Die Haager Friedenskonferenzen (1899 und 1907), deren Scheitern im Wesentlichen allein Deutschland zu verantworten hatte, waren Vorgänger des Völkerbunds und der Vereinten Nationen. Es ist eine echte Erfolgsgeschichte der internationalen Friedensbewegung, in der Pazifisten, Diplomaten und Regierungen einen beträchtlichen Anteil des Lorbeers für sich beanspruchen können. Aber Konrad Adenauer hat die Vereinten Nationen boykottiert. Warum?
Nicht nur die späte Mitgliedschaft 1973, sondern auch die Nichtunterwerfung unter die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs zeigen eindeutig, dass der damalige Bundeskanzler die NATO der kollektiven Sicherheit der Vereinten Nationen (UN) vorzog. Das UN-System der gemeinsamen, gegenseitigen, kollektiven Sicherheit wurde folglich nie Wirklichkeit, bis heute. Das westliche Vorgehen, insbesondere auch das der Bundesrepublik Deutschland, hatte die Gründung der DDR und des Warschauer Pakts zur Folge, war eine Reaktion.
Die Entscheidung des deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer, der NATO gegenüber den Vereinten Nationen den Vorzug zu geben, beruhte auf seiner antikommunistischen Überzeugung.
Adenauer sah in der NATO die beste Möglichkeit, die Bundesrepublik Deutschland in das westliche Bündnis zu integrieren und gegen die Bedrohung durch die Sowjetunion und den Kommunismus zu schützen. Er war der Meinung, dass eine enge Anbindung an die westlichen Demokratien, insbesondere an die USA, die Sicherheit und den Wiederaufbau Deutschlands am besten gewährleisten würde. Adenauer betrachtete die Vereinten Nationen daher als weniger effektiv in Bezug auf die direkte Sicherheit und Verteidigung gegen den Kommunismus.
Festzuhalten ist allerdings, dass die UdSSR nie vorhatte, den Westen anzugreifen. Beweise dafür, dass die Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg aktiv einen direkten Angriff auf den Westen plante, fehlen. Dagegen war es die Sowjetunion, die während des Kalten Krieges Befürchtungen bezüglich einer möglichen Bedrohung durch den Westen hegte. Diese Ängste wurden durch politische Spannungen, ideologische Gegensätze und das Wettrüsten verstärkt. Die Schaffung von Pufferstaaten in Osteuropa und der Bau des „Eisernen Vorhangs“ waren Teil der sowjetischen Bemühungen, ihre Grenzen zu sichern und mögliche Angriffe abzuschrecken.
Wenig bekannt ist, dass die NATO-Osterweiterung von der Bundesrepublik initiiert wurde. Carlo Masala, interviewt von Chefredakteur Eric Gujer bei NZZ Standpunkte: „Ukraine und die Geopolitik — bringt der Krieg globales Chaos“ (circa 18. Dezember 2022):
„Also wenn wir in die Neunzigerjahre gehen, ich glaub, Volker Rühe war der erste, der 92 (…) in Travemünde die Idee auf den Tisch legte beim Verteidigungsministertreffen der NATO: Polen, Tschechien, Ungarn in die NATO, und er war derjenige, der von den Amerikanern damals brüsk abgeschmettert wurde, eine NATO-Osterweiterung stünde nicht auf der Agenda. Und das hat sich dann erst entwickelt.“
Auch der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr Harald Kujat sagte am 6. September 2014 bei Maybritt Illner:
„Wenn es nach den Vereinigten Staaten gegangen wäre, dann wären die baltischen Staaten heute nicht in der NATO. Das haben sie Deutschland zu verdanken, ausschließlich Deutschland. Das sollte man vielleicht auch einmal sagen. Und wenn wir auch andere Maßnahmen sehen, zum Beispiel den Schutz des Luftraums der baltischen Staaten seit 2004, das ist auch gegen heftigsten amerikanischen Widerstand von allen Deutschen durchgesetzt worden.“
Niemand in Deutschland will das Militär abschaffen. Die Ächtung des Krieges ist kein Thema, und seine Abschaffung steht nicht auf der Agenda. Sozialisten, Linke und Grüne haben keinen Plan und nichts, um der Institution des Krieges Paroli zu bieten. Dabei ist doch der Weg zur Abschaffung des Krieges in der Charta der Vereinten Nationen und im Friedensverfassungsrecht vorgezeichnet! Das aber wird blockiert von den Regierungen der Nationalstaaten — insbesondere von der Bundesrepublik Deutschland —, die am Prinzip absoluter nationaler Souveränität festhalten wollen. Es ist unglaublich! Es geht nur um Macht, und das Recht steht hinten an.
