„Bücher sind viel zu billig“ - konstatierte bereits 2011 dtv-Chef Wolfgang Falk (in der FAZ). Dem gemeinen Leser aber ging und geht das verständlicherweise am Arsch vorbei, denn der gemeine Leser will ja nur: lesen. Und das, selbstredend, möglichst günstig. Deshalb wartet er ja auch auf die Romantaschenbuchausgabe für 9,99 €, weil ihm ein Hardcover zum verlegerischen Selbstmord-Kampfpreis von 19,90 € zu teuer ist. Immerhin: für 19,90 kriegt man ja schon mindestens anderthalb Autowäschen (mit Hartwachs). Oder fast 2 Kilo fair gehandelten Bio-Kaffee.
Wieso also sollten Bücher noch teurer sein dürfen? Nur weil die Buchbranche seit Jahren ihre Felle sacht davonschwimmen sieht? Weil die Absätze zurückgehen und jeder, der nicht wenigstens einen Massenseller vom Schlage „50 Shades of Grey“ oder „Verblendung“ per anno raushaut, wild um sich druckend am Rande der Insolvenz japst?
Der gemeine Leser empfindet jetzt vielleicht sogar Mitleid. Mit den Verlagen. Weil es denen, eben, nicht gut geht. Weil Bücher, siehe oben, laut Verleger Falk, viel zu billig sind. Dabei aber hat der gemeine Leser mangels Interesse (sowie mangels geeigneter Lobby-Kommunikationsmöglichkeiten der Autoren) überhaupt nicht auf dem Schirm, dass die eigentlichen Leidtragenden der allgemeinen Preispolitik eben nicht die Verlage sind, sondern die Autoren. Jedenfalls die paar Autoren, die keine Bestseller schreiben.
Reflexartig zuckt der gemeine Leser hier die Achseln und denkt sich, „Ja, pfff, wer keine Leser hat, der kann vom Schreiben halt auch nicht leben“, aber daraus wird kein Schuh. Denn einer, der sagen wir mal 5.000 Leser hat, sollte ja durchaus vom Schreiben leben können. 5.000 Menschen, denen Autors erzählte Geschichte 10 oder gar 20 Euro wert ist, das sind doch immerhin 50-100.000 Euro Einnahmen, und damit kann man ja durchaus eine Weile klarkommen als normaler Durchschnittsfamilienvater.
Tatsächlich aber kommen verblüffend viele gemeine Leser aber gar nicht auf die Idee, ein erfolgreicher Autor (der mit den 5.000 Lesern) müsse von den 50-100.000 € Umsatz mehr an den Verlag abtreten als eine „Vermittlungsgebühr“. Und legt dann gar ein Autor einen kleinen „Bestseller“ vor, setzt also beispielsweise 20 oder 30tausend Bücher zum Preis von 16,99 € ab, tauscht man sich in Leseratten-Foren mit Gleichgesinnten aus, wegen der „goldenen Nase“, die sich der Autor nun verdient hat: 30.000 x 17, das sind ja immerhin ... 510.000 €! Bestsellerautor müsste man sein!
Ja. Wenn´s denn so wäre, wenigstens annähernd. Werfen wir doch mal einen genaueren Blick auf die Torte – und darauf, wer welches Stück bekommt. Die kleine „Vermittlungsgebühr“, die Autoren an Vater Staat sowie an Ihre Verlage und Zwischenhändler entrichten, beträgt 95% des Verkaufspreises. Beim Taschenbuch. Beim Hardcover sind es nur 90%. Das bedeutet: von den 9,99 €, die der Buchhändler vom „Endkunden“ resp. Leser kassiert, kommen beim Autor an: 50 Cent. Ein beliebter Autor, der ein einsames Arbeitsjahr mit dem Anfertigen eines schönen langen Textes für 5.000 Leser verbringt, kommt so auf eine Jahreseinnahme von nicht ganz 50.000 €, sondern: 2.500 €.
Die goldene Nase des exemplarischen Bestsellerautors von oben sieht indes auch nicht so viel glänzender aus, denn wer 30.000 Hardcover-Kopien seines beliebten Textes zum Preis von 16,99 € unters Volk bringt, erhält dafür nicht etwa 500.000 €, sondern etwa 50.000 €. Immerhin: der Halbe-Million-Umsatz-Bestsellerautor (selbstständig, Freiberufler) könnte sich davon eine gediegene 3-Zimmer-Mietwohnung leisten. Zum Beispiel in Braunschweig. Sofern er keine Kinder hat. Und müsste, um die Wohnung dann auch längerfristig halten zu können, wenigstens alle zwei Jahre wieder bestsellern, also auf der Spiegel-Hardcover-Liste landen.
