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Aus der Praxis eines Verschwörungstheoretikers

Aus der Praxis eines Verschwörungstheoretikers

Zum Verschwörungstheoretiker kann man nicht werden. Entweder ist man es von Anfang an. Oder man ist es nicht.

Was nicht heißen soll, dass es nicht auch äußere Einflüsse gegeben hätte, durch die ich in meiner Neigung gefestigt und bestärkt wurde. Schon in der Grundschule, im Religionsunterricht (damals nannte man das „Bibelkunde“), faszinierte mich die Sache mit der unbefleckten Empfängnis, dann natürlich die ganze Geschichte mit der Auferstehung (auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel, sitzet zur Rechten Gottes usw.).

Während meiner Gymnasialzeit wurde ich in meinem verschwörungstheoretischen Denken vor allem im Deutsch- und Englischunterricht geformt. Wir lasen zum Beispiel Schillers Wilhelm Tell oder Die Verschwörung des Fiesco zu Genua, natürlich auch Shakespeare, Julius Caesar und all so was. Seither bin ich immer darauf gefasst, dass irgendwer den Dolch im Gewande trägt.

Inzwischen schon ein wenig in die Jahre gekommen, würde ich mich als gereiften Verschwörungstheoretiker bezeichnen. Und ich habe schon so viele verschwörungstheoretische Versatzstücke in die Welt gesetzt, dass ich wenig überrascht war, als ich im Herbst letzten Jahres einen Anruf von KenFM bekam. Nein, nicht von Meister Jebsen selbst, dem Papst unserer Zunft, sondern von einem seiner Mitverschwörer. Ohne Umschweife kam er zur Sache:

„Herr Teusch, wir haben Ihr neues Buch gelesen. Tolle Sache, diese Lückenpresse! Wir haben hier in der Redaktion darüber geredet und waren uns sofort einig: Wir möchten uns mit Ihnen verschwören! Im Klartext: Ken möchte ein Interview mit Ihnen machen, wird so anderthalb bis zwei Stunden dauern, mit Vor- und Nachbereitung müssten Sie mit circa drei Stunden rechnen. Was sagen Sie dazu?

„Klasse! Endlich! Wann und wo soll das Ganze stattfinden?“

„Jetzt ist ja bald wieder Buchmesse in Frankfurt. Da sind sie doch auch, oder?“

„Ja, klar, da bin ich auch.“

„Gut, dann treffen wir uns da.“

„In den Messehallen?“

„Nein, natürlich nicht. Das wäre viel zu auffällig. Wir haben da in Frankfurt eine andere Location aufgetan. Bisschen außerhalb, etwas versteckt, nicht leicht zu finden. Ich schicke Ihnen eine Wegbeschreibung.“

„Und wann genau soll das sein?“

„Wann sind Sie denn auf der Buchmesse?“

„Am Freitag.“

„OK, sagen wir Freitag um 11.30 Uhr?“

„Sehr schön, das passt.“

„Aber das ist noch nicht alles, Herr Teusch!“

„Was denn noch?“

„Wir wollen uns ein paar Wochen danach nochmal mit Ihnen verschwören. Am 9. November in Berlin. Sie werden dann nicht mit Ken Jebsen allein sein, sondern es sind noch andere Mitverschwörer da. Eine Diskussionsrunde, nennt sich ‚Positionen‘, Folge 8.“

„Aha, und wer sind die Mitverschwörer?“

„Also, da ist der Ex-ZDF-Mann Wolfgang Herles, dann der Ex-Spiegel-Mann Dirk Koch und dann noch Fulvio Grimaldi, ein italienischer Journalist. Kennen Sie den?“

„Ja, doch, kenn ich.“

„Ein begnadeter Verschwörungstheoretiker, dieser Mann! Wird superinteressant. Also, kommen Sie?“

„Gerne.“

„Toll, da wird sich der Ken freuen!“

„Allerdings…“

„Was denn?“

„Es ist gibt da ein Problem. Vielleicht sogar zwei…“

„So?“

„Also: Ich bin zwar Verschwörungstheoretiker…“

„Aber?“

„Naja, die Sache mit den Chemtrails, ich weiß nicht…“

„Mmh. Naja, es geht in der Runde ja um ‚Strukturen der Macht‘, glaube kaum, dass wir da auf die Chemtrails kommen werden. Und das zweite Problem?“

