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Die Überbevölkerungs-Hysterie

Die Überbevölkerungs-Hysterie

Der Geburtenrückgang in Europa folgt einem Plan, die nicht-amerikanische Bevölkerung zu reduzieren. Exklusivabdruck aus „Kindheit 6.7“.

Seit mehr als dreißig Jahren wird uns regelmäßig das Szenario einer Überbevölkerung an die Wand gemalt und ins Hirn gebrannt. Zuerst in Artikeln sogenannter Leitmedien bis hin zu Berichten, Kommentaren und Blogeinträgen im Internet lautet nach wie vor der wiederkehrende Tenor: Die Weltbevölkerung würde kontinuierlich und letztlich ins Unermessliche weiter steigen. Mitgeliefert werden bei diesen prophetischen Ankündigungen Zahlen: 8 Milliarden, 10 Milliarden, und irgendwann seien es 12 Milliarden. Im Nebensatz heißt es zumeist: bei derzeitiger Prognose. Diese Meldungen sind durchwegs falsch und sie wurden und werden nicht ohne Eigeninteresse, vor allem von den USA, über offizielle europäische Institutionen und Medien, die nicht genauer prüfen, in Umlauf gebracht. Interessanterweise von oft (super) reichen Personen wie Rockefeller und Kissinger und von amerikanischen Wirtschafts- und Finanzinstitutionen wie IWF und WTO. Der folgende Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch von Michael Hüter mit dem Titel „Kindheit 6.7“.

Henry Kissinger startete im Jahr 1974 den groß angelegten Bevölkerungsplan, als er das geheime „National Security Study Memorandum 200“ verfasste. Darin schreibt er: „Das oberste Gebot der US-Außenpolitik ist die Bevölkerungsreduktion“; in anderen Ländern wohlgemerkt!

Bei der darauffolgenden UNO-Bevölkerungskonferenz 1974 einigten sich 137 Staaten darauf, das Bevölkerungswachstum aufzuhalten. Die Angst vor der Überbevölkerung erfasste die ganze Welt und Staaten praktizierten — oft unter politischem und wirtschaftlichem Druck — Bevölkerungsreduktionen auf unterschiedliche Weise. Dass Deutschland seit Ende der siebziger Jahre innerhalb Europas die geringste Geburtenzahl aufweist, kann man mit Ironie auch so kommentieren: Es hat den amerikanischen Auftrag „zur Geburtenreduktion“ am konsequentesten umgesetzt.

Tatsache ist: Würden wir die derzeit etwa 8 Milliarden Menschen in einem so kleinen Land wie Österreich stehend versammeln, hätten sie allesamt auch noch ungefähr einen Quadratmeter Platz, um sich zu bewegen. Dem sehenswerten Dokumentarfilm Population Boom von Werner Boote liegt eine zentrale Frage zugrunde. — Wenn wir, wie vielfach behauptet, „überbevölkert“ sind, wer von uns ist dann zuviel (1)?

Kommen wir also zum aktuellen und faktischen (weltweiten) Geburtenrückgang und zur „überalterten“ Gesellschaft. Das ist auch in der jüngeren Geschichte Europas keineswegs ein neues Phänomen. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der sogenannten „Industriellen Revolution“ und der Eskalation der Schule(n) und Erziehung, begannen die Geburten in vielen Teilen des Kontinents zu sinken. Während vor allem im 20. Jahrhundert die durchschnittliche Lebenserwartung gestiegen und die Kindersterblichkeit stark gesunken ist!

Von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis etwa dem Ende der 1970er Jahre sank zuerst in den industrialisierten und „westlichen“ Ländern historisch erstmalig die Kindersterblichkeit auf ein Minimum von 3 bis 5 Prozent. Jahrtausendelang bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein starben rund ein Drittel der Kinder, bevor sie das Erwachsenenalter erreicht hatten, an einer Mischung aus Unterernährung und Krankheit (2).

Vom 19. Jahrhundert bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es daher tatsächlich in der Geschichte der Menschheit erstmals einen Zuwachs, den man als „Bevölkerungsexplosion“ bezeichnen kann. Zudem stieg vom 19. Jahrhundert an die durchschnittliche Lebenserwartung. Dass wir (weltweit) immer zahlreicher und vor allem auch immer älter werden, ist nichts als ein ständig weiter produzierter Mythos des Westens, an dem unterschiedlichste Interessen hängen (3).

Die eine Seite ist also die Industrialisierung der Landwirtschaft und die effizientere Versorgung mit Nahrungsmitteln (in vielen Teilen der Welt).

Hauptverantwortlich für die starke Zunahme der Weltbevölkerung vom 19. Jahrhundert an ist, dass die Kindersterblichkeit von durchschnittlich 20 bis 25 Prozent bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf weltweit unter 5 Prozent und in einigen Ländern unter 3 Prozent sank!

Die Kindersterblichkeit kann naturgemäß nicht unter 1 Prozent sinken, daher wird die Weltbevölkerung auch nicht mehr weiter steigen. Dazu müsste, vorausgesetzt die Kindersterblichkeit bliebe konstant niedrig, was auch nicht in Stein gemeißelt ist, weltweit die Anzahl der Kinder pro Frau auf zumindest 4 steigen. Das ist derzeit wahrlich utopisch. Im Gegenteil. Ab etwa 2050 wird die Anzahl der Weltbevölkerung erstmals seit über 200 Jahren stark sinken. Auch ohne Naturkatastrophen und Kriege.

Die Ursachen für den starken Rückgang der Kindersterblichkeit waren unter anderem bessere und ausreichend Ernährung (für Familien), breitere medizinische Versorgung und wissenschaftliche Erkenntnisse, zum Beispiel Blutgruppenunverträglichkeit, und vor allem auch die enorme Verbesserung der hygienischen Bedingungen für alle Gesellschaftsschichten. Kurz: die Zunahme des Wohlstandes für jeden! In diesem genannten Zeitraum stiegen aber keineswegs in den „westlichen“ und industrialisierten Ländern (und auch nicht weltweit) die Geburtenzahlen kontinuierlich an, wie das von politischen Institutionen und auch Medienberichten immer wieder vermittelt wird. Im Gegenteil.

