben sie keine Chance. Eine logisch völlig nachvollziehbare Entwicklung.
Deutsche Fußball-Experten und Spieler tun aber zumindest nach außen gern so, als wäre das anders. „Es geht wieder bei null los“, freute sich Bayern Torwart Neuer vor dem Start der vergangenen Saison. Der Blick von außen ist da ein wenig unverstellter: So attestierte Jose Mourinho, damals Trainer des FC Chelsea London, der Bundesliga bereits vor vier Jahren, langweilig zu sein: „Hier weißt du schon vorher, wer Erster und Zweiter wird.“ Nun ja, mit Platz 2 hatte er Unrecht.
In solch einem System kann nur noch künstlich Spannung durch massive Geldspritzen von außen erzeugt werden – etwa durch Multimilliardäre, so wie in der britischen Liga. In Deutschland ist das jedoch noch nicht möglich (siehe „50+1-Regel“), obwohl Konzerne wie Red Bull es über Umwege bereits versuchen.
Keine Spannung? Kein Interesse!
Für solche Alternativen soll hier ganz sicher nicht geworben werden. Im Gegenteil: Die bayrische Dominanz soll und wird brav anhalten. Dafür werden schon allein die Ligaverantwortlichen und der Großteil der Sportjournalisten (1) sorgen, die mehrheitlich nicht einmal merken, dass sie durch ihr unkritisches Verhalten an dem ökonomischen Ast sägen, auf dem sie alle sitzen.
Die Logik sagt: Ein Wettbewerb, der nicht spannend ist, ist auf Dauer unattraktiv.
Die sich zuspitzende Dominanz des FC Bayern wird es definitiv erschweren, inländische Fußballwettbewerbe – besonders das Produkt Bundesliga – an Wirtschaft, Medien und Konsumenten zu verkaufen. Und genau darum geht es. Das System muss beständig wachsen und es braucht permanent mehr Geld, um weiter zu funktionieren und beispielsweise die ansteigenden Transfersummen zu erzielen, die international mittlerweile im dreistelligen Millionenbereich angekommen sind. Stagnation bedeutet hier schon Rückschritt.
Das Geld kommt vom Zuschauer
Das zahlende Publikum ist dabei der entscheidende Faktor, denn die Zuschauer finanzieren das System. Und das nicht nur direkt durch den Kauf von Fanartikeln, Eintrittskarten und Vereinsmitgliedschaften. Sondern sie finanzieren es auch indirekt durch private Fernsehabonnements.
Und es kommt noch dicker:
Denn auch jeder, der keinen Fußball schaut, finanziert das System. Letztlich zahlen alle Haushalte über den öffentlich-rechtlichen Rundfunkbeitrag Fernsehgelder an die Clubs.
ARD und ZDF erstehen regelmäßig die teuren Übertragungsrechte von Deutscher Fußball Liga (DFL) oder Deutschem Fußball Bund (DFB), anstatt sie den privaten Sendern zu überlassen.
Aber auch die Werbeetats der in der Bundesliga aktiven Sponsor-Unternehmen werden durch alle Konsumenten finanziert. Fast niemand kann sich dem entziehen, denn eine riesige Zahl von Produkten und Dienstleistungen ist betroffen. Unzählige Firmen, darunter auch Volksbanken, Supermärkte und Krankenkassen, haben sich lokal oder überregional zu Werbepartnern der Vereine gemacht. So fließt indirekt nicht nur durch den Kauf von Sportschuhen, Autos oder Bier, sondern auch durch den Kauf von Keksen, Mineralwasser, Würstchen, Zierpflanzen, Briefmarken, Lottoscheinen, Medikamenten, Strom, Telefonverträgen, Versicherungen, Bahnfahrkarten, Flugtickets, Hotelübernachtungen, Spielzeug etc. Sponsorengeld an die Bundesliga.
Es gilt die einfache Regel: Abgesehen von den Zuschauern will kein Akteur im Fußballgeschäft zahlen. Alle anderen wollen verdienen. Sinken die Zuschauerzahlen, sinken auch die Einnahmen und folglich sinkt das Interesse der Wirtschaft, mit den derzeitigen Beträgen in diesem Umfeld zu werben.
Die Zeit ist gekommen
Sorgt der Fußball-Kapitalismus selbst also durch die Erzeugung von nationalen Erfolgsmonopolen wie Bayern München dafür, dass das Unterhaltungsprodukt Bundesliga einen bedeutenden Teil seiner Zuschauer verliert? Die Zahlen geben das zwar bislang nicht her, allerdings wäre eine solche Entwicklung zu Beginn auch nicht leicht zu messen. Zuschauerzahlen in Stadien oder beim Bezahlsender Sky führen als Erkenntnisinstrumente allein nicht zwingend weiter (2).
