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Der Eliten-Diskurs

Der Eliten-Diskurs

Interessengelenkte Moraldebatten ersetzen zunehmend die Sachauseinandersetzung im Land.

Eliten im Wandel

Nach dem 2. Weltkrieg waren Eliten und die hierarchische Struktur der Gesellschaft weitgehend noch genauso wie davor. In der Wirtschaft herrschten die sogenannten Wirtschaftskapitäne– der Begriff des Wirtschaftsführers war aus der Mode gekommen — über die großen Betriebe. Daneben gab es die akademische Elite und unter den beiden in niederer gesellschaftlicher Stellung und Ansehen das einfache Volk. Das änderte sich mit dem Sputnik-Schock und dem Wirtschaftswunder.

Ersterer hatte die Kraft und Intelligenz des damals noch verächtlich betrachteten einfachen Volkes offensichtlich werden lassen. Die Bevölkerung des Arbeiter- und Bauernstaates Sowjetunion hatte den kapitalistischen Westen in der Raumfahrt, also dem damals technologisch anspruchsvollsten Bereich von Wirtschaft, Wissenschaft und Technik, überholt. Nicht nur das: Diese Leistung gelang den Völkern der Sowjetunion wesentlich früher, als alle westlichen Geheimdienste in Aussicht gestellt hatten.

Die Folge war im Westen eine Demokratisierung der Bildung. Man erkannte, dass man sich nicht alleine auf die Söhne und Töchter aus den besseren Häusern stützen konnte, um im Konkurrenzkampf mit der Volksmacht UdSSR mithalten zu können. Auch die Arbeiterkinder im Westen erhielten nun leichteren Zugang zu Gymnasien und Universitäten. Das aber untergrub das Bildungsmonopol der akademischen Elite und versetzte ihrem damals noch weit verbreiteten Dünkel einen schweren Schlag.

Das sich gleichzeitig vollziehende Wirtschaftswunder brachte auf breiterer Ebene eine neue gesellschaftliche Erscheinung hervor, die sogenannten Neureichen. Sie hatten sich aus einfachsten Verhältnissen durch meist handwerkliches Geschick und Fleiß emporgearbeitet und es zu Reichtum gebracht. Oftmals waren sie sogar wohlhabender als die Absolventen der Hochschulen, die dann sogar bei ihnen als Angestellte anheuern mussten. Das war der zweite Schlag für die akademische Elite. Ungebildete Emporkömmlinge erreichten mit „einfachen“ Fähigkeiten mehr als sie mit all ihren geistigen, die sie bisher doch immer als überlegen angesehen hatten.

Durch die Demokratisierung der akademischen Bildung verlor diese viel von ihrer Exklusivität. Die 68er-Bewegung nahm ihr dann auch noch die Autorität: „Unter den Talaren steckt der Mief von hundert Jahren“. Das Abitur verlor seinen Stellenwert als Ausweis besonderer Intelligenz. Es gilt als nichts Besonderes mehr, wie auch das Studium, wenn die Hälfte eines Jahrgangs mittlerweile die Universitäten besucht. Die akademische Elite verlor ihre Bedeutung.

Neue Wertmaßstäbe

Das Wirtschaftswunder hatte die Entbehrungen der Nachkriegszeit vergessen lassen. Die Grundbedürfnisse wie ausreichende Ernährung, menschenwürdiges Wohnen und umfangreiche Gesundheitsversorgung waren Standard geworden in den westlichen Gesellschaften. Nun rückte die Erfüllung ideeller Werte immer mehr in den Vordergrund. Dazu gehörten neben Bildung und Kultur auch die politischen Forderungen nach Frieden und der Überwindung des Ost-West-Konflikts.

Die Konfrontation des Kalten Krieges und die ständige Gefahr der atomaren Katastrophe passten nicht mehr in die Zeit. Zudem hatten die Niederlagen des Westens in Korea, Vietnam und den Kriegen in Afrika nach dem Zerfall des portugiesischen Kolonialreiches gezeigt, dass die Armen der Welt keine Angst vor dem Kommunismus hatten und dass er deshalb mit kriegerischen Mitteln nicht zu besiegen war.

