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Crowdfunding für den Regime Change

Crowdfunding für den Regime Change

Unter dem Motto „Crowdfunding gegen Kriegsverbrecher“ sammeln seit Mitte Juni einige deutsche und syrische Gruppen im Internet Gelder vermeintlich zur Finanzierung von Ermittlungen über Kriegsverbrechen in Syrien.

Internationale Strafverfolgungsinitiative über die UNO

Anlass ist die von der UN-Vollversammlung beschlossene Aufnahme von Ermittlungen über schwere Kriegsverbrechen in Syrien. Die im Dezember letzten Jahres verabschiedete Resolution A/71/248 sieht dazu die Einführung eines „internationalen, unparteiischen und unabhängigen Mechanismus zur Untersuchung und Verfolgung der schwersten Verbrechen gemäß internationalem Recht“ vor (abgekürzt IIIM für „International, Impartial and Independent Mechanism“).

Das neue Gremium hat die Arbeit noch nicht aufgenommen, unter anderem weil von den als Jahresbudget für 2017 veranschlagten 13 Millionen US-Dollar bisher nur 9 Millionen zugesagt wurden. Um den „Mechanismus“ endlich in Gang zu bringen, will die Crowdfunding-Initiative innerhalb von 10 Wochen die Hälfte des Fehlbetrags aufbringen. Den Initiatoren gehe es dabei nicht nur um das nötige Geld, so Elias Perabo, der Geschäftsführer von AaR, sondern auch um ein wichtiges Zeichen „an die syrische Zivilgesellschaft, die sowohl vom syrischen Regime als auch von den unterschiedlichen islamistischen Gruppierungen bekämpft“ würde.

Indem die Organisatoren sowohl von Verbrechen des „Regimes“ als auch von „islamistischen Gruppierungen“ reden, geben sie sich einen neutralen Anstrich. Ihre bisherigen Kampagnen legen jedoch nahe, dass auch diese Initiative vor allem gegen die syrische Regierung und ihre Verbündeten Russland und Iran gerichtet ist. Das von Grünen-Politikern unterstützte und eng mit der Heinrich Böll-Stiftung zusammenarbeitenden Paten-Bündnis AaR engagierte sich von Beginn an für einen Regime Change in Syrien und trommelt unter anderem auch für die Einrichtung von Flugverbotszonen wie 2011 in Libyen, d.h. für ein direktes militärisches Eingreifen von NATO-Staaten (3). Unter seinen Aktivisten sind führende Mitglieder der syrischen Exil-Opposition, die schon 2012 mehr Waffen für die „Rebellen“ forderten (4).

Auch der syrische Unterstützer des Crowdfundings, SMC, wirbt für eine direkte militärische Intervention. Ihr Gründer und Chef Mazen Darwish feierte die US-amerikanischen Raketenangriffe auf einen syrischen Militärflughafen im April als „überfälligen ersten Schritt“ und bekämpft gleichzeitig die von Russland mit dem Iran und der Türkei vereinbarten Deeskalationszonen (5).

Bezeichnend ist auch die Fokussierung auf „Regime“ und „islamistische Gruppierungen“, zu denen offensichtlich nur Hardliner, wie der Islamische Staat und die Al Nusra Front gezählt werden. Mit der Behauptung die „Zivilgesellschaft“ werde von beiden Seiten bekämpft, nähren AaR und seine Partner weiter den Mythos eines zivilen Aufstands, der von der Mehrheit der Syrer unterstützt und von der Regierung militärisch bekämpft würde. Tatsächlich steht die Bevölkerung, wie alle Wahlen und Umfragen seit 2011 zeigen, mehrheitlich hinter der Regierung. So suchte der überwiegende Teil der syrischen Binnenflüchtlinge in den von der Regierung kontrollierten Landesteile Schutz und keineswegs in den von den islamistischen Milizen besetzten Gebieten.

Völlig ausgeblendet bleibt in der Crowdfunding-Initiative die äußere Einmischung durch NATO-Staaten und Golfmonarchen, obwohl diese zweifelsohne maßgeblich verantwortlich für den Krieg und damit auch für alle in dessen Rahmen verübte Gewalt und Verbrechen sind.