Von der „Jahrhundertwende“ an bis 1933 sanken die Geburtenzahlen beispielsweise in Deutschland von durchschnittlich knapp über vier Kindern auf 1,8 Kinder pro Frau. Was man damals durchaus feststellte, als „bedrohlich“ empfand und in weiterer Folge politisch nicht nur von den Nationalsozialisten instrumentalisiert wurde. Bei derzeitiger ideologischer Ausrichtung der Politik in vielen Teilen Europas und wie die medialen „Debatten“ — oft in Sachunkenntnis — geführt werden, ist zu befürchten: Die Themenfelder Familie, Elternschaft und Geburten (samt „Bildung“) werden weiterhin, wie schon seit ein paar Jahrhunderten, ausschließlich durch „ideologische Brillen“ betrachtet.

Offenbar ist es in einer Gesellschaft und generell einer Kultur äußerst schwierig, die verloren gegangene Mitte wieder zu finden. Der Schlüssel liegt, und das ist mehr als augenscheinlich, darin, unser erstarrtes Welt-Bild von Kindheit, Familie und Bildung — Total-Beschulung — nicht nur zu hinterfragen, sondern aufzugeben.

Dass in Europa die Geburtenzahlen zwischen den Mitte 1950er und Mitte 1970er Jahren kurzfristig kräftig nach oben stiegen („Babyboomer-Jahre“) hat meines Erachtens einen Hauptgrund: In nahezu allen Gesellschaftsgruppen machte sich Hoffnung breit. Die Mehrheit der Menschen glaubte wieder an eine bessere Welt, an eine lebenswertere Zukunft.

Last but not least: In diesem Zeitraum gab es noch nicht flächendeckend und beinahe kostenlos Verhütungsmittel und zumindest in den westlichen Ländern die für fast jede Frau mögliche medizinische Abtreibung. Die Geschichte der Menschheit zeigt wiederholt: Was der Mensch als Zugewinn seiner persönlichen Freiheit empfindet, lässt er sich auch (zumeist) nicht mehr nehmen. Und schließlich wurde in den 1950er bis 1970er Jahren in Europa noch nicht die völlige Entrechtung und Bevormundung von Eltern praktiziert. Die ist auch wenig geeignet, die Geburtenzahlen zu erhöhen.

Mit dem Mythos, „früher“ seien bei der Geburt so viele Kinder verstorben, rissen Ärzte und Mediziner in den USA und Europa — von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an — vor allem die Geburt des Menschenkindes an sich. Dieser Mythos wurde aus Unkenntnis historischer Tatsachen, enormer Fortschrittsgläubigkeit, Konkurrenzdenken und sonstigen Absichten geboren. Mit Hilfe der Medien wurde dieser Mythos ebenso in Unwissenheit rasch und weltweit verbreitet.

Von den 1950er bis 1980er Jahren wurden erstmals in der Geschichte nahezu alle Frauen dazu gebracht, ihr Kind „sicher“ in einem Krankenhaus zur Welt zu bringen. Zuerst in den USA, dann Europa und schließlich dem Rest der Welt. Seit Ende der 1980er Jahre ist die Situation weltweit vollkommen erstarrt. In den USA und Europa (von den skandinavischen Ländern abgesehen) und in allen in dieser Hinsicht europäisierten oder „hochentwickelten“ Ländern liegt die Kaiserschnittrate konstant bei zumindest 30 bis 35 Prozent! Und das, obwohl der medizintechnische und technologische „Fortschritt“ in diesem Zeitraum nochmals enorm gestiegen ist. Was auch zeigt, dass „Linear Innovations“ die Lebensbedingungen der Menschheit nicht mehr verbessern.

Die Anzahl der Hausgeburten ist in den „europäischen“ Ländern (Skandinavien ausgenommen) seit Ende der 1980er Jahre ebenso konstant (niedrig), und liegt bei etwa 2 Prozent. Dieses Beispiel zeigt auch, welche Macht ein Mythos hat, und wie der heute durch mediale Berichterstattung ständig verlängert werden kann — wenn auch noch rein ökonomische Interessen hinzukommen. Zwischenzeitlich ist das Kind auch Ware, mit der ganze Berufsgruppen nicht nur Geld verdienen, sondern auch ihr Einkommen sichern. Pädagogen, Ärzte, Psychologen, Beamte, et cetera werden für ihre „Bemühungen“ und Arbeit mit „fremden“ Kindern bezahlt, nicht die Eltern für die mit ihren eigenen.

Was bei dem falschen und künstlich aufrecht erhaltenen Mythos — früher seien so viele Kinder bei der Geburt verstorben — beachtlich ist, ist folgende faktische Tatsache: Im 19. Jahrhundert bis zu den 1960er Jahren sank die Kindersterblichkeit von zuvor etwa 20 bis 25 Prozent auf unter 5 Prozent. In diesem Zeitraum kamen aber 90 Prozent aller Geburten in Europa weiter vorrangig per Hebamme und Hausgeburt zur Welt. Also können „früher“ gar nicht „viele“ Kinder bei der Geburt verstorben sein.

Aus der Neuzeit gibt es zahlreiche historische Quellen, die diesen Sachverhalt (Mythos) schon seit Jahrzehnten widerlegt haben. Es gibt aber auch aus dem Mittelalter Quellen. Eine ist hierfür besonders interessant, zumal die Kindersterblichkeit im Mittelalter vermutlich die höchste in der Geschichte der Menschheit war. Sie lag, wie schon erwähnt, bei durchschnittlich 30 Prozent, zeitweilig doppelt so hoch.

Die englische Königin Eleonore von Kastilien brachte in ihrem Wunsch nach einem männlichen Thronfolger zwischen 1255 und 1284 16 Kinder zur Welt. Darüber wurde auch Buch geführt. Nur ein Kind verstarb bei der Geburt! (Die 1255 geborene Tochter.) Man kann davon ausgehen, dass der Königin Eleonore die besten Hebammen, Ärzte und medizinische Versorgung dieser Zeit zur Verfügung standen. Soweit das heute beurteilt werden kann, waren Eleonore und ihr Mann Edward gesund und hatten keine gefährlichen Erbkrankheiten. Dennoch starben 10 von 16 Kindern (also 62 Prozent) noch in der Kindheit, nur sechs erreichten das elfte Lebensjahr, und davon wurden ganze drei (19 Prozent) vierzig oder älter.

