Redaktionelle Vorbemerkung: Die Analyse von Andreas Peglau zum Rechtsruck in Deutschland erscheint als Sechsteiler: Teil 1 („Massenpsychologie des Faschismus, 1933 – und heute“), Teil 2 („Bundesdeutsche Seelenverhältnisse“), Teil 3 („‚Rechter‘ Neoliberalismus“), Teil 4 („Widersprüche und Auflösungen“), Teil 5 („Die wichtigste Grundlage destruktiver sozialer Systeme“) und Teil 6 („Eine psychosoziale Revolution“.
„Rechte“ Weltbilder
„Empirische Sozialforschung hat“, bilanziert der Soziologe Helmut Dahmer, „im Nachkriegs-Westdeutschland Jahrzehnt um Jahrzehnt ein stabiles Potential von (latentem) Antisemitismus registriert“.(1) 1979 bis 1980 durchgeführte Untersuchungen zu rechtsextremistischen Einstellungen ermittelten in der BRD „ein Potenzial von 13% der Befragten mit einem geschlossenen rechtsextremistischen Weltbild. Etwa die Hälfte davon, 6% der Wahlbevölkerung, billigte rechtsextremistische Gewalttaten und konnte damals als Sympathiepotenzial für rechtsterroristische Tätergruppen angesehen werden.“(2) Zu den – spärlichen aber bedeutsamen – Erhebungen, die es zu „rechten“ Einstellungen in der DDR gab, später.
Seit 2002 befasst sich eine Leipziger Forschergruppe um Oliver Decker und Elmar Brähler mit rechtsextremen Einstellungen in der „Mitte“ der deutschen Bevölkerung. Für die Zeit zwischen 2002 und 2012 stellten sie fest, dass durchschnittlich 4,2% der in den alten Bundesländern Lebenden und 6,8% der in den neuen Bundesländern inklusive Berlins Lebenden eine rechtsautoritäre Diktatur befürworteten.(3) Das waren im Westteil des Landes knapp 2,4 Millionen Menschen und im Ostteil mehr als 950.000.(4)
2016 hatten sich die prozentualen Anteile rechtsextrem Eingestellter in Ost und West angeglichen:
„In Ostdeutschland finden die Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur, die Ausländerfeindlichkeit sowie der Sozialdarwinismus im Vergleich zu Westdeutschland häufiger Zustimmung. Gleichwohl ist darauf hinzuweisen, dass diese drei Dimensionen der rechtsextremen Einstellungen auch von vielen in Westdeutschland als zustimmungsfähig angesehen werden. Besonders die Ausländerfeindlichkeit ist in allen Landesteilen stark verbreitet […]. Die Dimensionen Chauvinismus, Antisemitismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus finden in Westdeutschland etwas höhere Zustimmung. […] Zusammenfassend lässt sich die Ausprägung rechtsextremer Einstellung in Ost und West als ähnlich hoch beschreiben.“(5)
Sämtliche „Mitte“-Studien weisen „rechtes“ Gedankengut bei Anhängern des gesamten Parteienspektrums nach. 2016 sah die Aufteilung so aus: Mehr als 6,5% der CDU/CSU-Wähler und 6,9% der SPD-Wähler hatten ausgeprägte rechtsextreme Einstellungen. Aber dasselbe traf auch zu für 3,7% der Grünen- und 4,2% der „Links“-Wähler. Bei der AfD konzentrierte sich nun der bei Weitem größte Anteil dieses Potentials: Ein Viertel ihrer Wähler war als rechtsextrem einzuordnen. Auch bei den Nichtwählern waren es immerhin 12%.(6)
Zu einem „geschlossenen rechtsextremen Weltbild“ bekannten sich 2016 5,4% der Befragten.(7) Diese 5,4% repräsentieren mindestens 3,84 Millionen, wahrscheinlich eher vier Millionen(8) unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Aussagen wie den folgenden „überwiegend“ oder „voll und ganz“ zustimmen:
„Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand regiert.
Was Deutschland jetzt braucht, ist eine einzige starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert.
Was unser Land heute braucht, ist ein hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland.
Eigentlich sind die Deutschen anderen Völkern von Natur aus überlegen.
Wie in der Natur sollte sich in der Gesellschaft immer der Stärkere durchsetzen.
Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet.
Die Ausländer kommen nur hier her, um unseren Sozialstaat auszunutzen.
Die Juden arbeiten mehr als andere Menschen mit üblen Tricks, um das zu erreichen, was sie wollen.
Es gibt wertvolles und unwertes Leben.
Die Verbrechen des Nationalsozialismus sind in der Geschichtsschreibung weit übertrieben worden.“(9)
Hinzu kommen weitaus mehr Menschen, die diese Aussagen als „teils/teils“ richtig beurteilen. 2014 waren das, je nach Aussage, 12 bis 31% der Befragten(10) – wobei letzterer Wert für mehr als 22 Millionen Deutsche steht. Und: Eine noch weit höhere Zahl vertritt weitere fremdenfeindliche Positionen.
2016 pflichteten 50% islamfeindlichen Aussagen bei, fast 58% diffamierten Sinti und Roma. 60% widersprachen der Aussage, die Asylsuchenden hätten „wirkliche Verfolgung erlitten“ oder seien „von ihr bedroht“. Mehr als 80% (!) lehnten die Forderung ab, „der Staat solle großzügig bei der Prüfung von Asylanträgen vorgehen“.(11) Einer der reichsten Staaten der Erde, der sich leisten kann, den „oberen Zehntausend“ permanent Millionengeschenke zu machen, soll also im Umgang mit dieser Menschengruppe auf „Großzügigkeit“ verzichten, damit auf eine zutiefst wünschenswerte Haltung, die ja nichts zu tun hat mit Verschwendung.
„Autoritäre Aggression“, das Nach-unten-treten-Wollen des autoritären Charakters, identifizierten Decker et al. 2016 bei 67,5% der deutschen Bevölkerung(12) – das sind mehr als 48 Millionen Bürgerinnen und Bürger! Da es 2014 „nur“ 52,1% waren, denen dies zugeschrieben werden musste, also in zwei Jahren mehr als 15%, also elf Millionen hinzugekommen sind, muss von einem erschreckenden Anstieg gesprochen werden, der zumal im Zuge der Befragungen den bisherigen Höchststand markiert.(13) Die „autoritäre Unterwürfigkeit“, das Nach-oben-Buckeln, das diesen Typus komplettiert, stieg zwischen 2014 und 2016 ebenfalls deutlich an, von 19,7 auf 23,1%: mehr als 16,4 Millionen Deutsche.(14) Auch diese Einstellungen ziehen sich, in unterschiedlicher Stärke, durch die Wählergruppen aller Parteien.
Eine gesamtgesellschaftliche Störung
Doch auch wer, egal welche Partei er wählt, seine Kinder unterdrückt oder schlägt – wie in Teil 1 berichtet: beides keine Seltenheit –, lässt die „autoritäre Aggression“ nur an anderen sozial Schwächeren aus als an Asylbewerbern. Autoritäre Aggression dürfte ebenfalls der Hintergrund dafür sein, dass 49% der Bevölkerung – also fast die Hälfte aller Erwachsenen(15) – 2016 meinten, „die meisten Langzeitarbeitslosen“ seien „nicht wirklich daran interessiert, einen Job zu finden“, würden sich nur „auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben machen“.(16) Auch wer eine „Willkommenskultur“ für Flüchtlinge pflegt, aber zu den 40% der Bevölkerung gehört, die es „ekelhaft“ finden, „wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen“ oder zu den 36%, die gleichgeschlechtliche Ehen weiterhin verboten sehen möchten,(17) hat sich für seine Wut womöglich nur andere „fremd“ erscheinende Menschen als Zielscheibe auserkoren. Wobei die Feindlichkeit gegenüber Homosexuellen – nahezu eine „rechte“ Tradition – erneut nicht an einzelne Parteien gebunden ist. Die Ablehnung der homosexuellen Ehe war 2016 unter CDU/CSU-Wählern mit 43,5% sogar noch etwas höher als in der AfD; sie kennzeichnete bei der SPD knapp 38%, bei der Linkspartei fast 27% der Anhänger, bei der FDP 25% und bei den „Grünen“ fast 20%.(18) Die AfD abzulehnen ist also keinesfalls identisch damit, kein seelisches Potential in sich zu tragen, auf das „rechte“ Bewegungen zurückgreifen können.
