Emmanuel Macron kündigte in seiner Neujahrsansprache vor der Presse am dritten Januar einen Gesetzesentwurf an, der darauf abzielt, die Verbreitung sogenannter „Falschnachrichten“ im Internet zu bekämpfen sowie „den Kampf gegen jeglichen Destabilisierungsversuch durch von ausländischen Staaten kontrollierte oder beeinflusste Fernsehsender“ aufzunehmen – wobei sich letzteres zweifellos auf den russischen Kanal RT bezieht.
Auf diese Weise möchte Macron das, was er als „liberale Demokratien“ bezeichnet, verteidigen, offenbar ohne sich dessen bewusst zu sein, dass dieses neue Gesetz eine durch und durch anti-liberale Maßnahme ist – schließlich stellt die Meinungsfreiheit historisch gesehen den liberalen Wert schlechthin dar.
Das Vorgehen Macrons zeugt von einer gravierenden Transformation unserer „liberalen Demokratien“, welche immerhin den Kalten Krieg überlebten ohne die „kommunistische Propaganda“ der damaligen Zeit oder die Propaganda der Rechtsextremen (für ein „französisches Algerien“ zum Beispiel) zu verbieten.
Doch was genau sind überhaupt Falschmeldungen und worin besteht ihre Bedeutung?
Ein erstes Beispiel bezieht sich auf den Giftgasangriff nahe Damaskus im August 2013. Hierbei wurde die Verantwortung für den Anschlag von einer nahezu einstimmigen Presse dem „syrischen Regime“ zugeschrieben, eine Einschätzung, der ein Bericht des ehemaligen Inspektors der UNO, Richard Lloyd, und des Professors für Wissenschaft, Technologie und Nationale Sicherheitspolitik am Massachusetts Institute of Technology (MIT), Theodore A. Postol, eindeutig widerspricht (1). Um das Richtige vom Falschen unterscheiden zu können, sollte man zunächst die jeweiligen Beweggründe vergleichen: Für die Regierung und die Medien, die sich aus „offiziellen Quellen“ speisen, begründet die vermeintliche Schuld Assads die Hilfe des Westens für die „Rebellen“. Man kann allerdings nur schwerlich ein „pro-Assad“ Motiv bei solch angesehenen Menschen wie Lloyd und Postol finden oder annehmen, diese Experten seien inkompetent bezüglich Fragen der elementaren Physik.
Ein aktuelleres Beispiel betrifft „Russiagate“, also die angebliche russische Einmischung in die Wahl von Trump in den Vereinigten Staaten. Bis heute existieren keine Beweise für eine solche Einmischung. In Anbetracht der Spionagemöglichkeiten, über welche die verschiedenen amerikanischen Geheimdienste verfügen, fällt es schwer zu glauben, dass diese Einmischung nicht aufgedeckt und öffentlich nachgewiesen worden wäre, wenn sie denn tatsächlich real und schwerwiegend gewesen wäre und nicht auf ein paar Twitter oder Facebook-Messages beschränkt (2). Und selbst wenn solch eine Einmischung schließlich nachgewiesen werden sollte, müssten ihre konkreten Auswirkungen noch eingeschätzt werden. Jedenfalls ist die Tatsache, dem Ganzen ohne Beweis bedenkenlos Glauben zu schenken, wie es die gesamte „liberale Presse“ in den USA und ihr Pendant in Europa tun, an sich schon eine Art „Verbreitung einer Falschmeldung“.
Man könnte dutzende weitere Beispiele von Falschmeldungen aufführen, die alle mit Kriegspropaganda in Zusammenhang stehen (den Vorfall im Golf von Tonkin 1964, die Brutkastenaffaire in Kuwait 1990, Massenvernichtungswaffen im Irak et cetera) und von den herrschenden Medien verbreitet wurden. Im Gegensatz zu den Falschnachrichten, die Macron verbieten möchte, ist diese Propaganda mitverantwortlich für Kriege, die den Tod von Hunderttausenden, wenn nicht sogar Millionen forderten und, wie in den aktuelleren Fällen, für das Risiko eines Nuklearkrieges.
Es ist die herrschende Propaganda, die zu Kriegen führt und nicht die wenigen Stimmen der Opposition.
Es ist offensichtlich, dass keine einzige Zensurmaßnahme sich jemals gegen diese herrschenden Medien richten wird. Dagegen werden bestimmte alternative Medien bekämpft oder zumindest eingeschüchtert, die bisweilen die Infragestellung der Kriegspropaganda ermöglichen.
Das Problem, das Macron lösen will, ist, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung den herrschenden Medien keinen Glauben mehr schenkt, vielmehr sogar schon der Ansicht ist, dass die Meinungsfreiheit bedroht sei (auch schon vor dem neuen Gesetz) (3). Viele Menschen denken, dass man sie über die tatsächlichen Auswirkungen der Immigration, über die Situation der Wirtschaft und der Bildung oder bezüglich der Kriegspropaganda anlügt. Sie haben Medien vor sich, die über eine ganze Bandbreite von Fragen einhellig berichten, angefangen mit der Wahl von Macron selbst – jedenfalls was den zweiten Wahlgang und zum Großteil auch den ersten betrifft – aber auch über Russland, Iran, Syrien, die Europäische Union oder die Notwendigkeit, die Wirtschaft zu „liberalisieren“.
