Zurück im „Ost-Modus“
Ein freier Theatermacher erzählt von seinen Erfahrungen in der DDR und im Westen.
Alexander heißt eigentlich nicht Alexander. Am Anfang, meint er, habe er sich überlegt, ob wir offen miteinander sprechen sollten. Mit vollem Namen. Und Ortsangaben. Aber das wäre wahrscheinlich nicht gut. Alexander hat ziemlich viel hinter sich. Das, was viele kennen: Framing, Anfeindungen, Intrigen. Alexander ist freier Theatermacher. Als solcher weigert er sich, Sprache zu verhunzen und beim „Sprachtotalitarismus“ mitzumachen. Von „totalitaristischem Irrsinn“ hat er genug. Alexander wuchs in der DDR auf. Ein Beitrag zum Ost-und-West-Spezial.
Die Genderei ist für den freien Regisseur vor allem eines: ein Erkennungszeichen. Ein Erkennungszeichen für jene, die willig mitmachen. Beim Totalitarisieren einer Gesellschaft, die für ihn einst das Paradies war. Die bei ihm einst, wie er selbst sagt, euphorische Glücksgefühle ausgelöst hatte. Das ist 35 Jahre her. Vor 35 Jahren wurde Alexander endlich frei. War er endlich „drüben“. Kurz vor dem Mauerfall hatte er es endlich geschafft, abzuhauen.
Kurz vor dem Mauerbau kam Alexander irgendwo in einer ostdeutschen Provinz zur Welt. Grenzregion. Da waren Schüsse zu hören gewesen. Oft. Ziemlich oft. Sie hatten geschossen. Auf alles, was sich bewegte. Sie hätten auch auf Kinder geschossen. Auf kleine Kinder. Deswegen wurde Alexander eingeschärft: Da drüben, da darfst du auf keinen Fall spielen. Auf gar keinen Fall. Wenige Meter hinter dem Haus war Spielverbotszone gewesen.
Überhaupt — was nicht alles verboten gewesen war. Was er alles nicht gedurft hatte. Vieles hatte man als Kind in der DDR nicht gedurft. Vor allem hatte man nicht frei sprechen dürfen.
Vor der Einschulung hatten die Eltern dem Jungen eingebläut: Wenn du nach der Uhr gefragt wirst, nach der Uhr bei den Nachrichten, du musst sagen, da sind Striche zu sehen. Keine Punkte. In der Grundschule, erzählt Alexander, hatten sie dann wirklich gefragt. Ihn und die anderen Kinder. Was sie denn sähen, wenn die Uhr erscheint. Wenn die Nachrichten kommen. Ob sie Striche sähen. Oder Punkte. Alexander hatte die richtige Antwort gewusst. Wie die anderen auch.
Immerhin freier
Das System, sagt er zu mir, war „strunzdumm“ gewesen. Nicht so wie das System, das er später kennengelernt hatte. Das System im Westen. Im Grunde auch kein gutes System. Ein kapitalistisch verseuchtes System. Ein auf Konsum getrimmtes System, das Menschen ausbeutet und Natur zerstört. Aber ein deutlich intelligenteres System. So jedenfalls hat Alexander das von Anfang an empfunden. Und ein System mit sehr viel mehr Freiheiten.
Unter der Unfreiheit litt Alexander sehr. Er spricht gar von Traumatisierung durch den „totalitaristischen Irrsinn“. An jeder Ecke hatte man das hören können, meint er: „Halt dein Maul, sag bloß nichts.“ Alexander wollte nur weg. Früh schon hat er sich einfach nur danach gesehnt, wegzukommen. Im Kreis der Freunde, allesamt „Ostverächter“, wurde immer wieder davon gesprochen. Wie man das anstellen könnte. Mit Ballon. Oder über die grüne Grenze.
Ihm kam dann eine andere Idee. „Ich war ja künstlerisch begabt“, erzählt mir Alexander. Schauspieler werden. Als Schauspieler, wusste er, konnte man das Land verlassen. Gen Westen. Durch Gastspiele. Das wäre eine Möglichkeit.
Die tat sich ihm dann auch unerwartet auf: „Ich sah eine Annonce.“ Eine Schauspielschule suchte dezidiert männliche Bewerber: „Frauen, die Schauspielerin werden wollten, gab es genug.“ Alexander bewarb sich. Spielte vor. Und überzeugte auf Anhieb. Allerdings nur künstlerisch: Politisch hapere es bei ihm, wurde ihm gesagt. Erst mal hatte er sowieso zur Armee gemusst. Eineinhalb Jahre. Beim zweiten Anlauf bei einer anderen Schauspielschule klappte es dann.
Weiterhin alles eng
Endlich raus aus der Provinz. Endlich in der großen Stadt: „Ich hatte mir gedacht, dass ich nun der Engstirnigkeit entronnen wäre.“ Doch dem war nicht so. Auch hier, in der großen Stadt, war alles eng. Auch an der Schule war es eng. Alexander erlebte ein Paradox: „Wir sollten ja als Schauspieler unsere Seele frei zeigen.“ Doch wie sollte das gehen: sich emotional frei ausagieren. Auf der Bühne. Aber nichts sagen dürfen. Ständig Doppeldenk praktizieren müssen.
Am Ende des Studiums dann endlich: Die Mauer fiel. Kurz zuvor schon türmte Alexander über Ungarn und Österreich in den Westen Deutschland. Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit.
