Das Anthropozän: Forscher schlugen vor, den Begriff in die geologische Zeitskala aufzunehmen. Er bezeichnet den Übergang in ein Zeitalter, das vom Einfluss des Menschen auf die geologischen Prozesse der Erde geprägt ist. Die zeitliche Einordnung, Relevanz und Notwendigkeit des Konzepts werden unter Geologen noch diskutiert. Dennoch wird der Begriff in der Wissenschaft immer häufiger verwendet. Dies liegt daran, dass Experten aus verschiedensten Disziplinen erkennen, dass die Zukunft der gesamten Erde zum ersten Mal in der Geschichte des Planeten grundlegend von den Handlungen der menschlichen Spezies bestimmt wird und die Auswirkungen des menschlichen Handelns noch für Generationen, wenn nicht sogar Jahrtausende nachwirken werden.
Doch wenn man vom Anthropozän spricht, geht es nicht nur um den Klimawandel. Das Konzept impliziert ein System des Seins, das auf der maximalen Ausbeutung von Ressourcen auf Kosten von entbehrlichen „Anderen“ beruht. Es hängt eng mit einem globalen System des Rassismus, einem Erbe des jahrhundertelang andauernden Kolonialismus, zusammen. Und ist es untrennbar mit einer nicht endenden Abfolge industrieller Kriege verbunden, die ihren vorläufigen Kulminationspunkt mit dem endlosen „Krieg gegen den Terror“ erreichte.
Die Erde wird bis zur Unkenntlichkeit terraformiert
Das wichtigste Argument für die Bemühungen, das Anthropozän als eigenes Zeitalter in der Geschichte der Erde zu definieren, sind vermutlich die beispiellosen Folgen des vom Menschen verursachten Klimawandels. In den letzten Jahrzehnten entstand unter Klimawissenschaftlern weltweit der Konsens, dass die Menschheit durch ihren rasant ansteigenden Verbrauch fossiler Brennstoffe — also die Verbrennung von Öl, Gas und Kohle — den natürlichen Kohlenstoffkreislauf der Erde destabilisiert. Die Experten warnten wiederholt vor den Auswirkungen dieser Aktivitäten.
Hunderttausende von Jahren hielt die Erde ein Gleichgewicht aufrecht, eine Art „sicheren Funktionsraum“, der eine optimale Umgebung für Menschen und andere Lebewesen bot und in dem die Menge an Kohlenstoff, die vom planetaren Ökosystem emittiert und absorbiert wurde, stabil blieb.
Doch seit der industriellen Revolution, die zu einer unaufhaltsamen Expansion der menschlichen Zivilisation und einem steigenden Verbrauch fossiler Energiequellen führte, sind die damit zusammenhängenden Kohlendioxidemissionen so stark gestiegen, dass der Planet sie nicht mehr absorbieren kann. Das Resultat ist ein stetiger Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen.
Wissenschaftler warnen davor, dass die vermehrte Freisetzung von CO2 in die Erdatmosphäre und die dadurch zusätzlich aufgenommene Sonnenwärme das Klima-, Wetter- und Ökosystem der Erde zerstören. Während die menschliche Zivilisation ihre Expansion fortsetzt und immer größere Mengen an fossilen Energieträgern verbrennt, belegen Studien, dass das Ökosystem des Planeten ab einem bestimmten CO2-Gehalt und einer bestimmten globalen Erwärmung einen Wendepunkt überschreiten und in eine neue, gefährliche Ära eintreten wird — eine Ära, die nicht mit den vorigen Hunderttausenden von Jahren vergleichbar ist, mit Bedingungen, unter denen der Mensch noch nie gelebt hat.
Konservative Prognosewerte weisen darauf hin, dass wir uns auf einen globalen durchschnittlichen Temperaturanstieg zwischen 3 und 6 Grad Celsius zubewegen, wenn wir einfach so weitermachen wie bisher.
Anderen Schätzungen zufolge steuern wir auf eine Erderwärmung von 8 Grad Celsius zu. Dies ermittelte beispielsweise die globale Investmentfirma Schroders anhand des derzeitigen Verbrauchs fossiler Brennstoffe. In einer von der Climate Change Research Division des Energieministeriums der USA finanzierten Studie kamen Forscher zu demselben Ergebnis. Sie hoben die potenziellen Auswirkungen „vervielfältigender Rückkopplungsschleifen“ hervor, die durch die sich verändernden Prozesse der Erdsysteme ausgelöst werden und den Treibhausgaseffekt noch verstärken könnten.
Die meisten Klimawissenschaftler sind sich darüber einig, dass bei einer Erwärmung zwischen 4 und 6 Grad Celsius ein solches Ausmaß an Chaos entstehen würde, dass der Planet größtenteils unbewohnbar würde. Welche Veränderungen resultieren, ist kompliziert, sie hängen vom Konzept der „Erdsystemsensibilität“ ab — also davon, wie empfindlich die Ökosysteme des Planeten auf die sich verändernden CO2-Werte reagieren. Aber selbst bei einer konservativen Schätzung dieser Sensibilität sollte bereits eine Erwärmung von drei Grad — das Minimum, auf das wir uns im Moment zubewegen — als „extrem gefährlich“ eingestuft werden. Ein durchschnittlicher globaler Temperaturanstieg zwischen der Drei-bis-vier-Grad-Schwelle würde wahrscheinlich Bedingungen schaffen, in denen die Kerninfrastrukturen der menschlichen Zivilisation nicht mehr aufrechterhalten werden könnten.
Die Regierungen, die die Bedrohung ernst nehmen, tun das nur insoweit, als dass sie vor allem deren Auswirkungen auf ihr eigenes System bewerten und überlegen, wie sie im Umfeld einer zunehmenden Instabilität alles so weiterlaufen lassen können wie bisher.
Studien, die in diesem Kontext durchgeführt wurden, kamen zu dem Ergebnis, dass unser derzeitiger Klimawandelkurs die Wahrscheinlichkeit von Konflikten erhöhen wird.
Die nationalen Sicherheitsbehörden der westlichen Welt, die Untersuchungen zu dem Thema durchgeführt haben, sind sich weitgehend darüber einig, dass durch den Klimawandel zwar nicht automatisch Krieg erzeugt wird, er aber als eine Art „Verstärker“ für die Wahrscheinlichkeit von Kriegen fungiert, da er zu Wasserknappheit, zum Verfall überlebenswichtiger Nahrungsmittelsysteme, dem Zusammenbruch der konventionellen Energieversorgung sowie zu extremen Wetterereignissen mit unvorhersehbaren Auswirkungen führt. Diese Folgen des Klimawandels können Infrastrukturen zerstören und zum Zusammenbruch öffentlicher Institutionen führen. Es herrscht ein breiter Konsens darüber, dass die zunehmenden Ausbrüche von Kriegen und Konflikten wahrscheinliche Symptome des Klimawandels auf einem Business-as-usual-Pfad sind.
