Zu spät gefreut
In der Sendung „Markus Lanz“ keimt Kritik an den Coronamaßnahmen auf, doch letztendlich werden nur alte Fehler wiederholt.
In der Talkshow „Markus Lanz“ vom 9. Februar 2023 wurde Gesundheitsminister Karl Lauterbach von Journalist Markus Grill, Jurist Heribert Prantl sowie Ärztin Dr. Agnes Genewein stark kritisiert (1). Am nächsten Tag erschienen Medienberichte mit den Überschriften „Corona-Abrechnung“, „Lauterbachs Corona-Geständnis“ oder auch „Corona-Untersuchungsausschuss“ (2). Bei allem Erstaunen, dass ein Politiker in einer Sendung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks tatsächlich über einen längeren Zeitraum für die Coronamaßnahmen kritisiert wurde: Der Moderator und die Gäste wiederholten hier klar die Fehler, die den Umgang mit der Corona-Thematik in den letzten drei Jahren geprägt haben.
Über alte und neue Fehler
Drei Punkte greifen hier ineinander, die ich zunächst aufliste und im Folgenden ausführe:
- Die Kritik kam mal wieder viel zu spät, schließlich leben wir schon seit drei Jahren mit den Coronamaßnahmen. Andere Länder waren stets deutlich weiter, wenn es etwa um die Aufhebung der Maskenpflicht oder die Verzeichnung von Impfschäden ging.
- Die Zögerlichkeit der Kritik geht auch auf den Moderator selbst zurück. Denn Markus Lanz war in der Vergangenheit nur selten an einer kritischen Betrachtung der Maßnahmen interessiert.
- Lauterbachs Kontrahenten kritisierten im Grunde nur Coronamaßnahmen, die nicht mehr bestehen; sie sprachen oft in der Vergangenheit. Es wurde zum Beispiel nicht über die immer noch bestehende Impfpflicht in der Bundeswehr oder über die Besucherregelungen in den Krankenhäusern diskutiert.
1. Späte Kritik
Lauterbach war nicht das erste Mal bei Lanz. 2020 nahm der Politiker dort 17-mal Platz, 2021 immerhin noch 11 weitere Male (3). Nie wurde er dort so kritisiert wie in der Sendung vom 9. Februar 2023. Es war jedoch bezeichnend, dass die Kritik in dieser Sendung größtenteils von den Gästen kam. Lanz kam einmal auf Schweden zu sprechen, hielt sich ansonsten aber eher zurück.
2. Der akritische Moderator
Ein Rückblick: Am 21. Oktober 2020 war der Ärztepräsident Klaus Reinhardt zu Gast bei Markus Lanz. Dort zweifelte er den Nutzen von Masken an. In der Maskenpflicht sah er sogar ein „Vermummungsgebot“. Karl Lauterbach schrieb einen Tag später auf Twitter, dass er dies als einen „Rücktrittsgrund“ betrachte, wenn Reinhardt „das nicht sofort zurücknimmt“ (4). Doch zurück zur Sendung: Was die Alltagsmasken aus Stoff betrifft, war für Reinhardt klar, dass es „keine tatsächliche wissenschaftliche Evidenz darüber gibt, dass die tatsächlich hilfreich sind“ (5). In der FFP2-Maske dagegen sah Reinhardt einen größeren Nutzen. Trotzdem meinte er, dass man den Einsatz der Masken gut überdenken und auch in Frage stellen sollte. Für ihn stand die Reflexion der Maßnahmen eben auch im Vordergrund (6).
Die anderen Gäste in dieser Sendung, Frank Thelen, Richard David Precht und Gabriele Krone-Schmalz, wirkten interessiert. Doch für Markus Lanz waren Reinhardts Aussagen bereits Grund genug, um zum Angriff überzugehen. Anstatt als Moderator einen Raum für eine Diskussion zu eröffnen, legte er sich fest: „Aber es geht doch hier nicht um Meinungen!“ Eine weitere Äußerung zeigte, dass er den Standpunkt eines neutralen Moderators eindeutig verlassen hatte: „Ich finde, das ist ein Punkt, über den man nicht mehr diskutieren sollte, weil das ist so ziemlich die einzige Waffe im Kampf gegen diese Krankheit“ (6).
3. Wo bleibt die Skepsis?
Es fiel auf, dass die Gäste in der Lanz-Sendung vom 9. Februar 2023 nicht über die Maßnahmen redeten, die es immer noch gibt. Es ging hauptsächlich um bereits abgeschaffte Maßnahmen. Doch selbst dort — und hier kam erneut einer der alten Fehler hoch — ließen die ansonsten kritischen Gäste Karl Lauterbach wieder einiges durchgehen.
Ein Beispiel: Auf Heribert Prantls Kritik konterte Lauterbach, dass in Deutschland, wenn es die Coronamaßnahmen nicht gegeben hätte, „ungefähr eine Million Menschen gestorben“ wären (7). Keine der dort anwesenden Personen kritisierte oder hinterfragte auch nur diese Zahl. Dabei kann selbst Lauterbachs Ministerium nicht sagen, wie sich diese Zahl berechnen lässt.
Lauterbach hat diese Zahl wohl von dem Virologen Christian Drosten übernommen. Denn dieser äußerte sich im Dezember 2022 ähnlich:
„Hätte man gar nichts gemacht, dann wäre man in Deutschland in den Wellen bis zu Delta auf eine Million Tote oder mehr gekommen. Also musste man Kontakte reduzieren“ (8).