„Die Mondlandung.“

„Was ist denn damit?“

„Also, ich glaub schon, dass die wirklich stattgefunden hat.“

„Herr Teusch, das überrascht mich jetzt etwas. Als ich Ihr Buch gelesen habe, hatte ich eigentlich den Eindruck, dass Sie…“

„…dass ich was?“

„Und was denken Sie über WTC 7?“

„OK, die Sache finde ich auch irgendwie merkwürdig.“

„Na sehen Sie! Das wird schon! Am Ende kommt es ja sowieso nur auf die Gretchenfrage an.“

„Ach, und wie lautet die?“

„Wie lautet was?“

„Die Gretchenfrage. Wie lautet die Gretchenfrage?“

„Na, die Gretchenfrage lautet natürlich: Wie halten Sie’s mit Putin?“

„Mit Putin?“

„Ja, mit Putin!“

„Naja, Putin. Also Putin…”

„Ja?”

„Also, Putin is ne coole Sau!”

„Na also! Herr Teusch, das wird ne Super-Sendung! Sie hören von mir…“

Das Interview mit Ken Jebsen war richtig gut. Verschwörungstheoretiker unter sich, sozusagen, ohne störende Nebengeräusche. Weniger erfreulich dann die Diskussionsrunde einige Wochen später. Sie lief ziemlich kontrovers, um nicht zu sagen: aus dem Ruder.

Wolfgang Herles regte sich über Fulvio Grimaldi derart auf, dass er kurz davor war, den Möllemann bzw. den Bosbach bzw. die Weidel zu machen. Dirk Koch war auch ziemlich angesäuert. Eigentlich war geplant, dass wir nach der Aufzeichnung noch alle zusammen zum Italiener gehen und die Verschwörung ohne Kamera und Mikrofon fortsetzen. Aber daraus wurde dann nichts mehr.

Am nächsten Morgen saß ich im Hotel beim Frühstück, als Fulvio Grimaldi auftauchte.

„Ach, Herr Teusch! Hat man Sie auch hier untergebracht? Darf ich mich zu Ihnen setzen? Sie waren übrigens toll gestern, richtig klasse!“

„Aber ich bin doch kaum zu Wort gekommen.“

„Aber wenn Sie mal zu Wort gekommen sind, war’s klasse!“

„Danke.“

„Ich habe mir eben da vorne an der Rezeption diese Zeitung geholt. „Berliner Morgenpost“. Ist das eine gute Zeitung?“

„Nö.“

„Tja, ich bin Italiener. Ich kenn mich hier nicht so aus. Dann bring ich die Zeitung wieder zurück.“

Mit dem Verschwörungstheoretiker Grimaldi konnte ich mich nicht mehr lange unterhalten. Er musste zu seinem Flieger nach Italien, in jenes Land, in dem man angesichts der dortigen politischen Umtriebe beinahe zwangsläufig zum Verschwörungstheoretiker wird, selbst wenn die Gene in Ordnung sind.

Ich war und bin erstaunt, dass die KenFM-Sendungen so großen Zuspruch finden. Offenbar gibt es hierzulande ganz schön viele Verschwörungstheoretiker. Eine richtige Community. Man stelle sich vor, die würden sich alle zusammentun und zur Abwechslung mal der Verschwörungspraxis widmen. Dann hätten sie vermutlich gute Chancen, die Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen.

Zum Schluss noch ein Tipp: Keine Verschwörungstheorie ist so gut, dass sie nicht noch besser werden könnte. Konkret: Wir sollten von unseren Mitbewerbern lernen! Wir sollten uns insbesondere ein Beispiel an jenen Verschwörungstheoretikern nehmen, die sich perfekt zu tarnen wissen. Sie tun das, indem sie ständig über die Verschwörungstheorien anderer herziehen – und unverdrossen selber welche produzieren, am laufenden Band.

Sie rufen zum Beispiel: Der Russe, also Putin, war’s! 2003 haben sie gerufen: Der Satan aus Bagdad war’s! Und 2011: Der Irre aus Tripolis war’s! Oder: Der machthungrige Sultan aus Ankara war’s! Oder: Der Schlächter aus Damaskus war’s! Oder: Der irre Rocket Man aus Pjöngjang war’s!

Sind sie nicht genial einfach, diese Verschwörungstheorien? Also einfach genial? Und das Schönste: Die Verschwörungspraxis folgt ihnen auf dem Fuß! So eloquent Ken Jebsen sein mag – da kann er sich noch einige Scheiben abschneiden.


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