Von heute auf morgen geschehen derartige Entwicklungen sowieso nicht. Für diese Einsicht brauchen die Zuschauer Zeit, doch nach sechs Jahren Bayerndominanz in Folge wird die Einsicht langsam reifen und jedes weitere Jahr wird die Abkehr vom Produkt verstärken. Tatsächlich las man noch nie so häufig wie heute kritische Stimmen in den Kommentarspalten unter Fußballartikeln. Dort kritisieren Leser die Langeweile im Meisterschaftskampf oder berichten, dass sie Bayernspiele gar nicht erst einschalten beziehungsweise schnell wegschalten, wenn die Bayern in Führung gehen. Selbst einige Sportjournalisten fürchten schon um die Attraktivität der Liga und schlagen die Einführung von Playoffs für mehr Spannung vor.
Auch meine eigene Erfahrung spricht dafür: Noch vor einigen Jahren habe ich regelmäßig Fußball geschaut, fieberte mit „meinem“ Verein und diskutierte oft mit Freunden und Verwandten über Spiele. Ich hatte so viel Fußball im Kopf, dass ich mich mit gesellschaftlich wichtigen Dingen viel zu wenig befasst habe. Ich habe mich kaum darum gekümmert, wie Kriege gemacht werden, wie und warum die parlamentarische Demokratie permanent gegen die Bevölkerungsmehrheit entscheidet oder wie immer mehr Armut und Prekarität in unserer Gesellschaft erzeugt werden.
Zugegebenermaßen war es nicht der Fußball allein. Doch langsam wuchs die Erkenntnis: Es lohnt sich nicht, das eigene Hirn und Nervenkostüm für die Bundesliga zu zermartern. Der dauersiegende FC Bayern hilft den Menschen, zu erkennen, dass es viel sinnvollere und spannendere Dinge gibt als einen Wettbewerb, der immer gleich endet. Dafür danke.
Fußball statt Dritter Weltkrieg
Sicher ist die These dieses Artikels optimistisch. Doch beim Rubikon geht es auch um einen hoffnungsfrohen Blick in die Zukunft. Die These gilt nicht für Fans und Sympathisanten des FC Bayern, denn sie erfreuen sich natürlich an den Erfolgen – auch wenn selbst sie von den Meisterfeiern mittlerweile angeödet sind. Die These gilt auch nicht für treue Fans anderer Vereine.
Aber es geht gar nicht um diese „Eingefleischten“, sondern um die Millionen von Fußballinteressierten, die zwar nicht ihre komplette Freizeit einem Verein opfern, aber dem Fußball doch einen hohen Stellenwert einräumen. Menschen, die beispielsweise glauben, dass Fußball ein so wichtiges Thema ist, dass ARD und ZDF darüber in ihren Hauptnachrichten oder im Abendprogramm berichten müssten.
Da gibt es keine kritischen Themenabende zum 11. September, zum Maidan oder zu Drohnenmorden. Es gibt ja noch nicht mal unkritische Themenabende dazu.
Nein, es gibt gar keine Sendeplätze für Themenabende, denn es läuft ja DFB-Pokal, Bundesliga oder ein Testspiel der lustlosen Nationalmannschaft. Wie gesagt, die Rede ist nicht vom Privatfernsehen oder einem Sport Spartenkanal. Es geht um das öffentlich rechtliche Hauptprogramm.
Jeden Sonnabend lässt sich das Schauspiel beobachten, dass die Tagesschau in ihrer schon künstlich verknappten Sendezeit noch exakt die Tore aus der Bundesliga bringt, die die Sportschau in den zwei Stunden davor bereits in aller Ausführlichkeit gezeigt hatte. Wie arm muss diese Welt an relevanten Ereignissen sein?
Als im April wegen eines vermeintlichen Giftgasangriffs in Syrien eine direkte Konfrontation zwischen den USA und Russland – und damit nicht weniger als der Dritte Weltkrieg – gefährlich nah war, da wurde dieses Thema in den Medien zeitweise von der Nachricht verdrängt, dass Niko Kovac neuer Bayern-Trainer wird. Das ist Wahnsinn, zeigt aber welche Funktion der Fußball neben seinem Dasein als Profitmaschine noch hat: die Ablenkung großer Gesellschaftsteile von relevanten Problemen (3).
Fußball essen Freizeit auf
Dieser Artikel will keinen Konflikt zwischen Fußballinteressierten und politisch Interessierten aufbauen. Selbstverständlich kann man auch beides sein und selbstverständlich kann Fußballschauen in Stadion oder Biergarten ein unterhaltsames Erlebnis sein. Aber wer seine begrenzte Freizeit nutzen will, um mit Menschen über Politik zu diskutieren, kritische Bücher zu lesen, aufklärende Filme zu sehen oder in Alternativmedien zu recherchieren, kann gleichzeitig kaum intensiv die Bundesliga verfolgen.
Natürlich wäre es viel schöner, wenn wir uns alle mehr um Fußballspiele kümmern könnten, weil es keine Versuche gäbe, uns in Kriege hineinzuziehen oder den Sozialstaat zu zerstören. Doch solange wir uns gegen Kriegspropaganda, Feindbildproduktion und anderes wehren müssen, schadet das Fußballgeschäft der Allgemeinheit, denn es wirkt als massive, permanente Ablenkung. Wer an Ostern im Stadion sitzt, kann eben nicht zum Ostermarsch gehen.