Diese Erkenntnis führte nach der Niederlage in Vietnam unter dem US-Präsidenten Jimmy Carter zu einer neuen Strategie im Kampf gegen den Kommunismus, der Menschenrechts-Politik. Sie bot nicht nur eine neue Perspektive im Kampf gegen den Kommunismus, sondern verstand es auch, dem ehrlichen und zutiefst menschlichen Wunsch breiter Schichten nach Frieden und einer gerechteren Welt eine Aussicht auf Erfüllung zu geben.

Ausdruck dieses Friedenswunsches zwischen Ost und West, zwischen Kapitalismus und Sozialismus war die sogenannte Friedliche Koexistenz zwischen den politischen Systemen. Der Wunsch nach Frieden ging aber über den politischen Bereich hinaus in den zwischenmenschlichen, auch in den Umgang mit der Natur. Friedensinitiativen, Frauenbewegung, die Anti-AKW-Bewegung und auch die Gründung der Grünen waren Ausdruck dieser Veränderungen der Wertmaßstäbe im weltweiten Bewusstsein.

Und deren Verkehrung

Da sich die geweckten Friedenshoffnungen in der Welt nicht so erfüllten, wie die meisten Menschen gehofft hatten, mussten vonseiten der politischen Kräfte Schuldige für den Misserfolg benannt werden. Als Schuldige wurden all jene angeprangert, die in der Menschenrechts-Politik nicht so mitzogen, wie es den Vorstellungen des Westens entsprach. Und man war anfangs sehr erfolgreich darin, Menschenrechtsverletzer zu identifizieren. Es waren in der Regel die politischen Gegner, hauptsächlich die sozialistischen Staaten, zu deren Diskreditierung ja auch diese werteorientierte Kampagne ins Leben gerufen worden war.

In Diskussionen über die Vorgänge in der Welt stand immer seltener die sachliche Auseinandersetzung über die Hintergründe von Konflikten und die Interessen der daran Beteiligten im Mittelpunkt.

Immer häufiger wurden die politischen Auseinandersetzungen nur unter dem Aspekt der Menschenrechte betrachtet. Der Erkenntnisprozess wurde ersetzt durch die Suche nach Schuldigen. Moralismus nahm immer mehr den Platz der sachlichen Analyse ein.

Diese Veränderung erfasste nicht nur die Diskussionen um politische Themen. Gelang es schon nicht, die Welt friedlicher zu machen, so sollten doch wenigstens die zwischenmenschlichen Beziehungen „friedfertiger“, werteorientierter werden. Konflikte sollten tunlichst vermieden werden. Unterschiedliche Ansichten und Interessen wurden nicht mehr offen angesprochen, sondern unter dem unausgesprochenen Gebot einer seichten Friedfertigkeit, das die Gesellschaft immer mehr durchdrang, wegmoderiert. Friede war nicht mehr Ausdruck von beigelegten Konflikten, sondern von vermiedenen, unterdrückten.

Nabelschau, Befindlichkeit und Betroffenheit waren Trumpf. In der um sich greifenden Selbstbezogenheit ging die Offenheit für die Bedürfnisse und Ansichten anderer Menschen immer mehr verloren. Angesichts dessen wurde das gesellschaftliche Klima gereizter. Um das nicht allzu offensichtlich werden zu lassen, verschwanden Konflikte, Auseinandersetzungen, Widerspruch und klare Worte aus der öffentlichen Diskussion, besonders der Medien. Das war die Nährlösung, in der sich feinfühlige Intellektuelle wohlfühlten, weniger aber proletarisch geprägte Gruppen der Gesellschaft.

Diese verschwanden immer mehr aus der Diskussion in den Medien, fanden kein Gehör mehr und meldeten sich deshalb auch immer weniger zu Wort. Öffentliche Diskussion und Teilhabe an der gesellschaftlichen Gestaltung wurden ihnen immer gleichgültiger. Die proletarisch geprägten Kreise fühlten sich nicht mehr dazugehörig, übergangen und an den Rand gedrängt.

