Inzwischen schwindelt es mich schon, wenn ich nur die Zeitung aufschlage. „Waffen für die Ukraine!“ liest man da in allen denkbaren Tonlagen, und ohne Unterbrechung wird von einem russischen Einmarsch getönt. Dabei wird alles zum Thema Ukraine verdreht, bis es nicht mehr wiederzuerkennen ist. Hunderttausend russische Soldaten stünden an der ukrainischen Grenze, wird behauptet. Zum einen ist diese Grenze über 2.000 Kilometer lang; zum anderen werden auch Garnisonen mitgezählt, die dreihundert Kilometer davon entfernt liegen. Das ist die Bedrohung, vor der wir uns fürchten sollen.
An der Frontlinie im Donbass, der Front des ukrainischen Bürgerkriegs, stehen über hunderttausend ukrainische Soldaten. Diese Frontlinie ist etwas über 400 Kilometer lang, und die erwähnten 100.000 sind nur die ukrainischen Truppen, die unmittelbar an der Kontaktlinie stehen, nicht fünfzig, auch nicht hundert Kilometer davon entfernt. Dort finden wirkliche Angriffsvorbereitungen statt.
In den Krankenhäusern im Hinterland wurde Platz für Verwundete geschaffen, und mit altem sowjetischem Gerät wurden in den letzten Tagen Korridore durch die Minenfelder gezogen. Die ukrainische Luftwaffe hat eine Urlaubssperre verhängt.
Ihnen gegenüber stehen vielleicht 30.000 Mann der Republiken Donezk und Lugansk, vorbereitet auf einen Angriff, der jederzeit erfolgen kann.
Dahinter liegen die Orte, die wir die letzten Jahre mit humanitärer Hilfe versorgt haben. Orte, in denen nach wie vor Kinder aus dem Unterricht in den Keller flüchten, in denen die Häuser in der Nähe der Frontlinie nur noch aus Gewohnheit stehen, löchrige Dächer auf Mauerwerk, das durch den jahrelangen Beschuss von oben bis unten von Rissen durchzogen ist. Häuser, in denen immer noch oft Menschen leben, die keinen anderen Ort haben und weil es ihre Heimat ist.
Selbst die OSZE bestätigt, dass 80 Prozent der zivilen Toten auf der Seite der Donbass Republiken ums Leben kamen.
Hier, in den deutschen Medien, gibt es diesen Aufmarsch der ukrainischen Armee nicht, und es gibt keine Granaten, die auf Städte wie Gorlovka abgefeuert werden.
Es gibt nur eine Ukraine, mit der wir „solidarisch“ sein sollen, mittlerweile um jeden Preis. Auch um den Preis eines großen, globalen, verschlingenden Krieges. Auch um den Preis eines völligen industriellen Niedergangs, nicht in der Ukraine, da hat er längst stattgefunden, sondern hier, in Deutschland, weil die Stromversorgung ohne Nord Stream 2 nicht sicher ist und noch vieles andere mehr.
Solidarität ist eines der Wörter, die in den letzten Jahren am meisten missbraucht wurden. Da wurde behauptet, es sei Solidarität, sich eine unwirksame Substanz im Interesse eines Pharmakonzerns verabreichen zu lassen; es sei Solidarität, die Ukraine, die seit dem Ende der Sowjetunion wie ein Kampfhund gegen Russland dressiert wurde, zu unterstützen, wenn sie von der Leine gelassen wird.
Nein, Solidarität ist das füreinander Einstehen in einem gemeinsamen Kampf, und zwar dem der Besitzlosen gegen die Reichen, ein Einstehen für die eigenen Interessen, und die heißen Frieden und ein menschenwürdiges Leben.
Über das Minsker Abkommen, das vor sieben Jahren den Bürgerkrieg im Donbass teilweise zum Stillstand brachte, wird in der deutschen Presse zügellos gelogen. Dabei kann man den Text auf Deutsch sogar auf Wikipedia finden, und das sogar korrekt. Der Kern des Minsker Abkommens sind direkte Verhandlungen zwischen Kiew und den Donbass Republiken.
Das genau ist der Punkt, den bisher jede ukrainische Regierung verweigert hat, worin sie von ihren westlichen Partnern bestärkt wird. Auch die Bundesrepublik hat nie Druck ausgeübt, um die Einhaltung dieses Abkommens zu erreichen.
Wir von Friedensbrücke haben viel Kontakt zu Menschen im Donbass, weil wir seit bald acht Jahren dort humanitäre Hilfe leisten. Die meisten Familien sind durch die Frontlinie zerrissen; jeder hat Verwandtschaft irgendwo auf der anderen Seite.
Das heißt, so eine Grenze, wie sie momentan besteht, eine Grenze, über die hinweg geschossen wird, die durch Schützengräben in die Landschaft gezogen ist, wollen die Menschen nicht. Aber es sind viele entsetzliche Dinge in diesem Krieg geschehen, gerade durch die Nazibataillone, das sind paramilitärische Verehrer von Hitler, die sich als Nachfolger seiner ukrainischen Hilfstruppen (Bandera, UPA) sehen und für Kriegsverbrechen in der Ostukraine verantwortlich sind, und unter dieser Bedrohung leben wollen sie eben auch nicht.