Problematischerweise wird dennoch kaum darüber gesprochen, dass das menschliche System geändert werden muss, das uns in diesen Zustand gebracht hat. Stattdessen wird uns meistens erzählt, es bedürfe eines Ausbaus der Sicherheitskräfte, um dem klimawandelbedingten Chaos unserer Welt entgegenwirken zu können. Es soll also genau jenes System gestärkt werden, das das Problem überhaupt erst verursacht hat.
Am anderen Ende des Spektrums lässt sich ein absoluter staatlicher Verleugnungsgedanke erkennen. Dieser beruht auf dem Bestreben, das Prinzip der endlosen Ausbeutung fossiler Brennstoffe um jeden erdenklichen Preis zu schützen. Im März 2019 erwog die Trump-Regierung, einen Ausschuss des Weißen Hauses zu gründen, um die Ergebnisse dutzender vom Militär und den Geheimdiensten durchgeführter Gutachten über die schwerwiegenden klimawandelbedingten Sicherheitsrisiken anzufechten. Dies ist überaus aufschlussreich, verursacht das Pentagon doch mehr Treibstoffemissionen als 140 Staaten auf der Welt.
Das Argument der „nationalen Sicherheit“ erzeugt eine Scheuklappenperspektive, die dazu führt, dass der Blick der Menschen vorwiegend auf die physischen Bedrohungen von Nationalstaatsinteressen gerichtet ist.
Die daraus resultierende Kriegsbesessenheit ist letzten Endes kontraproduktiv und symptomatisch für den fragmentarischen kognitiven Rahmen, in dem menschliche Institutionen derzeit denken und handeln. Sie fokussiert auf kurzsichtige Art die Frage, wie das Überleben bestehender staatlicher Funktionsweisen und dahinterstehender Interessensgruppen gewährleistet werden kann, anstatt die Krise als das anzusehen, was sie ist: eine weltweite existenzielle Bedrohung für unsere gesamte Spezies.
Falls der schlimmste Fall eintritt, wäre Krieg unser geringstes Problem, denn dann verwandelt sich die Erde in ein Treibhaus. Eine Studie der Proceedings of the National Academy of Sciences ergab, dass die Unbewohnbarkeit des Planeten nicht nur eine in ferner Zukunft liegende Möglichkeit ist, die durch einen Temperaturanstieg von mehreren Grad Celsius ausgelöst werden könnte. Nein, möglicherweise steht dieser Moment kurz bevor oder er ist bereits eingetreten, bezeichnete der ehemalige leitende Klimawissenschaftler der NASA, James Hansen, den derzeit erreichten Temperaturanstieg von ungefähr einem Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Durchschnittswert doch als die Obergrenze für ein sicheres Leben auf der Erde. Oberhalb dieses Wertes, so argumentiert Hansen, bewegen wir uns in einem gefährlichen und unberechenbaren Klima, wobei einige der daraus resultierenden Folgen unumkehrbar sein könnten.
Doch der Klimawandel ist nicht die einzige Komponente der Krise. Unser Zivilisationsmodell, dessen Motor ein exponentiell steigender Energie- und Ressourcenverbrauch ist, hat weltweit zu einem rasanten Anstieg der Ressourcenausbeutung und Müllproduktion geführt. Die dadurch entstandene Krise der biologischen Vielfalt spitzt sich immer mehr zu. Die Folge sind potenziell unumkehrbare Veränderungen in Böden und Ozeanen, die ein Massensterben vieler Arten mit sich bringen.
Die menschliche Zivilisation und der Krieg gegen das Leben
Vor ungefähr 15 Jahren bot die Studie Millenium Ecosystem Assessment der UNO als eine der ersten einen vernichtenden Einblick in die vom Menschen herbeigeführte Zerstörung, von der das Anthropozän geprägt ist. Die Studie legte die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts als einen markanten Wendepunkt in ein neues Zeitalter fest, da ab diesem Zeitpunkt die schnell wachsende industrielle Landwirtschaft mit einem zunehmenden Schwinden der biologischen Vielfalt einherging.
Der Konsum von Nahrung, Wasser und Kraftstoff ist seither nicht nur exponentiell gestiegen, sondern hat auch immer mehr in Lebensräume eingegriffen: allein in den letzten 50 Jahren mehr als in der gesamten Geschichte der Menschheit. Die UN-Studie berichtete, dass die Rate der aussterbenden Arten in den 1950ern bis zu tausend Mal höher war als die größte Aussterberate, die anhand von Fossilien ermittelt wurde. Diese betrug, gemessen an 1000 Säugetierarten, weniger als eine Spezies pro Jahrtausend. Die UN-Einschätzung geht davon aus, dass die Rate aktuell noch steigt und in naher Zukunft „zehnmal höher“ liegen wird.
Die Situation ist inzwischen viel schlimmer als ursprünglich angenommen. Dieses Jahr wurde der globale Untersuchungsbericht der UN-Organisation Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services veröffentlicht. Darin heißt es, dass eine Million von insgesamt acht Millionen Tier- und Pflanzenarten des Planeten in naher Zukunft vom Aussterben bedroht sind. Die Hauptursachen seien die durch die Expansion der menschlichen Zivilisation vorangetriebenen klimatischen Veränderungen, der Verlust von Lebensräumen, Überfischung, Verschmutzung und das Eindringen nicht heimischer Arten.
Zahlreiche Studien warnen davor, dass unser derzeitiger Kurs auf den Zusammenbruch unserer heutigen Form der Zivilisation zusteuert. Ein mithilfe von Mitteln der NASA entwickeltes Modell zeigte, dass das gegenwärtige Modell des endlosen Wachstums der menschlichen Zivilisation wahrscheinlich zu einem Rückgang von Erträgen und einer stärkeren wirtschaftlichen Schichtenbildung führen wird und letztendlich zusammenbricht. Das Modell zeigte, dass Zivilisationen dazu neigen, einen Wachstumskurs zu verfolgen, der auf einer ständigen Zunahme an Komplexität beruht, wobei zur Problemlösung immer neue Komplexitätsebenen hinzugefügt werden.
