Seit einem halben Jahrzehnt flutet „Diversity“ durch die Bastionen akademischer Gelehrsamkeit. Der 4. Deutsche Diversity-Tag (DDT16) an der Universität Hamburg wurde auch performativ durchgeführt: „Tanz, Performance und Interventionen im öffentlichen Raum erkunden das Konzept der Diversität und feiern den Körper als immer schon Differentes zu anderen Körpern.“ Die Diversity Events hätten gewiß projektorientiert vom Hamburger Masterstudiengang Performance Studies begleitet werden können. Und der Tanz geht weiter: Die Gesellschaft für Tanzforschung veranstaltet im Oktober 2017 in Dortmund ein Symposium "Tanz – Diversität – Inklusion" und vergißt nicht herauszustellen, daß Vielfalt als Ressource für menschliches Zusammenleben, für individuelle und gesellschaftliche Entwicklungsprozesse sowie für Kreativität verstanden werden kann: „Im Kern geht es bei Inklusion um die Anpassung und Umgestaltung des gesellschaftlichen Systems, so daß allen Menschen Teilhabe möglich ist.“ Das zu lesen freut die fast 6 Millionen Hartz-IV-Empfänger in Deutschland in ihrem Tanz um jeden Euro.
In Oldenburg wurde jener letztjährige DDT16 zwecks „Förderung der Vielfalt in Oldenburger Unternehmen, sozialen und kulturellen Einrichtungen und im öffentlichen Sektor“ gleich im Staatstheater begangen: „Das narrative Theater der Gefühle weicht heute einem lärmenden Affekt-Theater“ (Byung-Chul Han: Psychopolitik). In diesem Jahre wurde nun zum fünften Mal von der Stabsstelle Gleichstellung der Uni HH der Diversity-Tag (DDT17) gendersensibel inszeniert, diesmal u.a. mit den Impulsvorträgen „Empowerment für Geflüchtete“ und „Cultural Diversity Training“.
Die Inszenierung der Diversity-Tage folgt einer bundesweiten Dramaturgie: aktiv Flagge für Vielfalt zeigen und einreihen in die große Bewegung ohne nachzudenken. Propaganda und Performance suspendieren kritische Wissenschaft. Training ist Anpassung und nicht Reflexion. Die Floskeln sind verräterisch. Wie Angelika Gruber in ihrem Buch „Die Macht der Psychotherapie im Neoliberalismus“ hervorhebt, soll das Konzept des Empowerments die Individuen dahingehend motivieren, sich selbst zu ermächtigen, aktiv zu werden, sich um sich selbst zu kümmern. Das „unternehmerische Selbst“, von dem Ulrich Bröckling schrieb, ist das anzustrebende Ideal.
Echte Wissenschaft lebt vom Widerstreit und gründlichen Diskurs. Universitas ist das Allumfassende – und nichts sollte unhinterfragt bleiben. Vielfalt der Meinungen und Internationalität waren immer mit der Idee der Universität verbunden. Das gelte es zu leben und zu verteidigen. Diversity hingegen ideologisiert und politisiert und zersetzt letztlich die Hochschulbildung. Zum Beispiel hat die Wayne State University mit Wirkung ab 2018 die bislang allgemein verpflichtenden Grundkurse in Mathematik gestrichen und stattdessen Kurse in Diversity für alle Fächer zur Pflicht gemacht: Diversity statt University.
Charta der Vielfalt
„Ich bin anders als du bist anders als er ist anders als sie!“ läßt man schon die Kleinen singen. Und trainiert sie durch „Spielkultur als Schlüssel für eine Willkommenskultur“. Früh übt sich – auch wenn sich unter prekären Lebensverhältnissen das Gefühl des Willkommenseins nicht so recht einstellen will. Für die Großen an der Universität wird „Diversity-Kompetenz in der Hochschullehre“ gepriesen und auf die „Charta der Vielfalt“ verwiesen. „Der Leitgedanke des Diversity Managements ist: Die Wertschätzung der Vielfalt von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dient dem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens oder der Institution“. So wie die Pharma-Industrie die biologische Vielfalt ausbeuten will, so die großen Unternehmen die Vielfalt der Menschen: Kultur egal, Hauptsache Humankapital.
