Unsere Medienlandschaft leidet seit vielen Jahrzehnten an einer deutlichen Abhängigkeit zu wirtschaftlichen und politischen Machtstrukturen. Bestimmte Themen werden bis zum Umfallen beschrieben und gesendet, andere Fragen schlichtweg ausgeblendet. Führende Köpfe in unseren Medienhäusern tummeln sich in einflussreichen transatlantischen Clubs, und wer dann dort als Journalist Karriere machen will, weiß bald intuitiv, welche Geschichten gut ankommen — und welche eben nicht (1).
Der Meinungskorridor wird damit immer enger. Vor gut zehn Jahren ging es noch ein wenig lebendiger zu als heute.
Der damals 86-jährige Peter Scholl-Latour rief 2009 in einem Phoenix-Talk über den 11. September aus: „Es ist doch alles gelogen, was dort gewesen ist!“ Auf den Einwand des SPDlers Gert Weisskirchen, dann habe ja der ganze Weltsicherheitsrat gelogen, entgegnete er spontan: „Ja tut er doch dauernd! Tut er doch! Wie naiv sind Sie denn!“ Das war auch 2009 eine große Ausnahme.
Wo bekommt man so etwas heutzutage zu hören? Die zunehmende Verengung des Debattenraums in Politik und etablierten Medien seit über dreißig Jahren blieb von vielen von uns — leider — unbemerkt, ebenso das Verschwinden inspirierender Intellektueller und Künstler von der Bildfläche. Aktuell wandelt sich die Medienlandschaft rasant. Während die Zensur auch das Internet erfasst hat, wird zugleich immer mehr Menschen bewusst, dass freie Meinungsäußerung, Forschung und Diskurs zur Demokratie gehören. Unabhängige Wissenschaftler und Autoren, die einem gängigen politischen Narrativ widersprechen, kommen in den etablierten Medien selten zu Wort, auch wenn sie Spiegel-Bestseller schreiben, und wenn doch, dann läuft leider oft irgendetwas schief — wie wir hier am Beispiel eines Artikels über den Historiker Daniele Ganser in der NZZ sehen werden.
Die Furcht der Eliten vor dem mündigen Bürger
Der Kognitionsforscher Rainer Mausfeld schildert die verschiedenen Methoden der Beeinflussung unserer Medien durch die mächtigen Eliten und Profiteure präzise und eindrucksvoll in „Die Angst der Machteliten vor dem Volk: Demokratie-Management durch Soft-Power-Techniken“, dem zweiten Kapitel seines Buchs „Warum schweigen die Lämmer?“ (2). Mausfeld geht hier davon aus, dass „die Machteliten nichts mehr fürchten als den mündigen Bürger“, was er mit historischen Äußerungen belegt (3).
Wer Macht hat, will sie behalten. Um den Freiheitsdrang zu unterbinden, werde daher ein Weltbild von rational denkenden, weisen Eliten einerseits und unmündigen Bürgern andererseits etabliert, welches dann von der Bevölkerung weitgehend verinnerlicht werde:
„Nun muss man diese Unterscheidung nur noch in solcher Weise mit vorgeblichen Eigenschaften der ‚Elite‘ und des ‚Volkes‘ beziehungsweise der ‚Massen‘ auffüllen, dass sie vom Volk selbst geglaubt wird. Offensichtlich genügt es, kontinuierlich zu behaupten, das Volk sei wesensmäßig irrational, infantil, triebhaft, launenhaft, selbstsüchtig und rationalen Argumenten nicht zugänglich, und die Eliten seien wesensmäßig intelligent, gebildet und rational. Aus einer solchen Basisideologie ergibt sich zwangsläufig, dass Volksherrschaft im Grunde nur Elitenherrschaft bedeuten kann“ (4).
Die Techniken dazu sind Mausfeld zufolge vielfältig: „Diese Machttechniken werden heute oft als ‚Soft Power‘ bezeichnet; sie umfassen das gesamte Spektrum von Techniken, die öffentliche Meinung zu manipulieren.“ Vermittlungsinstanzen für diese Formen der Machtausübung seien — unterstützt durch Stiftungen, Thinktanks, Elitenetzwerke und Lobbygruppen — insbesondere private und öffentliche Medien, Schulen und der gesamte Erziehungs- und Ausbildungssektor sowie die Kulturindustrie. „Die Wirkungen von Soft-Power-Techniken sind für die Bevölkerung weitgehend unsichtbar; es ist also kaum mit Protesten gegen diese Formen der Indoktrination zu rechnen“ (5).