Mit jeder neuen Ebene werden komplexere Probleme geschaffen, die noch komplexere Ebenen der Problemlösung erfordern, wodurch wiederum weitere Probleme geschaffen werden. Dieses Kreislaufkonzept stützt sich auf die Arbeit des Archäologen Joseph Tainter, der Dutzende von früheren Zivilisationen untersuchte. Es lässt darauf schließen, dass jede Zivilisation letztendlich unter dem unhaltbaren Gewicht ihrer eigenen Komplexität, hervorgerufen durch einen exzessiven Ressourcenverbrauch und eine ungleiche Verteilung von Reichtum, zusammenbrechen wird — außer man fängt rechtzeitig damit an, den Konsum und die Verteilung anzupassen.
Dieses spezielle Modell war relativ simpel und beschränkte sich auf eine geringe Zahl von Variablen, um die allgemeine Plausibilität der Kernhypothese zu untersuchen. Einige Jahre später wurde vom Global Sustainability Institute der Anglia Ruskin University mit finanziellen Mitteln des britischen Außenministeriums ein weitaus komplexeres wissenschaftliches Modell mit Tausenden von Dateneinträgen entwickelt. Falls der Alles-wie-bisher-Kurs auch in Zukunft gehalten wird, bricht die menschliche Zivilisation nach diesem Modell ungefähr im Jahr 2040 zusammen. Zu diesem Zeitpunkt werden die Klima-, Energie-, Nahrungsmittel- und Wasserkrise gleichzeitig eskalieren und die großen Volkswirtschaften inmitten epidemischer Nahrungsmittelkonflikte zusammenbrechen. Möglicherweise werden auch konventionelle Kriege stattfinden, doch unabhängig davon wird es auf dem ganzen Planeten zu zivilen Unruhen kommen — sowohl innerhalb von Grenzen als auch darüber hinaus.
Dieses Jahr wurde unter Berücksichtigung der einschlägigen wissenschaftlichen Literatur und mit Unterstützung des ehemaligen Chefs des australischen Militärs eine Szenarioanalyse durchgeführt. Ziel war es, ein plausibles Zukunftsszenario für den Alles-wie-bisher-Kurs zu skizzieren, basierend auf dem Wissen darüber, wie die Ökosysteme unseres Planeten auf vom Menschen verursachte CO2-Emissionen möglicherweise reagieren. Für die Analyse wurden die wissenschaftlichen Beweise für ein mögliches Treibhausszenario berücksichtigt, sie zeigte, dass die menschlichen Gesellschaften aufgrund der fatalen Auswirkungen des Klimawandels auf wichtige Ökosysteme spätestens im Jahr 2050 einem Zustand „völligen Chaos“ gegenüberstehen werden.
Zwei Milliarden Menschen werden an Wasserknappheit leiden, eine weitere Milliarde wird zur Emigration gezwungen sein, um zu überleben. Dies würde die Funktionsfähigkeit der menschlichen Zivilisation stark beeinträchtigen und die Wahrscheinlichkeit eines völligen Zusammenbruchs erhöhen.
In der Szenarioanalyse wird der australische Sicherheitssektor — jene für Krieg zuständigen Behörden — dazu aufgefordert, angemessener auf diese Risiken zu reagieren — und zwar durch die Initiierung einer Notfallmobilisierung in der Größenordnung des Zweiten Weltkrieges, um den Übergang zu einer Zivilisation nach dem Zeitalter der fossilen Brennstoffe zu gewährleisten.
Obwohl der Aufruf vielleicht gut gemeint war, berücksichtigte der Bericht nicht, dass diese Kriegsbehörden strukturell wahrscheinlich nicht in der Lage sind, eine solche Maßnahme zu ergreifen — weil sie Teil der Institutionen sind, auf der das derzeitige System der fossilen Brennstoffe beruht. Eine Transformation des aktuellen Systems würde diese Behörden ihrer eigenen Daseinsberechtigung berauben.
Eine weitere Analyse in Form eines wissenschaftlichen Briefings, die in den Sustainable Development Goals Report der UN einfloss, ergab, dass einer der Hauptgründe für das steigende Risiko eines Zusammenbruchs in der Natur des endlosen Wachstumsmodells der derzeitigen Struktur des Kapitalismus liegt. Je mehr wir unseren Verbrauch an Ressourcen, Rohstoffen, Mineralien und Energie erhöhen, desto schneller brauchen wir die billigen und reichhaltigen Ressourcen auf. Aus diesem Grund steigen die Kosten für die weitere Produktion. Basierend auf der wegweisenden Arbeit des Umweltschützers Professor Charles Hall wird in der Studie dafür plädiert, in Hinblick auf die nationalen und globalen Energiesysteme die Methode des Energy Return on Investment anzuwenden, um ihre tatsächliche Effizienz zu messen — mit dem EROI wird die Menge der Energie gemessen, die zur Energiegewinnung benötigt wird.
Das Ergebnis? Die Energieeffizienz sinkt vor allem aus geologischen Gründen. Die Kosten der Produktion steigen aufgrund eines größeren Energieverbrauchs und komplizierterer Mechanismen der Nutzbarmachung. Dadurch sinkt der Ertrag für die Gesellschaft. Da wir immer mehr Energie und Ressourcen dafür verwenden, mehr Energie und Ressourcen zu gewinnen, wird der Überschuss, den wir zur Finanzierung der für den Erhalt einer Zivilisation notwendigen öffentlichen Güter und Dienstleistungen benötigen, immer geringer. Das bedeutet nicht, dass uns die Energieressourcen ausgehen — aber es bedeutet, dass die Reserven für die Investition in wichtige soziale Güter durch die steigenden Energie- und Umweltkosten immer weiter zurückgehen.
Die französischen Ökonomen Victor Court und Florian Fizaine belegten in einer aktuellen globalen EROI-Studie, dass wir den Höchstwert des Effizienzniveaus schon lange überschritten haben. Die Menge der nutzbaren Energie aus fossilen Brennstoffen im Vergleich zur investierten Energie war einst lukrativ hoch: In den 1960er Jahren betrug das Verhältnis etwa 44:1. Seither ist der Erntefaktor global gemessen unaufhaltsam auf etwas mehr als 30:1 zurückgegangen. Begleitet wurde diese Entwicklung von einer langfristigen Verlangsamung der Wachstumsrate der Weltwirtschaft, einem Rückgang der Produktivität und einem Anstieg der Verschuldung.