Die Geschichte dieser mehr als ein Jahrhundert andauernden Bewegung und der Bemühungen von Politikern und Völkerrechtlern, den Krieg zu ächten, ist vergessen oder wird als irrelevant und unfähig erachtet, den gegenwärtigen Bedingungen gerecht zu werden.
Sozialisten, Liberale, Sozialdemokraten und Linke sind offenbar einverstanden, dass die Bundesregierung die obligatorische Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs und das UN-System kollektiver Sicherheit ablehnt. Dabei ist Artikel 24 Absatz 3 eine Mussbestimmung und hätte 1949 umgehend umgesetzt werden müssen (1). Die verbindliche Rechtsprechung ist unabdingbarer Teil des ursprünglich geplanten, aber nie umgesetzten Systems der kollektiven Sicherheit.
Das Ausmaß der Unkenntnis historischer und Friedensvölkerrechts-relevanter Zusammenhänge und Bezüge ist erschreckend. Und diejenigen Völkerrechtler und Historiker, die davon Kenntnis haben, versuchen meist, die Sache zu vertuschen. Dazu gehören auch Fakten wie die Unterdrückung der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine. 2012 berichtete die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI), dass „die Toleranz gegenüber Juden, Russen und Roma in der Ukraine seit dem Jahr 2000 deutlich abgenommen“ hat.
Die ukrainische Armee begann Ende Mai 2014 eine „Anti-Terror-Operation“. Die Offensive mündete in den Donbass-Krieg. Die Separatisten konnten mit russischer Militärhilfe ihre Gebiete halten. Das Abkommen von Minsk vom Februar 2015 schuf eine „Kontaktlinie“, die in Wirklichkeit eine Front ist. Denn die Waffenruhe wird von beiden Seiten immer wieder gebrochen. De facto herrscht in der Region bis heute ein Krieg, der rund 14.000 Todesopfer forderte (Frankfurter Rundschau, 3. März 2022).
Schon früh warnte das Auswärtige Amt in einem Artikel vor Reisen in die Russische Föderation sowie in die Grenzregionen zur Ukraine und teilte mit:
„Der russische Präsident Putin hat am 21. September 2022 eine Teilmobilmachung erlassen, im Zuge derer bis zu 300.000 Reservesoldaten zum Kriegseinsatz in der Ukraine herangezogen werden sollen. Momentan sind direkte Auswirkungen dieser Maßnahme auf ausschließlich deutsche Staatsangehörige nicht erkennbar. Die allgemeine Lage kann sich jedoch sehr schnell und ohne Vorankündigung ändern. Sie sollten daher besonders gründlich abwägen, ob eine Reise nach Russland derzeit tatsächlich erforderlich ist“ (2).
Deutsch-russische Doppelstaatler sollten beachten, „dass sie von den russischen Behörden ausschließlich als russische Staatsangehörige angesehen werden“. Dies gelte „auch im Fall einer möglichen Einberufung zum Kriegseinsatz in die russischen Streitkräfte“. Flugverbindungen von und nach Russland würden nun „kurzfristig ausgesetzt oder reduziert werden“. Ferner wurden ab dem 27. Febuar 2022 die südrussischen Flughäfen Anapa, Belgorod, Brjansk, Gelendschik, Krasnodar, Kursk, Lipezk, Rostow, Woronesch und Elista geschlossen und in den Regionen Rostow, Krasnodar, Saratow, Woronesch und Wolgograd der Notstand ausgerufen. Seit dem 10. März funktionierten auch ausländische Kreditkarten in Russland nicht mehr (3).
Eine Überschrift in der *FAZ *vom 2. März 2022 lautete: „Putin will uns vernichten“. Die Autorin Sandra Kegel in der Redaktion der Frankfurter Tageszeitung interviewte den Schriftsteller Juri Andruchowytsch, der „seit Jahren vor einem russischen Angriff auf die Ukraine gewarnt“ hatte. „Putin hasst uns, ohne uns zu kennen“, sagt Andruchowytsch. Er wolle sich, sollte Putins Armee näherrücken, den Partisanen anschließen.
