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Wir müssen über Frieden reden!

Wir müssen über Frieden reden!

Die „Akademie der Denker“ bot eine Plattform für einen multiperspektivischen Blick auf das, was Frieden ist und wie die Menschheit ihn erlangen kann.

Mit der Zielsetzung, diese Frage zu klären, fand im vergangenen Semester an der „Akademie der Denker“ die Ringvorlesung „Wir müssen über den Frieden reden“ statt. Ziel der Veranstaltung war es — und wird es im kommenden Semester sein —, ein möglichst breites Wissensfundament zu schaffen, das die Theologie, die Philosophie, die Historik, die Psychologie, die Sprachwissenschaft und die Politikwissenschaft sowie den Journalismus umfasst. Dazu konnten wir Daniele Ganser, Gerald Hüther, Ulrike Guérot, Katerina Stathi, Jürgen Fliege, Michael Esfeld, Claudia von Werlhof, Franz Ruppert, Jochen Kirchhoff, Patrik Baab, David Engels und Sabine Lichtenfels interviewen. Im Anschluss an die Gespräche hatten die Teilnehmer die Möglichkeit, in einen offenen Austausch mit den Sprechern zu treten. Hier ein Überblick über die Inhalte der Veranstaltung:

Der Mensch ist im Unfrieden, umfassend und grundlegend. Er ist im Unfrieden mit sich selbst, mit seinen Mitmenschen, mit seinem Heimatplaneten und seiner Stellung im Kosmos. Krieg ist lediglich der Gipfelausdruck dieses Zustandes.

*„Im Krieg gibt es — psychologisch gesehen — keine Gewinner, sondern nur Verlierer. Gewalt löst keine Probleme, sondern erschafft fortwährend neue.“

Diese fast profan wirkende Aussage machte der Traumatherapeut Professor Franz Ruppert, Dozent an der „Akademie der Denker“.

Wie kann es also sein, dass nach einem Jahrhundert der schlimmsten Zerstörung durch kriegerische Menschenhand noch immer kein Frieden herrscht? Haben wir die Voraussetzungen dafür noch nicht schaffen können, oder kennen wir sie noch nicht einmal? Oder sind es die vereinzelten politischen „Bösewichte“, die unbelehrbaren neurotischen Aggressoren, die zündelnd immer wieder den Weltenbrand provozieren und Krieg ihnen als Ultima Ratio unausweichlich erscheint? Was bedingt die Gewalt, mit der unsere Spezies im Kontakt zu ihrer Umwelt steht?

Nichtverurteilung und Freiheit

„Für was bin ich bereit, mich erschießen zu lassen?“ Diese Frage hält der Historiker Professor David Engels für zentral. In ihr steckt die Erkenntnis, dass sich der Bürger zum Objekt machen lässt: In Wirklichkeit kämpft er nicht für seine eigenen Werte, sondern er lässt sich instrumentalisieren. Der Wirtschaftsphilosoph Professor Michael Esfeld betonte in diesem Zusammenhang, dass in einer freiheitlich- demokratischen Grundordnung der Mensch aber nie als Mittel funktionalisiert werden darf. Es herrsche das Prinzip der Nicht-Aggression, die eine Absprache der Selbstbestimmung ausschließt. Die Grundlage des Verfassungsstaates ist vielmehr dessen Aufgabe, die Freiheitsrechte zu schützen. Er darf nichts als allgemeines Gut — also als verbindliche „Wahrheit“ — setzen, und zwar weder nach innen noch nach außen. Damit hat er auch kein Recht, andere Gruppierungen, Fraktionen, Parteien oder Nationen per se als „böse“ hinzustellen, denn: Nicht alles, was ein Staat als „Recht“ darstellt, ist auch Recht. Täte er dies dennoch, wäre er totalitär.