Die Ökonomen prognostizierten, dass wir bei dem derzeitigen Rückgang der Energieeffizienz im Jahr 2100 den gleichen Erntefaktor aus fossilen Brennstoffen haben werden wie im Jahr 1800. Auch wenn der Gesamtwert der produzierten Energie bis zum Ende des Jahrhunderts wahrscheinlich höher sein wird als im 19. Jahrhundert, könnte der verfügbare Energieüberschuss auf dem gleichen Niveau liegen, wenn wir unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen einfach wie bisher beibehalten.
Durch diese missliche Lage entstehen bereits jetzt soziale Unruhen und eine gesellschaftliche Polarisierung. Auch der Populismus lebt wieder auf in dieser Situation, in der weder die Regierungen noch die breitere Öffentlichkeit zu verstehen scheinen, warum die Volkswirtschaften unter chronischer Dysfunktionalität, Instabilität und geringem Wachstum leiden.
Der Bericht an die UN prognostiziert, dass das derzeitige Wirtschaftssystem, das für sein Überleben von einem endlosen Wachstum abhängt, einfach nicht aufrechterhalten werden kann. Er deutet daher hin auf eine Zukunft, geprägt von zunehmenden Unruhen ohne einen Kurswechsel. Wir werden früher oder später zu einer neuen Wirtschaftsform übergehen müssen — wenn wir es nicht tun, steigt das Risiko sozialer Spannungen, die in Konflikte umschlagen könnten und im schlimmsten Fall sogar zu einem Zusammenbruch führen.
Krieg als Spiegelbild der Zivilisation
Das Risiko des Zusammenbruchs ist untrennbar mit Krieg verbunden, denn der Wachstumskurs der industrialisierten Zivilisationen ermöglichte einerseits die Entwicklung von Kriegstechnologien, andererseits ermöglichen diese den Wachstumskurs.
In diesem Jahr bestätigte die wissenschaftliche Arbeitsgruppe, die zur Bestimmung der Anthropozän-Definition etabliert worden war, den Startpunkt für den Beginn der neuen geologischen Epoche wie ursprünglich vorgeschlagen auf das Jahr 1950 zu legen.
Diese Bestätigung ist die erste Stufe in einem längeren wissenschaftlichen Prozess, in dem diese Hypothese — denn mehr ist die vorgeschlagene Epoche in wissenschaftlicher Hinsicht noch nicht — auf ihre Gültigkeit hin überprüft wird. Die vorläufige Einschätzung, dass der Startpunkt des neuen Zeitalters in der Mitte des 20. Jahrhunderts anzusetzen ist, basiert auf der Annahme, dass dieser Zeitpunkt durch industrielle Expansion, die Ausbreitung landwirtschaftlicher Chemikalien und insbesondere die Erfindung und den Einsatz der Atombombe einen Wendepunkt hin zu einer neuen Epoche der menschlichen Eingriffe in die Geologie der Erde darstellte. Die radioaktiven Trümmer von Atombomben lagerten sich beispielsweise in Sedimenten und Gletschereis ab und wurden Teil der geologischen Aufzeichnungen. Die genannten Entwicklungen hinterlassen überall auf dem Planeten einen beispiellosen und unverwechselbaren menschlichen Fußabdruck, der noch für Jahrzehnte, Jahrhunderte und Jahrtausende zu sehen sein wird.
Demzufolge ist der Krieg in den Stoff des Anthropozäns eingewoben. Sowohl das zwanzigste als auch das einundzwanzigste Jahrhundert sind beispielhaft für die inhärent ökozidiale Dynamik des exponentiellen Wachstums der menschlichen Zivilisation. Sie teilen ein weiteres typisches Merkmal, nämlich die systematische Verbreitung von Krieg, massiver Gewalt und vielfältiger Formen des Genozids.
Diese parallelen Merkmale — Ökozid und Genozid, die Zerstörung unseres überlebensnotwendigen Ökosystems und die Zerstörung des Lebens von Mitgliedern unserer eigenen Spezies — treten nicht zufällig gemeinsam auf. Vielmehr sind sie inhärente Bestandteile des menschlichen Lebens in seiner jetzigen Form.
Seit 1945 befindet sich die menschliche Zivilisation im Spannungsfeld zwischen zwei pseudowissenschaftlichen Ideologien des endlosen Wachstums: dem Kapitalismus und dem Kommunismus. Erstere basiert auf der Grundlage extremer Privatisierung und Individualisierung und letztere auf extremer Verstaatlichung und Kollektivierung. Beide Paradigmen sahen die Erde kaum als mehr an als ein externes Ressourcenlager, das für den endlosen Konsum der Spezies Mensch ad infinitum ausgenutzt werden sollte — einer Spezies, die sich heute durch ihre Fähigkeit zu einer technologisierten Industrie definiert.
Beide Ideologien versprachen, dass ihre Paradigmen utopische Oasen des industriellen Wohlstands für ihre jeweiligen Gesellschaften hervorbringen würden.
Tatsächlich aber konstruierten sie die Erde als etwas „Anderes“, als eine bloße Ressource, die dem Konsum des Raubtiers Mensch dient. Auf ähnliche Weise wurde mit großen Teilen der arbeitenden Bevölkerung in- und außerhalb ihrer abgegrenzten Gebiete verfahren: Sie wurde als reines Instrument zur endlosen Beschleunigung der industriellen Produktivität gesehen. Und als ob das noch nicht genug wäre, haben sich die beiden Ideologien bei jedem Aufeinandertreffen — und auch dann, wenn sie nicht aufeinandertrafen — stupide als „Andere“ konstruiert.
Das Ergebnis war, dass im Zuge der sehr unterschiedlichen Expansionsbemühungen der beiden Systeme Millionen von Menschen starben.
Die Sowjetunion und das maoistische China wandten auf ihrem Weg zur Produktivitätssteigerung brutale Kollektivierungsmethoden an, was — nicht überraschend — zu massenhaften Opfern führte. Zu den Methoden gehörte unter anderen die Erzeugung verheerender künstlicher Hungersnöte: Durch Stalins Politik wurden zwischen 20 und 60 Millionen Menschen eliminiert, in China verhungerten 27 Millionen Menschen im Zuge von Maos Industrialisierungskampagne des „Großen Sprungs nach vorn“.
Aber auch die liberalen westlichen Regierungen haben im Rahmen einer ersten großen Gewaltwelle seit dem vorläufig definierten Beginn des Anthropozäns eine sehr deutliche Blutspur hinterlassen.