Sprache, die nicht angreifbar war, weil weitgehend inhaltsleer, wurde zum Herrschaftsinstrument der Intellektuellen. Zunehmend bestimmten sie die öffentliche Debatte, legten Sprachregelungen fest, erklärten, was gesagt werden durfte und was nicht. Meinungsfreiheit war verkommen zur Freiheit der Meinungsmacher, zur Manipulation. Nicht mehr inhaltliche Aussagekraft war entscheidend in den Diskussionen, sondern die formal korrekte Ausdrucksweise, durchgegendert und minderheitenneutral.

Intellektuelle bestimmen als gesellschaftliche Minderheit die öffentliche Meinung bis heute. Sie haben in Politik, Medien und Kultur die führenden Positionen eingenommen und setzen damit die Themen, Ansichten, Theorien, Meinungen und Sprachregelungen. Sie geben der gesellschaftlichen Mehrheit zu verstehen, welche Themen tabu sind und wie bei den nicht tabuisierten gedacht werden sollte. Das geschieht nicht durch Verbot, sondern durch den Aufschrei der Empörung.

Im Kesseltreiben von Unsachlichkeit und Emotionalisierung werden Andersdenkende mundtot gemacht. Laut einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach waren annähernd zwei Drittel der Bürger in Deutschland überzeugt, „man müsse heute sehr aufpassen, zu welchen Themen man sich wie äußert“ (1).

Das ist der Befund einer Gesellschaft, deren politische und intellektuelle Führung sich berufen wähnt, andere in Sachen Meinungsfreiheit zu missionieren.

Die neue Elite

Elite braucht das Gefühl und Selbstverständnis von Überlegenheit. Dieses Bewusstsein entwickelt, wer sich durch besondere Leistungen oder Fähigkeiten glaubt von der Masse abzuheben oder über sie erheben zu können. Heute bildet sich dieses Selbstverständnis im Kampf für „das Gute“ im Allgemeinen, im Besonderen für Minderheiten, für die Schwachen, die sich selbst nicht helfen können oder von denen man das annimmt, wie zum Beispiel Tiere oder die Umwelt und der gesamte Planet.

Die neue Elite ist werteorientiert und definiert sich darüber. Auch wenn fast jeder etwas anderes darunter versteht und die Einhaltung der Werte so interpretiert, wie sie den eigenen Interessen und dem eigenen Lebensstil gerade recht kommen. Diese Elite setzt sich in erster Linie zusammen aus dem städtischen intellektuellen Milieu, meist akademisch gebildet. Sie gibt sich aufgeschlossen, weltoffen und liberal und betrachtet sich eher als links, was immer das auch sein mag. Trotz dieser vermeintlich linken Orientierung ist man aber staatstragend, macht sich stark für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in dem Sinne, wie der Westen beides versteht.

Hier soll nicht bestritten werden, dass viele es ernst meinen mit den Werten, für die sie sich stark machen. Es kann aber auch nicht übersehen werden, dass diese Werte mittlerweile zunehmend der Aus- und Abgrenzung dienen. Bio-Produkte, die von Discountern wie Aldi angeboten werden, werden von dieser Öko-Gemeinde nicht anerkannt mit dem Vorwurf, dass hier aus reiner Profitgier Bioprodukte verramscht werden.

Strom, Flüge, Fleisch, Treibstoffe sollen teurer werden, damit durch die höheren Preise die Ressourcen geschont werden. Höhere Preise bedeuten aber auch, dass viele vom Genuss dieser Waren und Angebote ausgeschlossen sind. Nachhaltigkeit ist die neue Forderung, und Nachhaltigkeit hat ihren Preis. Nachhaltigkeit muss man sich leisten können, und die neue Elite kann es.

Ähnlich selektiv wird nicht nur mit den materiellen, sondern auch mit den ideellen Werten umgegangen. Auch die Menschenrechte, ein Markenkern der neuen Elite, scheinen nicht für alle gleich zu gelten.