Trotz der einseitigen Absichten deutscher Unterstützer spricht, so werden viele meinen, nichts gegen unabhängige Untersuchungen von schweren Kriegsverbrechen in Syrien. Könnten sie doch eventuell Klarheit über einige umstrittene Vorwürfe schaffen. Die geplanten Ermittlungen sind jedoch weder entsprechend konzipiert noch gibt es ein Umfeld, das wirklich unparteiische und unabhängige Ermittlungen und Strafverfolgungen zulassen würden.

Gegen Souveränität und politische Lösungen

Die Staaten, die die Resolution in die UN-Vollversammlung einbrachten, verfolgen mit ihr offensichtlich dieselben Interessen wie ihre deutschen Unterstützer. So ist das Ausblenden der Verantwortung ausländischer Mächte für den Krieg bereits in der Resolution angelegt. Sie wurde offiziell von Liechtenstein, Kanada und Katar initiiert und unter anderem von den USA, Frankreich, Großbritannien, der Türkei und Saudi-Arabien mit eingebracht ‒ überwiegend von Staaten also, die man kaum als Vorkämpfer für Menschenrechte betrachten kann und die durch Aufbau und Ausrüstung islamistischer Milizen den Krieg bis heute anheizen.

Durch den Gang vor die Vollversammlung umgingen sie den UN-Sicherheitsrat, in der sie ihre Vorstellung von internationalen Ermittlungen nicht durchsetzen konnten. Hier konnten die Drahtzieher hinter der Resolution damit rechnen, dass angesichts der Gräuelberichte aus Syrien und des von den dominierenden westlichen Medien verbreiteten Bild des Konfliktes, es viele Regierungen nicht wagen werden, sich gegen die Resolution auszusprechen. 107 Staaten stimmten schließlich dafür, 86, vorwiegend aus Afrika und Lateinamerika, stimmten dagegen, enthielten sich oder blieben der Abstimmung fern.

Endlich hätte damit die Blockade Russlands und China überwunden werden können, so der Tenor in den westlichen Medien. Ignoriert wurde dabei, dass die beiden Veto-Mächte nie gegen unabhängige Untersuchungen der vielfältigen Vorfälle waren. Sie wandten sich nur aus gutem Grund gegen die konkrete Form von parteiischen Ermittlungen, die die NATO-Mächte und ihre Verbündete durchsetzen wollten.

Was Menschenrechtsaktivisten als historischen Erfolg feierten, wurde zu Recht von vielen Staaten als unzulässige und gegen politische Lösungen gerichtete Einmischung in den Konflikt zurückgewiesen. Enthielt sogar die Libyen-Resolution 1973 des UN-Sicherheitsrats vom 17.3.2011, mit der sich Paris, London und Washington eine Legitimation für den Krieg gegen Libyen verschafften, noch die Formel vom „ nachdrücklichen Bekenntnis zur Souveränität, Unabhängigkeit, territorialen Unversehrtheit und nationalen Einheit der Libysch-Arabischen Dschamahirija“, so findet man in der Syrien-Resolution der Vollversammlung noch nicht einmal ein solches formales Lippenbekenntnis.

Ecuador, das die Strafverfolgung von Kriegsverbrechern für durchaus wichtig erklärte, „inklusive derer, die Terroristen finanziell und militärisch unterstützen“ kritisierte daher, die Resolution würde die souveräne Gerichtsbarkeit von Staaten untergraben. Indem der Mechanismus durch freiwillige Beiträge finanziert werden soll, untergrabe er seinen unparteiischen Anspruch. Die Resolution würde zudem nicht die komplexe Natur des Konfliktes berücksichtigen, sondern einen Regime Change durchzusetzen versuchen (6).

Südafrika betonte, dass es zwar den Schutz der Menschenrechte aller von Konflikten Betroffenen unterstützen würde. Wenn es um das Leben von Menschen gehe, sei aber „extensiver Dialog und Verhandlungen“ wichtiger.

Einseitige Resolutionen in der Vollversammlung würden nicht helfen, den Konflikt zu lösen. Ähnliche Kritik kam auch aus China. Die internationale Gemeinschaft solle mehr Gewicht auf den Schutz der Souveränität und territorialen Unversehrtheit Syriens legen und nicht die Probleme noch verkomplizieren.

Auch Mexiko drängte darauf eine Lösung mit diplomatischen Mitteln zu erreichen und forderte die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen. Für Indonesien bieten die bereits verabschiedeten Resolutionen eine völlig ausreichende Basis, um eine Einstellung der Kämpfe zu erreichen, humanitäre Hilfe bereitzustellen und eine politische Lösung finden zu können. Statt einen neuen Mechanismus mit einem unklaren Mandat einzuführen, sollte man sich, angesichts der akuten Notlage, lieber auf die Bedürfnisse der Bevölkerung vor Ort konzentrieren.