Wie flächendeckend dieses Potential hierzulande verteilt ist, belegt auch der Zuspruch für die PEGIDA-Demonstranten. Entgegen anders lautender Parolen muss gesagt werden: „Deutschland ist auch PEGIDA“ – und dies in erheblichem Maße. In Dresden und anderswo geht seit 2014 nur auf die Straße, was seit langem im ganzen deutschen Volk in unterschiedlicher Intensität an Einstellungen existiert, in Ost wie West. Auch das bekräftigen Befragungen:
„Nach einer repräsentativen Umfrage im Auftrag von Zeit online äußerten Mitte Dezember 2014 rund die Hälfte der Deutschen Verständnis für Demonstrationen gegen eine drohende ‚Islamisierung des Abendlandes‘. Insgesamt räumten sogar drei Viertel aller Befragten eine positive bis aufgeschlossene Haltung für PEGIDA ein. Eine wenig später durchgeführte repräsentative Umfrage ergab darüber hinaus, dass auch in den alten Bundesländern die Sympathiewerte für PEGIDA ähnlich hoch waren wie im Osten.“(19)
Es geht also um eine gesamtgesellschaftliche Störung – die nicht an Landesgrenzen endet. Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt schreibt:
„Das, wovon Dresdens PEGIDA nur ein Symptom ist, gleicht einem Magma, das überall unter Deutschland, ja weithin unter der Oberfläche vieler europäischer Staaten brodelt. […]
Deutschlands markantester Vulkanschlot, durch den jenes Magma an die Oberfläche drang und wöchentlich weiter quoll, entstand in Dresden. Deshalb ziehen Dresdens Demonstranten so viel Aufmerksamkeit auf sich. Sie verdienen diese aber […] weniger um ihrer selbst willen, sondern vor allem als prägnanter Teil jenes größeren Ganzen, das wir wirklich ernst nehmen sollten. Dies ist der Aufstieg von Rechtspopulismus in Europa.“(20)
Der „Dresdner Fall“, so Patzelt weiter, ist „ein Warnsignal dafür, was auf unser Land zukommen wird, falls wir es nicht verstehen, die tieferliegenden Ursachen der Dresdner Ereignisse analytisch und politisch in den Griff zu bekommen“.(21) Dem ist zuzustimmen – auch wenn Patzelt zu teils befremdlichen Lösungsvorschlägen kommt.(22)
Es wäre also naiv, „rechte“ Gruppierungen, Bewegungen oder Parteien als Vertreter von Minderheiten zu sehen. Sie repräsentieren tradierte psychosoziale Strukturen, die weit über den Kreis ihrer Mitglieder und Wähler hinaus verbreitet sind. Außerhalb Deutschlands ist Entsprechendes anzunehmen für Parteien wie den Front National, die griechische „Morgenröte“, die ungarische Jobbik oder die ukrainische Swoboda. 2016 konnte Donald Trump beim US-Wahlkampf offenbar ebenfalls diese Strukturen nutzen. „Rechte“ Parteigänger sind nur die Spitze des Eisbergs, „Symptomträger“ einer psychosozialen Störung, mit der unzählige andere, sich als demokratisch, liberal, „grün“ oder „links“ Verstehende ebenfalls „infiziert“ wurden. Ähnlich einer Seuche können diese Symptome – zum Beispiel infolge von Wirtschaftskrisen – rasant um sich greifen. Die zuvor als kulturell hochstehend angesehenen Deutschen haben es in den 1930er Jahren vorgemacht.
Verbote „rechter“ Parteien können das Übel daher niemals an der Wurzel packen: Die massenhafte Destruktivität sucht sich nur neue Formen und Namen.
Dass vier Fünftel der Deutschen die großzügige Bearbeitung von Asylanträgen ablehnen, heißt auch, nur ein Fünftel sieht das anders. Schon das ist eine klare Minderheit. Aus den Befragungen geht zudem nicht hervor, dass jene, die hier Großzügigkeit befürworten, keines der anderen Vorurteile gegenüber Flüchtlingen hegen, dass sie keine Ressentiments in Bezug auf Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle, Arbeitslose, Arme oder andere, von ihnen als „fremd“ eingestufte Menschengruppen oder in Bezug auf Frauen haben. Anzunehmen ist, dass die Zahl derer, die tatsächlich frei sind von all dem, äußerst gering ist.