Einsicht ist nicht rückgängig zu machen
Auch wenn die Abkehr von der Fußball-Unterhaltung erstmal nur langsam vorankommt. Eines stimmt besonders optimistisch. Die Abwendung wird nicht rückgängig zu machen sein: Sobald der Zuschauer einmal ernsthaft Funktion und Redundanz des Fußball-Monopolys reflektiert hat, wird er immun gegen die Neuauflagen in anderer Form.
Hier gilt dasselbe wie in der politischen Berichterstattung: Mediennutzer, die etwa im Zuge des Ukraine-Konflikts feststellten, wie einseitig, parteiisch und manipulativ die Berichterstattung diesbezüglich im Mainstream war, sind mit diesem Wissen auch für andere Manipulationsfälle geimpft. Und ganz ähnlich werden auch ehemals Fußballbegeisterte nach einer Abkehr nicht mehr naiv zum unkritischen Konsum modernen Fußballs zurückkehren.
Also hängen in diesem Sinne viele positive Entwicklungen indirekt vom Dauererfolg der Bayern ab. Hoffen wir, dass sie das Pokalfinale am 19. Mai gewinnen, gern möglichst hoch, und so das „Double“ aus Meisterschaft und Pokalsieg komplett machen. Und auch im folgenden Jahr wieder und danach wieder und wieder...
„FC Bayern forever number one
You can call us the champions of the world
FC Bayern forever number one
We´re much better than the rest.“
Quelle und Anmerkungen
(1) Bisher bestand die Ausweichstrategie interessierter TV-Sender darin, einen attraktiven Wettbewerb zu simulieren, indem das Thema „Bayern wird sowieso Meister“ im Großen und Ganzen ausgespart wurde. Die kapitalistische Logik hinter der Monopolisierung wird noch seltener kritisch angegangen. Die Vermarkter versuchen stattdessen Derbys und Sekundärwettbewerbe innerhalb der Bundesliga, wie den Abstiegskampf oder das Rennen um die Europapokalplätze, als eine Art Ersatzbefriedigung anzupreisen. In der alltäglichen Berichterstattung wird zudem über boulevardeske Konflikte, Verletzungsdramen, Heldenstorys, das übliche Transfertheater oder mit kindischem Klamauk versucht, Aufmerksamkeit für das ernüchternd langweilige Produkt zu erzeugen. Das ist zwar bemitleidenswert, ging in der jüngeren Vergangenheit jedoch auf.
(2) Die Zahlen: Die Bundesligastadien sind sehr gut gefüllt. In dieser Saison sehen jedes Bundesligaspiel durchschnittlich fast 45.000 Zuschauer in den Arenen. Auch die Abonnentenzahlen beim Bezahlsender Sky steigen kontinuierlich an. Seit 2009 haben sich diese von knapp 2,4 Millionen auf heute rund 5 Millionen Direktabos verdoppelt. DFL-Präsident Reinhard Rauball sprach kürzlich von 15 Millionen Menschen, die die Bundesliga jedes Wochenende auf die eine oder andere Weise sehen. Aber diese Zahlen helfen nur bedingt für die Analyse. Die Fans im Stadion sind nur ein Bruchteil aller Fußballinteressierten. Eingefleischte Anhänger wird es immer geben. Beim Stadionerlebnis zählt nicht so sehr der langweilige Meisterschaftskampf in der Tabelle, sondern viel mehr die Identifikation mit dem Heimatverein, die Atmosphäre und der Spannungsbogen eines Spiels. Der Zuwachs der Sky-Abos in den letzten Jahren liegt nicht unbedingt am Fußball, sondern hat auch mit dem Ausbau des Komplettprogramms und insbesondere mit der Ausstrahlung erfolgreicher Unterhaltungsserien zu tun. Das Branchenmagazin „Meedia“ nennt dies den „Game of Thrones“-Effekt.
(3) Der Fußball wird von den Herrschenden aber noch in anderer Form missbraucht: Zum einen dient er als Spaltungsinstrument für die Beherrschten. Denn diese verstehen sich heute nicht mehr als Arbeiter, als Arme, als Arbeitslose mit gemeinsamen Interessen, sondern als Fans eines Vereins, die sportliche Gegnerschaft in persönliche Feindschaften zu Fans anderer Vereine umwandeln. Rufe wie „Tod und Hass dem Verein xy“ sind zwischen verfeindeten Fanlagern genauso normal wie körperliche Gewalt. Zum anderen soll besonders über Fußball-Nationenturniere (WM, EM) eine positive Haltung zum Patriotismus gefördert werden. Kanzler und Präsidenten nutzen die Gelegenheit auch, sich bei wichtigen Länderspielen als nationale Anführer auf den Stadiontribünen zu präsentieren. Zudem verabschieden Parlamente unpopuläre Gesetze gern während großer Turniere, weil die kritische Berichterstattung dann minimiert ist.
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