Vater Staat sieht alles, weiß alles und tut alles, um die Kontrolle über seine Kinder zu bekommen. Er passt darauf auf, was wir sagen, beziehungsweise nicht sagen dürfen, wen wir wählen oder nicht wählen, wofür wir demonstrieren und was wir besser sein lassen. Ohne eine bestimmte Substanz gespritzt bekommen zu haben, konnten viele von uns vor einigen Jahren nicht oder kaum am öffentlichen Leben teilnehmen, verloren ihre Arbeit oder ihre Gesundheit, ohne dass eine Entschuldigung oder Wiedergutmachung in Erwägung gezogen wird.
Der Staat mischt sich in unser Intimleben ein, regelt unser Recht auf Abtreibung, betreibt Bevölkerungspolitik und Geburtenkontrolle, bestimmt, was in der Sexualität „recht“ ist und was nicht, und reguliert die Sexarbeit und den Sexualkundeunterricht (1).
Er empfiehlt, wenn nötig, Sex auf Distanz, ermutigt Kinder zu sexuellen Erfahrungen, auch ohne das Einverständnis der Eltern, bestimmt, wie viele „Geschlechter“ es geben darf und macht es möglich, dass Menschen jedes Jahr ohne Weiteres ihr Geschlecht umtragen können und damit entsprechende Rechte und Möglichkeiten erhalten.
Während unter dem Vorwand von mehr Schutz, mehr Sicherheit, mehr Gleichheit oder mehr Demokratie Vater Staat in die intimsten Bereiche derer vordringt, die ihm anvertraut sind, arbeiten auf globaler Ebene die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen an Bestimmungen zu sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität. Die WHO bestimmt, was sexuelle Gesundheit bedeutet (2), und die UNESCO sorgt mit ihrem CSE-Programm dafür, die Sexualkunde zu modernisieren und Kindern ganzheitliches Wissen, Fähigkeiten und Werte zu vermitteln, anhand derer sie gesunde und fundierte Entscheidungen in ihrem Sexualleben treffen können (3).
Keine Nebensache
Keine Frage: Die Politik interessiert sich für unsere Sexualität. Der Begriff geht auf das lateinische Wort sexus zurück, das biologische Geschlecht von Lebewesen, und leitet sich etymologisch von secare ab: schneiden. Die Herausbildung der Sexualität ist gleichzeitig Hauptfaktor und Ergebnis der biologischen Evolution. Der Sexualtrieb, lateinisch Libido, ist eine mächtige, im Prinzip lebensbejahende Energie, die uns dazu treibt, uns mit anderen Menschen zu verbinden.
Was der Volksmund als „die schönste Nebensache der Welt“ bezeichnet, ist tatsächlich der Punkt, um den sich die ganze Welt dreht. Ohne Sexualität würde es uns nicht geben. Ohne sie hätten wir uns nicht weiterentwickelt. Evolutionsmäßig gesehen sorgt Sex für eine bessere Fitness und vermindert grundsätzlich die Anfälligkeit für Infektionen. Aus biochemischer Sicht werden bei dem mit Sex einhergehenden Lustgefühl Glückshormone freigesetzt, und als Form der sozialen Interaktion werden Gefühle der Zärtlichkeit, Zuneigung und Liebe zum Ausdruck gebracht.
Sex kann ein Machtwerkzeug sein. Vergewaltigung etwa ist kein Nebenprodukt eines zufälligen Blutrausches, sondern wird in Kriegen bewusst und systematisch praktiziert, um den Gegner für Generationen zu schwächen, zu demütigen und zu zerstören.
Die Beschneidung der Geschlechtsteile von Mädchen und Jungen ist Ausdruck einer bis in die Intimstruktur reichenden Kontrolle, aus der es kein Entrinnen gibt. Die Schönheitsideale, denen wir uns freiwillig verschreiben, halten ganze Industriezweige am Laufen.
Wer die Kontrolle über unsere Sexualität hat, der hat uns quasi in der Hand. Man hat uns gewissermaßen da in der Zange, wo es am meisten schmerzt. Von Erpressermails, in denen vorgegebenen wird, uns beim Anschauen pornografischen Materials erwischt zu haben, bis hin zu den Affären Jeffrey Epstein und Sean Combs: Wenn herauskommt, was sich hinter verschlossenen Türen abspielt, droht die Welt sich in eine andere Richtung zu drehen.