Vor sieben Jahren wäre das Minsker Abkommen ein Weg gewesen, Vertrauen aufzubauen, Maßnahmen zu treffen, die den Menschen im Donbass Sicherheit gewähren, um dann, mühsam, aber eben vielleicht doch friedlich, wieder in einem Staat zusammenzuleben.
Sieben Jahre hat keine Bundesregierung einen Handschlag getan, um dieses Abkommen umzusetzen. Sieben Jahre lang flossen Milliarden aus Deutschland in die Ukraine, in die Hände einer Regierung, deren größter Haushaltsposten die Aufrechterhaltung des Bürgerkriegs ist.
Und jetzt will man uns einreden, Russland sei der Aggressor!
Wenn in diesem Deutschland, dem des Kapitals, eine Lehre aus den vergangenen Kriegen gezogen wurde, dann die, dass man jede Stimme, die sich dagegen wenden könnte, rechtzeitig zum Verstummen bringen muss.
Das konnten wir die letzten Jahre über beobachten, angefangen vom „Querfront“-Vorwurf gegen die Mahnwachen. Heute ist nur noch sehr wenig übrig; die Linkspartei hat inzwischen auch einen Beschluss gefasst, in dem von „russischer Aggression“ die Rede ist und sich damit bei den Nato-Parteien eingereiht; und mithilfe von Corona und der zugehörigen Maßnahmen ist es gelungen, die Menschen noch weiter zu spalten, abzulenken und in Angst zu versetzen, sodass das Gerede von der „russischen Aggression“ auf fruchtbaren Boden fällt.
Die Nato erweist sich dabei nicht nur als Feind Russlands. Sie erweist sich auch als Feind der deutschen Bevölkerung. Nicht nur, weil wir weder einen Krieg noch Kriegspropaganda brauchen.
Die geplanten Sanktionen, die sich dieses Kriegsbündnis völkerrechtswidrig anmaßt, richten sich mindestens ebenso sehr gegen die Menschen in Deutschland wie gegen die in Russland.
Wenn Nord Stream 2 tatsächlich nicht in Betrieb gehen sollte, oder gar, wenn die USA die Pipeline zerstören, wie Joe Biden das jüngst angedeutet hat, dann richtet sich das gegen unsere ganz elementaren Interessen; weil nicht nur Stromversorgung und Industrie, sondern auch die Nahrungsversorgung darunter leiden. Eine deutsche Regierung mit etwas Voraussicht und etwas Rücksicht auf die Interessen ihrer Bürger müsste sich nicht nur von dem Aufmarsch gegen Russland fernhalten; sie müsste die Nato aus dem Land jagen.
Stattdessen spielt sie ein Spiel mit, das uns im günstigsten Fall ökonomisch ruiniert und im ungünstigsten die Welt in Brand setzt. Weil die Macht und der Reichtum einiger hundert großer Konzerne davon abhängen, dass die Vereinigten Staaten und ein paar weitere westliche Länder den Rest der Welt ungehindert plündern können. Weil diese ganze glorreiche Macht des Kapitals schon seit Jahren am Tropf der Zentralbanken hängt und dieses Lebenserhaltungssystem jetzt kollabiert. Weil sie um jeden, buchstäblich jeden Preis verhindern müssen, dass China und Russland noch stärker werden. Schließlich entwischen ihnen gerade reihenweise die Kolonien.
Zudem hat die Glaubwürdigkeit von Regierungen und Medien gewaltig gelitten. Mehr unter Corona als unter der Berichterstattung über Russland und China, mehr unter den unzähligen undemokratischen Maßnahmen als unter Manövern und Aufrüstung, aber man sieht, wie in vielen Ländern die Proteste zunehmen. Wir erleben nicht nur eine zerbrechende Ökonomie, vor der sie sich in einen Krieg flüchten wollen, sondern auch eine schwindende politische Macht.
Wer immer das russische Schreiben an USA und Nato liest, kann erkennen, dass es vernünftig ist. Einander bis an die Zähne bewaffnet gegenüberzustehen ist keine gute Voraussetzung für Frieden. Wir Deutschen sollten das wissen, schließlich lief die Front des Kalten Krieges mitten durch unser Land.
Aber die russische Regierung hat Recht, wenn sie sagt, Russland könne nicht weiter zurückweichen; die Nato steht bereits an der russischen Grenze. Also muss sie sich zurückziehen.
Eine Bundesregierung, die das nicht begreift, sondern stattdessen weiter Geld, Waffen und Truppen mit den USA gegen Russland in Stellung bringt, handelt gegen die Interessen der Deutschen.
Wir wollen ein friedliches Deutschland, frei von Lüge, frei von Machtstreben, frei von militärischem Wahn. Ein Deutschland, das im Frieden mit Russland und China lebt. Und nicht eines, das mit der Macht der USA untergeht.
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