Sein von immerhin 5.000 Menschen gern gelesener TB-Kollege hingegen wird mit seinem Honorar von 2.500 € im Jahr nicht ganz so weit kommen. Sondern muss bei seiner Mutter wohnen bleiben.
Verlage sind viel zu teuer
Hier hakt nun der aufmerksame Leser ein oder nach, protestierend: "Moment! Das stimmt doch gar nicht“! Dann sind ja nicht Bücher zu billig – sondern Verlage und Buchhandel zu teuer! Die verdienen zu viel!
Tatsächlich? Von oben nach unten betrachtet: Sogar der Staat verdient am Taschenbuch mehr als der Autor, denn 7% Mehrwertsteuer werden ja gleich mal aus dem Verkaufspreis geschöpft, und der Autor erhält seine 5% vom Rest, also von den verbleibenden 9,25 €. Macht für den Nichtautor Staat: 65 Cent, für den Autor: 46 Cent.
Die verbleibenden 8,80 € verbleiben bei Verlagen und Handel, etwa zu gleichen Teilen. Nur: ist das „zu viel“? Wenn Großhändler und Buchhändler von jedem 10 Euro-Buch 4,40 € Euro für sich behalten? Und der Verlag noch mal 4,40€? Herrgott, von irgendwas müssen die doch auch leben, all diese fleißigen Werker. Die in den Verlagen, die ihre Autoren betreuen, Bücher gestalten und herstellen, drucken lassen, Anzeigen schalten – da bleibt doch bei einem 5.000 mal verkauften Taschenbuch kaum was hängen für den Gewerbesteuereintreiber, das schnallt schon meine Achtjährige per Überschlagsrechnung. 50.000 Einnahme minus 7%, Herstellungskosten, Vertrieb, anteilige Lohn-, Lohnneben- und Sozialversicherungskosten für die Angestellten, die das Buch lektorieren, korrigieren, setzen – und die nebenher auch noch ein paar andere Dinge tun, zum Beispiel viele miese Manuskripte anlesen und Ablehnungen in Umschläge stecken; Druckereien, Autos zum Ausliefern, Anzeigen, die getextet und gestaltet werden wollen…
Und meine (kleine) (lokale) Buchhändlerin, die soll pro verkauftem Taschenbuch keine 4,40 Euro bekommen? Wovon soll die denn leben? Die Gute heißt doch nicht mit Nachnamen Amazon – und verkauft im Monat mit Glück ein paar hundert von diesen Billig-Büchern, und dazu noch mal ein paar hundert Hardcover? Und muss doch Miete zahlen. Für den Laden. Und ihre Wohnung. Vielleicht isst sie sogar manchmal was?
Nein, nicht die „gierigen“ Verlage und Buchhändler (außer den großen gierigen) sind das Problem. Bücher sind zu billig.
Nun kann man natürlich weiter die Achseln zucken als preisbewusster Konsument und sich selbst sowie den Autoren sagen, „Gut, dann lasst das halt mit dem Schreiben. Oder bezahlt es selbst. Sucht euch einen anständigen Job und schreibt in der Freizeit.“ Dabei allerdings kommt dann halt auch nur Freizeitliteratur heraus, entsprechend einem von mir in meiner Freizeit restaurierten Jaguar E-Type, vulgo: so läuft das nicht, jedenfalls nicht mit Qualität.
Aber gut. Aber: mei. Schreiben kann ja eh jeder. Lernt man doch in der Schule. Ist doch keine Kunst. Haken dahinter, weiter im Text.
Man könnt ja statt dessen … Popstar werden. Oder Filme drehen. Gut, ich hab das Gegenargument klingelnd im Kopf, schon klar: Es gibt viel zu viele „Künstler“, und wir können nicht alle davon leben, dass wir uns gegenseitig beim Singen filmen. Klingt cool und wahr, ist aber doch nur wieder nothing but half the truth. Denn gerade unter den wirklich originellen schreibenden, singenden und bildnernden Künstlern sind etliche, die vom Hörer, Leser oder kuckenden Sonstwiekonsumenten nicht nur schlecht bezahlt werden, sondern gar nicht.
