Zündeln in Hongkong
Die Unterstützung der Protestierer in der chinesischen Sonderverwaltungszone zeigt, wie der Westen überall auf seinem „Recht auf Einmischung“ beharrt.
Man kennt dieses Spiel in den westlichen Medien: Wenn Demonstranten in Hongkong Straßen und Gebäude blockieren, den öffentlichen Verkehr lahmlegen und Gewalt anwenden, handelt es sich um „Widerstandskämpfer“ gegen eine Diktatur, die mehr Demokratie fordern; die Besetzer des Hambacher Forsts und die Gelbwesten in Frankreich dagegen gelten als gefährliche „Gewalttäter“. Dieses Messen mit zweierlei Maß ist in unserer Presse mittlerweile leider eher die Regel als die Ausnahme. In der Tat sind die Ereignisse in Hongkong aber aus der Ferne schwer zu durchschauen. In welchem Maße sind die Proteste Ausdruck von Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der eigenen Regierung und mit Peking und wie hoch ist der Einfluss externer Kräfte auf die Vorgänge im Stadtstaat?
Seit Wochen liefern die Proteste in Hongkong die Schlagzeilen für die westlichen Medien. Welche Teile der Bevölkerung sich an dem Protest beteiligen und welche Interessen außer denen der Hongkonger Geschäftswelt im Spiel sind, kann im Moment noch nicht klar gesagt werden (1). Besondere Bedeutung scheinen westliche Kräfte dem Verhalten der Hongkonger Mittelschicht beizumessen. So schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung, dass die Protestierenden „die Sympathie von großen Teilen der Hongkonger Mittelschicht“ (2) genießen. Andererseits scheint das Wohlwollen der Bevölkerung nicht so eindeutig zu sein, wie die FAZ den Eindruck zu erwecken versucht.
So hatte sie bereits Anfang Juli nach der Besetzung des Hongkonger Parlaments durch Vertreter der Protestbewegung von „Rissen in den Reihen der Demonstranten“ (3) gesprochen. Schon damals hatte man befürchtet, dass die Bilder von beschmierten Wänden, zerschmetterten Scheiben und zertrümmerten Sicherheitskameras „die Protestbewegung in der Bevölkerung einige Sympathien kosten und der Regierung in die Hände spielen“ könnte (4).
Als dann Mitte August von „Demonstranten in der Nähe von Polizeistationen Brandbomben geworfen worden“ (5) und der Flugverkehr durch die Besetzung des Hongkonger Flughafens über Stunden stillgelegt worden war, hatte Peking die Hongkonger Bevölkerung aufgefordert, „sich von allen gewaltbereiten Elementen zu distanzieren“ (6). Anscheinend passte diese Aufforderung Pekings zur Stimmungslage in der Stadt.
Denn am Tag danach sahen sich die Aktivisten gezwungen, sich für ihre Gewalt gegenüber chinesischen Polizisten während der Flughafenbesetzung öffentlich zu entschuldigen. Nachdem sich eine Flut von Kritik über jene Demonstranten in den Foren ergossen hatte, stand zu befürchten, „dass hässliche Szenen wie jene vom Dienstagabend sie die Unterstützung der Bevölkerung kosten können, ohne die die Bewegung schnell am Ende wäre“ (7). Zudem scheinen Befürchtungen zuzunehmen, „eine weitere Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage könnte der Bewegung die Unterstützung durch die Mittelschicht entziehen“ (8).
Es scheint also nach Einschätzung der FAZ sehr viel von dieser Mittelschicht abzuhängen, der sich die Zeitung offenbar besonders verbunden fühlt. Denn wie in den westlichen Medien selbst, so sieht die Frankfurter in der an „freie Rede gewöhnte Hongkonger Mittelschicht“ (9) einen Verbündeten im Kampf gegen die Kommunistische Partei Chinas.
