Zwischenmenschlicher Klimawandel

Der Rapper Courtier bringt mit seinem neuen Track „System Change“ die Klimadebatte auf eine psychologische Ebene.

Der Geist formt die Materie. Daraus folgt, dass das Außen stets eine Projektion unseres Inneren, unseres Seelenzustands ist. Da wir auf einem Planeten leben, dessen Oberfläche mit Zement und Beton überzogen ist – die größten CO2-Emittenten nach dem Militär –, lässt dies bezüglich unserer seelischen Verfassung tief blicken. Seit mehr als einem Jahr vollzieht sich eine Entwicklung, die unsere Gesellschaft tief spaltet. Unerbittlich und mit den härtesten  Verbalgeschützen wird gestritten. Gute Greta oder böse Greta? Gutes CO2 oder böses CO2? Notwendige Klimarettung oder sozialistische Ökodiktatur? Natürlicher oder menschengemachter Klimawandel? Während nun landauf landab Uneinigkeit darüber besteht, dürfte eine andere Form des Klimawandels unumstritten sein: jener auf der zwischenmenschlichen Ebene. In diesem Bereich sind wir heillos verpestet. Durch Traumatisierungen, die wir uns wechselseitig zufügen, und durch Empathiemangel entstehen innere Defizite, die wir durch materielle Ersatzbefriedigungen kompensieren. Und genau dies ist die Wurzel des Übels, das unseren Planeten – mit oder ohne CO2 – für uns Menschen zunehmend unbewohnbar macht. Diese Botschaft hat der 23-jährige Rapper Courtier auf seiner neuen Single „System Change“ auf einen Beat gepackt. Die Rubikon-Jugendredaktion interviewte ihn zu diesem Track.

Nicolas Riedl: Voriges Jahr hat der WDR-Kinderchor kurzerhand alle Omas – wenn auch unter dem Deckmantel der Satire – zu Umweltsäuen erklärt und damit die tiefe Gesellschaftsspaltung in der Ökologiefrage weiter vertieft. Du schlägst mit deiner Musik, im speziellen mit deinem neuen Track „System Change“, einen ganz anderen Weg ein und versuchst die Menschen wieder zu vereinigen. Was ist deiner Meinung nach der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich beispielsweise Fridays-for-Future-AktivistInnen und Menschen, die das Klimanarrativ skeptisch betrachten, einigen können?

Courtier: Ich glaube, dass wir als Menschen die Aufgabe haben, den Schaden, den wir auf Erden hinterlassen haben, wieder zu beheben. Oder anders, dass wir die Aufgabe haben, die Verantwortung für diesen Planeten zu übernehmen und ihn wieder zu einer Heimat allen Lebens gedeihen zu lassen. Wir haben einen Generationenkonflikt — einen Spalt zwischen Jung und Alt. Und es ist wichtig, dass wir diesen erkennen. Die junge Generation erlebt seit jeher eine Diskriminierung und diese gilt es anzugehen. Dafür braucht es erst mal Bewusstsein, auch von der älteren Generation.

Wir dürfen als junge Menschen aber auch nicht unsere ganze Wut auf die Vorgängergeneration projizieren. Ja, sie haben uns keine Welt der Fülle hinterlassen. Ja, sie haben oftmals nur an sich selbst gedacht. Aber ich denke, dass war eben auch der Zeitgeist.

Oder eine Zeitspanne in der Menschheitsgeschichte, in der wir Menschen dem Materialismus verfallen mussten, um in Kontakt mit unserem Ego und mit unseren Schattenseiten zu kommen. Aber ich denke diese Zeit ist jetzt vorbei. Ich denke, dass jetzt das Zeitalter der Kooperation, des sich wieder Verbindens kommt. Und da braucht es alle Generationen.