Aber, so nochmal Engels, zivilisierte Gesellschaften sind Massengesellschaften, postkulturelle Gebilde, die kaum mehr aus sich selbst heraus kreativ sein können, sondern selbst den bestehenden Systemregeln unterworfen seien, von denen sie völlig abhängig sind. Die „Milliardärssozialisten“ seien in Anlehnung an Oswald Spengler die modernen Cäsaren, die in ihrer Macht das Gleichgewicht der Welt definieren. Allerdings sind sie auch nicht frei, denn keiner von ihnen könne aus dem System und dessen Eigendynamik mehr aussteigen.

Die Hypnose der Angst

Die „Massengesellschaft“, die das System bildet, welches in seiner Eigendynamik unentrinnbar geworden ist, lebt in einer „Hypnose der Angst“, wie die Friedensaktivistin und Mitbegründerin des Friedensforschungszentrums „Tamera“, Sabine Lichtenfels, betont. „Wir glauben, in Freiheit zu handeln, die in Wirklichkeit eine Hypnose ist“, sagte sie im Gespräch. Krieg sei der Ausdruck lang anhaltender Unterdrückung. Der Ausweg wäre eine Frage des Bewusstseins. Wer bin ich in der Welt? Was will ich wirklich? Echte Ethik kann nur von innen kommen. Und dieses „Innen“ ist Teil dieser Welt, in der wir keine echte Heimat mehr haben.

„Die Ordnung, die wir erschaffen, und die Ordnung, die uns erschaffen hat, müssen zusammenkommen“ (2).

Auch der Philosoph Jochen Kirchhoff denkt in diese Richtung. Der Mensch, der nicht weiß, wer er ist, weiß auch nicht, wie er sich gegenüber dieser Welt verhalten soll. Er wird sich niemals grundlegend als transzendentes Wesen wahrnehmen, welches ewigen Charakter hat, womit der Tod banal wird: Er hat keine „karmischen“ oder „jenseitigen“ Auswirkungen, denn er ist ein totales Ende. Somit sind Krieg und Unfrieden „normale“ Folge eines rein biologischen Überlebenskampfes (3).

Die Rolle des Patriarchats

Die Soziologin und Matriarchatsforscherin Professorin Claudia von Werlhof beschreibt die Folgen einer solchen stillen Überzeugung, die sie ausführlich in ihrem neuen umfassenden Werk „Väter des Nichts — der Wahn von der Neuschöpfung der Welt“ darlegt: Das Patriarchat ersetzt die bestehende, unkontrollierbare Welt durch eine künstliche, maschinenhafte Dingwelt, die der Mensch nach Belieben formen kann. Dabei ist diese Umwandlung derart umfassend, dass sie quasi unsichtbar geworden ist. Technik und, im finalen Stadium der Transhumanismus, sind die neue Alchemie. Die Maschine und die maschinenhaften Systeme werden zur zweiten Natur. Diese Abkoppelung vom Natürlichen wird zwangsläufig in der Selbstzerstörung enden, denn sie ist durchgängig auf Zerstörung aufgebaut. Sie verfolgt eigene Ziele und kann daher nicht lebensfreundlich sein, ist es doch gerade das Lebendige, was überwunden und ersetzt werden soll.

Der Psychologe Professor Franz Ruppert ist hingegen der Ansicht, dass „kein psychisch gesunder Mensch in der Lage ist, Krieg zu führen“. Die Heilung tiefer Traumata macht die eigene Motivation sichtbar. Ähnlich sieht es der Hirnforscher Gerald Hüther, der sich neben Sabine Lichtenfels auch dem Begriff der Liebe anzunähern wagt. Das kranke Ich, das „Ego“ ist es, welches kompensatorisch für mangelnde Liebeserfahrung und -fähigkeit destruktiv in die Welt wirkt. Es verleiht sich durch Leistung Sinn und Existenzberechtigung.

Nun leben wir unzweifelhaft in einer Welt gebildet aus nur bedingt liebesfähigen, dafür aber überwiegend traumatisierten Individuen.