In ihr sehen unsere Medien — mehr noch als das westliche Kapital selbst — den Hauptfeind trotz aller wirtschaftlichen Verflechtungen und Vorteile für deutsche und westliche Unternehmen. Denn während unseren Industrieproduzenten der chinesische Markt offensteht, ist er den Medienunternehmen weitgehend verschlossen und damit auch der Werbemarkt des Riesenreiches. Das erklärt die Feindseligkeit der westlichen Medien gegenüber China, aber auch gegenüber Russland, Iran und anderen, die nicht nur deren Vorstellung von Meinungsfreiheit unterdrücken, sondern ganz besonders auch deren Wunsch nach Werbefreiheit.
Von der Stimmung anderer gesellschaftlicher Gruppen außerhalb der Geschäftswelt, des Mittelstands und des intellektuell-akademischen Milieus berichtet die FAZ dagegen nicht. Nur einmal erwähnt sie den Stadtteil North Point, den sie als Hochburg von Pro-Peking-Kräften bezeichnet, die in Loyalität zu Peking eine Flaggenparade abhalten. Es scheint also auch Kräfte in Hongkong zu geben, die nicht in das Bild passen, das die FAZ von der Lage vor Ort zeichnet. Vermutlich hat sie keine Kontakte zu Menschen dieser Kreise oder ihr ist an deren Interessen und Sichtweise nicht gelegen.
Außerchinesische Kräfte
Bekannt wurde in der Zwischenzeit, dass „die amerikanische Stiftung National Endowment for Democracy (NED) prodemokratische Kräfte in Hongkong finanziell“ (10) unterstützt. Sehr aufschlussreich ist die Haltung der FAZ zu dieser Tatsache, die man mehrere Zeilen zuvor noch in die Nähe von Verschwörungstheorien und Propaganda zu bringen versucht hatte. Denn dann gibt die Zeitung unumwunden zu, dass diese Unterstützung, die man wenig zuvor noch zu leugnen versucht hatte, „freilich für eine politische Stiftung, die sich der Förderung politischer Werte verschrieben hat, nicht ungewöhnlich ist“ (11).
Es wird also als das selbstverständliche Recht westlicher „pro-demokratischer“ Kräfte angesehen, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen und gewaltbereite Kräfte zu unterstützen.
Es sei hier erinnert an die Empörung im Westen, als der Verdacht aufkam, Russland könnte die US-Präsidenten-Wahlen beeinflusst haben. Was bis heute nicht bewiesen werden konnte, ist im Falle der Einmischung vonseiten des Westens in Hongkong unzweifelhaft.
Da nun nicht mehr geleugnet werden konnte , was lange verheimlicht worden war, wird Einmischung nun als westliches Vorrecht dargestellt. Nicht wer mit zweierlei Maß misst, wird der Heuchelei bezichtigt, sondern der, der es offenlegt. Zudem wurde auch noch gemeldet, dass die amerikanische Diplomatin Julie Eadeh, sich „vergangene Woche mit dem Demokratieaktivisten Joshua Wong getroffen hatte“ (12).
Auch die Deutschen mischen mit. Bei seiner Chinareise hielt sich Christian Lindner von der FDP zunächst in Hongkong auf, „wo er ein Büro der Friedrich-Naumann-Stiftung eröffnete und Gespräche mit Oppositionspolitikern führte“ (13). Aber es blieb nicht nur bei der Eröffnung, sondern er hielt darüber hinaus eine öffentliche Ansprache, bei der er klarstellte, dass aus seiner Sicht „wirtschaftliche Freiheit und gesellschaftliche Freiheit zusammengehören“ (14). Das erinnert doch sehr stark an die Ereignisse auf dem Kiewer Maidan, als sich dort westliche Politiker die Klinke in die Hand gaben, um mit ihren Erklärungen politischen Einfluss auf die Ereignisse zu nehmen.