Für mich ist der Klimawandel das Thema, das viele hat aufwachen lassen. Und das ist ganz wundervoll. Jetzt kommt es wirklich auf die junge Generation an, ob sie es schafft, einen echten inneren Klimawandel zu vollziehen — aus dem Mangel in eine Fülle zu kommen. Um diesen Schritt zu gehen, brauchen wir alle Generationen. Wir brauchen die Weisheit der Alten und die Kraft der Jungen, um gemeinsam eine gesunde Zukunft zu erbauen. Es geht nur gemeinsam. Aber es geht auch nur auf Augenhöhe. Und deswegen ist es sehr wichtig, den Spalt zwischen den Generationen zu erkennen und ihn bewusst zu beheben. Mit Respekt für die jeweils andere Generation. So können wir einen Krieg zwischen den Generationen verhindern. Und wir können gemeinsam eine andere Welt aufbauen. Und ich glaube, dieser Wunsch nach einer gemeinsamen Zukunft verbindetJung und Alt. 

 
In der ganzen Debatte wird immer nur vom Klima und von CO2 gesprochen. Aber ist das Grundproblem gelöst, wenn wir einfach „nur“ das CO2 reduzieren und die Erderwärmung unterhalb eines bestimmten Grades halten können? Oder reicht die Wurzel dieses Übels noch viel tiefer? Gar in unser Inneres?

Wir Menschen leiden an einer geistigen Krankheit. Ich nenne diese das Empathiedefizitsyndrom, kurz EDS. Wir wissen heute alles über unsere Auswirkungen auf diesen Planeten. Aber wir fühlen kaum, was dieses Wissen wirklich bedeutet. Und unsere Handlungen zeigen, dass wir dieses Wissen auch nicht wirklich verstanden und verinnerlicht haben.

Wir haben uns in den vergangenen Jahrhunderten stark vom Fühlen unserer Impulse und unserer inneren Welt entfremdet. Wir haben die Sicherheit der Intuition verloren. Wir haben in dem gescheiterten Experiment Schule das Vertrauen in die Gemeinschaft verloren und sind zu EinzelkämpferInnen geworden.

Wir haben einen Mangel an Liebe und Intimität erleben müssen. Das hat uns bedürftig und zu perfekten Konsumenten gemacht. Wir haben verlernt, aus freiem Herzen zu vertrauen und zu lieben. Wir haben so viele Ideale und Erkenntnisse der vergangenen Jahrtausende verloren. Wir haben uns selbst verloren. Und all das zeigt sich jetzt in dem Erleben einer Angst vor dem Klimawandel.

Ja, dass die Erde wärmer wird, hat auch etwas damit zu tun, dass es zwischen uns kalt geworden ist. Und wir sollten schleunigst daran arbeiten, die Wärme wieder zwischen uns zu holen. Wir sollten uns selbst ermächtigen, Menschen des Wandels zu sein. Solange wir dieses EDS nicht überwinden und keinen echten inneren Klimawandel vollziehen, wird es auch im Außen keinen Wandel geben. 

Ich glaube, dass die Zeiten vorbei sind, in denen wir auf die Politik hoffen können. Ich glaube, solange wir nicht beginnen uns selbst zu ändern, geben wir nur die Verantwortung für die Veränderung ab. Doch da liegt auch der Schlüssel zu Unglaublichem. Wenn ich vertraue, dass alle Menschen — die momentan aufwachen — auch daran arbeiten, ihr EDS zu überwinden und wieder anfangen wirklich zu fühlen, dann werden entsprechende Handlungen folgen. Demnach wird auch die Realität dann eine andere sein. Dafür müssen wir nur erkennen, dass wir schon heute eine andere Welt aufbauen können und dafür keine Erlaubnis von irgendjemand brauchen. Wir sollten uns als Menschen von unseren „FührerInnen” emanzipieren. 

In deiner neuen Single skizzierst du das Bild eines Klimawandels, einer Erwärmung, die sich in der Atmosphäre vollzieht, da sie zwischen den Menschen – wo sie naturnotwendig vorhanden sein müsste – nicht mehr oder kaum noch existiert. Soll konkret heißen, dass der Mangel an zwischenmenschlicher Wärme durch Ersatzbefriedigung — Konsum — respektive durch eine Ersatz- oder Pseudowärme kompensiert werden muss und die Produktion dieser Konsumgüter wiederum Ursache der Klimaerwärmung ist. Wie lauten deiner Meinung nach die ersten Schritte, um die Wärme wieder dorthin fließen zu lassen, wo sie notwendig ist?