Das ist erkennbar an einem inzwischen völlig deformierten Toleranzbegriff. Die Intoleranz beginnt, wo die festgelegte Toleranz endet. „Der wirklich aufgeklärte Mensch ist tolerant und hört zu“, meint der Historiker Dr. Daniele Ganser (4). Dabei kann es keine festgelegten Meinungskorridore geben, außerhalb derer die „Unwahrheit“ existiert, vor der der Bürger geschützt werden müsse. So würde missionarisch die Ideologie der eigenen Werte auf die ganze Welt übertragen, Moral zeige sich durch Handeln statt durch Spiritualität, so der Theologe Jürgen Fliege. Das sei aber nicht integrierbar, denn die Ideologie wisse ja, wo es lang gehe. Die Natur hingegen kennt kein „Gut und Böse“, daher können wir nur in die Existenz vertrauen; sie ist größer als wir. Religion ist seiner Auffassung nach die Erkenntnis, dass wir ein abhängiges Leben führen, eine Erkenntnis, der ich bewusst zustimmen muss und die mich entsprechend demütig machen kann.

In einem solchen Leben wird Gewalt obsolet. Alle Gewalt richtet sich im Kern gegen das Leben selbst — ein Leben, das den Tod beinhaltet und daher nicht kontrollierbar ist. Der Transhumanismus ist das sichtbarste Symptom dieses Kampfes gegen das Leben selbst, der Versuch der Erlösung vom Lebendigen hin zu einem semi-lebendigen Dasein, was Hoffnung, Glauben, Verbundenheit und Intuition überflüssig macht und durch berechenbare Surrogate ersetzt. Hier sind Kriegsspiel und Krieg nichts Unterschiedliches mehr.

Sprache und Wirklichkeit

Die Sprache bildet unser Denken ab, und unser Denken kreiert die Sprache. Dort aber findet sich eine Menge an Gewalt: Das Gendern sei ein drastisches Beispiel, denn es ist nicht dem natürlichen Sprachwandel entwachsen, sondern das Produkt einer Sprachmanipulation, welche nicht mehr den Menschen im Mittelpunkt sieht, sondern eine Ideologie. Die pure Gleichsetzung von Genus und Sexus übersieht, dass Eigenschaften von Wörtern nicht gleich Eigenschaften von Menschen sind. Eine grammatische Struktur kann nicht diskriminierend sein, erläutert die Sprachwissenschaftlerin Professorin Katerina Stathi. Es fehle an sprachlicher Bildung, an Wissen über die Wirkung und Funktion von Sprache. So werde es möglich, die Wirklichkeit immer weiter auf Phrasen zu reduzieren und Komplexität zu vereinfachen.

Die Politikwissenschaftlerin Professorin Ulrike Guérot sieht darin die Ursache für die Manipulation der Gesellschaft. Sie sprach von einer Gesellschaft im „Kriegsstress“: Zuerst der Kampf gegen das Virus, dann die Ukraine, jetzt Gaza. Es brauche eine Erzählung, die den Notstand glaubwürdig mache und eine Gesellschaft dazu bringe, Dinge zu tun, die sie sonst nicht tun würde. Dadurch erscheine die Einschränkung des Meinungskorridors freiwillig und dessen mediale Anbahnung werde ausgeblendet. Es gebe Framing-Mechanismen, die einen scheinbaren Konsens herstellen, während gleichzeitig die Analysefähigkeit verloren gehe.