Es ist möglich, dass Eleonore sogar öfter schwanger wurde und Fehlgeburten erlitt, darüber gibt es aber keine Aufzeichnungen. Jedenfalls verstarb von 16 Kindern nur eines bei der Geburt. Wohlgemerkt in einer Zeit, in der die Kindersterblichkeit am höchsten war. Pikantes Detail am Schluss: Das 16. Kind und der ersehnte männliche Thronfolger Edward II. wurde im Alter von 43 Jahren von seiner Frau Isabella ermordet (4).

Die natürliche „Hausgeburt“ war zu allen Zeiten — und ist es auch heute noch — das absolut geringste „Risiko“ für Mutter und Kind. Der Mythos, „Früher seien so viele Kinder bei der Geburt verstorben“, zeigt auch die Macht kultureller und schulischer „Erziehung und Bildung“. Dieser Mythos findet sich nach wie vor in Schulbüchern bis hin zu Universitäten. Die Inhalte von staatlichen Schulbüchern werden ja nicht von Elternverbänden oder unabhängigen internationalen Forschern verschiedenster Disziplinen festgelegt. (Warum eigentlich?) Entscheidender noch: Darüber, wie viele Kinder und Frauen in den „medizinischen Reservaten“ (Krankenhäuser) dieser Welt bei der Geburt versterben, wird nie berichtet. Führen denn Krankenhäuser keine Aufzeichnungen darüber? Wenn nicht, wieso fordern Politiker, denen angeblich die „demographische Entwicklung“ Sorge bereitet, das nicht ein?

Was also in den letzten Jahrzehnten lediglich gewachsen ist, ist das „Wirtschaftswachstum“ und die Armut (in einigen Ländern mehr, in anderen weniger), die Anzahl der Milliardäre, der Müll, der Konsum, die Großstädte und exorbitant die „Megacitys“.

Durch (vereinfacht) Zuzug von land- und kleinstädtischer Bevölkerung. In den meisten dieser Städte nimmt aber die Gruppe der Kinder gegenüber den anderen Personengruppen kontinuierlich ab. Sie finden sich zahlreich samt einem Teil ihrer Familien in den Beton- und Slum-Gürteln wieder, die diese Megacitys umschließen. Die Lebenserwartung und Zukunftsprognose dieser Kinder ist derzeit eher düster. Davon einmal abgesehen: ob Millionenstädte ein optimaler „Entwicklungsraum“ für das Menschenkind sind, ist mehr als fraglich (5).

Nehmen wir einmal Shanghai, ein „Symbol“ unserer globalisierten Welt und ehemals PISA-Wunderstadt. Derzeit (2015) weist Shanghai mit 0,7 Kindern pro Frau die niedrigste Geburtenrate weltweit auf. Eine ähnliche Entwicklung gilt für weite Teile Asiens. Beim derzeitigen Stand (Entwicklung der letzten etwa 20 Jahre) schrumpft China bis 2100 auf 500 Millionen Einwohner. Es wird sich halbieren (6).

Ähnlich die Entwicklung in den USA und in Europa. Bei der demographischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte wird es dem „weißen Mann und der weißen Frau“ ähnlich ergehen. Viele Sapiens in Europa bekommen auf Grund des noch geheiligten Individualismus, dem „Diktat der Arbeit“, der „Bastard-Ökonomie“, der „Total-Beschulung“ und des Konsumismus kaum mehr Kinder. Jedenfalls wird die Reproduktionsrate schon lange (seit drei Jahrzehnten!) nicht mehr erreicht und (teilweise) durch Migration ausgeglichen. Ein „Problem“, das inzwischen mehr als die Hälfte der EU-28 Staaten miteinander teilen.

Setzt sich die Entwicklung der letzten Jahrzehnte fort, wird in den USA der „Europäer“ zwischen 2040 und 2050 nur noch die Hälfte der Gesamtbevölkerung ausmachen. Die andere Hälfte stellen dann die Sapiens-Brüder und -Schwestern aus spanischsprachigen Ländern oder asiatischer, afrikanischer oder sonstiger Herkunft. Damit hatten unsere Sapiens-Ur-, Ur-, Ur-Eltern in der Zeit Ihrer Lebensform als Wildbeuter kein großes Problem. — Die waren allerdings nicht (früh) erzogen und beschult. Ähnlich wie in den USA die demographische Entwicklung Europas.

Zwischenzeitlich gibt es CNN und hunderte andere TV-Sender und Printmedien. Die schwanken täglich zwischen Narzissmus und Alarmismus und berichten und zeigen viel, die „News“ im Sekundentakt. Es wird über die Entscheidungen der Politiker, das Wirtschaftswachstum, Hurrikans, Sexismus, 4.000-Euro-Handtaschen der Promis, Börsenkurse, Luxuslimousinen, Erdbeben, Mülldeponien, Schönheitsoperationen, Kinder mit Smartphone und in Marken-Jeans und vieles mehr erzählt, und noch viel mehr beworben. Es scheint ein seltsames Paradies auf Erden zu sein. Der auch hemmungslos zelebrierte Wohlstand und Luxus zieht Menschen aus ärmeren Ländern magisch nach Europa. Und schon ist das demographische Problem (theoretisch) gelöst.

Unsere Vorfahren anderer „Hochkulturen“, denen auch die Kinder abhandenkamen, wie zum Beispiel den „alten Griechen“, konnten auch schon sehr gut Geschichten erzählen. Sie wussten um die Macht von Bildern, zum Beispiel Götterstatuen, verfügten aber noch nicht über Medien und Luxusgüter, die sie ins Bild setzen und in andere Länder senden konnten. Also starben sie aus. Worüber CNN und Co fast nie berichten, sind so faktische Tatsachen, dass 2,5 Millionen Kinder in den USA obdachlos sind und bereits jedes zweite Kind(!) in vielen Teilen Europas zumindest eine chronische Krankheit aufweist. Ein erschütterndes Novum in der bisherigen Geschichte der Menschheit. Dass wir immer älter, (weltweit) immer zahlreicher, immer gesünder und intelligenter werden, ist nichts als ein (spätneuzeitlicher) Mythos (7).