Wie diese Indoktrination dann aussehen kann, lässt sich beispielhaft an einem drei Seiten langen Artikel nachvollziehen, welcher am 30. Januar in der Neuen Zürcher Zeitung erschienen ist. Der Titel lautet: „Gansers Jünger“. Er beginnt wie folgt:
„Im vergangenen Frühling waren sie plötzlich überall, füllten Plätze und Straßen, sprachen von Bevormundung, Lügen und unterdrückten Bürgerrechten: die ‚Zweifler‘, die ihre eigenen Erklärungen für die Pandemie finden und sich auf alternativen Kanälen informieren. Es erstaunte, wie zahlreich sie waren. Wie unterschiedlich. Und wie schlagkräftig. Zeitweise kaperten sie den öffentlichen Diskurs.“
Pardon: Wer kapert wessen Diskurs? Wer definiert hier den erlaubten öffentlichen Diskurs sowie den nicht mehr erlaubten Bereich des öffentlichen Diskurses, welcher den von wem auch immer definierten erlaubten Diskurs dann „kapert“? Die Erklärung bleibt aus.
Zusammengefasst verfolgt der Artikel kein anderes erkennbares Ziel als die Diffamierung des Publikums und des Vortragenden Daniele Ganser.
Auf der einen Seite ist dies so augenfällig, dass man geneigt wäre, jedem Leser einfach die Frage selbst zu überlassen, ob und warum er oder sie die eigene Zeit nicht anders investiert. Auf der anderen Seite ist die Art und Weise der Diffamierung — leider — zugleich subtil und daher psychologisch vielleicht unbewusst wirksam. Zudem ist sie in ähnlicher Form kein Einzelfall, sondern in Zeiten von Corona immer häufiger anzutreffen. Was wird hier versucht?
Neue Schubladen zur Diffamierung
Der Artikel befasst sich überwiegend mit Gesprächen, die die Autorin der NZZ mit zufällig herausgegriffenen Zuhörern aus einem Vortrag von Daniele Ganser geführt hat. Der Text kategorisiert das Publikum dann ausführlich in folgende fünf Schubladen: die „Erwachten“, die „Antiamerikaner“, die „Altlinke“, den „Einzelkämpfer“ und die „Verunsicherten“. Der letzte Teil beschreibt ein Interview der Autorin mit Ganser unter der Überschrift „Der Schattenfechter“.
Der „Erwachte“ im Publikum fragte die Autorin, „ob auch ich eine ‚Erwachte‘ sei“, heißt es eingangs zur Erklärung für diese Kategorie. Der „Antiamerikaner“ behauptete, dass die „Amerikaner nach einem Flug aufstünden, während das Flugzeug noch rolle, und in Südafrika respektlos mit schwarzen Kellnern umgingen“. Der „Altlinke“ habe „schon in den 1970er-Jahren (...) gegen die Kriege der USA demonstriert“ und misstraue westlichen Geheimdiensten. Der „Einzelkämpfer“ sei als Kind „in der Schule (...) gehänselt worden“. Die „Verunsicherten“ waren nur eine zufällige Begegnung in einem Zug, die die Autorin auf ihre Lektüre „Imperium USA“ angesprochen hatten, den neuesten Bestseller von Ganser. Sie „scheinen voller Sorge zu sein“, heißt es im Artikel. „Die Frau wegen des Klimawandels, der Mann wegen des Finanzmarkts.“ Emotional gefärbt wird der Artikel „Gansers Jünger“ durch zwei düster bis gruselig anmutende Illustrationen.
Hat das alles noch irgendetwas mit fairer Berichterstattung oder der Abbildung demokratischer Meinungsvielfalt zu tun? „Der große Soziologe C. Wright Mills stellte schon in den 1950er-Jahren in seinem Klassiker ‚The Power Elite‘ fest: ‚Der öffentliche Diskurs, der zur Demokratie gehört, ist mittlerweile ersetzt worden durch eine skrupellose psychologische Kriegsführung.‘“, erinnert Rainer Mausfeld (6). Das trifft auch heute zu.
„Der Abend hat die Dynamik eines Rockkonzertes“, heißt es weiter im Artikel der NZZ, denn die „Fans“ könnten die „Hits“ beinahe auswendig: „‚Wikipedia, die freie Enzyklopädie‘,“ brächte die Zuschauer bereits zum Lachen. Spätestens seit Corona ist diese Ironie nun aber wirklich nicht mehr schwer zu verstehen. Die NZZ scheint hier jedoch weiterhin von einer seriösen und der Wahrheit verpflichteten Enzyklopädie auszugehen — auch wenn der unsachliche Kampfbegriff „Verschwörungstheorien“ darin zum Einsatz kommt, sobald jemand den abgesteckten Debattenraum verlässt. Dieser Vorwurf in Gansers Wikipedia-Eintrag wird in der NZZ unhinterfragt zitiert.