Es ist eben genau diese Medienhomogenität, die die Skepsis hervorruft und nicht eine russische „Propaganda“ oder die Übermittler von Falschnachrichten.
Es stimmt durchaus: Neben der Skepsis gegenüber dem politischen Diskurs gibt es immer mehr sehr fragwürdige „Warnungen“, wie etwa in Bezug auf „Impfungen“ oder „Pestizide“, wie auch eine ganze Reihe seltsamer Überzeugungen, von „wir sind niemals auf dem Mond gelaufen“, bis hin zu „die Erde ist eine Scheibe“.
Doch irrationale Überzeugungen gehen eben nicht mit Hilfe der Zensur politisch kritischer Diskurse zurück – im Gegenteil. Die beständige und allgemeingültige Erfahrung mit der Zensur zeigt, dass sie sich letztlich gegen sich selbst wendet.
Möglicherweise kann sich eine Reihe Jugendlicher keine andere Form des Aktivismus vorstellen als das Teilen auf Facebook und sie meinen, wenn man ihnen dieses Werkzeug wegnimmt, herrsche die totale Zensur. Doch dabei wird ignoriert, dass bereits früher andere, bisweilen erfolgreiche Formen des Verbreitens heterodoxer und subversiver Ideen existierten: Die Flugblätter der Résistance, die Mund-zu-Mund-Propaganda in den sozialistischen Ländern, anzügliche Schriften, die in der Epoche der Aufklärung kursierten oder auch die l'Humanité Dimanche, die auf den Märkten verkauft wurde.
Man kann sich auch eines früheren Versuchs erinnern Falschnachrichten zu unterdrücken, nämlich des Gayssot-Gesetzes von 1990, das die Negation bestimmter Schlussfolgerungen der Nürnberger Prozesse ahndet, vor allem jene, die sich auf die Existenz der Gaskammern in den Nazilagern bezogen. Welche Auswirkungen hatte das? Die Antwort gibt der italienische Intellektuelle Franco Cardini, der in Bezug auf den „Negationismus“ Folgendes schrieb:
„Die Anzahl der Menschen, die, ohne zu wagen dies zuzugeben, durch bestimmte Argumente beeindruckt und beunruhigt werden, wächst stetig. Auch die Anzahl derjenigen steigt, die in der Öffentlichkeit das eine behaupten und im Privaten genau das Gegenteil unterstützen. Und wissen Sie warum? Weil man jene verfolgt, die diese Ideen verteidigen und sie verurteilt, ohne ihnen das Recht zu geben, sich zu äußern und zu widersprechen. Dadurch entsteht in der öffentlichen Meinung aber zunehmend das Gefühl, wenn man die Auseinandersetzung mit ihnen fürchtet, diese Menschen könnten die Wahrheit sagen." (4)
Die einzige Lösung für das Problem, mit dem sich Macron konfrontiert sieht, wäre eine umfassende Öffnung der Debatte und eine mediale Revolution mit dem Ziel größerer Vielfalt und Ehrlichkeit. Da jedoch dies eindeutig nicht möglich ist, greift man zur einfachsten, aber eben auch kontraproduktivsten Lösung zurück:
der Zensur.
Schließlich genügt es schon, ein wenig zu reisen, um zu sehen, dass der Rest der Welt nicht wie „wir“ denkt, also nicht wie Europa und die USA. In Russland, China, in der arabischen Welt, im Iran und in Lateinamerika gibt es weder die gleichen Prioritäten und Geschichten noch die gleichen Erinnerungen wie im Westen. Und wenn sich jene Völker Frankreich (oder Europa) anschauen, dann sehen sie nicht mehr das Land der Aufklärung, sondern eine arrogante, aggressive, auf sich bezogene, ängstliche Welt, welche im Gegensatz zu ihnen massiv an Geschwindigkeit verliert.
Das Gesetz gegen die „Falschnachrichten“ birgt die Gefahr, die Skepsis gegenüber den „offiziellen Wahrheiten“ – seien diese vertretbar oder nicht – noch mehr zu verfestigen. Ebenso wie unsere Unfähigkeit, der restlichen Welt zuzuhören und sie zu verstehen. Dies ist zugleich Symptom und Ursache unseres Niedergangs.
Quellen und Anmerkungen:
(1) https://www.les-crises.fr/la-maison-blanche-a-publie-un-rapport-de-renseignement-manifestement-faux-trompeur-et-amateur-par-theodore-postol/
(2) https://consortiumnews.com/2018/01/01/the-still-missing-evidence-of-russia-gate/
(3) https://francais.rt.com/france/46793-pour-67-francais-liberte-expression-menacee-media-societe
(4) «A Proposito del caso Williamson e del “revisionismo-negazionismo”», 29 janvier 2009, francocardini.net
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