Wilhelm Reich schrieb 1946: „Meine charakteranalytischen Erfahrungen überzeugten mich […], dass es heute keinen einzigen lebenden Menschen gibt, der nicht in seiner Struktur die Elemente des faschistischen Fühlens und Denkens trüge.“(23) Zumindest in Form von Fremdenfeindlichkeit und „autoritärer Aggression“ prägen uns erwachsene Deutsche nachweislich noch immer in großer Mehrheit Züge, die konstituierende Elemente von Faschismus sind. Beide Komponenten dürften im Vergleich zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in ihrer Intensität gemildert sein. Doch die Milderung kann abgeschwächt werden durch belastende Lebensumstände der Erwachsenen, die in Form unterdrückender Sozialisation auf die Kinder durchschlagen. Letztere werden wohl bereits zu den Hauptleidtragenden der zwischen 2014 und 2016 gewachsenen „autoritären Aggression“ gehören. Dass „rechte“ Einstellungen nun insbesondere durch die AfD-Führung und im Umfeld von PEGIDA so offen und erfolgreich zur Schau gestellt werden, trägt zudem unweigerlich zu ihrer Festigung und weiteren Verbreitung bei.
Aber das ist beileibe nicht die einzige Komponente, die auch in unserem Land dafür sorgt, dass „rechte“ Einstellungen bestehen bleiben – und an Stärke gewinnen.
Quellenangaben und Anmerkungen:
(1) Dahmer, Helmut (1994): Pseudonatur und Kritik. Freud, Marx und die Gegenwart, Frankfurt/M.: Suhrkamp, S. 236.
(2) Stöss, Richard (2010): Rechtsextremismus im Wandel, Friedrich-Ebert-Stiftung, S. 61.
(3) Decker, Oliver/Kiess, Johannes/Brähler, Elmar (Hg.) (2013): Rechtsextremismus der Mitte. Eine sozialpsychologische Gegenwartsdiagnose. Gießen: Psychosozial, S. 108.
(4) Die 81 Millionen Deutschen setzen sich momentan aus etwa 65 Millionen West- und 16 Millionen Ostdeutschen (inkl. Berlins) zusammen. Die von Decker et al. untersuchte Stichprobe umfasst aber nur die Altersgruppen 14 bis 91, also 71,2 Millionen = etwa 88% der Deutschen. https://service.destatis.de/bevoelkerungspyramide/ Dementsprechend habe ich auch nur 88% der Ost- und Westdeutschen zur Berechnung der Absolutzahlen herangezogen: etwa 14 Millionen Ostdeutsche, 57 Millionen Westdeutsche. „Ost“ und „West“ ist hier aber nicht gleichbedeutend mit ehemaligen DDR- bzw. BRD-Bürgerinnen und -Bürgern. Zum einen ist der größte Teil der knapp 3,5 Millionen Berliner nicht DDR-sozialisiert. Zum anderen wäre für eine gültige Aussage dazu auch der Grad der Ost-West-Durchmischung der Bevölkerung zu berücksichtigen sowie der Zeitpunkt der Geburt (vor oder nach 1990).
(5) Decker, Oliver/Kiess, Johannes/Brähler, Elmar (Hg.) (2016): Enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland, Gießen: Psychosozial, S. 37.
(6) Ebd., S. 41.
(7) Ebd., S. 48.
(8) 3,84 Millionen ist als Angabe über die Gesamtbevölkerung positiv verzerrt, weil die nicht Befragten unter den 14-Jährigen (10,2 Millionen) und über 91-Jährigen (mehr als 300.000) sicher ebenfalls nicht durchweg demokratische Einstellungen haben.
(9) Ebd., S. 30f.
(10) Decker, Oliver/Kiess, Johannes/Brähler, Elmar (2014): Die stabilisierte Mitte. Rechtsextreme Einstellung in Deutschland 2014. Universität Leipzig, S. 60.
(11) Decker et al. 2016 (wie Anm. 5), S. 50.
(12) Ebd., S. 56.