„Sandra Kegel: Als wir uns 2014 während des Maidan-Aufstands zum Gespräch trafen, sagten Sie bereits, dass Putin die Ukraine braucht, weil er ohne sie seinen imperialen Traum nicht verwirklichen kann.
Juri Andruchowytsch: Ach, ich könnte noch weiter zurückgehen, schon 2001, als wir die kleine Revolution hatten, oder 2004 während der Orangen Revolution: Von Anfang an war die Unterwerfung der Ukraine Putins Plan, nur waren seine Armee und seine staatlichen Strukturen damals noch zu schwach entwickelt. Putin hat 22 Jahre gebraucht, um sich für diesen Krieg vorzubereiten. (…) Daher war es von mir keine prophetische Gabe. Diese Entwicklung konnte man sehen. Es hat mich nur all die Jahre erstaunt, wie wenig dies beachtet wurde. Praktisch niemand hat die schwierige Lage der Ukraine ernst genommen. Auch ich habe das erlebt, dass Leute zu mir sagten, na ja, ist halt ein Schriftsteller, das sind seine Fantasien.“
Es kam, wie es kommen musste, Deutschland engagierte sich einseitig für die Ukraine und gegen Russland. Am 5. Februar 2023 meldet Reuters: „Ukrainische Armeeangehörige der 43. Schweren Artilleriebrigade feuern die deutsche Panzerhaubitze 2000 in der Region Donezk.“
Der russische Präsident Wladimir Putin hatte vor den Konsequenzen eines Einsatzes deutscher Waffen durch ukrainische Truppen gegen Ziele in seinem Land gewarnt. Solche Angriffe wären ein „gefährlicher Schritt“, sagte Putin. Schon die Lieferung deutscher Panzer an die Ukraine sei für viele in Russland ein Schock gewesen.
„Wenn sie jetzt Raketen einsetzen, um Einrichtungen auf russischem Territorium anzugreifen, wird das die russisch-deutschen Beziehungen völlig zunichte machen.”
Auch Euronews berichtete am 5. Juni 2024, der russische Präsident Wladimir Putin habe Deutschland „gewarnt, dass der Einsatz deutscher Waffen durch die Ukraine, um Ziele innerhalb Russlands anzugreifen, einen ‚gefährlichen Schritt‘ darstellen würde (...). Ein solches Vorgehen des Westens würde die internationale Sicherheit weiter untergraben und könnte zu ‚sehr ernsten Problemen‘ führen, sagte er. ‚Das wäre eine direkte Beteiligung am Krieg gegen die Russische Föderation, und wir behalten uns das Recht vor, auf die gleiche Weise zu handeln‘, fügte Putin hinzu (...) Moskau könne auch ‚Langstreckenwaffen an andere liefern (…), um westliche Ziele anzugreifen‘“ (4).
Am 7. Oktober 2024 hieß es in DIE WELT: „Sollte die (russische) Armee ihre Kontrolle über ukrainisches Territorium ausweiten, sei ein Angriff auf das Baltikum oder Polen denkbar, so der estnische Sicherheitsexperte Indrek Kannik“ (5). Obwohl es kaum Zweifel gibt, dass Russland lediglich an den russischsprachigen Gebieten im Osten der Ukraine interessiert ist und dort Referenden veranstaltet, machen sich Prognosen breit, in denen behauptet wird, Russland habe imperiale Gelüste und könne in Zukunft auch die Bundesrepublik Deutschland angreifen.
Der Deutschlandfunk berichtet am 28. Dezember 2024: „Seit Russlands Überfall auf die Ukraine wird über die Gefahr eines Dritten Weltkriegs debattiert. Das Putin-Regime stellt eine Bedrohung für die NATO dar (…).“ Und weiter: „Sicherheitsexperten und westliche Politiker warnen davor, dass Russland noch in diesem Jahrzehnt einen weiteren Krieg in Europa beginnen könnte. Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin wird zugetraut, den Westen auf die Probe zu stellen, möglicherweise mit einem Angriff auf eines der Länder an der Ostflanke der NATO. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) forderte, dass Deutschland ‚kriegstüchtig‘ werden müsse” (6).
Während der russische Präsident wiederholt verkündet hat, er würde eine blockfreie kollektive Sicherheitsordnung vorziehen, lehnt die deutsche Bundesregierung die kollektive Sicherheit weiterhin ab, obwohl das Grundgesetz den Weg dahin ebnen könnte.