Der Jugoslawien-Krieg, der unter der Mitverantwortung der Grünen als humanitäre Intervention geführt wurde, achtete nicht die Menschenrechte derer, die Opfer der westlichen Bombardements wurden.

Hatten sie kein Recht auf Leben und Unversehrtheit? Oder sind das die Opfer, die für die Werte gebracht werden müssen?

In Libyen opferte man die Menschenrechte der Einwohner von Tripolis mit Zustimmung der Kämpfer für die Menschenrechte. In Syrien forderte die Grüne Göring-Eckert den Einsatz deutscher Soldaten zum Schutz der Jesiden. Das ist löblich, aber trägt sie selbst die Opfer ihrer humanitären Intervention oder mutet sie diese ungefragt anderen zu? Man gefällt sich in der Arbeitsteilung, dass die Werte-Orientierten die Opfer fordern, die andere erbringen sollen.

In der Falle

Die neue Elite hat mit ihrer Werteorientierung und der damit verbundenen moralischen Empörung die sachliche Analyse und das Ringen um Erkenntnis an den Rand der gesellschaftlichen Diskussion gedrängt. So erklärt denn auch deren neues Idol, die Klima-Aktivistin Greta Thunberg, eine Sechzehnjährige, die sachliche Auseinandersetzung für überholt. Sie will, wie sie selbst sagt, die Verantwortlichen und Erwachsenen in Panik versetzen. Und viele dieser Erwachsenen und Verantwortlichen haben anscheinend nichts Besseres zu tun, als sich von einer Sechzehnjährigen in die Kopflosigkeit führen zu lassen.

Seit Wochen beteiligen sich freitags Gretas Anhänger in vielen europäischen Städten an Demonstrationen auf Straßen und Plätzen statt am Unterricht in den Schulen. Dass junge Menschen für eine bessere Welt eintreten, ist normal, ja sogar richtig. Denn sie setzen sich ein für die Welt, in der sie einmal leben sollen.

Aber an dieser Situation wird zweierlei deutlich: einerseits der elitäre Charakter dieser Bewegung, denn es sind die Oberschüler und Gymnasiasten, die die Bewegung tragen. Die Schüler der unteren Schulen beteiligen sich nicht, und es ist auch nicht erkennbar, dass man sich um deren Teilnahme bemüht oder darauf Wert legt.

Andererseits offenbart sich die Hilflosigkeit von Erwachsenen und Verantwortlichen. Sie sind Geiseln ihrer eigenen Werteorientierung geworden. Denn wie wollen sie an Vernunft, Besonnenheit und Sachlichkeit appellieren, wenn sie selbst immer wieder die Bedeutung der höheren Werte in den Vordergrund gestellt und als Messlatte ihres Handelns und des Handels anderer vorgegeben haben? Vernunft, Besonnenheit und Sachlichkeit sind Haltungen und Fähigkeiten, die ihnen selbst zum großen Teil abhandengekommen zu sein scheinen.

Das Bild der Werteorientierung haben Medien und Politik, aber auch Schulen und Lehrer den Bürgern und der Jugend vermittelt. Nun nehmen die Jugendlichen sie beim Wort und bringen sie dadurch in Bedrängnis. Denn Erwachsene und Verantwortliche wissen nicht, wie sie mit dem Protest umgehen sollen. Wenn sie ihn unterstützen, leisten sie der Überschreitung von Regeln und gerade jener Rechtsstaatlichkeit Vorschub, die sie doch immer so hochhalten. Zudem wissen Eltern, gerade die des bildungsnahen intellektuellen Milieus, dass mit dem Unterrichtsausfall auch Konsequenzen für die Karriereaussichten entstehen können.

Andererseits aber fürchten sie die Vorwürfe und Empörung ihrer Kinder, deren Freunde sie doch sein wollen, coole Eltern statt autoritäre Spießer. In den meisten Fällen besteht ja auch die Vorstellung von Erziehung als einer gemeinsam getroffenen Entscheidung zwischen Eltern und Kindern. Denn die neue Elite ist konfliktscheu und meidet Entscheidungen, für die sie Verantwortung tragen müsste, besonders in der Erziehung.

