Zum Inhalt:
Unterstützen Sie Manova mit einer Spende
Unterstützen Sie Manova
Der Krieg beginnt

Der Krieg beginnt

Iranische Streitkräfte stehen unter Beschuss.

von Dan Glazebrook

Die Zerstörung von Staaten wie dem Irak, Syrien, Libyen und dem Iran wird Russland isolieren, wenn es selbst an der Reihe ist.

Schon wieder spitzt sich die Lage zu in einem der vielen Kriege um Syrien. Berichten zufolge wurden am 29. April durch zwei massive Luftangriffe – vermutlich aus Israel – der Militärstützpunkt und die Waffenlager der 47. Brigade der syrisch-arabischen Armee nahe Hama, sowie der Nayrab Militärflughafen in Aleppo getroffen.
Angeblich zielten die Angriffe auf iranische Boden-Boden-Raketen, die in Syrien eingesetzt werden sollten, und töteten zwischen 26 und 38 Menschen, darunter 11 Iraner.

Neuauflage der Roten Linien

Der Angriff scheint mit den USA koordiniert worden zu sein, denn er erfolgte nur wenige Stunden, nachdem US-Außenminister Mike Pompeo Jerusalem verlassen hatte. Laut Haaretz hatte Pompeo dort „Netanjahu mit militaristischen Reden über den Iran begeistert“. Die Times of Israel merkte an, dass am selben Tag „die Nachricht von einem Telefonat zwischen Netanjahu und Präsident Trump verbreitet wurde“, während Israels Verteidigungsminister Avigdor Lieberman seinen Amtskollegen James Mattis in Washington traf.

Diese fieberhaften Aktivitäten entfalteten sich weniger als eine Woche nach General Joseph Votels „größtenteils nicht öffentlich bekannt gemachtem Besuch in Israel“. Votel ist Leiter des Zentralkommandos der Vereinigten Staaten („Centcom“), dessen Verantwortungsbereich auch Syrien und den Iran einschließt.

Der Artikel der Times of Israel schlussfolgert:

„Dies alles erweckt den Eindruck einer koordinierten israelisch-amerikanischen Operation, um Irans militärische Aktivitäten in Syrien einzudämmen – während man gleichzeitig eine Warnung an Moskau sendet: Russlands grünes Licht an den Iran, sich in Syrien militärisch zu etablieren, ist weder für Jerusalem noch für Washington akzeptabel.“

In anderen Worten: Der Krieg gegen den Iran hat begonnen. Er hatte sich ja schon länger zusammengebraut.

Im Januar 2018, als der Krieg gegen den Islamischen Staat schon beinahe gewonnen war, kündigte der frühere US-Außenminister Rex Tillerson für die US-Truppen neue Zielsetzungen in Syrien an. Unter anderem gelobte er, dass die Truppen so lange bleiben würden, bis „der iranische Einfluss in Syrien geschwächt wurde und Syriens Nachbarn vor allen von Syrien ausgehenden Bedrohungen sicher sind“.

Im Februar warnte die International Crisis Group, dass Israel „seine roten Linien aktualisiert hat und damit signalisierte, die Dinge nötigenfalls selbst in die Hand zu nehmen, um den Iran davon abzuhalten, eine dauerhafte militärische Präsenz in Syrien einzurichten“.

Seitdem hat Israel iranische Belegschaften und iranische Einrichtungen direkt ins Visier genommen. Dass Israel am 9. Februar eine iranische Drohne abgeschossen hatte, führte dazu, dass die syrische Armee eines seiner F-16-Flugzeuge herunterholte, nachdem dieses die Kommandozentrale der Drohne bombardiert hatte. Seit den 1980er Jahren war dies das erste Mal, dass wieder ein israelisches Kampfflugzeug abgeschossen wurde. In einem seltenen Eingeständnis von Verantwortung nannte Israel die Mission einen Erfolg und behauptete, zwischen einem Drittel und der Hälfte der syrischen Luftabwehr sei während der Angriffe zerstört worden.

Russlands Antwort

Zwei Monate später, am 9. April, trafen israelische Raketen wieder denselben „T4“-Militärstützpunkt, den sie schon im Februar beschossen hatten. Ihr Ziel waren iranische Einrichtungen und Anlagen, dabei wurden 14 iranische Soldaten getötet. Laut einem israelischen Sprecher war dies das erste Mal, dass Israel „lebendige iranische Ziele“ angegriffen hatte.

Es war offensichtlich auch das erste Mal, dass Israel es versäumt hatte, Russland im Vorhinein vor einem Angriff zu warnen. Somit brach Israel das „Konfliktreduktions“-Abkommen, das es mit Russland 2015 geschlossen hatte, zu Beginn der Beteiligung Russlands am Krieg in Syrien.

