Es handelt sich um die geleakten Papiere, mit denen die britische Regierung die europäischen Nationen erfolgreich überzeugte, sich an der Ausweisung russischer Diplomaten zu beteiligen. Beweise werden auf den fünf Seiten des Briefings keine benannt – außer dass das Gift sehr wahrscheinlich von einem Typ sei, der in der Sowjetunion entwickelt wurde.
In dem Papier heißt es allerdings, dass dieser “Novichok” genannte Gifttyp “nur von Russland” entwickelt worden sei. Ein Hinweis darauf, dass die Formeln seit Jahrzehnten allgemein bekannt sind und im Prinzip jeder so ein Gift herstellen kann, legten die Briten ihren EU-Kollegen nicht vor. Stattdessen aber eine beeindruckende Seite, warum nur Russland als Täter in Frage kommt und dass dies eine – Zitat – “neue Phase der russischen Aggression” – bedeuten würde. Zwölf Schwerverbrechen werden dem Täter hier zur Last gelegt: von der Vergiftung Alexander Litvinenkos 2006 über die “Destabiliserung” der Ukraine 2014 und den Abschuss der MH-17 bis zur “Einflussnahme auf die US-Wahlen und den ominösen “Bundestagshack”.
Für keine dieser “Taten” liegen Beweise vor, die von einem Gericht oder einer internationalen Behörde geprüft und anerkannt sind – das Vorstrafenregister ist somit komplett im Bereich der Verdächtigung, Vermutung, sowie der üblen Nachrede anzusiedeln. Es handelt sich dabei um nichts anderes als Verschwörungstheorien, also Hypothesen, für die es Indizien und Spuren geben mag, aber eben keine Beweise. Doch reicht eine solche Litanei von Behauptungen ganz offensichtlich aus, um die “Solidarität” anderer EU-Staaten einzufordern und eine internationale diplomatische Krise herauf zu beschwören.
Um zu zeigen, wie “Fake News” und “Verschwörungstheorien” funktionieren, wenn sie von höchster Stelle verlautbart und von den McMedien-Konzernen konzertiert und unhinterfragt verbreitet werden, bieten die sechs geleakten Power-Point-Folien samt ihrer politischen Folgen einen hervorragenden Anschauungsunterricht. Und wer nicht glauben will, dass mit derart dreisten Unterstellungen Politik gemacht wird, der kann sich von der “Zeit” belehren lassen: “Es braucht keine eindeutigen Beweise!” heißt es da. Erstaunlich in einem einst für den liberalen Rechtsstaat stehenden Blatt, für Frontmagazine des Kalten Kriegs aber üblich. Wenn’s gegen den Richtigen geht, sind Rechtsnormen und Prozessordnung zweitrangig.
Unterdessen wird aus London pünktlich zu Ostern eine Wiederauferstehung von den Toten gemeldet: die angeblich mit dem militärischen Kampfstoff “Novichok” vergiftete Julia Skripal ist wieder bei Bewußtsein. Ist der Stoff, mit dem angeblich 130 Personen in Kontakt gekommen sein sollen, die alle wohlauf sind, also doch nicht “7 – 8 mal giftiger als herkömmliches Nervengift”, wie es anfangs hieß? Oder wurde der mit seiner Tochter ohnmächtig auf einer Parkbank entdeckte Ex-Agent Skripal mit einem ganz anderen Stoff attackiert ? Die britische Regierung hat bis heute keine konkreten Angaben zu dem verwendeten Gift gemacht – und dass die internationale Chemiewaffenkontrollbehörde OPWC nach Abschluß ihrer Untersuchung einen Täter nennen wird, ist sehr unwahrscheinlich.
Denn wenn es sich wirklich um “Novichok” handeln sollte, säßen neben Russland auch die USA auf der Anklagebank – denn sie waren es, die 1999 die Demontage der Chemiewaffenfabrik beaufsichtigten, in der das Nervengift im sowjetischen Usbekistan entwickelt wurde. Und die dafür sorgten, dass dieser Stoff NICHT in die Liste der verbotenen Chemiewaffen aufgenommen wurde. Auch dann nicht, als der in die USA gekommene sowjetische Chemiker Vil Mirzayanov 2008 die Formeln dafür in einem Buch veröffentliche – und Wissenschaftler und Diplomaten auf diesen neuartigen Kampfstoff aufmerksam wurden. Von Hillary Clintons Statedepartment erging dann aber – wie in einem von Wikileaks veröffentlichten Kabel nachzulesen ist – vor einem internationalen Treffen zur Chemiewaffenkontrolle 2009 die Anweisung an die amerikanischen Delegierten, diese Kampfstoffe und das Buch nicht zu erwähnen und jede Diskussion darüber zu vermeiden. Sollten sie darauf angesprochen werden, so wies Hillary ihre Diplomaten an, sollten sie sagen, sie wüßten davon nichts.
Diese merkwürdigen Instruktionen deuten darauf hin, dass es sich bei “Novichok” keineswegs um Stoffe handelt, die – wie die Briten behaupten – “nur in Russland” hergestellt werden konnten und dass die Amerikaner ebenso über das Knowhow dafür verfügten. Und mit diesen Anweisungen dafür sorgten, dass “Novichok” erst Ende 2016 von der OPWC gelistet wurde. Nachdem iranische Forscher die Stoffe hergestellt hatten um Nachweismethoden dafür zu entwickeln, die sie dann der internationale Kontrollbehörde zur Verfügung stellten. Warum ausgerechnet iranische Forscher das machten? Weil sie einen Angriff mit diesen neuartigen Stoffen befürchten mussten und wohl wussten, dass weiter daran geforscht wird, von den Amerikanern und auch von den Briten. Nur wenige Kilometer vom Tatort des Skripal-Anschlags entfernt, in Porton Down, der größten Chemiewaffenfabrik Europas, wo ein 70 Millionen schweres Gemeinschaftsprogramm für Bio- und Chemiewaffen mit dem Pentagon läuft.
Wir erinnern uns an “Anthrax”, das Nervengift, das nach 9/11 an Journalisten und Politiker verschickt wurde, die für eine ordentliche Untersuchung der Anschläge eintraten – es wurde ohne einen Beweis Saddam Hussein und dem Irak in die Schuhe geschoben. Bis sich nach Jahren herausstellte, dass das Gift einem US-Militärlabor entschlüpft war. Wenn im Fall Skripal in ein paar Jahren Ähnliches herauskommt, sollte das niemanden überraschen…
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