Zum Inhalt:
Unterstützen Sie Manova mit einer Spende
Unterstützen Sie Manova
Die Demokratie der Reichen

Die Demokratie der Reichen

Sind Sie reich? Nein? Dann lassen Sie das Wählen lieber bleiben — es bringt nichts.

Jede Stimme wird gehört, jeder ist, politisch gesehen, gleich — so lautet zumindest das Mantra derjenigen, die die Meinung darüber, was unsere Demokratie ausmache, innehaben. Wählen wäre quasi Bürgerpflicht, und wer nicht wählen geht, weiß die Errungenschaften all der vorausgegangenen Generationen zur Erkämpfung des Wahlrechts nicht zu schätzen. Schlimmer noch: Wer nicht wählen geht, helfe immer den Falschen und schade somit unserer Demokratie.

Laut Definition ist eine Regierung responsiv, wenn sie die Anliegen und Interessen der Bevölkerung berücksichtigt und auf diese reagiert.

Es wird gesagt, in einer repräsentativen Demokratie müsse es für die Regierung einen Handlungsspielraum geben, der auch unpopuläre Entscheidungen zulasse. Dass diese Annahme und deren Verwirklichung das Wort Demokratie (= das Volk bestimmt die politischen Entscheidungen und wählt die Personen, die diese umsetzen sollen) untergräbt, soll hier nicht betrachtet, sondern als legitim vorausgesetzt werden.

Wenn politische Entscheidungen der Mehrheitsmeinung der Bevölkerung auch mal widersprechen dürfen, bedürfen sie demnach besonderer Begründung, sodass einer dauerhaften oder systematischen Ignoranz gegenüber dem Bevölkerungswillen Grenzen gesetzt sind.

Wunsch und Wirklichkeit

In der kapitalistischen Hochburg USA, wo Wahlkämpfe weit mehr von privaten Großspendern getragen werden als in Deutschland, ist die Schieflage zwischen Einkommen und dem Versprechen politischer Gleichheit am ausgeprägtesten. Lea Elsässer, hierzulande die führende Forscherin auf dem Feld der politischen Responsivität, hat sich der Analyse dieser Situation für Deutschland verschrieben.

Die Parteien in Deutschland finanzieren sich maßgeblich über die öffentliche Wahlkampfkostenerstattung sowie Mitgliedsbeiträge, und es lohnt sich daher ein genauerer Blick darauf, ob Einkommensunterschiede auch im besten Deutschland aller Zeiten eine ähnliche Schieflage in den politischen Entscheidungen zur Folge haben oder nicht.

Oder kurz gesagt: Ist es wirklich das Geld, das die Welt regiert?

Kurz zusammengefasst zeigt die Responsivitätsforschung, dass den Wünschen der reichen Bevölkerungsschicht eher entsprochen wird, und so gut wie niemals den Wünschen der armen Bevölkerungsschichten. Ausnahme: Wenn die reiche Bevölkerungsschicht auch etwas davon hat, wird auch auf die Wünsche der ärmeren Bevölkerungsschichten eingegangen.

Und das unabhängig davon, welche Partei mit ihrem Parteiprogramm an der Regierung ist!

Zur Untersuchung der Fragestellung, ob und inwieweit Einkommensunterschiede mit der Wahrscheinlichkeit von politischen Entscheidungen zusammenhängen, wurde eine Datenbank aufgebaut, die die Ergebnisse von 252 Sachfragen enthält, die in DeutschlandTrend-Umfragen im Zeitraum von 1998 bis 2013 gestellt wurden.

Die im Datensatz enthaltenen Fragen decken ganz unterschiedliche Politikbereiche ab — und reichen von der Beurteilung einer gesetzlichen Frauenquote über Auslandseinsätze der Bundeswehr bis hin zu Fragen nach einem Mindestlohn oder Kürzungen der Sozialausgaben. Die Befragten wurden nach Region (Ost- und Westdeutschland), Geschlecht, Alter, Bildung, Beruf und Einkommen kategorisiert, und es wurde jeweils der Anteil derjenigen ermittelt, der die abgefragte Politikänderung befürwortet.

Als Kriterium für oder gegen responsive Politik galt, ob im Zeitraum von bis zu vier Jahren eine entsprechende Änderung der Politik stattfand oder nicht, da eine spätere Politikänderung sich schwer in Verbindung mit dem abgefragten Trend vier Jahre zuvor in Verbindung bringen lässt.