Seit 1945 haben westliche Regierungen — angeführt von den USA, euphemistisch bezeichnet als der Anführer der „freien kapitalistischen Welt“ — ununterbrochen in der ganzen Welt offene und verdeckte militärische Interventionen durchgeführt. Dies führte in über 70 Entwicklungsländern in Asien, Afrika, Südamerika und dem Nahen Osten zu anhaltenden Unruhen und Gewalt.
Der britische Historiker Mark Curtis schätzt die Gesamtzahl der direkten und indirekten aus diesen Interventionen resultierenden Todeszahlen auf ungefähr 8,6 bis 13,5 Millionen Menschen — eine konservative Schätzung, wie er klarstellt. Die Interventionen zielten häufig gegen aufkommende nationale Bewegungen zu mehr Selbstbestimmung. Sie wurden offiziell mit dem Argument der Bekämpfung kommunistischer Subversion legitimiert.
Curtis‘ Auswertung von US-amerikanischen und britischen Regierungsarchiven offenbarte jedoch, dass die kommunistische Bedrohung von politischen Entscheidungsträgern zur Rechtfertigung eines Militarismus, der auf die Verteidigung westlicher Geschäftsinteressen und die Kontrolle wichtiger Ressourcen und Rohstoffe ausgerichtet war, bewusst aufgebläht wurde. Die größte Beute im Nahen Osten war beispielsweise die Kontrolle über strategische fossile Energiequellen, das Lebenselixier des wirtschaftlichen Wachstums.
Der Entwicklungsökonom J. W. Smith setzte die Zahl der direkt durch militärische Inventionen verursachten Todesopfer höher an, nämlich zwischen 12 und 15 Millionen. Zusätzlich seien weitere „Hunderte von Millionen“ an den Folgen der Zerstörung und der anschließenden wirtschaftlichen Umstrukturierungen gestorben. Smith stellte dar, wie westliche Interventionen den Weg für die Implementierung neuer kapitalistischer Verhältnisse ebneten, die auf die Beseitigung des inneren Widerstands und die gewaltsame Einbindung der Entwicklungsländer in die globale kapitalistische Wirtschaft abzielten.
Statt abzuflauen, ist dieser Kriegskurs im 21. Jahrhundert eskaliert. Die dahinterstehende Logik ist nach wie vor die Gewährleistung des Zugriffs auf Ressourcen und Arbeitskräfte unter Anwendung von Gewalt, um die sich ständig erweiternden Netzwerke des globalen Kapitals zu füttern. Verkauft wird dieser Prozess jedoch unter dem Deckmantel von Schlagwörtern wie Humanitarismus, Entwicklungshilfe und „nationaler Sicherheit“.
So handelt es sich bei den Interventionen in Irak und Afghanistan im Rahmen des „Krieges gegen den Terrorismus“ im Grunde genommen um Ressourcenkriege.
Dokumente des britischen Außenministeriums belegen eindeutig, dass die britischen und US-amerikanischen politischen Entscheidungsträger die Invasion und Besetzung des Irak als Möglichkeit sahen, den Zugang zu einem der größten Ölvorkommen der Welt sowie einen kontinuierlichen Ölnachschub für die Weltmärkte sicherzustellen und so zur Stabilisierung der Weltwirtschaft beizutragen. In Afghanistan enthüllten Aufzeichnungen der Nationalversammlung, dass westliche Kräfte seit langem versuchen, eine transafghanische Pipeline für den Transport von Öl und Gas aus Zentralasien zu westlichen Märkten zu bauen und so die US-Rivalen Iran und Russland zu umgehen. In dem letztendlich gescheiterten Versuch, die für das Vorhaben notwendige „Sicherheit“ zu etablieren, hatten die USA und Großbritannien in den 1990er Jahren sogar die Taliban finanziert.
Sowohl die Regierung Obama als auch die Regierung Trump unterstützten fortlaufend das Pipelineprojekt, an dem weiter gebaut wird.
In den Ressourcenkriegen des Anthropozäns geht es immer um die Durchsetzung verschiedener Interessen.
Die Konflikte in Irak und Afghanistan erzeugten ein ungeheures Ausmaß an Gewalt. Allgemein anerkannte Schätzungen liegen bei hunderttausenden Opfern. Dies wäre bereits schlimm genug. Es gibt jedoch höher angesetzte, plausiblere Schätzungen, denen zufolge den Konflikten seit 1990 auf direkte oder indirekte Weise weit mehr Menschen zum Opfer fielen: insgesamt wahrscheinlich etwa vier Millionen.
Seitdem vermehrte und intensivierte sich die Kriegsführung im Anthropozän auf eine neue, auffallende Art und Weise. Grund dafür ist die stetige Beschleunigung der konvergierenden Klima-, Energie-, Nahrungsmittel- und Wasserkrisen, in deren Rahmen die schwächeren Knotenpunkte der menschlichen Zivilisation mit sich einander überschneidenden Ebenen des Zusammenbruchs konfrontiert werden. So uferte der Arabische Frühling 2011 zu einer verzögerten, langfristigen Verschmelzung von Aufständen, Bürgerkriegen und bewaffneten Konflikten aus, die sich in Ägypten, Syrien, Libyen, dem Jemen und darüber hinaus ausbreitete.
Der arabische Frühling wurde durch einen Schock der Nahrungsmittelpreise ausgelöst. Dieser wiederum wurde verursacht durch ein Zusammenwirken von Energie- und Wirtschaftsschocks und einer Reihe von Klimaschocks, die zu Dürren und extremen Wetterkrisen in den großen Kornkammern der Welt geführt hatten.
In den Jahren vor dem Arabischen Frühling hatten viele Regierungen, von Syrien über Ägypten bis hin zum Jemen, die Subventionen für Nahrungsmittel und Kraftstoff gekürzt. Dies war vor allem durch einen Zusammenbruch der Staatseinnahmen bedingt gewesen, denn viele dieser Länder waren ehemals große Ölexporteure, hatten jedoch Mitte der 1990er Jahre den Zenit ihrer konventionellen Ölressourcen überschritten. Als die Produktion zu sinken begann, gingen auch die Exporterlöse zurück. Da in den Jahren vor 2011 also Subventionen wegfielen, es aufgrund zügelloser Marktspekulationen globale Preisanstiege auf Rohstoffe gab und eine weltweite Nahrungsmittelknappheit herrschte, schossen die Preise für Grundnahrungsmittel in den weitgehend importabhängigen arabischen Ländern in die Höhe. Als die Menschen sich kein Brot mehr leisten konnten, gingen sie in der gesamten Region auf die Straße.
