Würdigung
Rainer Rupp (hier der Link zur einer Ken-FM-Sendung mit ihm) gelten Achtung und Dank aller friedliebenden Menschen, ja sogar die Kriegstreiber sollten ihm dankbar sein. Denn auch sie wären vielleicht genau so tot wie die Friedliebenden, hätte nicht Rupp durch sein persönliches Engagement dazu beigetragen, einen Dritten Weltkrieg zu verhindern.
Dafür zolle ich ihm meinen Respekt, auch wenn ich ihn im Folgenden kritisieren werde. Und wenn ich auch in mancher politischen Frage anderer Meinung sein mag als er, so will ich ausdrücklich betonen, dass bei all meiner Kritik an seinen ANSICHTEN der Respekt vor seinem HANDELN überwiegt.
Auch Sahra Wagenknecht sollte als Mitstreiterin für Frieden und soziale Gerechtigkeit geachtet werden – trotz all der unterschiedlichen Ansichten, die mitunter in den politischen Fragen bestehen. Denn keiner von denen, die um Erkenntnis ringen, haben heute bereits den Stein der Weisen gefunden.
Erst die Geschichte wird zeigen, wer in der Einschätzung der Wirklichkeit richtig gelegen und wer die Perspektiven und Vorgehensweisen aufgezeigt hat, die zur Erhaltung des Friedens in der Welt geführt haben werden. Zuerst aber sollte die Linke untereinander friedlich und solidarisch miteinander umgehen und die Verschiedenheit der Ansichten wertschätzen als die Mosaiksteine, die erst die Wirklichkeit in ihrer Gänze abbilden.
Auf dünnem Eis
Rupp begibt sich in seinem Beitrag auf dünnes Eis, auch wenn der Artikel scheinbar antikapitalistisch daherkommt. In seinen Augen, aber auch in denen vieler anderer, die sich antikapitalistisch geben, ist die Flüchtlingswelle der Jahre 2014/2015 ein abgekartetes Spiel „des“ Kapitals, ein von langer Hand vorbereiteter Schachzug zur Optimierung der Kapitalverwertung.
Deshalb ist Widerstand gegen diese Pläne und damit auch gegen Zuwanderung erste Pflicht für antikapitalistische Linke.
Versucht die AfD Zuwanderung mit nationalistischem Gedankengut zu verhindern, versuchen es Linke wie Rupp und Wagenknecht mit Anti-Kapitalismus. Damit aber laufen Teile der Linken Gefahr, die Abschottungspolitik der AfD weiter hoffähig zu machen, indem sie es durch Zugeben marxistischen Vokabulars zu einem antikapitalistischen Projekt ummodeln.
Um es in aller Deutlichkeit und unmissverständlich auszudrücken:
Hier soll weder den offenen Grenzen das Wort geredet werden noch der Abschottung. Denn all das liegt nicht in der Macht derer, die in ihren Allmachtsfantasien glauben, dass die Vorgänge in der Welt sich gemäß ihrer Meinung gestalten.
Kein Afrikaner wird seine Entscheidung, den gefährlichen und teuren Weg nach Europa und in ein hoffentlich besseres Leben zu wagen, davon abhängig machen, ob Kipping für offene Grenzen oder Rupp und Wagenknecht dagegen sind. Und ebenso wenig sind Wagenknecht oder Kipping in der Position, als Entscheidungsträger das Flüchtlingsproblem zu handhaben.
Selbst die Möglichkeiten „des“ Kapitals sind begrenzt
Hier soll keinesfalls bestritten werden, dass Teile des deutschen und internationalen Unternehmertums Interesse am Zuzug von Arbeitskräften haben. Nur ist zu bezweifeln, dass „das“ Kapital über die Möglichkeiten verfügt, eine Flüchtlingswelle wie die der Jahre 2014/2015 zu veranlassen als einen bewusst herbeigeführten und gesteuerten Akt. Wie soll das praktisch gehen?
Es genügt nicht, einen Plan und ein Interesse zu haben. Dazu müssen dann auch Personen und Kräfte aktiv und offen erkennbar daran arbeiten, diese praktisch umzusetzen.
Niemand in Afrika oder woanders in der Welt wird sich von Vertretern irgendwelcher deutschen Unternehmerverbände oder gar den Teilnehmern der Bilderberg-Treffen, die selbst in ihren Heimatländern kaum offen auftreten, zum gefährlichen und teuren Exodus nach Europa bewegen lassen. Wer soll solche Pläne unter das Volk bringen? Wer soll in der Dritten Welt die Propaganda für diese Pläne machen, die Bewegung lostreten, organisieren und koordinieren? Und das alles an den offiziellen Stellen vorbei, wenn diese nicht eingeweiht werden oder gar diesen Plänen Widerstand entgegensetzen?