Russlands Reaktion war ebenfalls neu: Es legte sofort Israels Verantwortung für den Angriff offen. Zudem rief der russische Präsident Wladimir Putin Netanjahu an und warnte ihn, Israel könne bei einem Angriff auf Syrien nicht länger mit Straffreiheit rechnen.

Nach den Luftangriffen gegen Syrien durch die USA, Großbritannien und Frankreich am 13. April brachte Generaloberst Sergej Rudskov, Leiter der Hauptbetriebsdirektion des russischen Generalstabs, ins Gespräch, Syrien mit dem schlagkräftigen russischen Flugabwehrraketensystem S300 zu beliefern.

Wenn das S300, das in einem Umkreis von 200 Kilometern bis zu 100 Ziele gleichzeitig erfassen kann, „vom syrischen Regime eingesetzt werden dürfte, wären Israel die Hände gebunden“, sagte US-Marineoffizierin Jennifer Dyer und fügte hinzu: „Die Art der präventiven Tiefflug-Angriffe (in Syrien), die die israelische Luftwaffe in den letzten Jahren gegen die Hisbollah und Spezialwaffenlager des Irans sowie das Assad-Regime geflogen hat, würden dadurch praktisch unmöglich.“

Israel könnte dann keine Präventiv-Angriffe mehr durchführen. Ursprünglich hatte Russland bereits 2010 einen Vertrag zur Lieferung des S300-Systems unterschrieben – auf Druck Israels diesen jedoch verworfen. Nun berichtete die Zeitung Kommersant am 23. April, die Entscheidung zur Aufhebung der Aussetzung sei gefallen und – nach Klärung einiger technischer Details –würde die S300 ausgeliefert.

Wenige Tage später schlugen die Israelis erneut zu – diesmal mit brutalen bunkerbrechenden Waffen, die zum zweiten Mal direkt auf iranische Soldaten und Ausrüstung zielten. Und keine S300 weit und breit.

Wie es weiterging

In den Medienberichten – sowohl in den Mainstream- als auch in den alternativen Medien (meine inbegriffen) – ist zu Recht eine wachsende Nervosität angesichts dieser Entwicklung zu spüren. Und dennoch: Während Eskalation und Fehlberechnungen und vor allem das Hineinziehen Russlands in den israelisch-iranischen Konflikt auf syrischem Boden eine echte Gefahr darstellen, haben viele Analysten die Spannung zwischen Russland und Israel übertrieben, ebenso die Überschneidung der Interessen von Russland und dem Iran.

Obwohl beide einen vom Westen unterstützten Regimewechsel in Syrien ablehnen, unterscheiden sich die Ziele Russlands und des Iran in der Region deutlich. Laut Nachrichten-Analysten von Stratfor „fokussiert sich Russlands strategische Zielsetzung auf die Beseitigung von Ursachen für Instabilität sowie auf die Verhinderung von US-amerikanisch angeführten Militärinterventionen“, mit dem „weiter gefassten Ziel, sich selbst als unabdingbarer Garant kollektiver Sicherheit im Mittleren Osten zu etablieren“.

Aus diesem Grund ist es die „beschränkte Zielsetzung“ der Russen in Syrien, „sicherzustellen, dass Assad die Kontrolle über so viele Gebiete innehat, dass er aus einer Position der Stärke heraus mit syrischen Oppositionsgruppen verhandeln kann“, um eine Vereinbarung zu schaffen, die von Russland beaufsichtigt und garantiert wird.

Die Iraner dagegen konzentrieren sich laut Stratfor-Analyse mehr darauf, „Saudi-Arabiens Fähigkeiten zur Machtprojektion in der ganzen arabischen Welt einzudämmen“, was dazu führt, dass „sie erst dann bereit sind, militärische Operationen in Syrien auszusetzen, wenn Assad die Oppositionskräfte vollkommen besiegt hat … Irans Glaube an die Machbarkeit einer militärischen Lösung in Syrien führt dazu, dass der Iran nicht im selben Maße wie Russland dazu bereit ist, sich mit der syrischen Opposition oder kurdischen Gruppen diplomatisch auseinanderzusetzen. Dies schränkt die Möglichkeiten einer Partnerschaft zwischen Moskau und Teheran ein.“

Außerdem hat die Tatsache, dass der „Iran syrische Gebiete zur Schaffung eines dauerhaften Waffenumschlagplatzes für die Hisbollah nutzt, diejenigen russischen Politiker alarmiert, die enge Beziehungen zu Israel aufrecht erhalten möchten.“

Irans Verschanzung

Von dieser Warte aus ist Russland weit davon entfernt, die Verschanzung des Iran zu verteidigen – im Gegenteil: Russland hat ein direktes Interesse daran, sie einzuschränken. Die israelischen Angriffe könnten also Russland nutzen, weil sie Druck auf den Iran ausüben, sich dort zurückzuhalten, wo man Russlands Zielen in die Quere kommen könnte.