Viel zu wenig wird nicht nur über die Konsequenzen der Kinderarmut, sondern auch die der (stark) überalterten Gesellschaft gesprochen, auch für die Bevölkerungsgruppe der sogenannten Kinderlosen. Dass in Japan bereits mehr Geld für Senioren- als für Babywindeln ausgegeben wird, kann wer will noch mit Humor nehmen. Dass — wie auch schon in Deutschland — Pensionisten, die ein Leben lang mitunter hart gearbeitet und Steuern gezahlt haben, im Alter zu Müll-Sammlern werden, ist dann schon weniger lustig. In einer Kultur ohne gesundes Familienleben (intimen Gemeinschaften) und strikter Auslagerung von sozialen (und ursprünglich familialen) Aufgaben an staatliche Institutionen, gebiert Kinderarmut auch Altersarmut. Bis auf Afrika, dem zweitgrößten Kontinent in Fläche und Einwohnerzahl, sinken die Geburtenzahlen seit mindestens 30 Jahren weltweit und kontinuierlich.

Die Geburtenrate weltweit liegt derzeit bei etwa 2,5 Kinder pro Frau und wird im Wesentlichen nur durch Afrika mit einer Geburtenzahl von (noch) etwa 4,5 Kinder pro Frau gehalten. Mitte der 1970er Jahre lag die Weltgeburtenrate bei 4,7 Kindern pro Frau. In den letzten 35 Jahren haben sich also die Geburten weltweit fast halbiert! Gleichzeitig baut unser westlicher „Wohlstand“ seit spätestens dem Zeitalter der sogenannten Kolonisation auf der Ausbeutung Afrikas (und nicht nur diesem Kontinent) auf. In dem Dokumentar-Film „Population Boom“ ist ein Statement: Die Reichen werden aussterben und die Ärmsten werden überleben.

Wenn es in der Geschichte der Menschheit einen Fortschritt gab, der ausnahmslos allen Menschen und Kulturen dieser Welt diente, ist es die dauerhafte und beeindruckende Reduktion der Kindersterblichkeit auf unter 3 Prozent. Diese Ehre gebührt dem Europäer. Daran hatten aber nicht nur Mediziner ihren Anteil.

Das Thema Kinderlosigkeit führt uns schließlich noch zur zunehmenden Unfruchtbarkeit des „westlich“ lebenden und denkenden Menschen. Während immer mehr Menschen keine Kinder mehr in ihrer „Lebensplanung“ wünschen, nimmt kontinuierlich die Zahl derer zu, die keine bekommen können. Seit Jahrzehnten nimmt weltweit in vielen „hochentwickelten“ Ländern die Qualität der männlichen Spermien wie auch die Fruchtbarkeit der Frauen ab. Zudem wurde auch wegen „Beruf und Karriere“ der Kinderwunsch der Frauen oft auf über 35 Jahre verschoben. Die „biologische Uhr“ tickt aber anders. Ab etwa dem 35. Lebensjahr nimmt die Qualität der Eizellen kontinuierlich ab. Oftmals sind Frauen schon unter 35 Jahren nicht mehr fruchtbar.

Keine Sorge! Es gibt die Wissenschaft, die Technik, die Medizin, Ärzte und weltweit bereits etwa vier bis fünf Millionen IVF-Babys (Invitro Fertilisation — künstliche Befruchtung). Über das, was da seit langem weltweit im „Stillen“ und routinemäßig praktiziert wird, gibt es einen aktuellen und beklemmenden Dokumentarfilm: „Future Baby“. Eine Journalistin schreibt im STANDARD:

„‚Future Baby’ verhandelt das Recht auf Elternschaft ‚um jeden Preis’ bei dem Kinderrechte leider auf der Strecke bleiben, Auswahl-Verfahren für Eizellenspenderinnen, die an Castings erinnern, Samenbanken, die Spendersamen von bereits verstorbenen Samenspendern horten, Leihmütter, die ausgebeutet werden, Sex-Selektion und Baby-Engineering“ (8).

„Kinderlosigkeit hat immer schon schmutzige Geschäfte mit sich gezogen“, sagt die Regisseurin Maria Arlamovsky in einem Interview mit dem KURIER.

„Geht es nach den Wissenschaftlern, wie dem Stanford-Professor Hank Greely, werden Kinder künftig ohnehin nur noch im Labor gezeugt und nach Haar- und Augenfarbe sowie nach genetischen Krankheitsrisiken selektiert. (…) Es wird nicht geforscht, warum wir immer unfruchtbarer werden, warum die Spermienqualität immer mehr abnimmt. Stattdessen forscht man, wie das genetisch fremd befruchtete Ei besser in den Uterus einer Leihmutter eingeklebt werden kann“ (9).

Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt:

„Heute leihen sich Paare aus den reichen Ländern die Körper von Frauen aus armen Ländern, um künstlich befruchtete Eizellen zu Kindern austragen zu lassen oder — bei gleichgeschlechtlichen Paaren — sich gleich komplett welche anfertigen zu lassen. Es ist erstaunlich, dass im feministischen Diskurs anhaltend und mit Recht Zwangsprostitution skandalisiert wird, aber was ist es eigentlich anderes, wenn Menschen als Leihmütter gekauft und gebraucht werden? Die indische Leihmutterbranche kommt heute auf einen Umsatz von zwei Milliarden Euro jährlich. ‚350 Fruchtbarkeitskliniken haben rund 25.000 Leihmütter im Angebot.’ Vom Sharen von Organen wie einer Niere, die arme Menschen verkaufen, um die Gesundheit eines reicheren zu verbessern, gar nicht zu reden. Man hört sogar von gekauften Herzen; dafür muss allerdings jemand umgebracht werden. Daher liegt der Preis für ein Herz auch etwa dreimal so hoch wie der für eine Niere (man sagt bei etwa 75.000 Euro)“ (10).