Das große Tabu
Umso erstaunlicher ist es, dass auch dort, wo man sich um Aufklärung und Enthüllung bemüht, das Thema Sex weiterhin am Katzentisch sitzt. Darüber spricht man nicht. Es wird nicht darüber gesprochen, dass Deutschland Weltmeister im Aufrufen und Anschauen von Pornofilmen ist und dass in keinem anderen Land der Welt Porno-Clips so beliebt sind wie bei uns. Rund ein Viertel aller Anfragen im Internet drehen sich um Pornografie. Das entspricht etwa 68 Millionen Anfragen am Tag (4). Laut Forbes-Magazin wird mit Internet-Pornografie ein Umsatz von 12,6 Millionen Euro gemacht — pro Tag (5).
Obwohl das Geschäft mit dem Sex heute ein mächtigerer Wirtschaftszweig ist als die Pharma- und die Waffenindustrie, obwohl Kinder an staatlichen Einrichtungen immer mehr sexualisiert werden, obwohl laut deutscher Polizeistatistik etwa 47.000 Personen pro Jahr Opfer von Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen werden, was mehr als fünf Straftaten pro Stunde entspricht (6), und obwohl Fälle von organisierter Pädokriminalität sich dramatisch häufen (7) — das Thema Sex kommt oft erst dann auf den Tisch, wenn das Kind sozusagen bereits in den Brunnen gefallen und es zu spät ist.
Tatsächlich ist Sexualität wie ein unterirdischer Strom, aus dem sich alles nährt. Sie ist gleichzeitig unsichtbar und omnipräsent.
Sex bestimmt die Wahl unserer Kleidung, die Größe unseres Autos, die Form unserer Elektrogeräte, den Inhalt unseres Einkaufswagens, die Wahl unseres Jobs und unseres Partners, das Angebot unserer Freizeit und die Lage unseres Urlaubsziels. Die mächtige Lebenskraft durchdringt alle Bereiche unseres Lebens. Auch dann, wenn wir keinen Sex haben.
Unsere Sexualorgane sind ein Teil von uns — wie unsere Verdauungs- und Sinnesorgane. Die Libido ist wie ein Lebensfluss, dessen Unterdrückung oder Umleitung viel Unheil anrichten kann. Wie alles, was sich staut, sucht sich die lebendige Kraft Ventile, um zum Ausdruck zu kommen. Entweder sie implodiert und macht uns krank, oder sie explodiert und fügt anderen Schaden zu. Wenn wir also wollen, dass die Vergewaltigungen ein Ende haben, das Geschäft mit dem Sex, die Manipulation und Instrumentalisierung von Kindern und von Menschen bestimmter sexueller Prägungen und Vorlieben, dann müssen wir uns daranmachen, die Sexualität aus der Schmuddelecke herauszuholen.
Auf den Tisch
Das männliche Sexualorgan hat es bereits zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Jedes Kind kann einen Penis zeichnen. In unseren Städten reiht sich ein Phallussymbol ans nächste, und die Pornofilme, die das Internet überschwemmen, enden oft damit, dass der Mann gut sichtbar ins Gesicht oder auf die Brüste seiner Partnerin ejakuliert. Bei den Frauen sieht es anders aus. Kaum ein Erwachsener kann eine Vulva zeichnen. Auch benannt werden die weiblichen Sexualorgane oft nur mit spitzer Lippe und hinter vorgehaltener Hand und Monatsblut gilt vielen als eklig.
Im Jahr 2019 wurde auf Arte und ORF ein Film mit dem Titel „Viva la Vulva“ ausgestrahlt. Eine der Protagonistinnen präsentiert sich mit einem Hut auf dem Kopf, der einer Vulva nachempfunden ist. Kein anderes Körperteil, so heißt es in der Ankündigung, wurde im Laufe der Jahrtausende zu einem größeren Schauplatz von Lust, Ideologie und Tabuisierung.
Anders als der Penis wird die Vulva in allen Sprachen beschimpft. Die Frauen nehmen dies meist schweigend zur Kenntnis. Ganz offensichtlich sind wir noch nicht so aufgeklärt, wie wir vorgeben zu sein. Ob bei Männern oder Frauen — über das weibliche Geschlechtsteil herrscht vor allem eines: Unwissenheit.