Wieso gewinnen die Grünen?

Während die etablierten Parteien bei der Europawahl ordentlich Federn lassen mussten, gewannen die Grünen. Sind nun die Deutschen auf einmal zu Umwelt- und Klimaschützern geworden? Sicherlich wollen viele Wähler den Planeten retten, dessen Untergang die Klima-Aktivisten an die Wand malen. Auch sie sind von der Panik ergriffen, in die Greta Thunberg und ihre Jünger die Menschen versetzen.

Angst ist mittlerweile zum bestimmenden Gefühl in Deutschland geworden. Erst machten ihnen die Flüchtlinge Angst, nun ist es die Umwelt-Apokalypse.

Besonnene Stimmen, die zu sachlichem Umgang mit den Themen mahnen und andere Sichtweisen anbieten, dringen bei Medien und Politik kaum noch durch. So entsteht der Eindruck in der Öffentlichkeit, dass die Bedrohung real ist, dass es keine Zweifel und anderen Ansichten dazu gibt. Wer Zweifel äußert, kann nicht ernstgenommen werden und andere Ansichten werden als unwissenschaftlich abgetan. Und da scheinbar alle so denken, wie die Medien den Eindruck vermitteln, traut sich auch kaum jemand, Bedenken zu äußern. Um nicht als Außenseiter zu gelten, laufen viele mit im Zug der Klimakatastrophen-Lemminge.

Es ist deshalb fraglich, ob die meisten derer, die die Grünen wählten, es aus Überzeugung taten oder weil sie nicht eher auf der richtigen Seite stehen wollen. Wollen sie vielleicht nur unangreifbar sein und nicht unter Rechtfertigungsdruck stehen? „Klima wird zur Spaltfrage der Gesellschaft“ (2), so aufgeheizt scheint die Stimmung mittlerweile. Da will sich niemand im Auge des Orkans der Vorwürfe und Kritik wiederfinden, der sich solchen Auseinandersetzungen nicht gewachsen fühlt.

Denn da die Medien, aber auch große Teile der Politik inzwischen in den Chor der Klimakatastrophe einstimmen, fehlen den meisten Menschen die notwendigen Argumente, Fakten und Ansichten, um sich ein klareres und ruhigeres Bild von der Lage machen zu können. Den Zweifelnden fehlen die Grundlagen, um sich mit den Klima-Apokalyptikern auseinanderzusetzen, denn auch die alten Volksparteien, die bisher meinungsbildend waren, können keine Orientierung mehr geben.

Einerseits sind sie konfrontiert mit einer Offensive der Meinungsmache der Medien, hauptsächlich aus dem Internet, getragen von Empörung und Eifer der meist jugendlichen Klima-Aktivisten, der sie nichts entgegenzusetzen haben. Andererseits aber ist die Politik auch aufgrund der vielen unterschiedlichen Interessen gelähmt, die in der Klima-Diskussion aufeinandertreffen und berücksichtigt sein wollen.

Aber hauptsächlich werden CDU und SPD Opfer ihrer vorgeblichen Werteorientierung, die sie seit Jahren als die Grundlagen ihrer Politik und westlicher Politik allgemein erklärt haben. Aber in Wirklichkeit gibt in der Gesellschaft keine gemeinsamen Werte mehr, denen sich alle gesellschaftlichen und politischen Kräfte verpflichtet fühlen und derentwillen sie die eigenen Interessen hintan zu stellen bereit sind. Es gibt nur noch Interessen, die sich hinter den Werten verstecken.

Die alten Volksparteien verlieren immer mehr den Zugriff auf die Bevölkerung. Im Gegensatz zu den Grünen fehlen ihnen die Themen, mit denen sie die Bevölkerung an sich binden können. Und bei Themen, die den Menschen unter den Nägeln brennen, wie beispielsweise der Wohnungsnot, können sie keine Lösungen anbieten, ohne mit mächtigen Interessengruppen in Konflikt zu geraten beziehungsweise an die Grenzen der Rechtsordnung zu stoßen.