Dazu wäre ein kostspieliges und umfangreiches Netz von Aktiven und Helfern notwendig, das ab einer bestimmten Größe und Wirkung nicht mehr geheimgehalten werden könnte. Und um einen geheimen Plan scheint es sich ja nach Ansicht der Vertreter dieser Theorie zu handeln. Wie also soll „das“ Kapital schlagartig Millionen Menschen dazu bewegen können, ihre Heimat zu verlassen? Dazu gehört doch mehr als nur die intrigante Absicht einiger Coupon-Schneider.
Viel entscheidender als die Wühlarbeit „des“ Kapitals für die Fluchtbewegungen ist die Verschlechterung der Lebensumstände, sodass das Bleiben in der Heimat für die Menschen gefährlicher und aussichtsloser ist als die Gefahren des Exodus.
Deshalb war der Anteil der Flüchtlinge aus den Kriegsländern Syrien und Afghanistan besonders hoch. Auch wenn diese Kriege zurückzuführen sind auf die Interessen und Unterstützung des Westens, so ist das ja kein bis ins Detail durchgearbeiteter Plan, wie die Vertreter dieser Theorie glauben machen wollen.
Zudem wäre ein solcher Plan auch immer mit dem Risiko behaftet, dass die Kriege für den Westen verloren gehen. Und danach sieht es ja im Moment auch aus. In diesem Falle hätte sich dann dieser angeblich fein ausgetüftelte Plan „des“ Kapitals als Fehlschlag herausgestellt.
Der Plan ist gescheitert
Selbst wenn man argumentiert, dass diese Kriege Bestandteil dieses heimtückischen und menschenverachtenden Plans sind, so hat er seine Ziele nicht erreicht. Die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge kam nicht nach Europa, sondern wartet unter menschenunwürdigen Zuständen in den Auffanglagern Afrikas und des Nahen Ostens auf eine bessere Zukunft.
Würde es „dem“ Kapital nur um die Versorgung mit billiger Arbeitskraft gehen, was stünde der gezielten Überführung dieser Menschen nach Europa im Wege? Wenn es so mächtig wäre, Flüchtlingswellen loszutreten, dann dürfte es doch ein Leichtes sein, die zuständigen Regierungen zur Freigabe dieser ungenutzten Arbeitskraft zu überreden.
Die Türkei, Jordanien, der Libanon und die vielen Aufnahmeländer in Afrika hätten bestimmt keine Einwände, wenn ihnen diese soziale Belastung der eigenen Gesellschaften abgenommen würde. Bisher aber gibt es keine Berichte, dass entweder „das“ Kapital selbst oder von ihm bestellte Vertreter sich um die Freigabe dieser Arbeitskräfte bemühen.
So dämmert dieses Potential ungenutzt in den Zeltstädten auf der anderen Seite des Mittelmeers vor sich hin, anstatt hier bei der Steigerung der Profitrate behilflich zu sein. Selbst wenn es also diesen Plan gegeben haben sollte, so ist er gründlich fehlgeschlagen. Und dieser Fehlschlag wäre ein weiterer Beweis gegen die aufgebauschte Allmacht „des“ Kapitals.
Stattdessen muss es mehr oder weniger tatenlos zusehen, wie seine Pläne von vielen europäischen Regierungen durchkreuzt werden. Da werden Zäune gebaut, um die Flüchtlinge zurückzuhalten, Schleuser verfolgt, Häfen geschlossen, Absprachen mit den Regierungen Nordafrikas getroffen, um sie an der Überfahrt zu hindern, Lager in der Türkei finanziert, um sie von Europa fernzuhalten. In Deutschland drohen an der Flüchtlingsfrage die Fraktionsgemeinschaft aus CDU und CSU nach Jahrzehnten der Zusammenarbeit und vielleicht sogar die Große Koalition zu scheitern, die doch gerade erst unter erheblichen Geburtswehen den Kreißsaal verlassen hat.
Und für all das hat „das“ übermächtige Kapital keinen Plan? Haben seine vorausschauenden Konzepte all das nicht bedacht und schon gar nicht verhindern können? Oder sind nun auch CDU, CSU und AfD auf einmal antikapitalistisch, so dass sie „dem“ Kapital in den Arm fallen?