Es zeigte sich, dass die bestimmenden Faktoren für politische Meinungsunterschiede Einkommen, Beamtenstatus und Selbständigkeit sind; weniger Alter und Bildung, und noch weniger Geschlecht oder Wohnregion (West- beziehungsweise Ostdeutschland). Das heißt, dass eine ältere reiche ostdeutsche Frau tendenziell größere Meinungsübereinstimmungen mit einem jungen reichen westdeutschen Mann hat als eine ältere reiche ostdeutsche Frau mit einer armen älteren ostdeutschen Frau. So viel zur allgemeinen Analyse über Meinungsunterschiede.

Wie steht es mit einzelnen Politikfeldern?

Bei den einzelnen Politikfeldern wie zum Beispiel Außen-, Arbeitsmarkt-, Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik zeigte sich, dass sich die politische Einstellung mit der Höhe des Einkommens immer mehr dem reichsten Prozent der Bevölkerung annähert. Bezogen auf die einzelnen Faktoren (Bildung, Geschlecht, Wohnregion, Einkommen, Alter, Berufsgruppe) stellte sich heraus, dass das Geschlecht und die Wohnregion eher weniger zu Meinungsunterschieden führt — Ausnahme: Bildung beim Thema Migration — als die Berufsgruppe oder das Einkommen.

Ganz besonders deutlich ist die Schere beim Thema Außenpolitik: Das reichste Prozent der Bevölkerung unterscheidet sich in seiner Meinung demnach bei außenpolitischen Themen — wie beispielsweise einer sinnlosen und kostspieligen Kriegsbeteiligung im Krieg gegen Russland zur Unterstützung eines Nicht-NATO-Partners — am stärksten von den restlichen 99 Prozent.

Und je mehr die Mitglieder der oberen Einkommensschichten einer Meinung sind, desto wahrscheinlicher wird deren Umsetzung. Einen solchen Zusammenhang gibt es bei den unteren Einkommensschichten nicht.

Ist sich die untere Bevölkerungsschicht in einem Politikfeld sehr einig, hat dies keine Auswirkung auf die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung, beziehungsweise sie sinkt sogar leicht, je einiger sich die Armen sind.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Politik in ihren Entscheidungen systematisch die Meinungen oberer Einkommensschichten reflektiert, wenn große Meinungsunterschiede bestehen.

Woran liegt das?

Es ist nicht schwer, die Gründe in unserer auf Geld (= Macht und Einfluss) basierten Gesellschaft zu finden. Finanzstarke Einflussnehmer üben Lobbyarbeit auf die Politik aus; diese repräsentiert nur noch einen kleinen Teil der Bevölkerung, der andere Teil fühlt sich ausgeschlossen und geht nicht mehr wählen. Das Problem verschärft sich immer weiter.

Zudem fehlt es in der Politik — gerade in der Bundespolitik — an Abgeordneten aus unterschiedlichen Klassen, die repräsentativ für den Klassenmix in der Bevölkerung stehen. Das Parlament ist besetzt mit großen Anteilen an Akademikern — dabei vor allem aus den Bereichen Jura und Wirtschaftswissenschaften.

Und es fehlt an direkter Demokratie und Politikerhaftung. Solange Politiker nicht für ihr Handeln haften müssen und solange es keine verpflichtende Umsetzung von Wahlprogrammen gibt, so lange können Parteien vor den Wahlen gegen Waffenlieferungen in Kriegsgebiete sein — und dem Wunsch des Großteils der Bevölkerung entsprechen — und sich nach den Wahlen zur größten Kriegstreiberpartei nach dem Zweiten Weltkrieg entwickeln und damit dem Wunsch einer kleinen Bevölkerungsgruppe mit hohem Einkommen entsprechen.

Die Responsivitätsforschung beweist, was wir alle eigentlich schon wissen oder zumindest geahnt haben: Geld regiert die Welt. Wir müssen also ehrlich mit uns selbst sein: Wer nicht reich ist, kann demnach nur folgerichtig das Wählen sein lassen.


Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.

Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.


Quellen und Anmerkungen:

Elsässer, L., Hense, S. & Schäfer, A. „Dem Deutschen Volke“? Die ungleiche Responsivität des Bundestags. Zeitschrift für Politikwissenschaft Volume 27, 161–180 (2017). https://doi.org/10.1007/s41358-017-0097-9

Weiterlesen

Wasser fürs Geschäft
Aktueller Artikel

Wasser fürs Geschäft

Die Geschichte der Toiletten sagt viel über den oft unbewussten Umgang unserer „fortschrittlichen“ Kultur mit dem wichtigsten aller Güter aus.

Kolumbien: Elitär und rassistisch
Aus dem Archiv

Kolumbien: Elitär und rassistisch

Der große Journalist und Romancier Gabriel Garcia Márquez hätte sich „in Zeiten der Cholera“ über den Zustand seiner früheren Zeitung „El Universal“ im Grabe umgedreht.