Ihr Land wird systematisch isoliert. Am 8. August 2017 konstituierte sich in Peru die sogenannte Lima-Gruppe (Grupo de Lima). Ihre 14 Mitglieder (Argentinien, Brasilien, Kanada, Chile, Kolumbien, Costa Rica, Guatemala, Guyana, Honduras, Mexiko, Panama, Paraguay, Peru und St. Lucia) befolgen gegenüber Venezuela sämtliche Repressionsforderungen der USA. Dazu gehört der Ausschluss aus dem gemeinsamen Markt Mercosur und aus anderen lateinamerikanischen Integrationsmechanismen wie der Entwicklungsbank des Südens (Banco del Sur). Auch das Abwürgen der Union Südamerikanischer Nationen (UNASUR) mit Sitz und Parlament im sozialistischen Bolivien. Die USA haben den diskreten Beobachterstatus vorgezogen, auch die EU und die OAS, die hier in Brasilien schon als „US-amerikanisches Kolonialministerium“ verschrien ist. Spürbare lateinamerikanische Solidarität leisten nur noch Kuba und Bolivien.
Die westlichen Medien folgen dem Pressebriefing des Weißen Hauses und schmähen Venezuela und seinen Präsidenten um die Wette. Dennoch: Der ehemalige Busfahrer und Chávez-Gefährte wurde wiedergewählt. In einem international überwachten Wahlverfahren, transparent wie in den USA kaum vorstellbar. Mit einer Mehrheit von 67,7 Prozent – weit über allen Erwartungen und, wohlgemerkt, ohne Chávez’ Charisma und geniale Schnauze.
Hilfreich war nicht zuletzt das buntscheckige und chronisch zerstrittene anti-chavistische Oppositions-Bündnis aus 16 Parteien namens „Tisch der demokratischen Einheit“ (MUD). Sein Wahlboykott war ein Schuss in die eigene Tischplatte. Der Mob der Tafelrunde blieb zuhause, und nur noch 46,1 Prozent der Wahlberechtigten, politisch informiert und nicht geschmiert, gingen zur Urne. 67,7 Prozent stimmten für Maduro, 21,1 Prozent für den einzigen ernsthaften Gegner, den zeitweiligen Chávez-Anhänger Henri Falcón. Der Unteroffizier gilt als möglicher Übergangskandidat bei der US-seitig geplanten Erledigung des sozialistischen Staats, die uns noch beschäftigen wird.
Außensteuerung, besorgt und selbstlos
Entscheidender als seine internen demokratischen Resultate ist für Venezuela indessen all das, was sich derzeit außerhalb des Landes abspielt. An erster Stelle die zunehmend handgreifliche „Besorgnis“ der Westlichen Wertgemeinschaft darüber, dass die weltgrößten Ölreserven (50 Milliarden Tonnen) nun einmal unter Venezuelas sozialistischem Grund und Boden liegen.
USA und EU dekretieren da behände, was im selbstlosen Interesse von Freiheit und Demokratie gegen die dortige „Diktatur“ zu geschehen habe. Für Washingtons Kamarilla ist die verfassungskonforme Wahl Maduros ganz einfach illegal, für US-Präsident Trump „a sham“ (ein fauler Zauber, Chicago Tribune, 25.5.18, alle Übersetzungen Wolf Gauer).
Dass Wahlen auch gesellschaftliches Bewusstsein, nationale Selbstachtung und Ablehnung imperialer Einmischung spiegeln könnten, überfordert die hegemonialen Hirne. Ergo erkannte US-Favorit Falcón das Wahlergebnis gleich gar nicht an. Kanada hatte schon vorauseilend den dortigen Venezolanern die Stimmabgabe in ihren Konsulaten verboten. Internationales Recht hin oder her.
Seit 2006 haben selbst die kritischsten der internationalen Wahlbeobachter nichts am Wahlprozess Venezuelas auszusetzen. Er wurde wiederholt als korrekt und manipulationssicher befunden. Das CNN-Anhängsel n-tv.de weiß das besser. Mit „Nicolás Maduros dreckiger Sieg“ (n-tv, 21.5.18) gab der Sender die Tonika der weiteren Venezuela-Abfertigung vor – sofern die bösen Russen dazu überhaupt noch Zeit lassen. Die aber kamen n-tv und ähnlich gepolten Medien sogar entgegen und offerierten eine weitere Fliege für dieselbe Klatsche: Zur Venezuela-Wahl nämlich hatte der russische Außenminister Sergej Lawrow verlauten lassen, „es sei ein gefährlicher Präzedenzfall, wenn der Wahlprozess nicht vom Blickwinkel der internationalen Beobachter abhängt, sondern von der Sichtweise, die gewisse Staaten schon vorher in Umlauf brachten“ (Radio Liberty, 22.5.18).