Venezuela verurteilte die fortgesetzte Eskalation der Gewalt durch einen „Krieg von über 60 terroristischen Gruppen“ gegen die legitime Regierung des Landes. Die gleichen Regierungen, die für das Leid dieses Krieges verantwortlich sind, würden sich nun besorgt darüber zeigen und von Gerechtigkeit reden. Es sei klar, dass die Initiative einseitig auf den Sturz der Regierung ziele. Zudem stelle sich die Frage, wieso nicht analog auch die Kriegsverbrechen in Palästina, Libyen und Jemen untersucht werden sollten?

Scharfe Kritik gab es auch an der konspirativen Art, wie die die Resolution von einer kleinen Gruppe von Staaten ausgearbeitet wurde. Der Entwurf sei wie ein „Militärgeheimnis“ behandelt worden, monierte selbst der ägyptische Vertreter. Einige Staaten würden nach Strafverfolgung schreien, während sie selbst Terrorismus unterstützen.

Parteiische Untersuchungen

Im Rahmen des beschlossenen Mechanismus sind kaum eigene Recherchen geplant. Man will stattdessen der Einfachheit halber und aus Sparsamkeit auf Daten zurückgreifen, die syrische und internationale NGOs bereits gesammelt haben. Diese sollen von Sonderermittler-Teams zu gerichtsfesten Beweisen aufgearbeitet und soweit möglich Tätern zugeordnet werden. Die so entstehenden Akten sollen Strafverfahren vor nationalen, regionalen oder internationalen Strafgerichtshöfen, die sich jetzt oder in der Zukunft dazu befugt sehen, erleichtern.

Im Unterschied zur schon bestehenden Syrien-Ermittlungskommission des UN-Menschenrechtsrats, soll der IIIM damit eine quasi staatsanwaltliche Funktion übernehmen. Die treibenden Kräfte hinter der Resolution wären sicherlich gerne weitergegangen. Die Vollversammlung hat aber nicht die Autorität, internationale Ad-Hoc-Tribunale, wie das Jugoslawien-Tribunal in Den Haag, ins Leben zu rufen oder den Internationalen Strafgerichtshof mit der Strafverfolgung zu beauftragen. Dazu ist nur der Sicherheitsrat befugt. Die Resolution setzt daher auf die Unterstützung von willigen Staaten und NGOs und ermuntert Einzelstaaten, in Syrien begangene Kriegsverbrechen vor eigenen Gerichten zu verfolgen.

Finanziert soll der IIIM nicht über ein eigenes UN-Budget werden, sondern durch freiwillige Spenden von unterstützenden Staaten. Die größten Summen mit je einer guten Million US Dollar stellten bisher Katar, Deutschland und die Niederlande in Aussicht (7). Für Kritiker, wie den russischen Botschafter bei der UNO, Witaly Tschurkin, liegt es auf der Hand, dass die, die Geld geben, auch die von ihnen gewünschten Resultate erwarten. Es sei offensichtlich, dass es „anti-Damaskus und anti-Assad-Untersuchungen“ sein werden (8).

Der Verdacht wird dadurch genährt, dass es sich bei den syrischen NGOs, die als wichtige Quellen für relevantes Material über Verbrechen in Syrien aufgeführt werden, ausschließlich um oppositionelle Gruppen oder diesen nahestehende Organisationen handelt. Nirgends ist dagegen die Rede davon, dass man auch auf Material syrischer Behörden oder russischer Stellen zurückgreifen wolle.

Zuarbeit durch private „Gerechtigkeitskommission“

Als für die Zuarbeit besonders geeignete Organisation wird häufig der Verein „Commission for International Justice and Accountability“ (CIJA) genannt (9). Indem diese „Kommission“ seit Beginn 2012 in Syrien Belege für Verbrechen und ihre Zuordnung zu Tätern mit dem Ziel gesammelt habe, „Anklage bereite Akten“ (case ready files) zusammenzustellen, meint beispielsweise der Menschrechtsaktivist Mark Kersten in der Washington Post, sei sie bisher die einzige auf dem „‘Marktplatz‘ internationaler Gerechtigkeitsorganisationen“, die Beweise auf eine Weise zusammengetragen habe, dass sie für die Verurteilung von Kriegsverbrechern verwendet werden können. Die Staaten, die den IIIM ins Leben riefen, könnten zudem eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen diesem und CIJA garantieren, da sie deren Hauptsponsoren seien (10).