Die Autorin findet also in einem ausverkauften Saal die oben genannten Charaktere, sofern die diffamierenden Begriffe überhaupt in irgendeiner Form auf die Personen zutrafen. Von welchem Vortragenden, Bestsellerautor, Uni-Dozenten — oder, um bei der NZZ zu bleiben, Rockstar — könnte man dies nicht behaupten? Spricht es nicht eher für eine erstaunliche Bandbreite? Sollen öffentliche Personen künftig alle Altlinken, Einzelkämpfer und Verunsicherten ausladen, den Erwachten das Erwachen ausreden und die politisch korrekte Rhetorik der Gäste zum Thema US-Imperialismus einzeln überprüfen? Kann man nicht an jedem Menschen irgendetwas finden, was nicht perfekt ist? Es wird kompliziert. Doch sehen wir genauer hin.
Das Einsortieren in Schubladen dient der Verklammerung, der unguten Verbindung unterschiedlichster Aspekte zu etwas Gefürchtetem, um dem Leser Angst zu machen. Das große Damoklesschwert über dem Leser sind dabei natürlich wieder die gefürchteten „Verschwörungstheoretiker“, wie im Artikel gleich eingangs angekündigt, ein Kampfbegriff mit Tradition, aber ohne Bedeutung. Schließlich wurde vermutlich noch nie in der Geschichte eine Verschwörung ohne eine Arbeitshypothese — gleichbedeutend mit Theorie — aufgeklärt.
Mausfeld erklärt dieses Vorgehen wie folgt:
„Eine weitere Klasse kognitiver Mentalvergiftung stellen Denunziationsbegriffe und Diffamierungsbegriffe dar. Unter solchen Begriffen erfreuen sich gegenwärtig Begriffe wie ‚Querfront‘, ‚Verschwörungstheorie‘, ‚Antiamerikanismus‘ oder ‚Populismus‘ besonderer Beliebtheit bei den Macht- und Funktionseliten. Diese Begriffe haben eine perfide Logik: Sie beruhen auf einer bestimmten Form einer gedanklichen Verklammerung unterschiedlicher Themenbereiche, durch die suggeriert wird, zwei gänzlich unabhängige Themenbereiche seien gleichsam ihrem Wesen nach miteinander verwoben. Auf diese Weise sollen speziell Themen, deren öffentliche Diskussion die Machteliten und die sie stützenden Elitengruppen als unerwünscht und abträglich für ihren Status ansehen, dadurch in Diskredit gebracht werden, dass sie mit Themen verklammert werden, die geächtet sind oder als anrüchig gelten (...)“ (7).
Die Schublade des Antiamerikaners
Der „Antiamerikaner“ des NZZ-Verrisses ließ offenbar während eines ansonsten besonnenen Gesprächs über Zeitgeschichte die oben genannte Äußerung fallen. Er scheint damit geeignet gewesen zu sein, ein böses Klischee zu befeuern: Die USA sind das wohlwollende Imperium. Und wer das nicht glaubt, der ist Antiamerikaner.
„Die Vorstellung, die USA seien ein ‚benevolentes Imperium‘, und Ausdruck dieser Benevolenz sei die weltweite Förderung der ‚amerikanischen Demokratie‘, gehört zu den wohl erfolgreichsten Tiefenindoktrinationen der Geschichte“, erklärt Rainer Mausfeld.
„Sie wird praktisch stillschweigend und als eine Art Selbstverständlichkeit bei der Interpretation der außenpolitischen Aktivitäten der USA zugrunde gelegt und ist damit als Ideologie nicht einmal mehr erkennbar“ (8). Ein „benevolentes Imperium“ bedeutet hier, dass „dessen Handeln also von einem selbstlosen Wohlwollen getragen ist“. Eine solche Idee erweise sich zwar bereits bei einem Blick in die Geschichte als eine Absurdität, doch könne man mit hinreichenden propagandistischen Anstrengungen auch Absurditäten als Selbstverständlichkeiten erscheinen lassen (9).