Im Interesse einer menschlicheren und lebenswerteren Zukunft sollten wir der (Schul-) Medizin, Genetikern, den Ärzten und dem „Kapital“ nicht weiterhin alleinig Schwangerschaft und Geburt überlassen.

Die älteste Mutter der Welt ist derzeit die Rumänin Adriana Iliescu. Mit 66 Jahren gebar sie 2005 ihre IVF-Tochter Elisa als Frühgeburt mit 1,45 Kilogramm und per Kaiserschnitt. Die Medizin musste ihre ganze „Kunstfertigkeit“ aufbieten, um der 66-Jährigen (nach eigener Aussage) den größten Wunsch ihres Lebens zu erfüllen. Elisa wurde „naturgemäß“ nicht gestillt, blieb Einzelkind und wächst ohne Großeltern und Vater auf. Der ist anonymer Samenspender. Im März 2017 stellt sich die stolze und nun 78-jährige Pensionistin und „IT-Mutter“ mit ihrer nun 12-jährigen Tochter wieder einmal der Weltpresse. Ein paar Statements:

„Ich habe viel mehr Zeit für meine Tochter im Vergleich zu den jüngeren, arbeitenden Müttern.“

„Wir sind ein gutes Team und uns sehr nahe. Wir brauchen keinen Mann im Haus.“

Der aktuelle Wunsch der noch rüstigen Pensionistin und Mutter ist, den 18. Geburtstag ihrer Tochter zu erleben. In einem Interview mit der deutschen Zeitung Die WELT sagen die beiden Mediziner Dr. K. Vetter und Prof. K. Dietrich (Präsidenten der deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe) unisono: „Man könne es keiner Frau untersagen, sich so spät für Nachwuchs zu entscheiden.“

Mit Verlaub, das wird gesagt, als wäre es das Natürlichste der Welt, mit 66 Jahren ein Kind zu bekommen. Würde das „Future-Baby“ verboten werden, erginge der Medizin und den Ärzten eine Menge Geld. Der Erfüllung dieser Art von „Kinderwunsch“ wird ja nicht aus reiner Großherzigkeit nachgegangen. Ein Statement noch von Prof. Dietrich: „Hinter der fragwürdigen Sache steckt oft viel Egoismus.“ (11) — Auf beiden Seiten?

Es stellen sich noch andere Fragen: Wieso dürfe man (älteren) Frauen nicht ein IVF-Kind und (jüngeren) Müttern keinen Plan- (Wunsch-) Kaiserschnitt verbieten? Wieso werden Mütter von „natürlichen“ Kindern nicht vor Nachtarbeit geschützt? (Schichtarbeiterinnen, Mütter in Pflegeberufen, et cetera) Wieso haben Erwachsene alle Rechte (ad libitum) und Kinder gar keine? Außer die am Papier stehenden, was ihnen nichts nützt. Wieso haben sehr oft IVF-Kinder kein Recht, zumindest auf einen „biologischen“ Vater? Weil sich ausschließlich just in den Ländern, die am meisten von „Kinderrechten“ und „Kindeswohl“ sprechen, sich gegenwärtig alles um die Eitelkeiten der „Erwachsenen“, deren „Rechte“ und Ideologien dreht?

In der länderübergreifenden Abschaffung der Rechte und Bedürfnisse von Kindern — in der Praxis — reichen sich ad libitum alle die Hand: Kapitalisten, Kommunisten, religiöse Gruppierungen, Feministinnen, „Links“, „Grün“, „Mitte“ und „Rechts“, die Justiz, Politik und Wissenschaft. (Die Liste ist nicht vollständig.)

Wenn das, was im Film „Future Baby“ ohne Wertung einfach dargestellt wird, die Zukunft von „Familie“ sein soll, dann ist das eine sterile, kalte und inhumane. Eine, die das Kind vollends im Namen der Erwachsenen, ihrer Projektionen, Ängste, Egoismen und Ideologien zum Objekt macht.

„Im Jahr 1818 schrieb Mary Shelly den Roman Frankenstein, die Geschichte eines gleichnamigen Wissenschaftlers, der ein künstliches Lebewesen erschafft, das außer Kontrolle gerät und großes Unheil anrichtet. In den vergangenen zwei Jahrhunderten wurde diese Geschichte in verschiedensten Varianten immer wieder erzählt. Sie wurde zu einer tragenden Säule unserer neuen wissenschaftlichen Mythologie. Auf den ersten Blick scheint die Geschichte eine Warnung zu sein: Wenn wir Gott spielen und Leben erschaffen, werden wir bestraft werden. Doch die Geschichte hat noch eine tiefere Bedeutung.

Der Frankenstein-Mythos konfrontiert den Homo sapiens damit, dass seine Tage bald gezählt sein werden. Wenn nicht ein Atomkrieg oder eine Umweltkatastrophe dazwischenkommt, wird die rasante technologische Entwicklung bald dazu führen, dass der Homo sapiens von einem gänzlich anderen Wesen abgelöst wird, das nicht nur einen anderen Körper mitbringt, sondern in einer anderen kognitiven und emotionalen Welt lebt. Die meisten Sapiens finden diesen Gedanken ausgesprochen beunruhigend. (…)

Wenn Sie Wissenschaftler fragen, warum Sie das Genom analysieren, einen Computer an ein menschliches Gehirn anschließen oder ein menschliches Gehirn in einen Computer verpflanzen wollen, werden Sie fast immer dieselbe Antwort erhalten: Wir wollen Krankheiten heilen und Menschenleben retten. Auch wenn man zur Behandlung von psychischen Krankheiten kein Gehirn digitalisieren muss, lässt dieses Argument keinen Widerspruch zu. (…) Die wichtigste Frage der Menschheit ist nicht: ‚Was dürfen wir nicht?’ sondern: ‚Was wollen wir werden?’ Und da wir vielleicht bald in der Lage sein werden, auch unsere Wünsche zu programmieren, lautet die eigentliche Frage: ‚Was wollen wir wollen?’ Wem diese Frage keine Angst macht, der hat sich vermutlich nicht genug mit ihr beschäftigt“ (12).