Zudem könnte Russland auch glauben, die iranische Präsenz in Syrien – als alternative Unterstützung für Assad – könnte die Bereitwilligkeit der syrischen Regierung mindern, sich auf diplomatische Initiativen Russlands einzulassen. In der Tat bedeutet weniger iranische Präsenz eine größere Abhängigkeit Assads von Russland.

Und, so könnte ein Zyniker argumentieren:

Haben nicht die Iraner ihren Zweck nun erfüllt, wo die Rebellion so gut wie niedergeschlagen wurde?

Viele führen an, dass das Bündnis mit dem Iran für Russland viel zu wichtig sei, um einen solchen Schachzug zu wagen.

Das ist ohne Zweifel der Fall. Aber was, wenn es gar kein Risiko gäbe? Obwohl die russisch-iranische Allianz noch immer unverzichtbar für die russische Machtprojektion im Mittleren Osten ist, könnte Russland sich sehr wohl ausrechnen, dass der Iran diese Allianz nicht gefährden möchte – wie schlecht er auch immer von seinem russischen „Verbündeten“ in Syrien behandelt werden mag.

Schließlich hat der Iran nicht viele Optionen, was seine eigene Absicherung gegen einen US-amerikanischen Angriff anbelangt – Russland hat hier als Schutzmacht das Monopol inne. In dem Wissen, dass sich der Iran an niemand anderen um Hilfe wenden kann, kann Russland es sich in Syrien erlauben, Israel gegen den Iran frei agieren zu lassen.
Der kriegslüsterne israelische Verteidigungsminister scheint Russland jedenfalls nicht als Hindernis für Israels Pläne in Syrien anzusehen. „Es ist wichtig zu verstehen, dass die Russen sehr pragmatische Spieler sind“, sagte er kürzlich in Washington. „Letzten Endes sind sie vernünftige Typen, man kann Verträge mit ihnen abschließen und wir verstehen, worum es ihnen geht.“

Dies klingt ganz und gar nicht danach, als würde er sich auf einen unverbrüchlichen Verbündeten eines Staates beziehen, den Israel in Kürze mit Krieg überziehen wird.

Die Isolierung Russlands

Möglicherweise erwartet Russland auch – gegen jede Hoffnung – , dass es aus der Regierung Trumps noch etwas herausschlagen kann: eine Erleichterung der Sanktionen etwa oder zumindest eine Anerkennung seiner Sicherheitsinteressen in der Ukraine oder in Osteuropa. Diese Aussichten zu zerschlagen, indem es sich Angriffen gegen den Iran entgegenstellt, ist Russland wohl nicht bereit. Diese Hoffnungen sind aber sicherlich vergebens.

Ich würde gerne daran glauben, dass Russland weder so zynisch ist, dabei zuzusehen, wie Israel sich gegen den Iran wendet – um die Oberhand in seinen Beziehungen mit den Iranern und Syrern zu gewinnen – , noch so naiv, etwas von den USA zu erwarten. Die Zeichen stehen jedoch schlecht.

Das Unterlassen der Lieferung der S300 oder eines anderen sinnvollen Abschreckungsmittels – sogar nachdem am 9. April die ersten Schüsse in diesem neuen Krieg gegen den Iran gefallen waren – sprechen für Feigheit oder geheime Absprachen. Und die Russen sind keine Feiglinge.

Wenn Russland wirklich zulässt, dass seine einstigen iranischen Genossen vernichtet werden, sollten sie verstehen, dass es hier nicht einfach um Israels „legitime Sicherheitsinteressen“ geht. Es geht darum, den Iran am Aufbau von Abschreckungsmaßnahmen in Syrien zu hindern – im Vorgriff auf einen totalen Krieg gegen den Iran selbst.

Und die Zerstörung solcher Staaten wie dem Irak, Syrien, Libyen und dem Iran hat das Ziel, Russland zu isolieren, wenn es dann selbst an der Reihe ist.

Dan Glazebrook ist politischer Autor und Journalist. Er schreibt regelmäßig zu internationalen Beziehungen und über die Rolle staatlicher Gewalt in der britischen Innen- und Außenpolitik.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „The War on Iran has Already Begun — and Russia must end it“ (https://russia-insider.com/en/war-iran-has-already-begun-and-russia-must-end-it/ri23373). Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam korrigiert.


Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.

Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.

Creative Commons Lizenzvertrag
Dieses Werk ist unter einer Creative Commons-Lizenz (Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International) lizenziert. Unter Einhaltung der Lizenzbedingungen dürfen Sie es verbreiten und vervielfältigen.