Inzwischen treten auch China und die BRICS-Staaten für eine solche Ordnung ein und würden den Vereinten Nationen gern mehr Vollmachten geben. Wirtschaftliche Entwicklung, Armutsbekämpfung, Umweltschutz und so weiter könnten davon nur profitieren.
Die BILD-Zeitung schrieb am 28. Juli 2024, Putin drohe wegen der geplanten Stationierung von US-Raketen in Deutschland damit, neue Atomraketen zu produzieren: „Russlands Diktator Wladimir Putin droht mit der Produktion atomarer Mittelstreckenraketen.”
„Diese unverhohlene Drohung richtet er vor allem auch in Richtung Deutschland. Immer wieder hatte Putin seit dem Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht — auch auf NATO-Länder. Erst Mitte Juli hatte der Kreml die europäischen Hauptstädte zu legitimen Zielen für die russischen Streitkräfte erklärt, sollten die USA die Waffen stationieren.“
Putin wörtlich: „Wenn die USA diese Pläne in die Tat umsetzen, fühlen wir uns nicht länger an den kürzlich einseitig erklärten Stopp der Stationierung von Kapazitäten für Angriffe kurzer und mittlerer Reichweite gebunden“ (7).
Insbesondere warnt Putin vor der Lieferung von deutschen Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine und ihrem Einsatz gegen Ziele in Russland. Kremlchef Wladimir Putin wörtlich: „Wenn nun gesagt wird, dass (in der Ukraine) auch noch irgendwelche Raketen auftauchen, die Angriffe auf Objekte auf russischem Gebiet durchführen können, dann zerstört das natürlich endgültig die russisch-deutschen Beziehungen” (FAZ, 5. Juni 2024).
Die russisch-deutschen Beziehungen sind durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine allerdings ohnehin auf einem Tiefpunkt. Welche Bereiche im Fall von Taurus-Lieferungen aus seiner Sicht noch weiter „zerstört“ würden, sagte Putin nicht.
Eine Taurus-Lieferung ist in der Vergangenheit immer wieder von verschiedenen Seiten gefordert worden, damit die Ukraine sich besser gegen den russischen Angriffskrieg verteidigen kann. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aber hat sich bislang immer dagegen ausgesprochen. Allerdings erlaubte Deutschland — ebenso wie die USA — der Ukraine kürzlich, mit aus dem Westen gelieferten Waffen russische Ziele anzugreifen, um Angriffe auf die Metropole Charkiw im Grenzgebiet abzuwehren. Sollten voreilige deutsche Flieger vom polnischen Militärflughafen Powidz starten und Moskau bombardieren — Präzedenzfall Bosnien 1995, wo deutsche Piloten erstmals Kampfeinsätze flogen —, so wäre dies das Ende Deutschlands.
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Quellen und Anmerkungen:
(1) Zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten wird der Bund Vereinbarungen über eine allgemeine, umfassende, obligatorische, internationale Schiedsgerichtsbarkeit beitreten.
(2) Aktueller Hinweis für deutsche Staatsangehörige, https://germania.diplo.de/ru-de/service/2555232-2555232
(3) Aktueller Hinweis für deutsche Staatsangehörige, https://germania.diplo.de/ru-de/service/2555232-2555232
(4) https://de.euronews.com/2024/06/05/gefahrlicher-schritt-das-sagt-putin-zum-einsatz-deutscher-waffen-gegen-russland
(5) Philipp Fritz, Christoph B. Schiltz, „Kanzler Scholz ist übermäßig besorgt über möglichen Atomwaffeneinsatz“, https://www.welt.de/politik/ausland/plus253823876/Krieg-Kanzler-Scholz-ist-uebermaessig-besorgt-ueber-moeglichen-Atomwaffeneinsatz.html?cid=socialmedia.email.sharebutton
(6) „Russland, die NATO und die Kriegsgefahr“, https://www.deutschlandfunk.de/russland-nato-kriegsgefahr-100.html
(7) „Drohung an Deutschland, Putin will neue Atomraketen produzieren“, https://www.bild.de/politik/ausland-und-internationales/wegen-us-raketen-in-deutschland-putin-droht-mit-neuen-waffen-66a62e913b10e254a400b860