Der abschließende Interview-Teil „Der Schattenfechter“ in der NZZ dient wiederum leider nicht der Information des Lesers, sondern der Diffamierung. „Ganser, eloquent und nie ohne Anzug unterwegs, immer mit Doktortitel vor dem Nachnamen, bringt einen Hauch von Elitarismus in eine Bewegung, die gegen Eliten aufbegehrt“, heißt es hier ironisch-herablassend unter weiteren ähnlichen Nebensächlichkeiten.
Nach der ausufernden Diffamierung des Publikums ist der NZZ-Leser an dieser Stelle wohl bereits äußerst voreingenommen, sodass die recht zusammenhanglos wiedergegebenen Bruchstücke aus dem Gespräch mit Ganser wenig weiterhelfen. Es handelt sich unter anderem um indirekte Schuldzuweisungen wie „Ich will wissen, ob er ein schlechtes Gewissen hat ob der Verunsicherung, die er sät: ‚Ist es nicht fahrlässig, so zu tun, als wäre Russia Today eine ähnlich gute Quelle wie die Tagesschau?‘“. Was soll man da antworten.
Erzeugung von Angst und Scham zur Abschreckung
Angst war immer schon ein verlässliches Mittel der Herrschaft, denn eine verängstigte Bevölkerung lässt sich leicht manipulieren und steuern. Angst kann dazu führen, dass wir Dinge zulassen und befürworten, die vollkommen gegen unsere eigenen Werte sind. Angst bringt Menschen dazu, in Kriege zu ziehen — oder unsere Bundeswehr in Kriege ziehen zu lassen, die wir nicht verstehen und die völkerrechtswidrig sind. Angst hält uns von Protesten und Demos fern und fördert Denunziantentum. Schließlich ist es auch die Angst, die uns davon abhält, uns unvoreingenommen und tiefgehend zu informieren, wenn wir etwas nicht verstehen oder wenn sich infolge einer bestimmten Propaganda unsere Nackenhaare aufstellen. Sich eigenständig mit Fragen zu beschäftigen, die die gegebenen Machtverhältnisse aufdecken, erfordert Mut.
Eine besonders gefürchtete und daher wirkungsvolle Form der Angst ist die Scham. Wer sich schämt, fühlt sich bloßgestellt und ausgegrenzt. Wer sich schämt, wird für jemand oder etwas anderes gehalten, als er ist. Wer sich schämt, wird verkannt. Scham stellt unsere eigene Orientierung, unser Selbst in Frage. Deshalb ist sie so unangenehm. Und deshalb ist sie so geeignet, um Bewegungen zu diskreditieren und kritische Geister, die sich mit neuen Erkenntnissen vielleicht gerade unsicher fühlen, auszubremsen.
Wie das geht, wird im hier besprochenen NZZ-Artikel par excellence gezeigt. Der Text enthält erschreckend viele teils offenkundige, teils eher versteckte Zeilen und Wendungen, welche dazu geeignet sind, Scham hervorzurufen oder andere Menschen zu verspotten.
Es beginnt mit dem Wort „Jünger“ in der Titelzeile. Das Wort für ein Publikum der Gegenwart zu benutzen ist purer Sarkasmus mit dem Subtext, die so Bezeichneten würden sich unterordnen, jemandem blind vertrauen und folgen. In der Analogie des Buchtitels und des Textes von Mausfeld gesprochen wäre das dann eine Schafherde (10). Ironischerweise geht dieser „Gag“ dementsprechend nach hinten los, denn diese Haltung zeichnet uns Menschen ja in dem Moment aus, in dem wir einem System, in welchem wir leben, immer und blind vertrauen. Der Artikel „Gansers Jünger“ endet paradoxerweise mit dem ironisch-kritischen Schlusssatz: „Zurück bleibt das diffuse Gefühl, dass man dem System nicht trauen kann.“ Wer also ist nun hier von irgendwem der „Jünger“?
Der „Erwachte“ gleich im ersten Kapitel des Artikels eignet sich dafür, Menschen dem Spott von anderen auszusetzen. Die Begründung für diese Kategorie ist eine einzelne Person, die gefragt haben soll, ob die Autorin auch eine „Erwachte“ sei. Im Artikel hat dieser prominent an erster Stelle stehende Punkt die Funktion, einen esoterisch-abgehobenen Touch ins Geschehen zu bringen, egal wie sehr dieser an den Haaren herbeigezogen ist. Bezüglich Kriegslügen, welche zu einem großen Teil ja bestens belegt und zu einem kleineren Teil auch einer breiten Öffentlichkeit lange bekannt sind, benutzen viele Leute das Wort „wach“ oder „wachsam“, im Gegensatz zu dem Zustand, in welchem einem die Lügen gar nie auffallen. Wer natürlich unbedingt will, kann daraus eine esoterische Wortwahl herbeireden.