Die Krise im Nahen Osten wurde durch die globale Krise des anthropozänen Erdsystems entscheidend in die Länge gezogen und verstärkt. Dies wiederum führte in den Jahren 2011 bis 2015 zu einem noch nie dagewesenen Ausmaß an Migrationsbewegungen und Asylgesuchen. Allein in Syrien starben etwa 11,5 Prozent der Bevölkerung in dem an den Arabischen Frühling anschließenden Krieg.
Der Westen, Russland, der Iran, die Türkei, Saudi-Arabien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate hatten geopolitisch begründet bereits seit längerem um die Kontrolle über Syrien gerungen, nicht zuletzt wegen seiner strategischen Lage als potenzieller Umschlagsort für Öl und Gas für die Weltmärkte. Die Anhänger dieser verschiedenen Parteien neigen eigentlich dazu, ihre jeweiligen Komplizen zu entlasten. Deswegen ist es erwähnenswert, dass sich das US-Außenministerium vor dem Aufstand 2011 in aktiven Verhandlungen mit Syrien und EU-Beamten befand, um für den Transport von irakischem Öl den Bau einer Pipeline auf syrischem Gebiet voranzutreiben.
Gleichzeitig betrachtete Putin Assads Bemühungen, die strategische Position Syriens bezüglich der Energiekorridore der Region zu nutzen, als fundamentale Bedrohung für seine eigenen Pläne zum Gasexport. Der Krieg lieferte einen idealen Spoiler. Alle interessierten Parteien versuchten, ihn für ihre eigenen Pläne zu nutzen — ohne jegliche Rücksicht auf das syrische Volk.
Im Anthropozän haben sogenannte Anti-Imperialisten keine Skrupel, aufgrund persönlicher Interessen Ressourcenkriege zu führen.
Die Flucht von Millionen von Menschen nach Europa war eine direkte Folge dieser Kriege. Sie flohen vor verheerenden geopolitischen Konflikten, die einerseits durch die Eigeninteressen verschiedener Parteien und andererseits durch schwere vom Klimawandel verursachte Dürren hervorgerufen oder verstärkt worden waren.
Dr. Raya Muttarak ist Koautor einer Schlüsselstudie über den Zusammenhang zwischen Klima und Migration und Dozent für Geografie und internationale Entwicklung an der University of East Anglia. Er verdeutlicht, dass die klimatischen Entwicklungen im Zeitraum von 2010 bis 2012, als viele westasiatische Länder im Rahmen des Arabischen Frühlings politische Transformationen durchliefen, einen starken Einfluss auf das Entstehen von Konflikten in diesen Ländern hatte. Muttarak und sein Team stellten fest, dass der Klimawandel durch die Entstehung von Dürren und die daraus resultierende Massenmigration die Grundlage für die gärenden Spannungen schuf, die schließlich zum Ausbruch des Krieges in Syrien und anderen Teilen der Region führten.
Die durch diese Prozesse ausgelöste Massenmigration wiederum hat die Politik der gesamten westlichen Hemisphäre verändert und radikalisiert. Sie bot ein gefundenes Fressen für radikale nationalistische Narrative, finanziert durch riesige Mengen an „dunklem Geld“ aus einem Querschnitt der transatlantischen rechtsgerichteten Elite, die größtenteils ein persönliches Interesse daran haben, die Nichtregulierung von Öl- und Gasriesen sowie anderer Großkonzerne beizubehalten.
Die Massenmigration schürte also nativistische Ängste, die dazu beitrugen, den Aufstieg radikaler nationalistischer Bewegungen voranzutreiben. Diese fanden plötzlich eine neue Anhängerschaft für ihre Ansichten und ihre Politik: Die wachsende Zahl desillusionierter einfacher Bürger, die mit der herrschenden Ordnung unzufrieden waren, aber den Grund dafür nicht verstanden. Sie spürten und wussten, dass etwas nicht stimmt, dass die alte Ordnung kurz vor dem Zusammenbruch steht, aber ihre Diagnose ist unvollständig, narzisstisch, fragmentiert und symptom-orientiert. Dies hat wiederum zu einem unvollständigen, narzisstischen, fragmentierten und symptom-orientierten politischen Reaktionismus geführt.
Der Siegeszug des Rechtsextremismus nach dem Ausbruch der Erdsystemkrise im Nahen Osten zwischen 2011 und 2015 kann daher als direkte Folge einer inkohärenten kognitiven Reaktion auf das Hauptsymptom der Krise — die verzweifelte Massenwanderung schutzloser Menschen — betrachtet werden.
Wir wurden also Zeugen davon, wie sich die westlichen politischen Systeme im Zuge von seismischen Verschiebungen rekonfigurierten, wie sich Machtverhältnisse verhärteten und zentralisierten, wie sich Werte zentrierten, wie eine defensive Ablehnung der Wissenschaft wuchs und wie sich Identitäten polarisierten, was sich an der zunehmenden Akzeptanz von extrem nationalistischen Ansichten zeigt. So erhielten rechtsextreme Parteien 2014 knapp ein Viertel der Sitze im Europäischen Parlament. 2015 wurde David Cameron mit parlamentarischer Mehrheit zum Premierminister Großbritanniens wiedergewählt. Dieser Sieg ist unter anderem auf sein Versprechen zurückzuführen, ein Referendum über den Austritt Großbritanniens aus der EU abzuhalten. Was die meisten Briten nicht wissen, ist, dass Camerons Partei in aller Stille weitreichende Beziehungen zu vielen der rechtsextremen Parteien aufgebaut hatte, die Sitze im EU-Parlament erobert hatten.
Ein Jahr später schockierte das Ergebnis des Brexit-Referendums die ganze Welt: Die Mehrheit der Abstimmenden votierte für den Austritt aus der EU. Sechs Monate später wurde der milliardenreiche Immobilien-Guru Donald Trump Präsident des mächtigsten Landes der Welt. Genau wie die Konservative Partei im Vereinigten Königreich hatten auch die Republikaner transatlantische Beziehungen zu rechtsextremen europäischen Parteien und Bewegungen aufgebaut. Seitdem haben rechtsextreme Parteien überall in Europa Wahlerfolge erzielt, sei es in Italien, Schweden, Deutschland, Frankreich, Polen oder Ungarn. Diese Parteien halten inzwischen fast ein Drittel der Sitze im Europäischen Parlament. Auch in anderen Teilen der Welt, unter anderem in Brasilien, Indien, Myanmar und auf den Philippinen erstarken sie in rasantem Tempo.