Wählermotive
Maduros handfester Erfolg hat auch materielle Gründe: Er konnte seit 2016 sein Land wenigstens teilweise aus dem Würgegriff der US- und EU-Sanktionen befreien. Venezuela hängt nicht mehr ausschließlich von den Dollar-Einkünften seiner Ölproduktion ab. Zwar kommt ein Fünftel der US-Ölimporte aus der OPEC noch aus Venezuela (März 2018), aber Russland vermarktet längst venezolanisches Öl, die Börsen in Shanghai und Hong Kong handeln es seit März 2018 in Yuan. Der Yuan-Erlös kann in Gold konvertiert werden. China hat 60 Milliarden Dollar in venezolanische Infrastruktur investiert und nimmt rund 15 Prozent der Ölproduktion ab, Tendenz steigend. Infolge Trumps Iran-Politik ist auch der Ölpreis gestiegen (zurzeit bei circa 75 US-Dollar). Massive Lohnerhöhungen haben die Kaufkraft der Bevölkerung verbessert.
Venezuelas „Petro“, die weltweit erste Kryptowährung mit Mineraliendeckung, hat laut Amerika21 schon in der ersten Vorverkaufswoche (Februar 2018) rund drei Milliarden US-Dollar eingebracht. Ein von der venezolanischen Goldschürfung gedeckter „Petro Oro“ soll folgen. Beide können im Inland als Zahlungsmittel gebraucht werden, eine willkommene Alternative zur inflationären Landeswährung und zum Dollar-Schwarzmarkt, insgesamt ein weiteres Abrücken von der Dollar-Hegemonie.
Der wohl stärkste Beweggrund aber für venezolanische Wähler, sich hinter den chavistischen Kandidaten Maduro zu stellen, verbindet sich mit drei Namen: Juan Manuel Santos, scheidender Präsident von Kolumbien, Stella Calloni, 83, Symbol des kritischen Journalismus Lateinamerikas, und Kurt W. Tidd, Admiral, Pentagon-Vordenker und Kommandant des US Southern Command (Südkommando der US-Armee), dessen Flotte die Karibik beschattet. Es handelt sich in der Folge nicht um Science-Fiction.
Der Abschlachtplan
Im Mai 2017 offenbarte Präsident Santos seinem leidgeprüften und arglosen Volk den umgehenden Anschluss Kolumbiens an die NATO als 37. Mitglied des nordatlantischen Verteidigungspakts. Ein Jahr später, am Vorabend des ersten Wahlgangs der kolumbianischen Präsidentschaftswahlen, bestätigte Santos: „Wir sind das einzige Land Lateinamerikas mit diesem Privileg“ (Telesur, 25.5.18). Kolumbiens „Privileg“ verstößt gegen den Vertrag von Tlatelolco (1967), in dem sich 21 lateinamerikanische Nationen (einschließlich Kolumbien) zur nuklearfreien Zone erklärt haben.
Der argentinische Bürgerrechtler und Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel gibt zu bedenken, dass die NATO genau das Gegenteil aller bisherigen lateinamerikanischen Bündnisse darstellt: „Sie fördert Nuklearwaffen, den Interventionismus und die Verletzung der Menschen- und Völkerrechte“ (Bitácora, 11.6.18). Kolumbien ist seit der militärischen Teilung durch die USA (1903) deren scheindemokratisches Zubehör und nunmehr die ideale Aufmarscharena gegen das benachbarte Venezuela. Der am 17.6.18 gewählte US-nahe Präsident Iván Duque Márquez dürfte daran nichts ändern. Ein geeigneter Startkonflikt lässt sich jederzeit arrangieren, der große NATO-Bruder wartet schon. Und er hat die Erledigung des Problems Venezuela längst akribisch durchgeplant.
Stella Calloni, die unbeirrbare Chronistin Lateinamerikas, veröffentlichte und kommentierte am 9. Mai 2018 – rechtzeitig vor den venezolanischen Wahlen – den Venezuela-Plan des US-SouthCom und seines Chefpiraten Kurt W. Tidd („Der Meister-Schlag der USA gegen Venezuela“, Voltairenet, 14.5.2018). Callonis brisante Publikation ist äußerst lesenswert.
Nur so viel sei vorweggenommen: Tidds Schlachtplan vom 23. Februar 2018 trägt den Titelvermerk „top secret”. Zu Recht: Die Maßlosigkeit und Brutalität seines Vorhabens schockieren. Die USA sind nicht mehr an einem Regierungswechsel interessiert, urteilt der französische Journalist und politische Berater Thierry Meyssan, sondern an der militärischen Zerstörung des venezolanischen Staates, „am Zerquetschen der Chavisten und der sonstigen Gegner, damit niemand mehr regieren kann und sich allein der Wille Washingtons durchsetzt“ (Voltairenet, 22.5.2018).
Der Beitrag erschien zunächst in Ossietzky, Zweiwochenschrift für Politik / Kultur / Wirtschaft, Heft 13/2018
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