Wir sollten wieder Gemeinschaften kreieren und Momente, in denen wir die Wärme der Gemeinschaft spüren. Wir sollten die Sicherheit wieder vermehrt in einem gesunden Miteinander suchen und nicht in materiellen Dingen oder dem Egoismus. Wir sollten lernen, gesunde Kreise zu bilden, in denen keine Hierarchien mehr bestehen. Wir sollten zu selbstbestimmten, freien Menschen werden, die sich aus freien Stücken in einer Gemeinschaft begegnen. Und dort sollten wir unser gesamtes Potenzial teilen.

Wir sollten unsere Talente verbinden und magische, unglaubliche Taten vollbringen. Wir sollten gemeinsam lernen, Unmögliches möglich zu machen und eine neue Welt aufzubauen. So eine Welt, von der wir alle träumen und in der sich jeder zu Hause fühlt.
Die ersten Schritte dafür kann jeder Mensch selbst gehen. Wir sollten uns unsere Traumata anschauen, unsere Verletzungen und unsere Geschichten, die davon erzählen, dass wir uns nur auf uns selbst verlassen können. Wir sollten sie als Geschichten enttarnen und dann beginnen, neue Geschichten zu erzählen und zu erleben.

Wir sollten uns Referenzmomente kreieren, in denen wir der Gemeinschaft wieder vertrauen können. In denen wir uns in einer Gemeinschaft fallen lassen können.
Ich glaube wirklich, dass der Schlüssel für eine gesunde Zukunft der Menschheit in der Gemeinschaft und im Miteinanderteilen liegt. Das ist etwas, was uns in dieser EDS-Wüste in der wir leben, kaum beigebracht wird. Wir sollten unsere Masken ablegen und uns mit Verletzlichkeit verbinden: Vertrauen, Verbinden, Verantworten. Und das tun wir nicht aus dem Mangel heraus, sondern aus der Fülle. 

Es ist stark davon auszugehen, dass das Klima in der äußeren Atmosphäre in absehbarer Zeit kippen wird. Heftige, neuartige Ökokatastrophen wären die Folge. Wie lautet deine Einschätzung, inwieweit solche Ereignisse sich auf das innere Klima zwischen den Menschen auswirkt? Wird es sie in der Not solidarisch zusammenschweißen oder im Kampf um das nackte Überleben noch weiter entzweien?

Jede Katastrophe birgt ihre heimlichen Wunder. Ich glaube, dass wir als Menschheit durch solche Aufgaben enorm reifen können, so wie jeder Mensch in seinen Krisen am meisten reift. Das Wichtige ist, dass wir den kommenden Herausforderungen mit Achtsamkeit begegnen. Wenn wir jetzt lernen, in einer anderen Welt — einer Welt der Fülle zu leben — dann können wir auch Krisenzeiten solidarisch überstehen.

Vielleicht könnte man solche Katastrophen auch als Prüfung sehen. Wenn wir Menschen einer solchen globalen Herausforderung mit dem Egoismus begegnen, dass jeder nur an sich und sein persönliches Überleben denkt, dann könnte es wahrlich schwer werden für die Zukunft der Menschheit.

Wenn wir aber die Größe haben, in den schwierigsten Momenten zu teilen, zu vertrauen und uns zu verbinden, dann könnte es nach einer solchen Katastrophe wirklich anders weiter gehen. Weil wir gelernt haben, dass es in der Gemeinschaft — anders als vielleicht gedacht — immer einfacher geht, wenn man auf einer Wellenlänge schwingt, auf demselben Flow.