Der Ärger und die Widrigkeiten der zeitgenössischen Politik, die zunehmende Polarisierung zwischen links und rechts sowie die chronische Unfähigkeit, sich auch über ideologische Grenzen hinweg konstruktiv miteinander zu vernetzen, sind zu einer pantomimischen Hyperrealität geworden, die unser Bewusstsein mithilfe von Fernsehbildschirmen, Computern, Laptops, Smartphones und anderen tragbaren Geräten kontrolliert. Die fehlende Verbindung zur Realität ist der globale Kontext — denn die Krisen der gegenwärtigen Politik sind zwar in der Tat Flutwellen, aber da wir uns nur auf die Oberfläche konzentrieren, sind wir praktisch blind gegenüber dem darunterliegenden Ozean, der sich in Aufruhr befindet.
Die politischen Krisen sind ein Symptom der sich zuspitzenden Erdsystemkrise. Und wie bereits Clausewitz erkannte, ist Krieg die Fortsetzung von Politik, nur mit anderen Mitteln.
Kolonisation und Globalisierung im Anthropozän
Nicht alle Wissenschaftler sind damit einverstanden, den Beginn des Anthropozäns auf die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts zu legen. Einige argumentieren, dass es klare geologische Beweise dafür gibt, dass das Zeitalter mit dem Aufkommen des modernen globalen Imperiums begann.
Die britischen Geographen Simon Lewis und Mark Maslin beispielsweise schlugen ein viel früheres Datum als Startpunkt für das neue Zeitalter vor, eins, das sich „an die geologischen Kriterien für die Definition einer Epoche hält: 1610. Dieses Datum kennzeichnet den Beginn eines unumkehrbaren Artenaustausches im Zuge der Kollision der Alten und Neuen Welt“ und traf laut den Forschern mit einem ungewöhnlichen Einbruch der atmosphärischen CO2-Konzentration in antarktischen Eiskernen zusammen.
Diese alternative Datierung für das Anthropozän basiert auf den messbaren Auswirkungen einer veränderten Landwirtschaft im Rahmen der Kolonisierung der Amerikas durch die Spanier. Viele Historiker betrachten dieses zentrale Ereignis als Beginn eines neuen, charakteristischen Zeitalters des Imperialismus, das die Geburt des globalen Kapitalismus ermöglichte. Der damalige CO2-Rückgang, heute in den antarktischen Eiskernen sichtbar, war laut Lewis und Maslin das Resultat der nachwachsenden Vegetation auf stillgelegten Ackerflächen nach dem Tod von 50 Millionen indigenen Amerikanern, vorwiegend verursacht durch von Kolonisatoren importierte Pocken. Die Eingliederung Amerikas in das europäische System war außerdem der entscheidende Wegbereiter für die industrielle Revolution und umfasst somit die dadurch verursachten späteren Phasen des Klimawandels.
Der Vorschlag der britischen Wissenschaftler bietet einen neuen, überzeugenden Blick auf das Anthropozän und bringt es direkt mit der durch das Imperium ausgeübten Gewalt in Verbindung. Das Datum 1610 stellt dabei die Brücke her zwischen der historischen Gewalt während der kolonialen „Entdeckung“ und dem anschließenden durch biologische Eroberung betriebenen Expansionismus.
Dazu gehörten die massiven, durch den „freien Markt“ hervorgerufenen Hungersnöte in Irland und Indien, bei denen eine Million beziehungsweise bis zu 12 Millionen Menschen starben sowie der transatlantische Sklavenhandel, durch den im Laufe von fünf Jahrhunderten etwa 65 Millionen Afrikaner starben und der ein blutiges internationales Regime darstellte. Dieses war untrennbar mit der Herausbildung eines kapitalistischen Weltsystems verbunden und ermöglichte die industrielle Revolution in Großbritannien.
Nach diesem Verständnis steht das Anthropozän — das Zeitalter, in dem die menschliche Spezies begann, tiefgreifende und möglicherweise dauerhafte Veränderungen an der Geologie der Erde vorzunehmen — gleichzeitig für die rasche Expansion des Imperialismus und somit für die Konstruktion neuer Rassenkategorien, die der Legitimierung des entstehenden Systems der globalen Apartheid dienten.
Genau in dieser Zeit begann die Entwicklung eines wissenschaftlichen Rassismus, dieses offiziellen und wissenschaftlich begründeten Konzepts von der Existenz verschiedener menschlicher Rassen, mit dessen groteskem Erbe wir noch heute kämpfen. Die Idee, dass es verschiedene „Rassen” gibt, geht auf die politische Aneignung und Verzerrung der neodarwinistischen Evolutionstheorien zurück. In diesem Rahmen wurde der weiße Europäer an die Spitze des zivilisierten menschlichen Fortschritts positioniert und so die Rassenhierarchie in dem Moloch der globalen industriellen Expansion festgelegt.
Folglich ist Rassismus nicht die Diskriminierung anderer „Rassen“, sondern das Erschaffen eines Konzepts von sich grundsätzlich unterscheidenden menschlichen „Rassen“ und der Idee, dass die Mitglieder einer „Rasse“ alle die gleichen charakteristischen Merkmale teilen. Die Erschaffung des Rassismus ist demnach untrennbar mit der Entstehung des Anthropozäns verbunden, in dem sich eine menschliche Zivilisation herausbildete, die sich durch ihr unstillbares Verlangen nach Ressourcen und Arbeitskräften auszeichnet.
Polarisierte Konstruktionen des „Anderen“ haben während des gesamten Anthropozäns eine entscheidende ideologische Rolle gespielt. Sie dienten dazu, Menschen aus ihrer Umgebung herauszureißen und sie getrennt voneinander in ausbeuterische Machtfraktionen zu spalten. So ist es nicht verwunderlich, dass sich die Formalisierung des Rassismus als globales System während der industriellen Revolution vollzog, als sich die Herrschaft der menschlichen Spezies über die Erde exponentiell zu beschleunigen begann.
Im frühen 19. Jahrhundert manifestierte sich der Rassismus vor allem als religiöse Ideologie. Angelehnt an Interpretationen der Bibel wurden nicht-europäische menschliche Gruppen aufgrund ihrer Abstammung und ihres heidnischen Glaubens als von Natur aus minderwertig eingestuft. Dieser Rassismus richtete sich häufig gegen Juden. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts bis ins frühe 20. Jahrhundert wurde anhand von wissenschaftlich begründeten biologischen Theorien ein Konzept des Rassismus entwickelt, das bestimmten Gruppen von Menschen aufgrund ihrer angeblich charakteristischen biologischen Eigenschaften feste Merkmale, Verhaltensweisen, Fähigkeiten und Einschränkungen zuschrieb.
