Zum Schutz des Lebens
Die Friedens- und die Umweltbewegung stehen für das Gleiche ein — sie sollten endlich Seite an Seite kämpfen.
Umweltschützer und Friedensbewegte respektieren einander meist, sie stehen aber auf dem Standpunkt, es handele sich dabei um völlig verschiedene Baustellen. Meist kämpft ein Aktivist nur an einer der beiden Fronten. In den 70er- und 80er-Jahren war das vielfach noch anders. Die Protestbewegung hatte noch das Gesamtbild im Auge: Krieg, Umweltzerstörung, soziale Ungleichheit und sexuelle Diskriminierung. Dabei kommt man bei näherem Nachdenken rasch darauf, was die Bewegungen verbindet: vor allem der Schutz des Lebens. Kriege zerstören die Umwelt nicht nur auf vielfache Weise — das Geld, das in Rüstung gesteckt wird, fehlt auch für den Klimaschutz und andere konstruktive Ziele. Höchste Zeit für eine gemeinsame Aufbruchsbewegung.
Die Friedensbewegung und die Umweltbewegung blicken auf eine lange Zeit des Zusammenwirkens zurück, mit einigen Höhepunkten und Tiefen, mit Erfolgen und Misserfolgen.
Aktuell vertreten einige UmweltaktivistInnen die Position, der Frieden habe mit ihrem Engagement inhaltlich nichts oder nur wenig zu tun, für einige ist er, ist die Friedensbewegung old-fashioned. Diese Position widerspricht der objektiven Situation: In den 1980er-Jahren waren sich viele Menschen weit über die millionenfach getragene Friedensbewegung hinaus darin einig, dass sie im gefährlichsten Jahrzehnt der Menschheitsgeschichte lebten. Seither sind bereits drei Jahrzehnte vergangen. Und das Zusammenwirken der beiden Bündnisspektren — möglichst noch mit weiteren Partner- wie den Gewerkschaften — wird im Interesse des Überlebens trotz aller Zukunftsgefährdungen immer bedeutsamer.
Das damals weithin wahrgenommene Zusammenspiel der Umwelt- und der Friedensbewegung, die sich beide für den Schutz des Lebens einsetzen, war in den 1970er-Jahren selbstverständlich.
Damals kamen Zehntausende zu den Demonstrationen gegen Atomkraftwerke und geplante Atommüll-Lagerstätten wie die in Kalkar, Wackersdorf, Wyhl und Gorleben, und sie wussten, dass die Trennung von friedlicher und militärischer Nutzung der Atomkraft rein propagandistisch war. Viele Menschen sahen in Atomkraftwerken die Gefahr der Verstrahlung durch Unfälle, durch die Strahlenbelastung der Umwelt beim Dauerbetrieb und durch den Jahrhunderttausende lang nachstrahlenden Atommüll, der sich auf der Erde nicht sicher hermetisch vom Lebensraum abgetrennt aufbewahren lässt. Und sie sahen die Gefahr, dass in Atomkraftwerken wie den schnellen Brütern Nuklearbrennstoff für die Nuklearrüstung anfällt.
Ab 1979 wuchs die Friedensbewegung millionenfach an, da sie der Bevölkerung klar machen konnte, dass die am 12. Dezember 1979 von der NATO beschlossene Stationierung von über 500 landgestützten Nuklearraketen die Gefahr des Atomkriegs auf unverantwortliche Weise erhöht. So warb die Bewegung für die erste große Friedensdemonstration mit mehreren Hunderttausend im Bonner Hofgarten mit dem Appell „Gegen die atomare Bedrohung gemeinsam vorgehen!“
Damals war jedem in der Friedens- und in der Umweltbewegung klar, dass die Umwelt- und die Friedensfrage zusammengehören.
Die Theologin Dorothee Sölle veranschaulichte auf der Bonner Friedensdemonstration die Gefahr der Naturvergiftung und -zerstörung mit einem anschaulichen Bild:
„Wenn ein Fluss umkippt, ist es eigentlich kein Fluss mehr, sondern eine Müllkippe. Und wenn ein Land umkippt? Wenn die Schad- und Giftstoffe so überhand nehmen, dass das Leben erstickt wird, dass die Menschen an der Möglichkeit, hier zu leben, verzweifeln ... wenn sie wie Fische in der stinkenden Brühe herumtreiben? Wenn ein Fluss ökologisch verschmutzt ist, kippt er um. Wenn ein Land militärisch verschmutzt ist, ... dann kippt das Land um.“
Damals warnte die Friedensbewegung: Die Menschheit lebe im gefährlichsten Jahrzehnt ihrer Geschichte. Das kann man erst recht ein paar Jahrzehnte später sagen.
Die kalkarer NATO-Strategieschmiede Joint Air Power Competence Centre schätzt die Lage in Europa dazu passend ein: Sie sagte 2014, es sei anzuzweifeln, dass es keinen großen Krieg mehr in Europa gebe. (1) Diese Einschätzung veranlasst die Militärs, einen von ihnen als angemessen bezeichneten Mix an nuklearen und konventionellen Kapazitäten bereit zu halten (2).