Diversity Management ist ein Gesamtkonzept zur Schaffung eines diskriminierungsfreien Arbeitsumfeldes inmitten einer diskriminierenden Gesellschaft, die sich zunehmend polarisiert. Assimilation und Eingliederung benachteiligter Gruppen war gestern. Heute bedeutet die Anerkennung von Vielfalt: Jeder werde in seiner Bedürftigkeit belassen und werde trainiert, sein Anderssein zum Wohle der Firma reibungsfrei einzubringen. Nicht mehr das Verbindende zwischen einigen Mitarbeitern, sondern das Trennende aller steht im Vordergrund: Kulturelle Bande sind Hindernisse und gesonderte Gruppenbildung wird als störend und diskriminierend angesehen. All das kann weg. Wer grundsätzlich das US-amerikanische Geschäftsmodell Diversity kritisierte, würde als gegen die Charta der Vielfalt verstoßendes Individuum sogleich ausgegrenzt.
Das Diversity Management an der TU Dresden hat eine Vision: „Die Diversity-Strategie der TU Dresden folgt einem intersektionellen Ansatz. Wir vollziehen einen Paradigmenwechsel von Integration zu Inklusion. Dabei ist Individualität die Basis allen Handelns und ermöglicht allen eine chancengleiche Teilhabe.“ Da klingelt es zum zweiten Mal: „There is no such thing as society, only individual men and women and their families“: Klassengegensätze wären demnach obsolet und solidarisches Handeln erübrigte sich unter totaler Chancengleichheit.
Die Universität steht mit ihrem Wechsel nicht allein. „Auf der institutionellen Ebene ist mit städtischen Politiken der Vielfalt die Einrichtung von lokalen Diversity‐Kompetenzzentren verbunden, die in einem horizontalen Diversity‐Ansatz für Diskriminierungen sensibilisieren und unter deren Dach die erfolgreichen Ansätze Gender-Mainstreaming, interkulturelle Öffnung, aus der Alten‐ und Behindertenarbeit usw. miteinander vernetzt werden“.
Gender Studies
Mit dem angelsächsischen Fach Gender Studies wurden schon vor einem Dutzend Jahren die Fakultäten durch Schaffung von Genderprofessuren beglückt, die von neuer Kompetenz kündeten, der Gender-Kompetenz, statt alter Fachlichkeit. Die Gender Studies entstanden in der Amalgamierung der US-amerikanischen „Political Correctness“ mit einem postmodern/poststrukturalistisch gewendeten Feminismus, der biologische Unterschiede dekonstruiert und angetreten ist, Geschlechterrollen zu eliminieren – ganz im Sinne des neoliberalen Kapitalismus, der alle Humankapitalträger in gleicher Weise ohne Hindernisse ausbeuten will.
Poststrukturalistisch hieß nach Tove Soiland, daß „Macht sich im wesentlichen darin erschöpfte, Identitäten festzuschreiben, die es dann eben zu dekonstruieren galt. Geschlecht als grundlegendes Strukturprinzip von Gesellschaft wurde damit kurzerhand zu einem Problem von Identitäten umdefiniert ...“. Die ökonomischen Grundlagen des Geschlechterverhältnisses wurden und werden so durch Gender-Mainstreaming ausgeblendet oder umgedeutet.
Das so ideologisch aufgestelle Gender-Mainstreaming hat dann konsequent neue Sprachregelungen eingeführt, mit der Vision, daß der Sprachgebrauch die avisierte neue Realität erzeugen könne. Gender und Queer Studies erforschen in jeder Angelegenheit an jedem Orte die Unterdrückung irgendeiner Variante ihres sozialen Konstrukts Geschlecht und lehnen herkömmliche Wissenschaft als maskulistisch ab. „Genderforschung ist wirklich eine Antiwissenschaft.“ Durch Sprachakrobatik und Gerechtigkeitsanrufungen bekäme allerdings keine alleinerziehende Mutter auch nur einen Euro mehr zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Die ökonomische Ausgrenzung und Benachteiligung wird verfestigt.