Zuvor sollten wir uns eingehender mit dem Thema Kindheit — von Schwangerschaft an — beschäftigen. Es gibt nicht nur Kindheits-, sondern auch Geburts- und Schwangerschaftstraumata. Mary Shelly, Autorin von Frankenstein, erlebte im Bauch zwei Selbstmordversuche ihrer Mutter mit. 11 Tage nach der Geburt starb ihre Mutter Mary Wollstoneraft. Diese verfasste 1792 mit Verteidigung der Rechte der Frau eine der grundlegenden Arbeiten der Frauenrechtsbewegung. Sie wird auf Wikipedia fälschlicherweise als Feministin bezeichnet.

Frankenstein-Autorin Mary Shelly brachte mehrere Kinder zur Welt, wovon nur eines überlebte. Sie verstarb 1851 53-jährig (vermutlich) an einem Gehirntumor. Der genaue Beobachter Karl Marx schrieb einmal:

„Hegel bemerkte irgendwo, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.“

Von Mary Shellys Frankenstein zu Bram Stokers Roman Graf Dracula bis zu den IFV- und „Future Babys“ gibt es inzwischen zahlreiche Variationen dieser Farce. Das der Farce voran- und zugrundeliegende Drama lautet: Aus Kindern, die durch Schule, elterliche oder sonstige ideologische (religiöse) Erziehung zum Objekt gemacht werden, werden eben oft Erwachsene, die wieder andere zum Objekt machen. Offenbar ist es schwierig, aus diesem Kreislauf auszubrechen. Wir sollten es aber trotzdem endlich versuchen, die „ideologischen Brillen“ abnehmen, und den Blick auf jene Menschen werfen, die seit 200 Jahren mutig und erfolgreich(!) andere und humanere Wege gehen.


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Quellen und Anmerkungen:

(1) Ausführlicher zum Thema „Überbevölkerung“ siehe (unter anderem): POPULATION BOOM. 7 Milliarden Überbevölkerung? WER VON UNS IST ZUVIEL? R: Werner Boote, Österreich, 2013
(2) Wissenschaftler vermuten, dass von den Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften bis weit in die Neuzeit hinein etwa 20-27 Prozent der Kinder das erste Lebensjahr nicht erreichten. Bis zum 14. Lebensjahr könnten zeitweilig bis zu knapp 50 Prozent der Kinder verstorben sein. Forscher vermuten, dass die Kindersterblichkeit im Mittelalter am höchsten war. Bis zum Erreichen des 14. Lebensjahrs dürfte phasenweise jedes zweite Kind gestorben sein. Unsere vorausgegangenen „Hochkulturen“ (römische/griechische Antike) hatten also unter anderem das gravierende Problem einer damals noch „natürlich“ hohen Kindersterblichkeit von vermutlich 20 bis 30 Prozent, während gleichzeitig aus „ideologischen“ Gründen (Denk- und Lebensweisen) ein starker Geburtenrückgang über Jahrzehnte einherging.
(3) Profiteure an der Entwicklung, das Leben um jeden Preis so lange wie möglich zu verlängern, sind vor allem die Medizin, technologische Unternehmen und die Pharmaindustrie. Den Großteil der Kosten trägt der Staat. Da Steuern nicht ohne Ende erhöhbar sind, steigt die Staatsverschuldung kontinuierlich. Was in allen „Industrienationen“ und „westlichen“ Staaten konsequent verdrängt wird. Exemplarisches Beispiel hierfür ist Japan: Dort ist seit sehr langer Zeit, aus unterschiedlichsten Gründen, die durchschnittliche Lebenserwartung so hoch und sind die Geburten seit Jahrzehnten(!) so gering, wie in keinem anderen Land. In den letzten Jahrzehnten wurde der „Club der 100-Jährigen“ zwar marginal größer, aber mit 110 bis 115 Jahren Höchstalter ist auch dort Schluss. (Der älteste Mensch der Welt ist (2015) eine Frau. Die Französin Jeanne Calmerht fuhr noch als 100-Jährige Fahrrad und rauchte bis zu ihrem 119. Lebensjahr.) In Japan sind seit Jahrzehnten nicht nur die Geburten so gering wie in kaum einem anderen Land, sondern auch die Staatsverschuldung so hoch wie in keiner anderen „führenden Industrienation“. 2016 war Japan mit 230 Prozent seiner Wirtschaftsleistung verschuldet, das seit Jahren de facto insolvente Griechenland mit 170 Prozent und beispielsweise die USA mit 100 Prozent. Alle „führenden Industrienationen“ steuern also nicht nur auf eine demographische Implosion zu, sondern haben noch ein paar Dinge gemein. Unter anderem die konsequente (frühe) Beschulung und „Erziehung“ aller Kinder und eine konsequente rein ökonomische Ausrichtung der gesamten Gesellschaft. — Die Familien und Kinder werden nicht mehr geschützt und gesondert umsorgt, sondern sind den gleichen Leistungsprinzipien wie der Ökonomie unterworfen. Sie alle haben auch vergessen den Blick darauf zu legen, wie die großen Pioniere auch der Industriellen Revolution (Erfinder, Techniker, Wissenschaftler, etc.) sozialisiert wurden. — Nämlich zuerst einmal ausgiebig familial und im „wirklichen Leben“! Offenbar gilt: Solange allein die ökonomischen Zahlen stimmen, wird fatalerweise weitergemacht wie bisher. Im 21. Jahrhundert droht also nicht „der Untergang des Abendlandes“, sondern der vor allem aller Industrienationen und Ländern, die sich am „Wettrüsten“ von (ökonomischen) Zahlen und dem ihm zugrundeliegenden „erfundenen Ordnungen“ (viele notgedrungen) beteiligen.
(4) Michael Prestwich, Edward I, Berkley: University of California Press, 1988
(5) Neben den zahlreichen Medienberichten über das Leben von Kindern (und Familien) in Slums gibt es einen mehr als sehenswerten Dokumentarfilm: SOMETHING BETTER TO COME, R: Hanna Polak, Dänemark/Polen, 2014. Der Film erhielt mehrere internationale Auszeichnungen und beschreibt das Leben des russischen Mädchens Yula, das mit ihrer Familie auf der größten Müllhalde Europas vor den Toren Moskaus lebt. — Nur 13 Meilen vom Kreml entfernt. Die Regisseurin begleitet 14 Jahre(!) das „Müllhalden-Mädchen“ Yula. „Eine mit großer Behutsamkeit erzählte Hymne an die Menschenwürde und die unausrottbare Sehnsucht nach persönlichen Glück.“ (Anne Thomé) Bedingungsloses Grundeinkommen weltweit für jeden Menschen von Geburt an, ist eine persönliche Antwort von mir auf diesen bemerkenswerten Film.
(6) Die Bevölkerungszunahme Chinas (Geburtenzahlen) erreicht Mitte der 1960er Jahre ihren bisherigen historischen Höhepunkt mit 6,16 Kinder pro Frau. Trotz intensiver staatlicher Intervention (Geburtenkontrolle, „Ein-Kind-Politik“) sinkt die Geburtenrate bis Mitte der 1980er Jahre „nur“ auf 2,8 Kinder pro Frau. Als sich China Ende der 1980er Jahre zunehmend der „kapitalistischen Welt“ und im Weiteren dem „ungezügelten“ Kapitalismus öffnet, sinken die Geburtenzahlen auf den historischen Tiefstand von 1,51 Kind pro Frau im Jahre 2001. Diese Rate bleibt für etwa ein Jahrzehnt stabil. Ab 2006/2009 nimmt China vermehrt und konsequent an PISA teil. Bildungs- und Leistungsdruck wird, wie schon ausgeführt, zum nationalen Heiligtum und salopp gesagt, zum „Volkssport“. — Seit ein paar Jahren sinken die Geburtenzahlen in vielen Teilen Chinas nun unter den (Mindest-) Reproduktions-Index 1,5 Kinder pro Frau. Das „Phänomen“ scheint so bedrohlich, dass die Politik Chinas 2015 das „offizielle Ende“ der Ein-Kind-Politik und eine „Zwei-Kind-Politik" ankündigt. Was so viel heißt, Eltern „dürfen“ zwei Kinder haben. Die Geburten werden aber trotzdem nicht (signifikant) steigen, nur weil dies nun politisch gewünscht oder gewollt ist. (Siehe Deutschland oder Japan)
Man kann es vereinfacht so sagen: Richtet sich ein Land politisch und gesellschaftlich ausschließlich oder vorrangig auf eine „totale Ökonomisierung“ (Industrialisierung) und eine „totale (Leistungs- und Disziplin-) Schulkultur“ aus, ist das gegenwärtig eine der effizientesten „Maßnahmen“ zur Geburtenreduktion. — Auf 0,7 bis 1,5 Kinder pro Frau.
(7) Was wir heute mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit über die menschlichen Anfänge wissen, ist folgendes: Etwa zwei Millionen Jahre lang, bis etwa 10 000 Jahre vor unserer Zeitrechnung, lebten mehrere Menschenarten gleichzeitig auf diesem Planeten. Warum der Homo sapiens sich allein „durchsetzte“, wissen wir bis heute nicht mit Sicherheit. Theorien gibt es viele und unterschiedliche. Faktum ist, nachdem die Hände durch den zweibeinigen Gang frei geworden waren (vor etwa 160 000 Jahren), ließen sie sich zu allen möglichen Tätigkeiten verwenden. Je mehr sie bewerkstelligen konnten, umso erfolgreicher wurden ihre Besitzer, weshalb die Evolution eine zunehmende Konzentration von Nerven und fein aufeinander abgestimmten Muskeln in Händen und Fingern forderte. So kommt es, dass wir nicht nur filigrane Tätigkeiten ausführen, sondern auch komplexe Werkzeuge herstellen und gebrauchen können.