Die CIJA ist ein typisches Beispiel für die Menschenrechts-Organisationen, die sich in Syrien tummeln und nun die Basis für die Ermittlungen im Rahmen des IIIM bilden sollen. Sie entstand aus einer Initiative der britischen Regierung, die 2012 begann, syrische Oppositionelle zu Menschenrechtsaktivisten auszubilden. Sie heuerte dafür den ehemaligen kanadischen Infanterie-Offizier Bill Wiley an, der während seiner Militärzeit in humanitärem Völkerrecht promoviert und anschließend u.a. drei Jahre beim Haager Jugoslawientribunal als Ermittler und Rechtsexperte gearbeitet hatte.

Mit Unterstützung von Stephen Rapp, Sonderbotschafter der US-Regierung für Kriegsverbrechen, gründete er wenig später für die Aufarbeitung der von den neuen Aktivisten gesammelten Daten einen gemeinnützigen Verein mit Sitz in Den Haag, der 2013 in CIJA umbenannt wurde. Dieser stand finanziell sofort auf äußerst soliden Beinen. Dem Startgeld der Briten in Höhe von über zwei Millionen Dollar folgten wenig später gut zwei Millionen der EU und eine aus Washington. Auch Deutschland und andere NATO-Staaten beteiligen sich an der großzügig fortgesetzten Finanzierung in Höhe von rund 8 Millionen US-Dollar im Jahr.

Berühmt wurde die CIJA Anfang 2014 durch die Präsentation von Tausenden Dokumenten, die angeblich von „Rebellen“ aus Regierungsarchiven in Raqqa und Deir ez-Zor erbeutet und von Aktivisten der Gruppe außer Landes geschmuggelt worden waren. Nachdem eigenen Angaben zufolge die Zahl der gesammelten Papiere bis April 2016 auf 600.000 Seiten angewachsen war, kulminierte die Arbeit der CIJA schließlich in einer 400-seitigen Anklageschrift, die belegen soll, dass systematische Folterungen und Exekutionen von zehntausenden Syrern direkt von Präsident Baschar al-Assad angeordnet und, koordiniert von „seinen Geheimdiensten“, durch Angehörige der Sicherheitskräfte durchgeführt worden seien.

Die sogenannten „Assad Files“ gelten als Ergebnis der ersten internationalen Ermittlungen über Kriegsverbrechen, die von einer privaten Organisation durchgeführt wurden, zwar finanziert von Regierungen, aber ohne das Mandat eines Gerichts. Rapp, der vor seiner Anstellung bei US-Regierung Anklage-Teams (prosecution teams) bei den internationalen Kriegsverbrechertribunalen zu Ruanda und Sierra Leone geleitet hatte, zeigte sich Medien gegenüber überzeugt, dass die Gruppe genau das Material zusammengetragen habe, das bei den bisherigen Verfahren gegen führende Repräsentanten vor internationalen ad-hoc Tribunalen für eine überzeugende Anklage gefehlt hatten (11).

Die Quellen und die Art der Beschaffung der Dokumente lassen ihre Authentizität jedoch sehr zweifelhaft erscheinen. So wurden die Dokumente aus Raqqa und Deir ez-Zor mit Hilfe der islamistischen Milizen erbeutet, die die beiden ostsyrischen Großstädte im März bzw. Dezember 2013 erobert hatten (12). Die dominierenden Gruppen waren hier der Al Qaida-Ableger Al Nusra Front und die kaum weniger radikale Ahrar al Scham, die umgehend die Scharia eingeführt und in Raqqa ein Scharia-Gericht im Stadion eingerichtet hatten (13). Die Zusammenarbeit mit den Milizen wurde in der Folge immer enger. In manchen Fällen rückten CIJA-Mitglieder direkt mit ihren Kämpfern in eroberte Gebiete ein (14).