Seitdem hat sich das Konzept weiterentwickelt und wird vor allem durch eine Kulturtheorie gestützt, die nach wie vor auf einer homogenisierenden Konstruktion verschiedener sozialer Gruppen mit scheinbar gemeinsamen Eigenschaften und Merkmalen basiert, mit dem Unterschied, dass diese aus der Zugehörigkeit zu einer Kultur, Ethnie, Nation, Sprache oder einem Glauben abgeleitet werden. Oft bedient sich der Rassismus bestimmter Aspekte dieser subliminalen, unterschwelligen Theorien, ohne dass die Befürworter sich bewusst sind, was sie tun.
Der berühmte Soziologe Stuart Hall definierte den Begriff „Rasse“ als „gleitenden Signifikanten“. Laut ihm handelt es sich also nicht um ein festes Konzept, sondern um ein inhärent politisches Konstrukt, das von dominanten Gruppen zur Legitimierung von ungleichen Machtverhältnissen gegenüber anderen Gruppen verwendet wird. Als solches ist es veränderbar und passt sich historischen Gegebenheiten an. Hall zeigte auf, dass Rassismus nicht biologisch begründbar ist und die neue Form des kulturalistischen Rassismus über die Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe hinausgeht. Sie erzeugt anhand der imaginierten Hautfarbe von Menschen — verallgemeinernde Abstraktionen ihrer Praktiken und Glaubensvorstellungen — eine Hierarchie der Kulturen.
Rassistische Vorurteile und Argumentationsmuster werden also nicht mehr unbedingt an Hautfarben festgemacht, sondern es sind andere, nicht den Rassebegriff aufgreifende Kategorien wie Glaube, Kultur und Zivilisation, die zu einem rassistischen Code für ähnlich diskriminierende Praktiken werden. Ein Ergebnis davon ist die Konstruktion einer scheinbar unüberwindbaren Kluft zwischen dem „Westen“ und „dem Rest“. Dabei werden die Bewohner des „Westens“ als „zivilisiert“, „sicher“ und „bekannt“ eingestuft, die „Migranten“, „Muslime“, „Flüchtlinge“, „Ausländer“ et cetera hingegen als „unzivilisiert“, „gefährlich“ und „anders“.
Die Verschärfung der Identitätspolitik ist ein wesentliches Merkmal der letzten Etappe des Anthropozäns, denn das Projekt des endlosen Wachstums — ausgerichtet auf maximale Extraktion, Ausbeutung und die Zentralisierung von Ressourcen — erfindet und festigt auf seiner Suche nach Selbstlegitimierung eine Vielzahl von Trennlinien zwischen Menschen. Und so verlaufen auch die verheerenden Auswirkungen der Erdsystemkrise anhand rassifizierter Trennlinien, denn es sind die ärmeren und von Menschen mit „dunkler“ Hautfarbe bewohnten Nationen, die unverhältnismäßig stark von den schlimmsten Folgen betroffen sind.
Krieg ist vielleicht das sichtbarste Symptom der Dinge, die das Anthropozän gestalten.
Im Anthropozän werden wir alle zu Anderen.
Doch es ist noch nicht zu spät, damit anzufangen, das aktiv neu zu gestalten, was das Anthropozän ausmacht.
Denn letztendlich ist der derzeitige Charakter des Anthropozäns ein Spiegelbild des vorherrschenden Paradigmas des menschlichen Zivilisationssystems. Es ist ein jedes Leben zerstörendes Paradigma, eine Todesmaschine, deren innere Logik ihren Höhepunkt im eigenen Ende findet. Es ist eine Matrix aus ineinander verschränkten Glaubens- und Wertevorstellungen, Verhaltensweisen und Organisationsstrukturen, die nicht etwa als Zugangspunkt zum Leben, der Natur und der Realität fungiert, sondern eine Barriere dazu herstellt.
In diesem Sinne ist das Ende dieses Paradigmas absolut unvermeidbar. Doch das beraubt uns nicht der Möglichkeit, uns zu entscheiden, ob die Menschheit gemeinsam damit untergehen wird oder stattdessen die Saat eines neuen, lebensbejahenden Paradigmas ausstreut, indem sie ein neues System aufbaut, das das Aufblühen einer neuen ökologischen Zivilisation ermöglicht.
Sollte die menschliche Zivilisation überleben, dann wird sie das nicht im Rahmen dessen tun, was wir momentan erleben: eine Zivilisation — errichtet auf dem Blut von Millionen Menschen, basierend auf der Erschöpfung der weltweiten Ressourcen — in der auf den Armen, Verwundbaren und Schwachen herumgetrampelt wird und die alles daran setzt, sich selbst zu vernichten. Dieses Paradigma wird von der Techno-Hyperrealität seiner eigenen Projektion getäuscht: ein utopisches Scheinbild des endlosen Wachstums, das mit allen Mitteln versucht, seinen eigenen dystopischen Kern vor der Selbsterkenntnis zu verbergen.
Und so haben wir die Aufgabe darüber nachzudenken, was wir tatsächlich unseren Mitmenschen und unserem Planeten angetan haben. Nur so können wir erkennen, dass diese zwei Phänomene Teile ein- und desselben selbstzerstörerischen Paradigmas sind. Ein Paradigma, das unaufhörlich eine Hyperrealität der Trennlinien, Grenzen und Klüfte um einen externalisierten „Anderen“ konstruiert, wodurch ausbeuterische und parasitäre Verhaltensweisen vermeintlich notwendig werden. Wenn wir das erkennen, können wir uns von den binären Wahnvorstellungen, die jahrhundertelang den Pfad der Zivilisation markierten, lösen und so eine neue Perspektive einnehmen: darauf, was Menschsein bedeutet. Wir können die Essenz unserer Existenz wiedererlangen, denn im Grunde genommen sind wir Wesen, die gemeinsam aus der Erde selbst entstanden sind und unweigerlich wieder zu ihr zurückkehren werden.
Robert Fleischer, Dirk Pohlmann und Mathias Bröckers: Die Sache mit dem Klimawandel
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „War, empire and racism in the Anthropocene“. Er wurde von Nadine Müller aus dem ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.
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