Ich nenne das dann gerne Flowtopia. Das ist jener Geisteszustand, in dem man gemeinsam aus der Fülle heraus kreiert. Und das ist eine Entscheidung, die wir jeden Moment neu treffen können: Will ich im Sumpf, im Gegeneinander oder in Flowtopia leben? Will ich weiterhin in der tauben EDS-Wüste und abgetrennt von meinen Gefühlen leben oder will ich ein Leben in Fülle und in Ganzheitlichkeit führen? Ich habe die freie Wahl. Und ich glaube, dass diese freie Wahl enorm wichtig ist. Diese freie Wahl wird darüber entscheiden, ob der Mensch bereit ist für Flowtopia oder nicht. 

Deine Single ist sehr melodisch, aber im engeren Sinne immer noch Rap. Historisch gesehen war der Rap seit seiner Existenz eine Musikform der Unterdrückten. Wie beurteilst du die Rolle des Deutschrap innerhalb der Jugendbewegung? Ein Blick auf die führenden Deutschrap-Spotify-Playlisten legt ja eher den Eindruck nahe, dass Deutschrap dieser Tage ausschließlich Götzendienst am Materialismus verrichtet, Markennamen sowie Designerdrogen glorifiziert und „Werte“ nur noch als Ziffern auf Preisschildern verstanden werden. Damit wird ja genau der Klimawandel in der Atmosphäre befeuert und das zwischenmenschliche Gefüge noch weiter unterkühlt.

Ich bin in der Tat ziemlich enttäuscht vom Großteil der prägenden KünstlerInnen unserer Zeit. Für mich sind das eher Geschäftsleute, die versuchen die Kunst für ihre Geschäfte zu missbrauchen. Aus irgendeinem Grund scheinen viele lieber in der vorhandenen Welt gegeneinander zu konkurrieren, als gemeinsam eine Welt ohne Konkurrenz aufzubauen. Die moderne Kunst ist für mich zur billigen Unterhaltung der gelangweilten Konsumgesellschaft geworden. Aber auch das ist wieder ein Ausdruck unseres Seelenzustandes. Wenn ich keine Wärme in mir habe, kann ich ja auch nicht authentisch davon singen.

Mich macht es eben nur traurig, dass die KünstlerInnen das nicht durchschauen; dass sie sich und ihre Seele für Klicks und ein paar Scheine verkaufen, dass heute Kunst aus der Tiefe unserer Seele heraus kaum mehr stattfindet, weil es sich monetär nicht rentiert. Dabei sind vor allem sie es, die leichten Zugang hätten, von der freien Welt zu träumen und diese mit aufzubauen.

Ich bin als Künstler an der Zukunft der Menschheit interessiert und möchte mit meiner Kunst den allgemeinen Organismus unserer Gesellschaft mitgestalten. Ich bin als Künstler daran interessiert, Kunst zu machen, die mich wirklich bewegt. Ich möchte mit meiner Kunst meine Seeleneindrücke verarbeiten und was mir wichtig ist, mit der Welt teilen.

Wenn ich mir also die Themen und Gedanken meiner Zeitgenossen anschaue, dann erklärt das auch deren Seelenzustand. Wenn die vorherrschenden Themen Geld, Sex und Drogen sind, dann ist es kein Wunder, warum unsere Kultur so verkommen ist. Das sind eben Künstler der EDS -Wüste.

Den KünstlerInnen meiner Zeit wünsche ich, dass sie sich aus diesem geistigen Gefängnis befreien und nach Flowtopia in die Welt der Fülle kommen.

Denn Kunst in einer Welt des Mangels zu gestalten, bedeutet immer Abhängigkeit und Unfreiheit. Und das mag eigentlich kein Künstler lange erleben. Wir könnten eigentlich Pioniere sein und die Menschen inspirieren, sich selbst zu entfalten und auszuleben. Dafür müssten wir aber frei werden von jeglichen materiellen Interessen und unsere Kunst für sich sprechen lassen. 

Wie ist das eigentlich, wenn man ein Rapvideo im Hambacher Forst und Tagebau dreht? Wie reagieren die Hambi-AktivistInnen darauf? Und ist der RWE-Werkschutz nicht aufgelaufen, als ihr da mit der Drohne zwischen den Kränen umhergeflogen seid?