Patrik Baab, Journalist, Autor und Ukraine-Kenner hat die Theorie greifbar gemacht: Wie ist es, in einem Kriegsgebiet zu sein, die Zerstörung und den Tod vor Augen? Es fehle den meisten Menschen die konkrete Erfahrung, denn wer Krieg einmal selbst erlebt habe, wolle nicht mehr „kriegstüchtig“ werden. Baab zitierte Günther Anders, der die herrschende „Apokalypseblindheit“ schon in den 1950er Jahren anprangerte:

„Die Atombombe ist kein politischer Zweck, denn sie zerstört jeden Zweck selbst.“

Krieg ist irrational. Die Gräben zwischen den Völkern können nur durch gemeinsame positive Erlebnisse überbrückt werden, sonst bleiben die alten Vorurteile und Paradigmen bestehen. Vergangenes Leid ist nicht zu tilgen! Nur im neuen gemeinsamen Erleben kann die Geschichte einen Wandel erfahren. Interessanterweise meinte Baab, dass die meisten Menschen den ödipalen Konflikt, wie Freud ihn nannte, nicht ausgetragen haben; sie sind unkritisch und erzeugen so das postdemokratische Zeitalter, in dem sie Autoritäten bedingungslos folgen.

Fazit?

Haben wir das Thema vollständig ausleuchten können? Könnte ich nun ein Rezept für den Frieden verfassen? Ja und Nein. Nein, denn auf der Ebene der Analyse und des Verstandes alleine werden wir Krieg und Frieden, Harmonie und Disharmonie, Liebe und Angst nie völlig erfassen und beschreiben können. Ja, denn wenn wir willens wären, den Großteil der gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen, würde mit der Zeit der Krieg zumindest abebben, ihm würde der Boden entzogen und die verantwortlichen Subjekte würden nach und nach überflüssig werden. Fragen nach Sinn und nach einer für alle Menschen lebenswerten Existenz würden neu gestellt werden, weil ein vereinendes Bewusstsein das Trennende ersetzen würde. Mitgefühl, Rücksicht und Empathie können ein neues Vertrauen in unsere Spezies begründen. Wir kämen in eine neue Mündigkeit des Einzelnen, der dem Anderen die gleichen Rechte zuspräche wie sich selbst. Wir würden mit Urteilen zurückhaltender werden und den Fokus auf das Vereinende richten, wissend, dass es das ultimative „Richtig und Wahr“ nie geben kann.

Vielleicht haben wir Menschen vergessen, dass jede Vorderseite eine Rückseite bedingt. Und deshalb trennen wir die Welt in „Richtig und Falsch“, eine Welt, die in Wirklichkeit aber genau aus dem Gleichgewicht und der Beziehung dieser beiden polaren Seiten besteht. Dann wäre unsere Art, die Welt wahrzunehmen und zu interpretieren, der wahre Grund für Unfrieden. Eine feinere Justierung unserer Wahrnehmung würde dann eher nach Beziehung und Resonanz suchen als nach den unterscheidenden Merkmalen. Wir leben aber in einer „Ich-Welt“, nicht in einer „Wir-Welt“: Wir definieren unsere eigene Individualität durch die Unterschiede zu anderen, nicht nach der anthropologischen und damit grundsätzlichen Gleichheit. Es nimmt kaum Wunder, dass wir aus dieser Selbstwahrnehmung heraus auch die äußere Welt verstehen.

Frieden kann nur aus der Mündigkeit des Einzelnen entstehen.

Im kommenden Semester werden wir diesen Fragen weiter nachgehen, wieder im Austausch mit den oben genannten sowie weiteren Koryphäen: Der Weg des Friedens beginnt in jedem Einzelnen.


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Quellen und Anmerkungen:

  1. Die „Akademie der Denker“ will Menschen zum eigenständigen Denken anregen. Sie bietet ein „Studium Generale“ an und vereint unter ihrem Dach ein breites Spektrum an Themen und renommierte Dozenten. Mehr Infos unter: www.die-akademie-der-Denker.de
  2. Das Interview mit Sabine Lichtenfels
  3. Das Interview mit Jochen Kirchhoff
  4. Das Interview mit Daniele Ganser führte Maximilian Ruppert, Gründer der Akademie der Denker

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