I.
vom dichten
steigert sich der überdruss,
schwing ich mich auf pegasus
und entschwebe in den reim,
denn da fühl ich mich daheim.
gute reime sind wie tassen,
die das ungereimte fassen.
und dann schlürfe ich genüsslich,
was mich störte, und bin glücklich.
dichter
das erste wort muss waffe sein,
das zweite leckt die wunde.
dem dritten applaudiert kein schwein,
das vierte hetzen hunde.
das fünfte gönnt sich ein glas wein,
das sechste schmeißt ne runde.
das siebte will die welt befrein,
das achte geht zugrunde.
das neunte darf sich selbst verzeihn,
dem zehnten schlägt die stunde.
abgesang
sehr geehrte redaktion,
schreiben ist mir einerlei.
vielleicht merken Sie auch schon,
dass ich heiter bin und frei.
lange hielt ich sie auf trab,
da ich einfach dichten muss.
alles, was ich Ihnen gab,
kam zurück. doch nun ist schluss!
nehmen Sie es mir nicht krumm,
dass ich nichts mehr schicken mag.
heute bringe ich mich um.
schöne grüße, guten tag!
II.
gedanken am morgen
das glück, nach dem ich greife,
ist eine nasse seife —
und dass ich darauf pfeife,
wohl ein zeichen der reife.
mensch
sprosse, sprosse und so weiter
steigt er höher auf der leiter,
bis das holz auf einmal splittert
und er in die tiefe schlittert.
mut
widerwillig hin und wieder
knien wir am abgrund nieder.
nur wenn wir hinuntersehen,
werden wir den grund verstehen.
gleichgewicht
verschüchtert bete ich und bitte
den lieben gott um eine mitte,
denn oben sprüht ein kluges köpfchen
und unten springt ein geiles böckchen.
doch da, wo andere verdauen,
verschlingt mich namenloses grauen.
da wünschte ich mir eine mitte,
das dauernd kräftigende dritte:
ich nenn es schlicht das seelenlicht,
mein lang ersehntes gleichgewicht.
III.
der hund tollt herum
ins zarte grün der birken
lockt mich sein gebell
wie still und reglos
harrt die heuschrecke im gras
bis sie plötzlich springt
den blühenden zweig
belebt verborgen
die alte wurzel
der tulpenstängel
trägt die welkende blüte
aufrecht zum ende
dem auge tabu
die glut der sonne
so wie du
lausche den fischen
betrachte die nachtigall
jage das wiesel
der regen tropft
der pulsschlag klopft
wie wunderbar
hierhin und dorthin
tanzen die schmetterlinge
wie fallendes laub
von ferne fällt schnee
kristallkometen zergehen
auf offener hand
diesseits der grenze
wogender weizen
jenseits auch
IV.
die sekunde
vollendet
die stunde
gestern ein klang
heute ein wort
morgen ein traum
Quellen und Anmerkung:
Diese Gedichte sind erschienenen Werken entnommen oder Erstveröffentlichungen und in dieser Abfolge allein für die Poetik-Ecke XX gesetzt. Peter Fahr hat verschiedene Gedichtbände publiziert, zum Beispiel: Dekadenzen — Gedichte zur Zeit, Basel 2017 und den Sammelband Selten nur — Die Gesichte, Basel 2018, beide im Münster Verlag. Weitere Werke sind hier zu finden:
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