In den Tagen des staatlich verordneten Hausarrests, der sich inzwischen als wirkungslos und unnütz herausgestellt hat (1), ging mir immer wieder ein Märchen durch den Kopf, das Märchen vom Eisenofen (2). Hierin wird ein Prinz von einer Hexe verwünscht und muss fortan eingesperrt in einem Eisenofen leben.
Mein Aufenthalt im Feuerofen
Ein ähnliches Bild findet sich in dem Mythos Die drei Männer im Feuerofen. Hier werden Männer in einen glühenden Ofen gesperrt, weil sie sich weigern, die Götter der Besatzungsmacht anzubeten (3). In beiden Fällen geht es um einen Akt von Machtmissbrauch und Willkür.
In der Symbolsprache der Märchen und Mythen steht der Ofen für einen Ort der Bewährung und der Transformation. Er ist eine Art alchemistisches Gefäß, in dem sich etwas Neues auskochen will. Dort wird einem höllisch eingeheizt, man kommt gewaltig unter Druck, gerät in Angst und Panik. Wie bei einem Schmelzofen, in dem die Schlacke vom Gold getrennt wird, geht es auch in diesem Feuerofen darum, Wertloses und Unnützes loszulassen, damit Wesentliches hervortreten kann.
Die Märchen und Mythen erzählen davon, dass die Betroffenen diese Tortur unbeschadet überstehen. Weil sie sich auf den Wandlungsprozess eingelassen haben, gehen sie erlöst und gestärkt aus ihm hervor.
Jeder Tag, den wir zurzeit erleben, ist für mich ein Tag in einem solchen Feuerofen. Die bedrohlichen äußeren Umstände zwingen mich förmlich dazu, mich auf das zu besinnen, was wirklich trägt und zählt. Sie helfen mir, mich an die Stelle in meinem Inneren zu begeben, an der ich unangreifbar bin.
Wenn ich mich so von der Oberfläche in meine innere Tiefe hinabbegebe, entdecke ich eine ruhige und sanfte Kraft in mir, die mein wahres, unzerstörbares Wesen darstellt. Es ist die überwältigende Kraft der liebenden Güte.
Sie entpuppt sich und wird spürbar — in mir und uns allen — als eine sprudelnde Quelle des Glücks.
Es ist ein Glück, welches das Leid nicht ausklammert. Im Gegenteil: Es ist ein Glück, das bereit ist, zu seiner Bewahrung und Ausbreitung auch Leid und Bedrängnis in Kauf zu nehmen.
„Es gibt eine Pflicht zum Glücklichsein.“ (Hermann Hesse)
Die Hauptursache der Krisen der modernen westlichen Gesellschaften, so der humanistische Psychologe Erich Fromm (1900 bis 1980), liegt in der Unfähigkeit des Menschen, sein Glück ernst zu nehmen (4). Der Dichter Hermann Hesse (1877 bis 1962)drückt es so aus:
„Das Unglück in der Welt kommt daher, dass das Lieben gestört ist. Glück ist Liebe, nichts anderes. Nur wer lieben kann, ist glücklich. (…) Es gibt eine Pflicht zum Glücklichsein. Dazu allein sind wir auf der Welt. Jede Bewegung unserer Seele, in der sie sich selber empfindet und ihr Leben spürt, ist Liebe. (…) Das Innerste in uns begehrt Glück, begehrt einen wohltuenden Zusammenklang mit dem, was außer uns ist. Dieser Klang wird gestört, sobald unser Verhältnis zu irgendeinem anderen Ding ein anderes ist als Liebe“ (5).
Ich weiß nicht, was bei meinem/unserem Aufenthalt im „Feuerofen“ am Ende herauskommen wird. Eines aber weiß ich: Es geht hierbei um die Vermehrung von Liebe und damit von Glück. Glück, das aus Liebe geboren wird, ist unsere stärkste Lebens- und Widerstandskraft.
Einsteins Brief an seine Tochter Lieserl Marić
Diese besondere, alles entscheidende Bedeutung der Liebe hat Albert Einstein in dem Brief an seine Tochter Lieserl zum Ausdruck gebracht. Vielleicht ist ja gerade jetzt die Zeit gekommen, in der die Welt annehmen und verstehen kann, was er damals schrieb (6):
„Als ich die Relativitätstheorie vorschlug, verstanden mich nur sehr wenige Menschen und was ich Dir jetzt schreibe, wird ebenso auf Missverständnisse und Vorurteile in der Welt stoßen. Ich bitte Dich dennoch, dass Du dies, die ganze Zeit die notwendig ist, beschützt. Jahre, Jahrzehnte, bis die Gesellschaft fortgeschritten genug ist, um das, was ich Dir hier erklären werde, zu akzeptieren.
Es gibt eine extrem starke Kraft, für die die Wissenschaft bisher noch keine Formel gefunden hat. Es ist eine Kraft, die alle anderen beinhaltet, sie regelt und die hinter jedem Phänomen steckt, das im Universum tätig ist (…). Diese universelle Kraft ist Liebe.
Wenn die Wissenschaftler nach einer einheitlichen Theorie des Universums suchten, vergaßen sie bisher diese unsichtbare und mächtigste aller Kräfte. Liebe ist Licht, da sie denjenigen erleuchtet, der sie aussendet und empfängt. Liebe ist Schwerkraft, weil sie einige Leute dazu bringt, sich zu anderen hingezogen zu fühlen. Liebe ist Macht, weil sie das Beste, das wir haben, vermehrt und nicht zulässt, dass die Menschheit durch ihren blinden Egoismus ausgelöscht wird.“
Der ganze Brief von Albert Einstein an seine Tochter Lieserl, vorgetragen von Maria Happel, Schauspielerin am Wiener Burgtheater
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Quellen und Anmerkungen
(1) https://www.youtube.com/watch?v=GH14rOQopxE; https://www.youtube.com/watch?v=Vy-VuSRoNPQ
(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Eisenofen
(3) Hebräische Bibel/ Altes Testament, Buch des Propheten Daniel: Kapitel 3.
(4) Fromm, Erich (1990): Psychoanalyse und Ethik. Bausteine zu einer humanistischen Charakterologie. München: Deutscher Taschenbuchverlag GmbH & Co. KG, Seite 192.
(5) https://www.youtube.com/watch?v=I3e5DfsXMa0&feature=youtu.be
(6) https://de.wikipedia.org/wiki/Lieserl_Mari%C4%87
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