In einem Interview mit der TAZ vom 2.5.2017 sagte die Politikwissenschaftlerin und Feministin Nancy Fraser:
„An die Stelle einer antihierarchischen, klassenbewussten und egalitären Auffassung von Emanzipation trat eine linksliberal individualistische. Eine 'Winner-takes-it-all'-Hierarchie wurde befördert, um einigen 'besonders talentierten' Frauen oder Lesben und Schwulen ihren Aufstieg zu ermöglichen. Gleichzeitig muss die Mehrheit ihr Leben im Keller verbringen.“
„Genderwahn auf dem Vormarsch“
So betitelte Alexander Kissler seinen Bericht in Cicero über die Lachnummer an der Universität Leipzig, die im Juni 2013 beschlossen hatte, im akademischen Binnenbereich nur die weibliche Form zu verwenden. Seine Frage, woher diese Gewalt der Begriffsverbieger denn komme, ließ er allerdings unbeantwortet. Nun, die Gewalt geht von der liberalen Mitte aus, in der diese Ideologie die Vorstellung wirklicher Emanzipation überlagert und als Folge einer ein Vierteljahrhundert währenden Dauerpropaganda schließlich verdrängt. Die selbst auferlegte Sprachzensur geht einher mit Selbsthaß, der schließlich in blanke Aggression gegen das Andere umschlägt. Und diese anti-intellektuelle Gewalt richtet sich nicht nur gegen Begriffe. An der TU Dresden mit ihrem Motto „Wissen schafft Vielfalt“ gibt es das „Forschungsprojekt Gendered University“.
Dort will man den „Vergeschlechtlichungen“ auf verschiedenen Ebenen auf die Spur kommen und die „Widerstandspotenziale sowie Rezeptions- und Handlungssperren“ gegenüber der Geschlechterforschung aufspüren. Mit dem Aufspüren wird man es nicht bewenden lassen.
Dieser postmoderne „Wahn“ hat insbesondere die Neue Linke erfaßt und letztlich auch die Partei Die Linke, die sich vom marxistischen Feminismus abgewendet hat und mittlerweile Diversity-Management-Konzepte preist. Ganz rezent stellt sie in ihrer Kleinen Anfrage vom 31.07.2017 zu „Wissenschaftsfreiheit und Angriffe gegen die Gleichstellungs- und Geschlechterforschung (Gender Studies)“ mehrere Fragen an die Bundesregierung, u.a.:
- Welche Personen des öffentlichen Lebens, Publikationen, Organisationen und Parteien fordern nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit die Kürzung oder vollständige Streichung von öffentlichen Geldern für die Gleichstellungs- und Geschlechterforschung?
- Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung im Umgang mit Personen, Blogs und Internetforen, Strömungen und Organisationen, die Stimmung machen gegen die Wissenschaftsfreiheit und die Geschlechter- und Gleichstellungsforschung?
Somit wird Kritik am Gender-Mainstreaming mit ihren Gender Studies als Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit gesehen und es soll dann um Naming und Shaming gehen, das bereits die Heinrich-Böll-Stiftung vorexerziert hat. In der Kleinen Anfrage – so scheint es – werden Kritiker (post)faktisch generell unter Faschismusverdacht gestellt. Die Linke und mit ihr die Rosa-Luxemburg-Stiftung gehen dabei eine unheilige Allianz mit dem liberalen Populismus der extremen Mitte ein.
Im empiristischen Sud der einstigen Geisteswissenschaften bildet die Trias 'Gender, Diversity und Inklusion' das Trivium der aufkeimenden Postwissenschaften, die im destruktivistischen Taumel des Poststruktualismus strategische Nebelkerzen der Gleichheit und Vielheit zünden, um von der neoliberalen Unterwerfung abzulenken. Damit wird es zur ideologischen Speerspitze neoliberaler Hegemonie. Universität mit ihrer Meinungsvielfalt soll durch Diversität mit ihrer Argumentationseinfalt abgelöst werden. Die Losungen sind nicht bloße Klingeltöne, sondern diskursives Glockengeläut, das dem Zelebrieren einer neuen Zeit dient und bedingungslose Zustimmung einfordert. So werden von innen her Denktabus errichtet, und Euphemismen verhüllen die totalitäre Unterwerfung.