Ein dritter großer Krieg in Europa wäre unser aller Ende. Davor warnte Bertold Brecht 1951 in einem Brief an die deutschen Künstler und Schriftsteller mit einem eindringlichen Beispiel aus der Geschichte der Menschheit:
„Das große Karthago führte drei Kriege. Nach dem ersten war es noch mächtig. Nach dem zweiten war es noch bewohnbar. Nach dem dritten war es nicht mehr aufzufinden.“
Nuklearer Winter
Die Friedensbewegung ringt darum, den nuklearen Winter abzuwenden. Dazu erklärten Anfang der 1980er-Jahre US-amerikanische und sowjetische Wissenschaftler in gemeinsamen Projekten, die Explosion eines Teils der Nuklearsprengköpfe der Atommächte führe unabwendbar dazu, dass Rußpartikel die Erdatmosphäre verdunkeln. Dann liegt die Temperatur selbst im Hochsommer um 12 Uhr mittags unter 0 Grad Celsius und die Natur stirbt unweigerlich. Nobelpreisträger Herbert A. Simon dazu 1984: „Schon 100 Megatonnen atomarer 'Nutzlast'... könnten den nuklearen Winter auslösen“ (3).
Aber auch jetzt schon ist das Militär der größte Umweltverschmutzer, auch ohne einen Nuklearkrieg. Die Umhüllung von Explosivwaffen mit abgereichertem Uran, ein Abfallprodukt der Kernenergie, führt dazu, dass ganze Regionen, in denen NATO-Truppen Krieg geführt haben, verstrahlt sind (4). Bei Verbrennungsabgasen gilt: Die Militärs sind weltweit der größte Verbraucher fossiler Energie. Offiziell verbrauchen sie täglich 50.880.000 Liter Öl. Dabei entstehen Megatonnen giftiger Verbrennungsabgase. Perfiderweise hat der Pentagon, also das US-Militär, es erreicht, auf die Umweltschutzabkommen von Kyoto und Paris keine Rücksicht nehmen zu müssen (5).
Auch in Deutschland wird die indirekt umweltgefährdende Wirkung der Rüstung schon beim Blick auf den Bundeshaushalt unmittelbar klar: Der Ansatz für die sogenannte Verteidigung erreichte 2019 einen neuen Rekord, indem er sprunghaft von circa 38,5 Milliarden Euro auf 43,2 Milliarden Euro anstieg. Der Ansatz für Umwelt, Naturschutz und sogenannte nukleare Sicherheit stieg von knapp 2 Milliarden Euro auf knapp 2,3 Milliarden Euro. Das Verhältnis von Militärausgaben und dem Etat, der unter anderem die Kosten für Umwelt aufführt, beträgt circa neunzehn zu eins (6).
Wir brauchen für die Rettung des Lebensraums Erde und für die Abwendung der Zukunftsgefährdungen ein Ende der Verschleuderung von Steuermilliarden für Rüstung und Krieg, ein Ende der Ressourcenvergeudung und der Naturzerstörung durch Militär.
Das gilt auch in Zeiten, in denen unser Land von Kriegsgeschehen verschont ist. Das Geld brauchen wir unter anderem für die Entwicklung einer naturbewahrenden Infrastruktur, vor allem in den Bereichen Verkehr, Heizung, Industrie und Freizeit.
Die Friedens- und die Umweltbewegung können das nur erreichen, wenn sie gemeinsam eine kluge Bündnispolitik entwickeln, die alle mit dem gleichen Interesse an unserer Zukunft mitnimmt. Hinsichtlich der Nachhaltigkeit ist die Friedensbewegung ein Mut machender Faktor, hat sie doch seit Bertha von Suttners „Die Waffen nieder!“, seit dem Beginn der Ostermärsche vor über einem halben Jahrhundert auch angesichts von Rückschlägen nie aufgegeben. Wir haben kein Recht, zu resignieren: Die Menschen in diesen beiden Bewegungen wissen um ihre Verantwortung für die Zukunft, in ihren Händen, Herzen und Köpfen.
Quellen und Anmerkungen:
(1) http://www.japcc.org/wp-content/uploads/Future_Vector_II_web.pdf S. 141
(2) Ebenda, S. 70
(3) https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13508607.html
(4) https://www.heise.de/tp/features/Massenvernichtungswaffe-Uranmunition-4350706.html
(5) https://www.greenfinder.de/news/show/us-militaer-der-groesste-umweltverschmutzer-der-welt/
(6) https://www.bundeshaushalt.de/fileadmin/de.bundeshaushalt/content_de/dokumente/2019/soll/Haushaltsgesetz_2019_Bundeshaushaltsplan_Gesamt.pdf
Ausführungen auf der Basis einer Rede auf einer Fridays for Future-Demonstration am 28. Juni 2019 in Essen.