„Die Filmemacherin Gabi Schweiger versucht in ihrer Dokumentation aufzuzeigen, wie es um den letzten ‚dunklen Kontinent‘ steht, wie Sigmund Freud die weibliche Sexualität nannte.“ So steht es in der Ankündigung. „Sie lässt Künstlerinnen, Therapeutinnen und politische Aktivistinnen aus verschiedenen Kulturen davon erzählen, wie sich der lustfeindliche Umgang mit der Vulva durch alle Kulturen und durch alle Jahrhunderte zieht. Betrachtet wird die Rolle der Vulva in Mythologien und Religionen — von Homer bis Shinto.“
„Außerdem wirft die Dokumentation einen Blick auf die Schattenseiten der Gegenwart: Die senegalesische Rapperin Sister Fa kämpft in ihrer Heimat gegen die Genitalverstümmelung geschlechtsunreifer Mädchen — ein Brauch, der dort bis heute 94 Prozent der weiblichen Bevölkerung betrifft. Auch in der westlichen Welt wird die natürliche Weiblichkeit nicht respektiert: Eigenartige Schönheitszwänge treiben junge Frauen dazu, ihre Geschlechtsorgane zu operieren, um damit einer kommerziellen Norm zu entsprechen. Glatt, niedlich, kindgleich sollen sie sein. Viva la Vulva fordert Respekt vor der Diversität. Auch jener der Vulven.“ (8)
Raus damit!
Damit ist ein wichtiger Schritt getan, männliche und weibliche Sexualorgane miteinander ein wenig bekannter zu machen und das Gebiet der Sexualität ein wenig tabufreier. Allein die Worte frei und ohne Scham auszusprechen, wirkt Wunder. So möchte ich für heute mit dem Gedanken an einen Abend schließen, den ich vor Kurzem mit ein paar Frauen erlebt habe, in Anwesenheit eines Mannes.
Als die lebhafte Diskussion unverhofft beim Thema Selbstbefriedigung ankam, wurde gelacht, nicht gekichert. Jede, die Lust hatte, erzählte von sich, bevor es wieder um gemeinschaftliche und politische Themen ging, wie zum Beispiel das vollständige Ausschalten der öffentlichen Beleuchtung ab 23:00 und die Bedeutung der Genderbewegung für die Emanzipation der Frauen.
Es hat gutgetan, bestimmte Worte ohne Scham in den Mund zu nehmen. Es tut gut, die Libido, die unerschöpfliche Lebenskraft, geradeheraus fließen zu lassen, ohne Umwege.
Und so wage ich einen Ausblick: Wie sähe eine Welt aus, in der wir unsere Arbeits- und freie Zeit nicht mehr mit Pornoclips und -filmen verbringen, in der wir keine Industrie mehr anheizen, die auf abscheulichen Menschenrechtsverletzungen beruht? Eine Welt, in der Männer nicht mehr zu Prostituierten gehen müssen, nicht, um atemberaubenden Sex zu haben, sondern um das zu bekommen, was die meisten suchen: dass man ihnen zuhört und sie so nimmt, wie sie sind.
Eine Welt, in der Gefühlsstaus nicht mehr mit Gewalt an Frauen, Kindern und Männern abreagiert werden, in der es keine Verwirrung der Geschlechter gibt, sondern ein Zusammenwirken weiblicher und männlicher Lebenskräfte. In der keine fremden Männer zum „Original Play“ gegen Geld in Kindergärten gelassen werden, um mit den Kindern herumzubalgen, sondern in der Kinder wirklich frei und ausgelassen spielen können (8). Eine Welt, in der Frauen und Männer nicht in traditionelle Geschlechterrollen zurückmüssen, sondern endlich damit anfangen, als gleichberechtigte Partner miteinander zu reden.
Es ist eine Welt, in der Frauen und Männer nicht mehr darauf warten, vom anderen „bedient“ zu werden, sondern selbst für ihre Wünsche und Bedürfnisse verantwortlich sind; in der wir andere und uns selbst weder erhöhen noch erniedrigen und unsere Lebensenergie im Liebesspiel ausleben und nicht auf dem Schlachtfeld zerfetzen lassen. Wie wäre das wohl? Wie fühlt sich das an? Mag nun jeder selbst in sich hineinspüren. Doch mag niemand behaupten, Sex sei nicht politisch und reine Privatsache.

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Quellen und Anmerkungen:
(1) Ulrike Lembke (Hg): Regulierungen des Intimen: Sexualität und Recht im modernen Staat, aus der Reihe Geschlecht und Gesellschaft, Springer VS 2016
(2) https://www.who.int/health-topics/sexual-health#tab=tab_1
(3) https://csetoolkit.unesco.org/toolkit/getting-started/what-comprehensive-sexuality-education
(4) https://www.netzsieger.de/ratgeber/internet-pornografie-statistiken
(5) https://www.forbes.at/artikel/das-geschaeft-mit-der-lust
(6) https://de.globometer.com/kriminalitaet-vergewaltigung-deutscland.php
(7) https://transition-news.org/die-politik-offnet-padophilen-immer-weiter-die-tur
(8) https://www.youtube.com/watch?v=cIfWSjBNSGA
(9) https://www.rbb-online.de/kontraste/ueber_den_tag_hinaus/bildung/kindesmissbrauch-an-deutschen-kitas.html