Eine weitere wichtige Quelle war der junge Syrer Abdelmadschid Barakat, der als Regierungsangestellter Berge von Dokumenten aus dem innersten syrischen Machtzirkel herausgeschmuggelt haben soll. Barakat sei als 24jähriger unmittelbar nach Abschluss seines Studiums im „zentralen Krisenmanagement-Ausschuss“, der zu Beginn der Unruhen gegründet worden sei, angestellt worden, obwohl er, wie er berichtet, einer der ersten „Revolutionsgruppen“ angehört habe und als Student vom Militärgeheimdienst wegen des Verdachts regierungsfeindlicher Aktivitäten verhört worden sei.

Als Mitarbeiter des Krisenstabs, in dem alle Infos der Armee und der Geheimdienste zusammengeflossen seien, habe er Zugang zu den geheimen Berichten, Sitzungsprotokollen und Beschlüssen gehabt und bald begonnen diese zu fotografieren und an oppositionelle Gruppen weiterzugeben. Schließlich habe er sich mit Tausend Dokumenten ins Ausland abgesetzt (15).

Auch die Authentizität dieser Angaben und Dokumente lässt sich schwer überprüfen. Sehr glaubhaft klingt die Geschichte von einem jungen Oppositionellen nicht, der trotz Verdacht auf regierungsfeindliche Einstellungen von der Uni direkt in den absolut geheimen obersten Krisenstab des Landes wechseln konnte, dessen Aufgabe angeblich die gewaltsame Niederschlagung der Aufstände war.

Codename „Cäsar“ ‒ Beispiel für fragwürdige Anklagen

Die Geschichte Barakats ist eng gekoppelt mit der eines anderen Überläufers, der unter dem Pseudonym „Caesar“ berühmt wurde. Dieser soll bei der Militärpolizei für forensische Fotos zuständig gewesen sein und Ende 2013 rund 55.000 Fotos aus Syrien herausgeschmuggelt haben, die zu Tode gequälte Häftlinge zeigen sollen. Mit ihnen wollte er belegen, dass seit März 2011 mindestens 11.000 Menschen in syrischen Gefängnissen zu Tode gefoltert worden waren. Die vom Golfemirat Katar mit der Prüfung und Aufarbeitung des Materials beauftragte Londoner Anwaltskanzlei Carter-Ruck lies daraus einen Bericht erstellen, den sie im Januar 2014, kurz vor der zweiten internationalen Syrienkonferenz in Genf den Teilnehmern und Medien präsentierte.

Nicht nur der Auftraggeber, auch die Kanzlei und die Zusammenstellung des mit der Erstellung des Berichts beauftragten Teams, legen nahe, dass mit der zeitnahen Veröffentlichung der schockierenden Bilder eventuelle Übereinkünfte mit der Assad-Regierung zur Überwindung der Konflikte torpediert werden sollten.

So zählen mit dem Emir von Katar und dem türkischen Präsidenten Tayyip zwei Staatschefs zu den wichtigsten Mandanten der Kanzlei Carter-Ruck, die aktiv den Sturz der syrischen Regierung betreiben (16). Mit Professor David M. Crane war zudem ein Experte bei der Verfassung des Berichts beteiligt, der seit Jahrzehnten für das US-Verteidigungsministerium und dessen Geheimdienst „Defense Intelligence Agency“ (DIA) arbeitet. Involviert war außerdem die neokonservative Denkfabrik Washington Institute for Near East Policy (WINEP) (17).

Die Toten auf den Fotos sind real, doch wo und wie sie starben ist so ungewiss wie die wahre Indentität „Cäsars“. Dass es sich um Folteropfer handelt, ist aber unwahrscheinlich. Warum sollten die syrischen Sicherheitskräfte die Toten akribisch fotografieren, wenn sie tatsächlich von ihnen zu Tode gefoltert oder ermordet worden waren. Naheliegender ist es, wen man die Aufnahmen betrachtet, dass sie im Rahmen des normalen Vorgehens in Kranken- und Leichenschauhäuser entstanden sind.

Wie selbst Human Rights Watch einräumen musste, die dem Bildmaterial ansonsten großes Gewicht in ihren Anklagen gegen die Assad-Regierung beimisst (18), sind die Toten auf fast der Hälfte aller Bilder Armeesoldaten, Mitglieder der Sicherheitsdienste oder Opfer von Bränden, Explosionen etc. – also Opfer der sogenannten „Rebellen“ und nicht des „Regimes“. Auf einem beträchtlichen Teil der restlichen Fotos sind frische Einschuss- oder Splitterwunden zu sehen, was darauf hindeutet, dass die Opfer eher im Gefecht als in einem Gefängnis starben. Wundverbände weisen bei vielen anderen auf einen Tod nach einer Wundversorgung hin.