Scham zu erzeugen durch die Suggestion eines esoterisch-abgehobenen Verhaltens des beschriebenen Publikums zieht sich durch den weiteren Text hindurch.
Bezüglich Corona heißt es: „Es ist die Geburtsstunde einer ganzen Familie neuer Verschwörungstheorien. Auch viele von Gansers Jüngern werden ihnen glauben.“ Einen ähnlichen Umgang mit dem Wort „Verschwörungstheorien“ empfahl die Central Intelligence Agency (CIA) schon im Jahr 1967 in einem damals geheimen Papier, um Skeptiker nach dem Kennedy-Mord mundtot zu machen. Hier heißt es:
„Kritiker haben sich oft von einer Art intellektuellem Stolz verleiten lassen: Sie beleuchten irgendeine Theorie und verlieben sich in sie; sie verspotten auch die Kommission, weil sie nicht immer jede Frage mit einer platten Entscheidung auf die eine oder andere Weise beantwortet hat.“
Auf der gleichen Schiene heißt es auch heute noch in der NZZ:
„Wissenschaftler sagen, Anhänger von Verschwörungserzählungen hätten oft eine narzisstische Sehnsucht: Sie genießen es, sich wissender als die anderen zu fühlen. Besonders.“
Auch die Beschreibung des „Einzelkämpfers“ nährt ein Klischee, welches geeignet ist, Scham zu erzeugen. Ben sei „ein Arbeiterkind und früher dick gewesen“ und in der Schule „gehänselt“ worden. Bei einem Gespräch zu viert trug er „einen etwas zotteligen Bart“, und seine Mutter und seine Freundin „hingen an (seinen) Lippen“. Was bedeutet das? Sie hörten aufmerksam zu? War irgendetwas an ihrem Verhalten so seltsam, dass es hier mit einer abwertenden Konnotation geschildert werden muss?
Die „Verunsicherten“ schließlich werden wie folgt beschrieben: „Die beiden tragen zwar Masken, sehen aber aus, als kämen sie direkt von einer Corona-Demo. Vor allem die Frau: Sie hat die Haare zu einer aufwendigen Mittelalterfrisur geflochten und trägt ein Stirnband mit einem geschwungenen Symbol an der Stirn.“ Wie genau sieht man aus, wenn man von einer Corona-Demo kommt? Welches Klischee wird hier bedient? Und was spricht eigentlich gegen ein individuelles Accessoire wie ein Stirnband?
Wenn ich den Text lese, glaube ich der Autorin ihre grundsätzliche Gesprächsbereitschaft mit dem Publikum und ein gewisses Interesse am Gegenüber. Warum nur lässt sie sich dazu hinreißen, ihre individuellen Eindrücke in ein aalglattes, politisch ausgefeiltes und wasserdichtes Diffamierungsschema zu pressen? Weil es so in der Redaktion gut ankommt, oder damit es in voller Länge veröffentlicht wird? War es das wirklich wert, die eigenen offenen Fragen — die sie im Text zum Glück zugibt — zu übergehen und die Diffamierung knallhart durchzuziehen? Es ist einfach traurig.
Ausblick
Daniele Ganser hat sich in Bezug auf die Corona-Debatte nicht auf eine bestimmte Position festgelegt, das steht so auch im Artikel der NZZ. Warum also erscheint überhaupt ein so langer Artikel über sein Publikum und ihn, mit einem so deutlichen Bezug zum Thema Corona?
Bei einem Vortrag in Berlin hat Ganser lange vor Corona einmal erwähnt, dass es generell ungemütlich sein kann, einen misstrauischen Historiker auf den Fersen zu haben. Viele andere Menschen vergäßen wieder, um was es überhaupt gegangen war, diese aber nicht, und sie hörten mit ihren Fragen dann nicht mehr auf.
Vielleicht ist aktuell die Angst einfach groß, dass irgendetwas am laufenden Corona-Narrativ den Historiker misstrauisch gestimmt haben könnte.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Mausfeld, Rainer: Warum schweigen die Lämmer?, Westend Verlag, Seite 157f.
(2) ebenda, Seite 57.
(3) ebenda, Seite 71.
(4) ebenda, Seite 67.
(5) ebenda, Seite 64f.
(6) ebenda, Seite 66.
(7) ebenda, Seite 74.
(8) ebenda, Seite 91.
(9) ebenda, Seite 81.
(10) ebenda, Seite 60.
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