Endlich Freiheit. Alexander kostete jede Minute aus. Es war wie ein Rausch. Endlich alles sagen dürfen. Endlich nicht mehr in dieser ständigen Habachtstellung sein: Wer von denen, die da um mich sind, ist wohl Stasi-Spitzel?
Alexander hatte in der Nähe eines Stasi-Knasts gelebt. Das wären für ihn die beiden entscheidenden Gründe, erzählt er mir, nun, nach 35 Jahren im Westen, wieder abzuhauen: „Wenn es wieder Stasi-Knäste gäbe. Und die Grenzen wieder dicht wären.“
30 richtig gute Jahre. Dann kam Corona. „Ich hatte das am Anfang genossen, die Stille“, sagt Alexander. Viele hatten das so empfunden. Im freien Westen ist ja chronisch Stress angesagt. Reizüberflutung. Jagd. Nach diesem. Nach jenem. Diese Stille damals. Diese plötzliche Stille. Das hatte man tatsächlich ein paar Wochen lang genießen können. Dann sah Alexander: Der „Irrsinn“ ist zurück. Beziehungsweise: Er setzt sich rasant fort. Schon die Merkel-Regierung war für ihn unerträglich gewesen. Was da schon alles am Parlament vorbei entschieden wurde, sagt er. Er denkt an die Wirtschaftskrise und die Bankenrettung. Die Flüchtlingskrise. Nun also Corona.
Neuerlicher Irrsinn
In irgendwelchen Runden, die grundgesetzlich nicht vorgesehen sind, wurde wieder etwas ausgekungelt. Alexander sah, wie das System zu kippen begann. Das, was er geglaubt hatte, für immer hinter sich zu haben, schlich sich allmählich wieder heran. Mit Vehemenz begann der „Irrsinn“, in den Westen einzubrechen. Corona war nur der Anfang. Es folgte der Irrsinn rund um den Ukrainekrieg. Dann Israel. Die Flüchtlingskrise. Der wachsende Zwang zur Genderei. Und alles verbunden mit der immer aggressiveren Verhinderung des Diskurses.
„Ich bin wieder im Ostmodus“, sagt Alexander. Was bedeutet: Er passt wieder auf, was er sagt. Wem gegenüber er was äußert. Durchaus auch: was er auf die Bühne bringt. Es gibt radikale Stücke, die genau ausdrücken, was er empfindet. Was er erlebt. Auf was er im Grunde nur zu gerne aufmerksam machen würde. Doch wenn er das tut, dort, wo er Theater macht, das wäre dann wirklich der Garaus. Dann würden sie wohl wirklich kein Pardon mehr kennen.
Andeutungen gibt es. In jeder einzelnen Inszenierung. Wie damals. Es wird wieder angedeutet. Umschrieben. Es ist wieder nötig, zwischen den Zeilen zu lesen. Wieder ist auf strunzdumme Fragen bloß nicht das Falsche zu sagen.
„Striche“, lautet die richtige Antwort. Nicht: „Punkte“.
Eine Sache gibt es jedoch, da kennt Alexander keinerlei Kompromissbereitschaft. Gegendert wird nicht. Keine „Sternchen“. Keine „_Innen“. Oder was immer sonst. Da mag es Anträge geben, Förderanträge, auf so was ist ja auch er angewiesen, als freier Theatermacher, da kann es sein, dass so etwas gefordert wird. Da kann es sein, dass einem viel Kohle entgeht. Weil man sich den Sternchen verweigert. Den „_Innen“.
An dieser Stelle ist für Alexander die Grenze des Erträglichen erreicht. Lieber verzichtet er aufs Geld. Dann wird eben nicht mehr inszeniert. Zur Sprachverhunzung zwingen lässt er, der Liebhaber der Sprache, sich jedenfalls nicht. Darum auch unlängst die Intrigen. Ein ganzes Schauspielensemble, das er für eine Inszenierung zusammengestellt hatte, wandte sich gegen ihn. Gegen sein Beharren darauf: Gegendert wird nicht.
Alexander versuchte, seine Position zu erklären. Linguistisches Geschütz fuhr er auf. Alexander wies auf die Gefahren der Ideologisierung hin. Es nützte alles nichts. Sie hatten darauf beharrt: Es wird gegendert. Es muss gegendert werden. Wer nicht gendert, grenzt aus. Nichts half. Die Entzweiung war perfekt. Sie hatten dann die Inszenierung platzen lassen. Und weitere geplante Stücke dazu. Nach diesem Bruch musste Alexander im Kleinen noch mal von vorn anfangen.
Es ist nicht mehr wirklich gut im Westen. Dem einstigen Sehnsuchtsland. Aber es gibt Dinge, die Alexander Hoffnung machen. Bücher, die auf das verweisen, was sich gerade vollzieht: den neuerlichen Einzug des Totalitarismus. Es gibt selbst im Mainstream hin und wieder kritische Berichte. Gegen die Genderei. Vor allem auch die alternativen Medien machen Alexander Mut.
Noch bleibt er. Macht er auf seine Weise, subtil, auf das aufmerksam, was eigentlich in diesem Land nie mehr geschehen sollte. Freunde von ihm sind längst abgehauen. Alexander hat die Flucht im Hinterkopf. Er weiß, dass es vielleicht wieder Zeit werden könnte, zu gehen.
Noch sind die Grenzen offen. Noch gibt es keine Stasi-Knäste. Wie damals. Drüben. Doch wer weiß, wie lange noch.