ARTCENT 1.0 statt GEZ 2.0
Jaron Lanier, Netz-Urgestein und garantiert kein Neo-Luddist, wies schon vor Jahren ganz zurecht darauf hin, Youtube und Co. machten langfristig sämtlichen Künstlern den Garaus. Denn es werden ja nicht nur die jungen Talente, die dort ausstellen, um bekannt zu werden, lausig honoriert – das Angebot an umsonst zu konsumierender Kreativität zertrümmert auch den gesamten Markt für jene Künstler, die dafür bezahlt werden müssen, dass sie arbeiten.
Wie sich das beheben lässt? Recht simpel. Wir zwacken einfach 8 Euro monatlich von der Staatsfernseh-Gebühr ab und verteilen die um. Nämlich an die Künstler. „Flattr“ hat das ja schon mal probiert, allerdings setzte der Dienst bekanntlich a) auf Freiwilligkeit und wollte b) selbst Geld verdienen, was sich in diesem noblen Volkskunstversorgungszusammenhang verbietet. Daher machen wir´s ab heute so, unter dem Arbeitstitel „ArtCent“: Jeder Meldepflichtige zahlt 100 Euro p. a. als „Künstlergroschen“, die Kohle wird automatisch monatlich abgebucht, im Rahmen der eh schon zwangserhobenen Mediengebühr. Dafür kriegt aber auch jeder Steuerpflichtige ein modifiziertes „Flattr“-Konto, sprich, so oft er irgendwas im Netz sieht, hört oder liest, was ihm gefällt, belohnt er das per Klick auf das entsprechende Gefällt-mir-Simpelkästchen mit einem, zwei oder zehn Punkten im Gegenwert von meinetwegen 10 Cent. Und zwar solange, bis sein 100-Euro-Konto leer ist. Dann gibt´s erst im nächsten Januar wieder was für die coolen Künstler.
Nicht persönlich vergebene Guthaben gehen direkt in den großen Künstlereimer, bei dem jeder Mitglied werden kann, der Kunst veröffentlich, so kommt der Rest des Geldes unter die guten Leute. Damit wir uns nicht missverstehen: Wir reden hier über bummelig 80 Millionen Einwohner x 100 Euro, also ein jährliches Kunstförderungsprogramm von 8 Milliarden Euro. Zum pro-deutsche-Nase-Monatsabopreis von 8 Euro 50! (Wie, ich kann nicht rechnen? Kann sein, aber die Details kriegt garantiert mein Buchhalter raus, wenn ich erst das Kultusministerium übernommen hab. Wie, es gibt gar kein Kultusministerium?)
Und noch mal wie: das ist ja ne zweite GEZ? Ja! Und zwar eine zeitgemäße! Das muss doch mal aufhören, Kinder, euer komplett verstrahltes „Ich will aber immer alles billig, und die Kunst, die Kreativität und die nicht so ganz massentaugliche Unterhaltung, die ich so liebe, die will ich sogar umsonst!“ Das ist Zechprellerei als Volkssport. Ihr geht doch auch nicht über den Wochenmarkt und esst da alles auf, ohne zu zahlen.
Und deshalb hat sogar Verleger Falk recht: Bücher sind viel zu billig. Taschenbücher müssen mindestens 15-20 Euro kosten, Hardcover mindestens 40. Verteilen wir die zusätzlichen Einnahmen zu 90% in Richtung der Autoren und zu 10% in Richtung der Verlage, ist ein erster zarter Schritt in Richtung Existenzminimumsicherung für die bei 5.000 Lesern beliebten Schreiber gemacht – vielleicht reicht´s ja sogar für ein eigenes Zimmer (nicht bei Mutti). Den Rest finden wir dann auf dem Weg heraus.
Wie, Wunschdenken? Klar, was denn sonst? Aber die Verlage fragen sich ja zu Recht, wohin ihr Weg führen soll. Sofern sie bei ihrem Geschäftsmodell bleiben und nur Autoren eine Heimat bieten, die zuhause wohnen oder das Schreiben als Hobby neben der Beamtenlaufbahn betreiben, vermutlich ins Nichts. Denn am Horizont lauert eine schreckliche Gefahr: Die Autoren könnten sich nach der nächsten Einkürzungsrunde auf 3,5% vom noch einmal gedumpten Taschenbuch-Verkaufspreis verhungernd abwenden – und endgültig scharenweise via Kindle, in Kombination mit einem Book-on-demand-Create-Space-KDP-Deal, direkt an ihre 5.000 Leser wenden. Wohl war, das ist ein Alptraumszenario.
Allerdings weniger für die Autoren. Denn die sind ja mit ihren derzeitigen 5-10% eh schon mittendrin.
Anmerkung: Zum Weiterlesen empfehlen wir den Artikel "Sogenanntes Verzichtsmodell" von Martin Vogel.
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