Es gibt genügend Arbeitskraft
Hätte „das“ Kapital all diesen Aufwand nur betrieben, um an billige Arbeitskraft zu kommen, so hätte es nicht sehr rationell gehandelt, was in der Sphäre der Produktion doch sonst gerade seine Stärke ist. Nichts wäre doch einfacher gewesen, als über staatliche Vereinbarungen wie in den 1950er und 1960er Jahren billiger Arbeitskraft den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu gewähren. Gerade eben wurden Überlegungen von Gesundheitsminister Spahn laut, ausländische Pflegekräfte nach Deutschland zu rufen, um den aktuellen Personalmangel zu beheben.
Die EU selbst verfügt über Millionen von Arbeitslosen, die sich frei in Europa auf Arbeitssuche begeben können. Da braucht es doch keine verdeckten und hinterhältigen Pläne, die Menschenmassen in Bewegung setzen.
Selbst in Deutschland sind die Arbeitslosenzahlen höher als das Arbeitsplatzangebot. Zählt man die Bezieher von Hartz IV dazu, die in den offiziellen Statistiken gar nicht als Arbeitslose gezählt werden, so beträgt das Arbeitskraftangebot alleine hier schon mehr als 6 Millionen Menschen, und die sprechen deutsch und müssen nicht erst durch Sprach- und Integrationskurse auf das nötige Qualifikationsniveau gepäppelt werden.
Zudem hat die Bedeutung von Migranten für den deutschen Arbeitsmarkt ohnehin nachgelassen, seit für alle Arbeitskräfte auch in Deutschland ein Mindestlohn gezahlt werden muss. Da nimmt der deutsche Unternehmer lieber einen Deutschen, mit dem er keine sprachlichen Probleme in der Kommunikation am Arbeitsplatz hat.
Richtig ist die Behauptung von Rupp, dass die Unternehmer versuchen, den Mindestlohn für Migranten auszusetzen gerade unter Hinweis auf deren mangelnde sprachliche Qualifikation. Aber bisher hat sich das scheinbar allmächtige Kapital, das angeblich Flüchtlingsströme verursachen kann, in dieser Frage nicht einmal gegen eine wirtschaftsfreundliche Regierung durchsetzen können. Es scheint also doch nicht so einfach zu sein mit der Überschwemmung der Arbeitsmärkte mit billigen Arbeitskräften.
Es ist außerdem eine falsche Sichtweise, dass die Unternehmen billige Arbeitskräfte suchen. Sie suchen produktive Arbeitskräfte, solche also, bei denen Lohnkosten und Arbeitsertrag im besten Verhältnis stehen.
Die deutschen Unternehmen verlagern die Produktion nicht nach Afghanistan oder Zentralafrika, obwohl die Arbeitskraft dort fast umsonst ist. Denn dort ist auch die Produktivität der Arbeitskraft am geringsten. Den Arbeitskräften fehlen dort die Fähigkeiten, die den hohen Ansprüchen der kapitalistischen Produktionsweise gerecht werden.
Auch wenn der Arbeiter vielleicht nur ein Hundertstel von dem kostet, was ein deutscher Arbeiter an Lohn erhält, so ist die Produktivität des deutschen doch wesentlich höher, wenn er dafür ein Tausendfaches von dessen Ertrag erbringt. Nicht umsonst will Spahn Pflegekräfte aus dem Kosovo und Albanien holen, statt deutsche Arbeitslose zu Pflegekräften auszubilden, weil es dort „junge ausgebildete Pflegekräfte“ (1) gibt.
„Mit der vom Kapital gewünschten Migrationsschwemme soll also eine Reservearmee von Billigtagelöhnern zwecks Lohndruckerei in der gesamten Wirtschaft geschaffen werden.“ Damit hat Rupp nicht ganz Unrecht. Aber es ist andererseits auch nicht so einfach, wie er es darstellt, und es entspricht vor allem nicht den Vorgängen. Um eine Reservearmee von Billigtagelöhnern zu nutzen, muss man keine Völkerwanderungen ins Rollen bringen. Diese Reservearmee ist weltweit verfügbar. Und wenn sie nicht zu uns kommt, geht die Produktion zu ihnen.
Das Kapital ist ein Haifischbecken
Trotz all dieser Einwände und Zweifel soll keinesfalls bestritten werden, dass die Unternehmer ein Interesse am Zuzug von Arbeitskraft haben. Rupp nimmt in seiner Argumentation über das unumschränkte Walten „des“ Kapitals Bezug auf eine Studie des Weltwirtschaftsforums (WEF) von 2013, mit der er das Interesse „des“ Kapitals an der Flüchtlingswelle nachzuweisen glaubt.