Der aufrechte Gang hat jedoch auch eine zweite Seite. Er verlangte schmalere Hüften und damit einen engeren Geburtskanal. Verkürzt gesagt, sorgte ein langer Prozess dafür, dass die Kinder immer früher geboren wurden. Im Vergleich zu anderen Tierarten sind menschliche Säuglinge definitiv Frühgeburten. Wir kommen „halbfertig“ zur Welt, da überlebenswichtige Systeme noch unterentwickelt sind. Ein Fohlen steht kurz nach der Geburt auf eigenen Beinen und im Alter von wenigen Wochen fängt ein Kätzchen an, die Umwelt zu erkunden. Diesen Umstand („Frühgeburt“) verdankt der Mensch einerseits seinen außerordentlichen Fähigkeiten, aber auch viele „Schwierigkeiten“. Das Aufziehen eines Sapiens-Jungen erfordert konstante und lange Liebe, Zuwendung und Unterstützung von den Eltern, den Verwandten und Nachbarn. Zur „Erziehung“ (Unterstützung) eines Kindes ist eben ein ganzes Dorf (intime Gemeinschaft) erforderlich. Daher hat die Evolution diejenigen bevorzugt, die in der Lage waren, starke soziale Beziehungen einzugehen. (Siehe Kapitel 1) Diese enge Mutter-Kind-Bindung und die sozialen Kompetenzen der „Sippe“ sind mitverantwortlich für das, was Wissenschaftler heute die kognitive Revolution nennen. Die fand während des Zeitraums von etwa 100 000 bis 30 000 Jahren vor unserer Zeitrechnung statt. Ebenso gelang es uns in diesem Zeitraum auch noch in einer völlig neuen Form, der Sprache, zu kommunizieren. Wie wir heute sind, unsere Gene, unsere Anatomie, unsere Sprache und unser Gehirn, das alles hat sich von marginalen Veränderungen abgesehen, zehntausende Jahre nicht mehr verändert. Dieser lange und gewaltige Prozess der Menschwerdung fand in der Lebensform des Jäger-und-Sammlers statt und Jahrtausende(!) bevor der Sapiens „sesshaft“ wurde und Irrtümer auf Irrtümer folgten (wie auch kulturelle Hochleistungen). Wer immer noch meint, unsere Vorfahren seien „einfältig“ oder weniger intelligent gewesen als wir heutigen Menschen, irrt gründlich. Gesellschaften von Jäger-und-Sammler zeichnen sich vor allem durch ihre Vielfalt (in den „Riten“, Denk- und Lebensweisen) und ihren hohen sozialen Kompetenzen aus. Jeder Angehörige der Gruppe (also auch Kinder nach der „späten Entwöhnung“) lernten ein Steinmesser herzustellen, Nahrung zu finden, ein zerrissenes Kleidungsstück zu nähen, eine Falle aufzustellen und mit Schlangenbissen und hungrigen Löwen fertig zu werden und vieles mehr.
„Wildbeuter haben nicht nur ein besseres Verständnis ihrer belebten und unbelebten Umwelt, sondern auch ihrer eigenen Innenwelt, ihres Körpers und ihrer Sinne. Sie hörten das leiseste Geräusch im Gras, weil es sich um eine Schlange handeln könnte. Mit scharfem Blick beobachteten sie das Laub von Bäumen, um Früchte, Bienenstöcke oder Vogelnester zu erspähen. Sie bewegten sich mit einem Minimum an Krafteinsatz und Lärm und verstanden es, geschickt und effizient zu sitzen, zu gehen und zu laufen. Durch den vielfältigen Einsatz ihres Körpers waren sie fit wie ein Marathonläufer. Sie hatten eine körperliche Flexibilität, wie wir sie heute nur erreichen, wenn wir jahrelang Yoga oder Tai-Chi praktizieren. (…) Das Leben der Jäger und Sammler konnte sich je nach Region und Jahreszeit ganz erheblich unterscheiden, doch im Großen und Ganzen bekommt man den Eindruck, dass sie ein sehr viel angenehmeres Leben führten als die meisten Bauern, Schäfer, Landarbeiter und Büroangestellten, die ihnen folgten. Während die Menschen in den heutigen Wohlstandsgesellschaften zwischen 40 und 45 Stunden pro Woche arbeiten, und in den Ländern der Dritten Welt sogar zwischen 60 und 80, kommen Wildbeuter selbst in den unwirtlichsten Gegenden der Welt — zum Beispiel der Kalahari-Wüste — im Durchschnitt auf nur 35 bis 40 Arbeitsstunden pro Woche.“
Ein Erfolgsgeheimnis der Jäger und Sammler, dass sie vor Hungertod und Mangelernährung bewahrte und sie gesünder sein ließ, als ihre sesshaften Nachkommen, war ihre vielseitige Ernährung. Sie litten auch weniger an Infektionskrankheiten. „Die meisten ansteckenden Krankheiten, mit denen sich landwirtschaftliche und industrialisierte Gesellschaften herumschlagen müssen (zum Beispiel Pocken, Masern oder Tuberkulose) stammen ursprünglich von Haustieren und wurden erst nach der landwirtschaftlichen Revolution auf den Menschen übertragen. Die Jäger und Sammler, die sich höchstens ein paar Hunde hielten, bleiben von diesen Geißeln verschont. Dazu kam, dass die Menschen in Agrar- und Industriegesellschaften in beengten und schmutzigen Verhältnissen lebten — eine ideale Brutstätte für Krankheiten. Wildbeuter streiften dagegen in kleinen Gruppen umher, in denen sich keine Epidemien halten konnten.“ Das ist auch heute noch einer der Gründe, warum unbeschulte Kinder durchschnittlich in jeder Hinsicht viel gesünder sind, als die im Namen der „Bildung“ und „Ökonomie“ täglich bis zu acht Stunden eingesperrten. Und weil sich die Unbeschulten naturgemäß mehr (im Freien) bewegen.
Die Jäger-und-Sammler-Kinder waren nicht nur gesünder, sondern auch vermutlich durchschnittlich glücklicher und zufriedener, als die Kinder in den darauffolgenden Jahrtausenden und bis heute (von einigen kurzen Epochen abgesehen). Auch die „demographische“ Entwicklung des „Wildbeuter-Sapiens“ war äußerst stabil. Kinder wurden jahrelang gestillt, was bekanntlich die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft in diesem Zeitraum verringert. Ebenso dürfte nach heutigem Wissensstand die Lebenserwartung höher und die Kindersterblichkeit deutlich geringer gewesen sein, als in den Jahrtausenden, seit der Sapiens sich selbst zu domestizieren begann. Die allergrößten Probleme bekam der Homo sapiens allerdings erst, als er vor ein paar Jahrhunderten begann, seinen Nachwuchs während der echten Kindheit (bis zum 6. /7. Lebensjahr) zu domestizieren. Im Namen von ... Alle Zitate dieser Anmerkung (Quelle 8) sind aus: Y. N. Harari, Eine kurze Geschichte der Menschheit, 2013
(8) Mia Eidlhuber in: DER STANDARD, Die Zukunft der Babys, das Ende der Welt, 20. März 2016
(9) In: KURIER, Alptraum Wunschbaby — die Geschäfte mit dem Kinderwunsch, 16. April 2016
(10) Harald Welzer, Die smarte Diktatur. Der Angriff auf unsere Freiheit, Fischer Verlag, 2016
(11) In: WELT, Mutter zu werden war immer mehr mein Traum, 20. Jänner 2005
(12) Y. N. Harari, Eine kurze Geschichte der Menschheit, 2013. Aus dem Kapitel „Das Ende des Homo Sapiens“. Darin fasst Harari zusammen, was sich bereits weltweit (vor allem in den USA) unter dem Begriffen Biotechnik, Cyborgtechnik (Cyborgs sind Wesen, die aus organischen und nicht-organischem Teilen bestehen) und Nicht-Organischem Leben bereits an Un-Menschlichem bei Tier und Mensch möglich ist. Siehe auch: Y. N. Harari, Homo Deus, 2017.


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