Also wir haben ja auf Einladung der Hambi-AktivistIinnen gedreht. Die sind dort wirklich dran, eine andere Welt aufzubauen, leben da das ganze Jahr über in Baumhäusern. Das muss man sich echt mal anschauen. Also ich würde jedem mal raten, dort vorbeizugehen und eine Weile mit denen zu leben. Die machen wirklich System Change. Da entsteht ganz viel, was dann als Innovation zu uns in die Gesellschaft schwappt. Die sind auch am inneren Klimawandel dran, weil du bei einem solchen Aktivismus wirklich auf alle angewiesen bist. Da braucht es wirklich verantwortliche Menschen, weil sonst das gesamte Anliegen scheitert.

Was ich vor allem beeindruckend fand, die waren alle sehr unterschiedlich und haben sich trotzdem auf gemeinsame Regeln geeinigt, die die Freiheit eines jeden ermöglicht haben. Die haben von niemandem verlangt, so zu werden wie sie. Sondern jeder kann so sein, wie er ist. Das ist ein großer Wert an Freiheit, den ich dort finden konnte. Und zum Werkschutz, ja der kommt sofort, wenn man dort dreht. Aber die Drohne haben die nicht so schnell entdeckt, wie uns, als wir uns nachts für die Aktion vorbereitet haben. Die AktivistInnen vor Ort sprechen von der Grube wie von Mordor aus Herr der Ringe. Und wenn man dort steht und sich das anschaut, dann ist das wirklich ein guter Vergleich. 

Du bewegst dich ja öfters im Fridays-for-Future-Umfeld. Wie beurteilst du das „Mindset“ dieser jungen Menschen im Hinblick auf die Bereitschaft, die Spaltung entlang unterschiedlicher Trennlinien zu überwinden?

Die jungen Menschen bewegt gerade vor allem eines, und das ist ihre Zukunft. Da draußen gibt es sehr viele Schwarze Karten. So nenne ich all diese Probleme, die wie blinde Flecken vor der Menschheit liegen. Doch jede Schwarze Karte hat auch ihren eigenen Beweggrund, also eine Lösung. Es liegt an uns, diese Schwarze Karten aufzuheben und zu weiterer Blindheit Stopp zu sagen. Und dann geht es darum, unser Anliegen, unsere Vision zu jeder Schwarzen Karte zu zeigen, den blinden Fleck zu transformieren in einen Zustand, der mehr unseren Herzen entspricht.

Ich glaube, dass die jungen Menschen bei FFF ganz unterschiedliche Schwarze Karten haben. Der gemeinsame Nenner mag momentan das Klima sein. Es geht den Menschen aber um viel mehr. Ich hoffe nur, dass jeder junge Mensch dort wirklich seine persönliche Schwarze Karte findet und sich überlegt, was er dieser Welt schenken möchte. Ich glaube, dass das Klimathema für viele ein Erweckungsmoment ist. Das damit die persönliche Reise zum eigenen Beweggrund beginnt. Ich würde der jungen Bewegung noch etwas Zeit geben. 

Bleiben wir bei Fridays for Future (FFF). Wie man in dem Video zu deiner Single sehen kann, stehst du häufig bei FFF auf den Bühnen. Die Energie der Masse ist ja immer ein sehr zweischneidiges Schwert. Sie kann einerseits Menschen verbinden, andererseits das Individuum zu Taten verleiten, die es alleine so nie begehen würde. Psychologen wie Gustave Le Bon haben ja schon vor langer Zeit herausgearbeitet, dass der Mensch sich in der Masse anders verhält. Siehst du in der ganzen Fridays-for-Future-Bewegung auch die Gefahr, dass andere Interessengruppen diese Jugendenergie zu ihren Gunsten in „falsche“ Bahnen lenken? Und falls ja, wie kann man das verhindern?