Diese Studie wurde kurz vor der Flüchtlingswelle erstellt, als mit dem millionenfachen Zuzug aus den Kriegsgebieten des Nahen Ostens noch gar nicht zu rechnen war. Die zeitliche Nähe erweckt den Eindruck, alles sei das Ergebnis der Allmacht „des“ Kapitals und seiner scheinbar unaufhaltsamen Pläne.
Bei dieser Diskussion von 2013 ging es noch in erster Linie darum, die Freizügigkeit von Arbeitskraft innerhalb der EU anzuregen, besonders vor dem Hintergrund der Perspektivlosigkeit in Spanien, Griechenland und auch Italien. Natürlich waren die deutschen Unternehmen auch darauf erpicht, qualifizierte und billige Arbeitskräfte zu bekommen.
Aber es war nicht „das“ Kapital allgemein, sondern das deutsche, vielleicht auch das französische, britische, halt eben das der führenden Industrienationen, aber keineswegs das griechische, spanische oder italienische. Diese Kapitalfraktionen waren eher besorgt über den Abzug der qualifizierten Arbeitskraft, was eine weitere Schwächung ihrer Konkurrenzfähigkeit bedeutete.
Es geht hier nicht darum, „das“ Kapital zu verharmlosen, sondern es mit seinen Möglichkeiten richtig einzuschätzen, um es nicht zu überschätzen. Es ist nicht so allmächtig, wie solche Beiträge wie der von Rupp, aber auch von anderen den Eindruck erwecken, wenn sie ihm die Macht beimessen, die in der Lage sein soll, Flüchtlingswellen auszulösen. Denn in solchen Darstellungen von Allmacht liegt die große Gefahr der Entmutigung derer, die doch eigentlich ermutigt werden sollten.
Es sind Linke, die das Kapital mächtiger erscheinen lassen, als es ist, also gerade jene, die doch eigentlich seine Herrschaft überwinden wollen.
Wie aber wollen sie einen Gegner bezwingen, wenn sie ihn so übermächtig darstellen, dass man vor ihm eigentlich nur in die Knie gehen kann? Dieses Aufbauschen ist letztlich nur das Ergebnis mangelnder oder mangelhafter Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse. Das Kapital ist mächtig, aber nicht allmächtig. Denn auch „das“ Kapital ist nicht der monolithische Block, als der er von solchen Beiträgen wie dem von Rupp dargestellt wird.
Es ist vielmehr ein Haifischbecken, in dem jede Kapitalfraktion der Todfeind der anderen ist. „Das“ Kapital ist in sich zerfressen durch die Konkurrenz untereinander um Märkte und Marktanteile, Investoren, staatliche Aufträge und Subventionen, auch um billige Arbeitskräfte. Und diese Konkurrenz ist die Natur seiner Ordnung, Teil ihres Wesens.
Die Konkurrenz ist die treibende Kraft innerhalb des Systems, das dieses System immer wieder von innen zu sprengen droht. Denn jeder muss von dem anderen auf der Hut sein. Der Große frisst den Kleinen und muss selbst auch wieder darauf achten, nicht von einem noch Größeren geschluckt zu werden. Das macht alle Unternehmer, Unternehmen und Kapitalfraktionen untereinander zu Gegnern.
Nur in einem Falle sind sich all diese Haie einig: Wenn es darum geht, die Ordnung der Haie im Haifischbecken zu erhalten, ihre Ordnung. Das Kapital tritt nur dann als geeinte Klasse auf, wenn es dem geeinten Proletariat gegenübersteht, das seine Ordnung und seine Macht bedroht. Das war 1933 in Deutschland im nationalen Rahmen der Fall, als der Faschismus die bestehende Ordnung gegen die drohende sozialistische Revolution verteidigte.
Auf der internationalen Ebene wirkte das Regime der USA als Klammer, die besonders die Staaten der heutigen Westlichen Wertegemeinschaft zusammenhielt im Kampf gegen den Sozialismus. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion war diese Bedrohung des Kapitalismus verschwunden. Das ist neben den wirtschaftlichen einer der Gründe für die derzeitigen Konflikte zwischen den führenden kapitalistischen Staaten.
Anmerkungen und Quellen:
(1) FAZ vom 2. Juli 2018: Gesundheitsminister Spahn sucht 50.000 Pfleger
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