Als der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Kubicki (FDP) daraufhin von der Bundesregierung wissen wollte, ob sie diese Ansicht teilt und wie diese Zahl zustande gekommen sei, antwortete das Bundesministerium für Gesundheit Anfang 2023: „Die Berechnung (…) liegt dem Bundesministerium für Gesundheit nicht vor“ (9).
Wenn Karl Lauterbach diese Zahl tatsächlich nur von Christian Drosten übernommen hat, dann dürfte auch er keine Rechnung für diese Zahl nennen können. Wolfgang Kubicki fragte nach der Lanz-Sendung nach, ob denn der Gesundheitsminister seine Zahl ausführlich erklären könnte. Das Bundesministerium für Gesundheit musste zugeben, dass es sich hier nur „um eine Schätzung“ handelt (10).
Lauterbach nannte hier offenbar eine Zahl, die er selbst nicht begründen kann. Lanz und die anderen Gäste hätten ihn festnageln können. Doch es wurde so verfahren wie in den letzten drei Jahren: Kritische Nachfragen blieben aus.
Fazit
Die Lanz-Sendung vom 9. Februar 2023 war alles andere als eine „Abrechnung“. Markus Lanz hätte bereits 2020 einen Einfluss auf das Thema Masken nehmen können, hätte einen Diskussionsraum über ihre Nützlichkeit öffnen können. Genau das wollte er aber offenbar explizit nicht. Nun kommt jede Kritik an bereits vergangenen Maßnahmen zu spät. Ein echtes „Corona-Geständnis“ sieht anders aus.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Markus Lanz vom 9. Februar 2023 Zu Gast: Politiker Karl Lauterbach, Gesundheitsexperte Markus Grill, Ärztin Dr. Agnes Genewein und Journalist Heribert Prantl https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-9-februar-2023-100.html
(2) ZDF: Lauterbach: Manche Regeln waren „Schwachsinn“. Datum: 10.02.2023. Link: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/lanz-lauterbach-prantl-corona-massnahmen-100.html
FOCUS: Lauterbachs Corona-Geständnis: „Was Schwachsinn gewesen ist, sind Regeln draußen“. Datum: 10.02.2023. Link: https://www.focus.de/kultur/kino_tv/tv-kolumne-markus-lanz-lauterbachs-corona-gestaendnis-was-schwachsinn-gewesen-ist-sind-regeln-draussen_id_185418427.html
WELT: Der erste Corona-Untersuchungsausschuss. Datum: 10.02.2023. Link: https://www.welt.de/kultur/plus243700369/Lauterbach-bei-Lanz-Der-erste-Corona-Untersuchungsausschuss.html
(3) Meedia: Karl Lauterbach ist der unangefochtene Talkshow-König 2021. Datum: 16.12.2021. Link: https://www.meedia.de/marktdaten-medien/karl-lauterbach-ist-der-unangefochtene-talkshow-koenig-2021-525286c822e46801b5c61a5340933753
(4) Prof. Karl Lauterbach: „Die Gleichsetzung der Maskenpflicht zum Schutz vor einer tödlichen Viruserkrankung mit einem ‚Vermummungsgebot‘ gleichzusetzen ist für den ranghöchsten deutschen Ärztefunktionär unentschuldbar. Aus meiner Sicht ein Rücktrittsgrund, wenn er das nicht sofort zurücknimmt.“ Datum: 22.10.2020. Link: https://twitter.com/Karl_Lauterbach/status/1319050661691035652
(5) ZEIT: Ärztepräsident zweifelt Nutzen von Masken an. Datum: 22.10.2020. Link: https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-10/klaus-reinhardt-aerztepraesident-masken-schutz-karl-lauterbach?utm_referrer=https%3A%2F%2Ft.co%2F
(6) EXPRESS: Heftige Masken-Debatte: Ärzte-Chef sagt einen Satz, der Markus Lanz fassungslos macht. Datum: 22.10.2020. Link: https://www.express.de/panorama/maskenpflicht-aerzte-chef-sagt-satz-der-markus-lanz-fassungslos-macht-34617?cb=1676053098062 (Archiviert: https://archive.ph/RjYjS)
(7) Markus Lanz vom 9. Februar 2023 ab Min. 11:07. Link: https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-9-februar-2023-100.html
(8) TAGESSPIEGEL: Christian Drosten zur Corona-Lage in Deutschland: „Nach meiner Einschätzung ist die Pandemie vorbei.“ Datum: 26.12.2022. Link: https://www.tagesspiegel.de/wissen/corona-experte-drosten-nach-meiner-einschatzung-ist-die-pandemie-vorbei-9089959.html (Archiviert: https://archive.ph/Acxjb)
(9) Der Student und Journalist Benjamin Stibi machte auf Twitter auf Folgendes aufmerksam: „Lauterbach gestern bei Lanz: Ohne Maßnahmen wären eine Million Menschen gestorben. Lauterbachs Ministerium noch vor einem Monat zu Kubicki: Wie sich diese Zahl berechnet, wissen wir nicht.“ Datum: 10.02.2023. Link: https://twitter.com/aufmerken/status/1624016321322033152
(10) LAUTERBACHS RECHNUNG IM CHECK Haben Corona-Regeln eine Million Tote verhindert? https://www.bild.de/politik/inland/politik/lauterbachs-rechnung-im-check-haben-corona-regeln-eine-million-tote-verhindert-82973670.bild.html