Also ich sehe in der Tat die Gefahr, dass der Wunsch der Jugend nach Veränderung missbraucht wird; dass irgendwelche Reformen und Gesetze entstehen, die nicht die Tiefe des Wandels unterstützen, sondern zu noch mehr Überwachung oder Kontrolle führen. Was dann wieder gegen eine Welt der freien Menschen wäre. Auch kann ich mir vorstellen, dass die Wirtschaft jetzt versucht, den Kapitalismus grün zu färben. Das ist aber alles nicht im Sinne dieses Jugendimpulses. Die Jugend schreit nach Wandel, nach echter Transformation, und da gibt es kein ewiges Wachstum der Wirtschaft mehr.

Generell sollten wir keine Zeit mehr in große Business Gedanken verschwenden. Wir brauchen alle Energie für den inneren Wandel und die Wir-Gruppen. Ich erhoffe mir von meiner Generation, dass wir extrem wachsam sind und uns immer auf unsere Impulse verlassen; dass wir die Sicherheit in der Gemeinschaft finden und es wirklich anders machen als unsere Vorgängergenerationen. Das bedeutet auch, dass wir achtsam sind vor all der Propaganda, die stets unsere Meinungen beeinflussen will. Und die gibt es ja von allen Seiten. Da braucht es das innere Bauchgefühl, um wirklich jene Quellen zu finden, die vertrauenswürdig sind. 

Du kannst natürlich nicht für die gesamte Fridays-for-Future-Bewegung sprechen, aber ich will dich dennoch fragen, ob du eine Vermutung hast, warum dort die größten CO2-Emittenten – das Militär, die Zementproduktion und die Landwirtschaft – nie oder kaum thematisiert werden?

Meiner Meinung nach liegt das daran, weil das Militär aus all den Untersuchungen bewusst rausgelassen wurde. Was würde passieren, wenn plötzlich die USA mit ihren weltweit 800 Militärbasen der größte Umweltsünder wäre. Was sie ja bereits sind. Aber was wäre, wenn das die ganze Welt wüsste. Dann würde man doch sofort fordern, das Militär infolge der Klimaprobleme abzuschaffen. Das wäre im Sinne einer freien Welt in Frieden hervorragend und absolut erstrebenswert. Aber das möchte ja die USA nicht. Und deswegen wird es eben nicht bekannt.

Ich glaube, wenn wir wirklich an der Umwelt interessiert sind, dann sollten wir radikal das Militär abschaffen, Biolandbau betreiben und zurück zu natürlichen Bauressourcen kommen. Das wäre für uns, die Erde und für das Klima zwischen uns sicherlich am besten.

Bei so ziemlicher jeder Fridays-for-Future-Veranstaltung gehören Parolen – die inhaltlich auch richtig sein mögen – zum festen Programmbestandteil. Nun liegt es bei Parolen in der Natur der Sache, dass eine große Menge an Individuen einen Slogan laut und häufig unreflektiert ausruft. Würdest du es für sinnvoll erachten, wenn man stattdessen einen Klimastreik mal so gestalten würde, dass alle TeilnehmerInnen einfach mal leise sind und meditieren?

Das ist eine wundervolle Idee! Ich glaube ohnehin, dass wir alles neu erfinden sollten oder zumindest neue Dinge ausprobieren. Die Jugend demonstriert jetzt seit über einem Jahr, und es ist bisher wenig passiert. Jetzt könnte man sich auch fragen, was könnten wir noch alles machen? Momentan stecken wir alle Energie hinein, damit andere Menschen das machen, was wir von ihnen wollen. Warum ermächtigen wir uns nicht selbst und machen, was wir von ihnen verlangen einfach selbst? Wer verbietet uns das denn? Vielleicht sollten wir uns in Wir-Gruppen treffen und einfach die Welt aufbauen, die wir haben wollen. Und dann auch meditieren ;)

Da wir beim Thema „Meditieren“ sind: Gerade im Alternativmedienbereich vertreten viele die Position, dass eine Veränderung nur möglich sei, indem man sich selber verändert. Inwieweit teilst du diese Sichtweise, und wie ist deiner Meinung nach das richtige Mischverhältnis zwischen der Arbeit im Inneren an sich selbst und dem Aktivismus im Außen?

