Das Plakative der Bilder, ihre Schärfe und die Brillanz der Farben lassen bei Pieter Hugos erster großer Museumsausstellung in Deutschland flüchtig den Eindruck von Werbeästhetik entstehen. Weit gefehlt, denn viele seiner Bilder, Portraits und Stillleben, erzählen brisante und traumatische Geschichten von Gewalt, Ausgrenzung, Armut und Ausbeutung.
Es sind bestimmte Sätze von Pieter Hugo, die sich während des Rundgangs mit ihm durch die Ausstellung einprägen. Zu seinen Fotoinszenierungen mit Jugendlichen und Kindern aus Ruanda, die er zwanzig Jahre nach dem Völkermord der Hutu an den Tutsi produzierte, erzählt er, dass es dort keine Stätten wie Auschwitz gibt, weil Steppen, Wälder und Straßen zu Topographien des Gemetzels wurden und somit die ganze Landschaft kontaminiert ist. In eben dieser Natur inszenierte er die Portraits von jungen Menschen, die nach dem Genozid geboren wurden.
Die Titel der Farbtableaus verraten nicht die Namen der Portraitierten sondern nur die jeweilige Nummer des Portraits, Land und Jahr. Ernste und konzentrierte Blicke fixieren das Gegenüber. Sie wirken wie stille Ankläger, als ob sie die Spuren der grausamen Vergangenheit in sich tragen und posttraumatisch gezeichnet sind. Wären Schwarz/Weiß-Bilder nicht dem Thema angemessener? Läuft die gestochen scharfe Farbfotografie nicht Gefahr, zur Verharmlosung und Ästhetisierung einer grauenvollen Vergangenheit zu werden? Diese Fragen drängen sich auf und dennoch generieren diese Farbmotive ein seltsames Unbehagen, das sich den Betrachtern fast körperlich mitteilt. Zum einen sind es die Blicke, die Gesten und dann auch noch die Bekleidung der Menschen, die irritieren.
Ein Junge steckt in einer viel zu großen, hochgeschlossenen Jacke, unverkennbar das Kleidungsstück eines Erwachsenen. Er liegt auf dem Rasen, umgeben von abgefallenen Blüten, den Blick direkt in die Kamera gerichtet. Der Junge wirkt gefangen und scheint unserem Blick völlig wehrlos ausgeliefert zu sein. Über die Arrangements mit den Portraitierten schweigt sich Pieter Hugo aus. Nur so viel, er mache Bilder im Einvernehmen mit den Menschen und manches Mal stoße er auch auf Ablehnung. Und dann kommt da wieder so ein Satz von Hugo, der zeigt, wie stark er über seine Fotografie reflektiert. Er begreife das Fotografieren nicht so sehr als Akt des Beobachtens, sondern als Akt des Zurückschauens. Er meint die Blicke der Portraitierten, die sich auf ihn als Fotografen und die Besucher der Ausstellung richten und in ihr Inneres dringen, wie eine Gegenbewegung oder eine Umkehrung des Voyeurismus.
Hugo ist sich der soghaften Wirkung seiner Inszenierungen sicher. Der 1976 in Südafrika geborene und dort lebende weiße Fotograf ist sich aber auch der Geschichte seines Landes bewußt. Auf einem Bild läßt er einen Jungen einen kleineren auf seinen Armen tragen und erinnert damit an das Foto vom Protest in Soweto gegen die Einführung des als Kolonialsprache verhaßten Afrikaans. Der weinende Mbuyisa Makhubo trug den von der Polizei erschossenen zwölfjährigen Hector Pieterson auf den Armen. Dieses Bild von Sam Nzima wurde zu einem Fanal im Kampf gegen die Apartheid durch eine neue Generation. Es entstand im Geburtsjahr von Pieter Hugo, und hat dessen widersprüchliches Verhältnis zu Südafrika geprägt. Er ist diesem Land trotz seiner Geschichte aus Gewalt und Unterdrückung nicht nur verbunden, sondern Teil von ihm. Deshalb will er sich seiner Verantwortung gegenüber dem historisch schweren Erbe nicht entziehen.
Sein Blick für die Ausgebeuteten und Armen sowie die randständigen Minderheiten in seinen Bildern macht die Empathie spürbar. Für seine im wahrsten Sinne atemberaubende Serie „Permanent Error“, die er zwischen 2009 und 2010 in Ghana auf dem Agbogbloshie Market in Accra machte, nutzte er eine Handkamera. Ein riesiges Armenviertel mit billigen Hütten und einer Mülldeponie in unmittelbarer Nachbarschaft. Dort wird der Elektroschrott, vorwiegend aus Europa, illegal auf einer Deponie entsorgt und von den Ärmsten der Armen nach verwertbaren Metallen durchforstet.
Im offenen Feuer legen sie das Kupfer durch verbrennen der Kabelummantelung frei. Dabei entstehen hochgiftige Dämpfe, die zur völligen Kontaminierung von Luft und Boden beitragen, auf dem in Sichtweite die Kühe ruhen und die Hütten der Bewohner stehen. Der Qualm überzieht das gesamte Areal und wird von den Arbeitern, darunter viele Kinder, eingeatmet. Für Pieter Hugo hielten manche von ihnen – einige wollten sich nicht fotografieren lassen – einen kurzen Moment bei ihrer gefährlichen Arbeit inne, um sich inmitten des dampfenden Geländes portraitieren zu lassen.
„Kin“ bedeutet im Englischen sowohl Freundschaft wie Verwandtschaft und ist der Titel einer weiteren umfangreichen Fotoserie von Hugo. Sie umfasst ein Selbstportrait, Bilder seiner Familie, von Freunden und Bekannten ebenso wie ein schwules Paar in traditioneller Zulu-Tracht in inniger Umarmung nach der Hochzeit. Eine Provokation für die traditionelle Community und Hugo ergreift damit deutlich Partei gegen Homophobie und Diskriminierung. Außerdem zeigt Hugo in dieser Serie zwei Luftaufnahmen der Township Diepsloot im Norden und der gated Community Dainfern im Süden Johannesburgs. Dabei wird deutlich, wie die auf Rassismus beruhende ökonomische Spaltung der Gesellschaft so virulent ist, wie sie es unter der Apartheid war.
Keine rosigen Verhältnisse, aber in Pieter Hugos Bildern werden sie sichtbar.
Die Ausstellung findet bis zum 23.7. im Kunstmuseum Wolfsburg statt.
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