Ein großer Teil der Fotos wurde zudem manipuliert. So waren abgebildete Karteikarten und Etiketten mit Identifikationsinformationen geschwärzt worden, wodurch eine Überprüfung der tatsächlichen Todesumstände der Toten verhindert wurde (19). Trotz ihrer mittlerweile stark angezweifelten Authentizität werden die „Cäsar-Fotos“ nach wie vor von westlichen Politikern und Medien als Belege dafür angeführt, dass man mit Assad keinen Frieden schließen kann. Auch ein Anklage vor dem obersten spanischem Gerichtshof gegen neun Angehörige der syrischen Regierung wegen willkürlicher Inhaftierung, Folter und Exekutionen stützt sich im Wesentlichen auf „Cäsars“ Fotos und Aussagen (20).

„Fassbomben“ und Giftgas ‒ Stimmungsmache für eine Fortsetzung des Krieges

Kaum weniger parteiisch und inhaltlich zweifelhaft, wie syrische Menschenrechtgruppen, sind in Bezug auf Syrien auch die renommierten internationalen Organisationen Amnesty International und Human Rights Watch. Ob es um den Einsatz der berüchtigten „Fassbomben“ geht oder um Folter und Exekutionen von Gefangenen. Stets basieren ihre Anklagen überwiegend auf der völlig unkritischen Übernahme der Darstellungen von Regierungsgegnern (21).

Einen weiteren Vorgeschmack für die Ermittlungen, die vom IIIM zu erwarten sind, gibt der Umgang mit den Giftgasanschlägen. Obwohl es nach den Recherchen des renommierten, investigativen US-Journalisten Seymour Hersh und türkischer Parlamentarier und Staatsanwälte sowie Untersuchungen von Waffenkontrollexperten der US-Elite-Universität MIT, es als sicher gelten kann, dass der Angriff in Ghuta im August 2013 nicht von der syrischen Armee ausgeführt wurde, halten westlichen Regierungen, Medien und Menschenrechtsorganisationen die Vorwürfe gegen die syrische Regierung unvermindert aufrecht (22). Dasselbe gilt auch für den jüngsten Anschlag mit Sarin vom 4. April in Khan Scheikhun, obwohl hier erneut alles auf dschihadistische Milizen als Täter hindeutet (23).

Bei der Kritik an dem zumindest einseitigen und mit starken Vorurteilen behafteten Vorgehen der Menschenrechtsgruppen geht es selbstverständlich nicht darum, schwere Menschenrechtsverletzungen durch die syrische Armee, Geheimdienste etc. generell auszuschließen. Natürlich wären unabhängige Untersuchen entsprechender Vorwürfe durchaus wünschenswert. Unter den gegebenen Umständen kann eine Initiative, wie der IIIM, aber nur – wie von seinen Kritikern befürchtet – ein Mittel zur Diskreditierung und Delegitimierung der syrischen Regierung sein. Adopt a Revolution & Co. fungieren dabei als willige Helfer. Er ist nicht zuletzt auch dazu bestimmt, neue Argumente gegen Verhandlungslösungen mit der Assad-Regierung zu produzieren.

Wie der in Berlin lebende syrische Anwalt Anwar al-Bunni, der die Crowdfunding-Initiative mitorganisiert, jüngst betonte, sind diplomatische Bemühungen, wie die Verhandlungen in Genf für sie nur „Zeitverschwendung auf Kosten des Blutes des syrischen Volkes“ (24). Er und seine Mitstreiter kämpfen ‒ ungeachtet der fürchterlichen Folgen des Krieges ‒ weiter für den Sturz der Regierung. Ihr Mittel soll dabei eine internationale Justiz sein, die von außen in den Konflikt eingreift und schon dadurch die Position der Regierung untergräbt.

Peter Nowak fordert Gegner der westlichen Intervention in Syrien in einem Telepolis-Artikel,, auf, den IIIM zu unterstützen. Eine juristische Untersuchung könne doch zur Klärung beitragen, für welche Verbrechen das Regime tatsächlich verantwortlich sei und für welche nicht. Ungeachtet dessen, dass das Verfahren dafür nicht angelegt ist, ist es für deutsche Linke und Kriegsgegner wesentlich sinnvoller, auf eine Untersuchung der Verantwortung der eigenen Regierung und ihrer Verbündeten für die Verbrechen in Syrien zu drängen. Auch im Fall von Syrien muss die Rechtsprechung des Nürnberger Gerichtshofes sinngemäß gelten, wonach eine Aggression gegen ein anderes Land, als das größte internationale Verbrechen gewertet werden muss, weil sie „alle Schrecken in sich vereinigt“ (25).