Nachhaltiger Wandel beginnt im Innern. Ich glaube, dass wir eben gerade durch diesen Bewusstseinswandel die „Krevolution” gehen.

Wenn ich mich als Mensch frei gemacht habe und frei denke, dann kann ich eine neue Welt aufbauen. Um eine neue Welt ohne all die alten Vorurteile, Gedankenmuster und Rollen aufzubauen, muss ich erst im Geist frei werden.

Ich glaube, meditieren kann ein Weg sein, so frei zu werden. Doch ich glaube auch, dass wir in drei Ringen der Verantwortung leben: für uns selbst, für unser Umfeld und für alles, was wir nicht kennen. Und dafür tragen wir Verantwortung, weil wir es denken und geistig erfassen können. Wenn es uns gelingt, innerhalb all dieser Ringe zu handeln, dann kann der Wandel auf allen drei Ringen kommen. Und ich glaube wir brauchen diese Ganzheitlichkeit, wenn der Wandel nachhaltig sein soll. 

Benjamin Franklin soll gesagt haben: „Manche Menschen sterben mit 25 Jahren, aber werden erst mit 75 begraben.“ Dass wir in dieser widernatürlichen, grauen, bürokratischen Gesellschaft unser inneres Kind verlieren, ist ja keine Ausnahme, sondern die Regel. Ich kann mir vorstellen, dass viele Erwachsene Fridays-for-Future- und anderen Jugendaktivisten aus folgendem Grund so ablehnend gegenüberstehen. Sie erblicken dort das, was sie nie oder kaum in ihrem Leben hatten, sich aber immer sehnlichst gewünscht haben: Zusammenhalt, Empathie, Kontakt zur eigenen Gefühlswelt und diese gewisse Leichtigkeit, die in der Jugend mitschwingt. Können deiner Meinung nach Erwachsene auch im fortgeschrittenen Alter wieder mit ihrem inneren Kind in Kontakt treten?

Die meisten Erwachsenen haben vergessen, wie sich die Welt für einen jungen Menschen anfühlt. Als junger Mensch hat man noch ein offenes Herz und fühlt alles, sich und sein Umfeld zu jedem Moment. Der Fokus liegt im Jetzt. Weder Zukunft noch Vergangenheit haben ein großes Gewicht. Alles, was wir als junge Menschen erleben, erscheint uns in dem Moment als unveränderbar. Wir wissen noch nicht, wie wir unsere Welt selbst kreieren. Deswegen ist das Leben eigentlich ein steter Überlebenskampf: Wem können wir vertrauen?, Wer ist nett zu uns?. Wir bekommen heftige Stiche in der Seele bei Schelte, Mobbing und Streit. Wir denken, dass wir dann für alles die Schuld tragen. Wir identifizieren uns mit unserem Verhalten und wissen ja nicht, dass wir es später ändern können. Aus diesem Zustand heraus erleben wir die Welt. Und das ist für mich der Grund, warum diese Bewegung gerade von der Jugend ausgeht. Weil wir das noch fühlen. Weil wir unser Herz noch komplett offen haben. Und das ist eigentlich auch gut so.

Denn eigentlich sollte das Herz immer offen bleiben. Ich glaube, viele Erwachsene haben das vergessen. Deswegen verstehen sie nicht, wenn die jungen Menschen in der Schule leiden und endlich in der Welt wirken wollen. Sie halten die Schmerzen in der Seele nicht aus. Jedenfalls war das bei mir so und vielen meiner Freunde. Wir nennen das Weltschmerz. Doch das ist wunderbar. Damit beginnt die Heilung vom EDS, indem wir diesen Schmerz wieder zulassen und das Herz wieder öffnen, eben das innere Kind in uns wiederbeleben und auf die Suche gehen nach Liebe, Vertrauen und Geborgenheit. Das ist, glaube ich, der spannende Prozess, der vor uns liegt, wenn wir das System in uns wirklich wandeln wollen. 

Ich danke dir für das Interview!