Die Grünen stehen in den Augen derer gut da, für die die ökologischen Themen Vorrang haben. Sie setzen die Schwerpunkte der Klimadiskussion, stellen die Forderungen auf und setzen die Regierung unter Druck, Lösungen anzubieten. Die Aktivisten der Fridays-for-Future-Bewegung verdeutlichen diese Erwartungshaltung sehr treffend: „#FFFfordert: Wir haben gesprochen, jetzt müsst ihr handeln!“ (3). Das ist natürlich eine sehr komfortable Situation, die die Klima-Aktivisten als diejenigen dastehen lassen, die sich um die Welt sorgen, und die Regierung als unfähig oder unwillig.

Aber statt die Klima-Bewegung mit ihrer Anspruchshaltung, den Widersprüchen ihrer Ansichten und Theorien sowie den Ungereimtheiten zwischen eigenen Erwartungen und eigenem Konsumverhalten zu konfrontieren, gehen SPD und CDU vor ihnen in die Knie. Statt die Angst erzeugenden Zukunftsszenarien aus Computermodellen und Projektionen mit der Wirklichkeit zu konfrontieren, versuchen die Altparteien, sich als die besseren Klima-Schützer darzustellen. Sie sind nicht in der Lage, die weitgehend von Emotionen und Vermutungen getriebene Sichtweise der Klima-Bewegung durch die Kraft der Argumente und eine auf Fakten gestützte Argumentation zu entzaubern.

SPD und CDU haben kein Personal mehr, das überzeugend die Auseinandersetzung mit den Empörten aufnehmen könnte, denn sie sind selbst mittlerweile geprägt von dem intellektuellen Milieu, dem diese Politik und deren Weltbild entspringt. Beides entspricht aber nicht der Lebenswirklichkeit des überwiegenden Teils der Bevölkerung.

Auf der anderen Seite

Dieser Teil der Bevölkerung orientiert sich anders. Erscheinungen wie der Brexit, die überraschende und unerwartete Wahl Trumps, aber auch die Revolte der Gelbwesten sind deren Reaktionen auf den Zustand der Gesellschaft. Es geht dabei nicht nur um soziale Themen der Existenzsicherung und -bedrohung. Auch die Frage der Zuwanderung spielt darin nicht die Rolle, die man in den Medien darin zu sehen glaubt und vermittelt.

Hier verschaffen sich gesellschaftliche Gruppen wieder Gehör — und zwar in ihrer Sprache, der Sprache der einfachen Leute — die in den letzten Jahren zunehmend aus der öffentlichen Diskussion hinausgedrängt wurden und sich aus dieser verabschiedet haben.

Es handelt sich — neben all den sozialen Aspekten — auch um eine Revolte der eher proletarisch geprägten Schichten gegen die Vorherrschaft der intellektuellen Kreise, gegen deren Themensetzung, deren Diskussionsstil, deren gesellschaftliches Selbstverständnis.

Die Anhänger Trumps und Farrages führen diesen Kampf nicht selbst, sondern lassen ihn stellvertretend für sich und in ihrem Interessen führen von Leuten, die wie Trump selbst der herrschenden Klasse angehören. Doch diese sprechen wie Trump die Sprache der einfachen Leute und treten auf als die Volkstribune, die sich für den amerikanischen Arbeiter einsetzen oder wie Farrage für die Arbeiter der verödeten Städte in den englischen Midlands. Vielleicht verstehen sie sich sogar tatsächlich so.

Nur die Gelbwesten in Frankreich haben sich lieber auf die eigenen Kräfte verlassen. Aber in beiden Fällen geht es darum, dass diese Gruppen, die einfachen Leute, wieder die gesellschaftliche Bedeutung einfordern, die ihnen aufgrund ihrer wichtigen Stellung in der Produktion und Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Gesellschaft zusteht.


Quellen und Anmerkungen:

(1) FAZ vom 23.5.2019: Grenzen der Freiheit.
(2) FAZ vom 7.6.2019: Kramp-Karrenbauer: Klima wird zur Spaltfrage der Gesellschaft
(3) https://fridaysforfuture.de/ffffordert/


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