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Quellen:

(1) http://www.crowd4justice.org/
(2) Crowdfunding gegen Kriegsverbrecher, Medico International, 19.6.2017
(3) Siehe u.a. den Appell „Beendet das Bomben in Syrien!“, www.adoptrevolution.org/planet-syrien/
(4) Christoph Marischka /Jürgen Wagner, Bürgerkriegspatenschaft? - Adopt a Revolution muss zur Gewaltfrage Farbe bekennen, IMI-Standpunkt, 5. April 2012
(5) Syria: The International Community Must Act to Stop the Massacre in Daraa, SCM, 15.6.2017
(6) General Assembly Takes Action on Second Committee Reports by Adopting 37 Texts
- Resolution Establishing International Mechanism Concerning Syria Passed in Direct Plenary Action, UN General Assembly, 21.12.2016
(7) Voluntary contributions to the Syria IIIM , Stand 1.6.2017, Qatar Announces Contribution Of $ 100 Million In Support Of Syrian People, Qatars Ministry of Foreign Affairs , 5.4.2017
(8) ‘Voluntarily-funded independent probe’ into Syria war crimes will serve sponsors – Churkin, RT, 26.12.2016
(9) Long Road Ahead for Justice and Accountability in Syria, Associated Press, 22.2.2017
(10) Mark Kersten , United We Stand, Divided We Fall — The UN General Assembly’s Chance to Bring Justice to Syria, Washington Post’s Monkey Cage blog, 30.12.2016
(11) Ben Taub, Exposing Assad’s War Crimes -- The Assad Files - Capturing the top-secret documents that tie the Syrian regime to mass torture and killings, The New Yorker, 18.4.2016 (dt. Übersetzung: Die Akte Assad – Auf der Suche nach Beweisen für die Verbrechen des syrischen Regimes, Internationale Politik 5, September/Oktober 2016, 26.08.2016)
(12) Julian Borger, Syria’s truth smugglers, Guardian,12.5.2015
(13) "Under the black flag of al-Qaeda, the Syrian city ruled by gangs of extremists", Karen Leigh, In Deir Ezzor, Nusra Maintains Upper Hand over ISIS, News Deeply, 17.2.2014
(14) Ben Taub, Exposing Assad’s War Crimes a.a.O.
(15) Ebd.
(16) Erdogan client of the law firm that produced “Syria Torture Photos”, nsnbc, 25.1.2014
(17) Rick Sterling, The Caesar Photo Fraud that Undermined Syrian Negotiations, Countepunch, 4.3.2016, ausführlicher in 12 Problems with the Story of Mass Torture and Execution in Syria, Syria Solidarity Movement, März 2016
(18) If the Dead Could Speak - Mass Deaths and Torture in Syria’s Detention Facilities, HRW, 16.12.2015
(19) Rick Sterling, The Caesar Photo Fraud …, a.a.O, siehe auch Jürgen Cain Külbel, PR-Coup gegen Syrien, Der Spiegel präsentiert Fotos vermeintlicher »Opfer des Assad-Regimes«, junge Welt, 08.03.2016
(20) Long Road Ahead for Justice and Accountability in Syria, Associated Press, 22.2.2017
(21) siehe J. Guilliard, Mittel der Kriegführung ‒ zu den Vorwürfen bzgl. des Einsatzes von Fassbomben gegen die Zivilbevölkerung, junge Welt, 26.01.2016 und Greuelgeschichten über Syrien in junge Welt, 23.02.2017
(22) Seymour Hersh, Whose Sarin?, London Review of Books, Vol. 35 No. 24 und The Red Line and the Rat Line
Norman Paech, Sarin in Syrien, Ossietzky Heft 1 und Heft 2-2016
(23) Günter Meyer, Giftgasmassaker war Inszenierung der USA, Rubikon, 26.7.2017
(24) Long Road Ahead for Justice and Accountability in Syria, a.a.O.
(25) Michael Mandel, „Pax Pentagon - wie die USA der Welt den Krieg als Frieden verkaufen“, Zweitausendeins, 2005


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