(13) 2006 waren es 58,8%. In sechs Jahren stieg der Wert auf 65,1%, fiel dann zwischen 2012 und 2014 wieder auf 52,1% (ebd.).
(14) Hier gab es allerdings 2006 und 2012 bereits etwas höhere Werte (ebd.).
(15) Zick, Andreas/Küpper, Beate/Krause, Daniela (2016): Gespaltene Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2016, hg. von Melzer, Ralf, Bonn: Dietz, S. 24. Die Forscher befragten eine repräsentative Stichprobe „der deutschsprachigen Wohnbevölkerung“ ab 16 Jahren.
(16) Decker et al. 2016 (wie Anm. 5), S. 46, 49.
(17) Ebd., S. 50f.
(18) Ebd., S. 86. Decker et al. haben diese Einstellung 2016 erstmals mit erfasst. Zick et al. 2016 (wie Anm. 15), S. 74f., die danach bereits länger fragen, verweisen darauf, dass die diesbezüglichen Werte im Vergleich zu Vorjahren rückläufig seien.
(19) Vorländer, Hans/Herold, Maik/Schäller, Steven (2016): PEGIDA. Entwicklung, Zusammensetzung und Deutung einer Empörungsbewegung, Wiesbaden: Springer VS, S. 17.
(20) Patzelt, Werner J./Klose, Joachim (2016): PEGIDA. Warnsignale aus Dresden, Dresden: Thelem, S. 16.
(21) Ebd., S. 16f.
(22) Ein von Patzelt mitverfasster „Aufruf zu einer Leit- und Rahmenkultur“ http://wjpatzelt.de/2016/12/02/aufruf-zu-einer-leit-und-rahmenkultur/ wirkt an manchen Stellen, als wolle er der AfD Konkurrenz in Deutschtümelei machen. So heißt es im Absatz „Kraftquelle: Heimat und Patriotismus“, patriotisch sei, „wer sein Land und dessen Leute mag“ – was in dieser Verallgemeinerung auch nicht zu Patzelts eigenen Forschungsergebnissen zu PEGIDA passt. Unter „Geschichtliches Bewusstsein“ steht dort: „Wir sind stolz auf unsere Kultur und Geschichte“. Das aber können auch Deutsche in dieser Pauschalität ganz gewiss nicht sein.
(23) Reich, Wilhelm (1986) [1971]: Die Massenpsychologie des Faschismus, Köln: Kiepenheuer und Witsch, S. 15.
Redaktioneller Hinweis:
Vor einem Wiedererstarken des Faschismus hat bereits Bertolt Brecht gewarnt: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ Aber was ist dieser „Schoß“?
Die bemerkenswerten Antworten, die der „linke“ Psychoanalytiker Wilhelm Reich (1897-1957) auf diese Frage gab, werden bis heute fast durchgängig ignoriert, auch in Politik, Faschismus- und Rechtsextremismusforschung. Das ist bitter, weil Reich es anders verdient hätte. Wichtiger ist jedoch: Ohne diese Antworten endlich ebenfalls zu berücksichtigen, dürfte es weder eine Chance geben, die internationale „braune Renaissance“ zu verstehen noch ihr wirkungsvoll entgegenzutreten.
Das im Juli 2017 erschienene neue Buch des Psychologen und Psychotherapeuten Andreas Peglau verbindet knappe biografische Informationen zu Reich und zu seiner 1933 erschienenen „Massenpsychologie des Faschismus“ mit Antworten auf Fragen wie
- Was war bzw. ist die wichtigste psychosoziale Basis politischer „Rechts“-Entwicklungen – früher und heute?
- Welche Auswirkungen hat autoritär-entfremdende Sozialisierung für das Zustandekommen von Destruktion, Rassismus und Krieg?
- Welche Rolle spielen psychische Faktoren für das Aufrechterhalten patriarchalisch-kapitalistisch-neoliberaler Systeme und für das mögliche Revolutionieren dieser Systeme?
- Welche Menschen- und Weltbilder können uns als Voraussetzung zum konstruktiven Handeln dienen?
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Andreas Peglau: Rechtsruck im 21. Jahrhundert. Wilhelm Reichs Massenpsychologie des Faschismus als Erklärungsansatz, Nora-Verlag Berlin, 174 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978-3-86557-428-2.
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