Was in der Frühmoderne die Häresie, die weiland einen Giordano Bruno auf den Scheiterhaufen brachte, wäre heute eine Fundamentkritik an Gender, Diversity und Inklusion. Noch würden die Häretiker der Postmoderne allerdings nicht verbrannt – aber gefeuert schon: so jüngst im August der Programmierer James Damore vom Konzern Google. Denn er wollte „auch Meinungen zugelassen sehen, die kritisch zu den dekonstruktivistischen Theoremen der Gender-Ideologie stehen. An die Stelle von Dogmen sollten wissenschaftliche Argumente rücken. Damore aber wurde wegen Verbreitung von Geschlechterstereotypen entlassen“, wie Gerhard Amendt am 22. August in seinem Kommentar in der NZZ formulierte. Es ist halt so: „Diversität produziert eine angstbesetzte intellektuelle Einfalt“ (Marc Felix Serrao, NZZ vom 19. August).
Militante Zelle
Ist Gender wirklich nur gaga (wie ein Buchtitel suggeriert), auch wenn DIE ZEIT jenes Buch wenige Tage vor den Iden des März 2015 in einen „reaktionären Nebel“ hüllen ließ? Schließlich hat es der Gender-Neusprech bis zur Staatsdoktrin gebracht. Gender-Mainstreaming erweist sich als hilfreicher ideologischer Begleiter des Neoliberalismus und nimmt an den Hochschulen die Blockwartfunktion in den Fakultäten und Fachbereichen wahr. An der Humboldt Universität reckte schon mal eine Aktivistin aus dem Konzilsvorstand die Faust für ihren Kampf der „Neuen Radikalen#“ (DIE ZEIT, 14.07.2016, S. 61). An jener HU gab es im Februar 2014 einen Eklat mit anschließendem Polizeieinsatz. Warum? Weil in einer Einführungsvorlesung der Erziehungswissenschaft ein Professor die Erstsemester nötigte, sich in Texte von Platon, Rousseau und Kant einzulesen. Offenbar sollen solche ungegenderten Schriften weg: Das Gender-Mainstreaming leuchtet uns „den Weg, von dem es kein Zurück mehr gibt!“
An der TU Braunschweig erhielt der Dekan einer Fakultät nach seiner Rede aus Anlaß einer Absolventenfeier Ende 2015, bei der er den grassierenden Genderwahnsinn und die Vorkommnisse an der HU Berlin kritisiert hatte, im Januar darauf ein anonymes Anklageschreiben. Jemand mußte S. verleumdet haben. Es wurde ihm vorgeworfen, nicht dem Leitbild der TU Braunschweig zu entsprechen, das doch Geschlechtergleichheit fördere. Er habe mit seiner Rede diejenigen „Studierenden“ diffamiert, die sich in ihren Abschlußarbeiten mit Geschlechtergerechtigkeit und Gender Studies beschäftigt haben. Kein Scherz. Der Dekan wurde unmißverständlich aufgefordert, in Zukunft „universitäre Plattformen“ nicht mehr für seine „private Kritik“ zu nutzen. Und die Gleichstellungsbeauftragte wurde alarmiert. Der Dekan blieb im Amt. Noch ist es nicht soweit. Dennoch zeigte sich Papst Franziskus 2016 besorgt über die „ideologischen Kolonisationen“ durch die „Gender-Theorie“.
Die Neuen Radikalen, die schon lange in den USA und nun auch in Europa ihr Unwesen an den Hochschulen treiben, predigen Intoleranz und bedingungslose Unterwerfung unter ihre Glaubensregeln und Sprachrituale. Obschon in höchstem Maße verletzbar durch unbedachte oder althergebrachte Sprechweisen sind sie nicht zimperlich in ihren Aktionen. Durch Inszenieren von Shitstorms erfüllt diese Bewegung im Prinzip eine ähnlich anti-intellektuelle Funktion wie unter früheren Machtverhältnissen die physische Gewalt des völkischen studentischen Mobs oder der Roten Garden.
Die rezente Vertreibung des Nobelpreisträgers Tim Hunt von seiner Honorarprofessur am University College London nach einem Shitstorm über Twitter anläßlich einer harmlosen scherzhaften Bemerkung erinnert fatal an die Boykottierung des Zahlentheoretikers Edmund Landau seinerzeit durch nationalsozialistische Studenten und seine Entlassung aus dem Amt. Hunts Scherz stellte laut UCL-Präsident angeblich eine Verletzung der Prinzipien des UCL dar. So muß selbst der britische Humor sich Gender & Diversity beugen. Man hätte rufen wollen: „Ignore that, it will end“...
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