Nun wäre es realitätsfremd, die Hongkonger Ereignisse alleine auf die Einflussnahme externer Kräfte zurückführen. Es scheint ernsthafte Konflikte in Teilen der Bevölkerung zu geben im Verhältnis zu Peking. Diese tieferen Ursachen und Hintergründe werden aber aus den Berichten der westlichen Medien nicht erkennbar.
Dort beschränkt man sich auf das lieb gewonnene Erklärungsmuster des Kampfes einer Bevölkerung, die Demokratie fordert, gegen den übermächtigen Druck der Kommunistischen Partei Chinas.
Dass der Westen diese Unruhen für die eigenen Interessen nutzt und versucht, Einfluss in Hongkong zu gewinnen oder auszubauen, dürfte nicht auszuschließen sein. Schon im Vorfeld hatten die westlichen Medien den dreißigsten Jahrestag der Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking umfassend in Erinnerung gerufen. Inwiefern die Vorgänge in Hongkong mit der Erinnerung an die Geschehnisse vor dreißig Jahren zusammenhängen, kann hier nicht festgestellt werden. Was aber erkannt werden kann, ist die doppelzüngige Einstellung westlicher Medien zur Gewalt.
Wenn auch die Teilnehmer der Bewegung in Hongkong Straßen und den Zugang zu Gebäuden blockieren, sogar das Hongkonger Parlamentsgebäude und den Flughafen besetzen und den Flugverkehr über Stunden lahm legen, also Sachschäden anrichten und Gewalt anwenden, werden sie dennoch von der FAZ sehr wohlwollend als „pro-demokratische Kräfte“ bezeichnet. In diesen Ruf kamen die Besetzer des Hambacher Forstes bei der FAZ und dem Rest der deutschen Medien nie. Auch die französischen Gelbwesten wurden in erster Linie als Gewalttäter dargestellt, ihre politischen und wirtschaftlichen Forderungen gingen in den Medien unter.
Aber es geht nicht um Demokratie oder sonstige „westliche Werte“. „Das Aufbäumen in Hongkong ist zugleich der sichtbarste Beleg für die mangelnde Strahlkraft des chinesischen Traums“ (15). Wenn schon der amerikanische Traum keine Strahlkraft mehr hat in der Welt, dann soll er nicht noch überstrahlt werden vom chinesischen.
Wenn der wirtschaftliche Aufstieg Chinas schon nicht verhindert werden kann, dann soll doch wenigstens nicht auch noch das chinesische Gesellschaftsmodell sich dem westlichen überlegen zeigen. Darum geht’s.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Siehe dazu: https://ruedigerraulsblog.wordpress.com/2019/08/12/facebook-revolten/
(2) Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.8.2019: Die Drohungen scheren die Demonstranten nicht.
(3) FAZ vom 2.7.2019: Risse in den Reihen der Demonstranten
(4) FAZ vom 2.7.2019: Risse in den Reihen der Demonstranten
(5) FAZ vom 13.8.2019: Drohung aus Peking: Hongkong hat kritischen Moment erreicht.
(6) FAZ vom 15.8.2019: Wenn der Hass die Kontrolle übernimmt.
(7) FAZ vom 16.8.2019: Im Gleichschritt durch das Stadion.
(8) FAZ vom 13.8.2019: Die Legende von den fremdgesteuerten Protesten
(9) FAZ-Kommentar vom 15.8.2019: Chinas Moment der Wahrheit
(10) FAZ vom 13.8.2019: Die Legende von den fremdgesteuerten Protesten
(11) FAZ vom 13.8.2019: Die Legende von den fremdgesteuerten Protesten
(12) FAZ vom 13.8.2019: Die Legende von den fremdgesteuerten Protesten
(13) FAZ vom 27.7.2019: Für Lindner war nicht einmal ein Handschlag drin
(14) FAZ vom 27.7.2019: Für Lindner war nicht einmal ein Handschlag drin
(15) FAZ-KOMMENTAR vom 15.8.2019: Chinas Moment der Wahrheit